Kurz: einem Holländer, einem Säufer, einem Giftmischer, einem Selbstmörder, einer intellektuellen Ruine, von einem Luderleben zerstört, behaftet mit Goldsäcken und Quartanfieber [Malaria], zieht Thomas Mann meine Kleider an. Der Golem lässt Sätze unvollendet, wie es zuweilen meine Unart ist. Wie ich, wiederholt er oft die Worte 'erledigt' und 'absolut'. Ich bin sechzig Jahre alt, er auch. Ich trage, wie Peeperkorn, Wollhemden, Gehrock, eine Weste, die bis zum Halse geschlossen ist. In dem herrlichen Hiddensee'er Klima hatten sich meine Fingernägel beinahe zu Teufelskrallen entwickelt, wie die Peeperkorns. Meine Augen sind klein und blass und werden nicht größer, wenn ich auch, wie Peeperkorn, nach Kräften versuche, die Augenbrauen heraufzuziehen. [...] Thomas Mann hat mich einmal auf seine Verantwortung den "ungekrönten König der Republik" genannt, daraus ist ein Kaffeekönig geworden. Und wenn Peeperkorn eine 'sommersprossige Kapitänshand' zeigt, so ist zu erwägen, dass Kapitän eben auf deutsch Hauptmann heisst. Das schreibt Gerhart Hauptmann am 4. Januar 1925 an den Verleger S. Fischer. Er ist etwas indigniert, um es zurückhaltend zu sagen, dass ihn Thomas Mann in den Roman Der Zauberberg hineingeschrieben hat. Dies idiotische Schwein soll Ähnlichkeit mit meiner geringen Person haben? hat er in sein Exemplar von Der Zauberberg geschrieben. Wenn man ein Olympier sein will, dann ist man nicht gerne ein Clown.
Gerhart Hauptmann wurde heute vor 150 Jahren geboren. Muss man ihn heute noch lesen? Ich weiß es nicht, weil sein soziales Mitleidsepos (der Terminus ist von Thomas Mann) an mir vorbei gegangen ist. Welch furchtbares Geschwafel! … Überall dies wabernde, schwafelnde, fast könnte man sagen: unsaubere Geschwätz, hat Gottfried Benn in einem Brief an den Bremer Kaufmann Oelze geschrieben. Wenn man einmal als Jugendlicher Maria Schell in Rose Bernd im Kino gesehen hat, hat man nicht unbedingt Geschmack auf mehr - allerdings fand ich Hans Albers in Vor Sonnenuntergang gut, das liegt aber wohl daran, dass ich Hans Albers Fan bin. Vor Monaten habe ich in einem Antiquariat ein kleines Pappbändchen (86 Seiten) aus dem Jahre 1922 für einen Euro mitgenommen, es war das Theaterstück Und Pippa tanzt. Es war auch, das muss ich gestehen, das erste Stück, das ich von Hauptmann las. Durch die Schule bin ich mit Knaurs Schauspielführer gekommen (ein Werk, das man nicht unterschätzen sollte).
Aber dass ein wenig von Gerhart Hauptmann in Der Zauberberg steckt, das weiß ich, weil ich den Roman mehrfach gelesen habe. Und alles Drumherum an Sekundärliteratur. Mynheer Peeperkorn kommt im Roman als Beigabe zu Madame Chauchat, wenn die zum zweiten Mal im Leben von Hans Castorp auftaucht. Die beauty hat immer ein beast als Beigabe, das geht in der Literatur nicht anders. Ebenso wie Hans Castorp war ich bei der ersten Lektüre vom Zauberberg schwer verliebt in die kirgisenäugige Clawdia Chauchat, die breite Backenknochen und schmale Augen hatte. Wir lassen kein slawisches Stereotyp aus. Ich nehme an, dass Tommy Mann die Assoziation mit chaude und chatte im Kopf hatte. Am Totenbett von Peeperkorn (ja, Thomas Mann beerdigt seinen Übervater im Roman) darf Hans Castorp die geliebte Clawdia auf die Stirn küssen. Ob das mit der Liebesnacht vorher etwas war, lässt der Autor vornehm im Dunklen.
Als ich den Roman zum ersten Mal las, spielte Marie-France Pisier gerade die kleine Musikstudentin Colette in Truffauts Beitrag zu L'amour à vingt ans. Da wusste sie noch nicht, dass sie eines Tages Madame Chauchat sein würde. Obgleich ich dieser schönen Frau für den Film einen besseren Regisseur gewünscht hätte. Jemanden wie Visconti, Losey oder Raoul Ruiz (hier können Sie Le temps retrouvé ganz sehen). Aber Marie-France Pisier hin oder her, man hätte die Finger von der Verfilmung von dem Zauberberg lassen sollen. Denn was wird aus der Liebesgeschichte, die im fünften Kapitel des Romans nur aus französischem Dialog und angedeuteter Liebesnacht besteht? Ach, gucken Sie selbst in diese bunten Bilder. Diese Art der Literaturbebilderung nimmt dem Roman jedwede Subtilität.
Und ich bin ja so froh, dass ich damals, als ich den Roman zum ersten Male las, noch nicht wusste, wer Thomas Manns Clawdia Chauchat wirklich war. Anscheinend nicht die Türen schmeißende Russin, die sich als Clawelia Ephanow, Tambof, Russie in die Gästeliste eingetragen hatte, eine Mitpatientin von Thomas Manns Ehefrau. Oder die russische Tänzerin, die er einmal kennengelernt hatte: Nach dem Abendessen (...) im Regen per Tram zu Kurt Wolf, wo die Russinnen tanzten (...) Machte zum Schluß noch flüchtig die Bekanntschaft der mich am meisten interessierenden Tänzerin mit schiefen Augen, die (während der Aufführung) der eine Bogenschütze war. Sie hatte K´s Mutter von dem Moskauer Elend erzählt, dem sie mühsam entkommen war. Eine gute Mme. Chauchat. Nein, für die Clawdia Chauchat soll irgendein Lübecker Mitschüler von Thomas Mann das Vorbild gewesen sein. Weil Thomas Mann ja schwul ist. Sagt eine neuere Literaturwissenschaft, die beim Lesen eine andere Brille als der normale Leser trägt. Da bin ich auch froh, dass Thomas Mann seinem Mynheer Peeperkorn nicht noch so ein wenig von Gustav von Aschenbach mitgegeben hat. Obgleich ich in dieser Sorte Sekundärliteratur (das Wort Sekundärliteratur bekommt da eine andere Bedeutung) schon gelesen habe, dass es eine homoerotische Beziehung zwischen Mynheer Peeperkorn und Hans Castorp gibt.
Solch interpretatorische Höhenflüge hatte der Romanautor Mann wohl nicht im Sinn, als er die Gestalt des holländischen Kaffeekönigs im Ruhestand plötzlich in die Welt des Zauber-Venusbergs einbrechen lässt. Aber natürlich hatte er bei Pieter Peeperkorn, groß, breit und hochgestirnt, weiß umlodert das mächtige Haupt, den Mann im Kopf, der sich seine Haare so hochbürstete, dass er wie Goethe aussah. Eigentlich könnte Gerhart Hauptmann ja stolz darauf sein, dass er in diese Figur gewandert ist. Doch er hat diese bezaubernde Parodie, diese Künstlersünde nicht so leicht genommen, wie Tommy Mann - von seinem kreativen Teufel geritten - sie hingeschrieben hat. Es bedurfte eines langen Briefes von Thomas Mann, der auch als ein Meisterwerk der Ironie gelesen werden kann, um Hauptmann zu beruhigen. Mit dem Telegramm Fern von allem Groll begrüße ich sie in alter Herzlichkeit. Brief folgt. Gerhart Hauptmann ist alles wieder gut.
Oder auch nicht. Er hat am 'Tage der Arbeit' auf seinem Hause das Hakenkreuz hissen lassen. Er mag sich goethisch vorkommen in seiner Loyalität gegen das Gemeine.[...] Ich hasse diese Attrappe, die ich verherrlichen half, u. die großartig ein Märtyrertum von sich weist, zu dem auch ich mich nicht geboren weiß, zu dem aber meine geistige Würde mich unweigerlich beruft, schreibt Thomas Mann am 9. Mai 1933 in sein Tagebuch, da ist der Bruch zwischen ihm und Hauptmann endgültig. Obwohl er später sagen wird: Mit Hauptmann verband mich eine Art Freundschaft. Und die Sache mit dem, was er als schlechten Streich bezeichnete, hat ihn nie losgelassen. Dieser Mann (ja, Thomas) beklaut Karl Kerényi (für Joseph und seine Brüder) und Adorno (für Doktor Faustus) und hat kein schlechtes Gewissen. Aber eine kleine Gerhart Hauptmann Parodie - und schon leidet Thomas Mann lebenslang.
In einer Rede heute vor sechzig Jahren fragte er sich, warum er nicht reden sollte davon im Schutz der Verzeihung, die seine großartige Güte mir gewährt hat. Und gestand nach einer gerade erneuten Lektüre (als ob Schriftsteller ihr Werk nicht genau kennten) des Romans: Glauben Sie doch nicht, daß ich ihn belauert und heimtückisch beschlossen hätte, ihn abzukonterfeien. So geht dergleichen nicht vor sich, nicht so kleinlich und schlecht. Man 'beobachtet’ nicht mit einem Blick, der sich an der Wirklichkeit zum Schauen bricht. [...]; ich las die drei Kapitel nach, in denen ich den sündhaften Verrat begangen, und ich gestehe Ihnen: Ich war ergriffen von der überwirklichen Getroffenheit dieser Porträt-Phantasie. Das ist kein schnödes Zerrbild, – es ist kein Verrat, sondern eine Huldigung, und als Niederschlag der rührend größten Erfahrung im Menschlich-Persönlichen, die mir je zuteil wurde, mag es der Nachwelt von dem Erlebnis des Daseins, von seines Wesens weher Festlichkeit mehr überliefern, als noch so viele kritische Monographien je vermöchten. So viel ironische Distanz Thomas Mann zu vielen Dingen hat, irgendwie muss er immer übertreiben.
Der Zauberberg ist nicht der einzige Roman, in dem Gerhart Hauptmann vorkommt. Er begegnet uns auch - wenn auch schon tot - in dem Fontane-Roman Ein weites Feld von Günter Grass:
Auch davon war unterwegs und beim Kaffee die Rede. Fonty verweilte noch einige Zeit auf dem Hugenotten-Friedhof und schilderte dessen jetzigen, eher trostlosen Zustand, doch da Eckhard Freundlich, in Begleitung seines Vaters, bei der Beerdigung auf dem Friedhof in Kloster dabeigewesen war, rückten seine Erinnerungen als photographisch genaue Ausschnitte bald in den Vordergrund: das Bild vom Sarg auf dem Vorschiff des Dampfers 'Hiddensee'; der zum Bild gewordene Schleier der vereinsamten Witwe Margarete Hauptmann, der in gleicher Windrichtung wehte. Wie sich die Rauchfahne des Totenschiffes hinzog; und Bild nach Bild die sechs Hiddenseer Fischer als Sargträger. Wenn Fonty, der nicht dabeigewesen ist, etwas undeutlich von 'beigemischter schlesischer Erde' sprach, wußte Freundlich, daß man 'nach jeder Schippe Inselsand eine Schippe schweren Boden aus Agnetendorf', der zum geretteten Flüchtlingsgut gehörte, 'ziemlich polternd' in die Grube geschaufelt habe. Fonty beharrte auf den vom Dichter gewünschten Begräbnistermin 'vor Sonnenaufgang'.
Freundlich war sicher, daß mit einiger Verspätung begraben wurde: 'Wir alle warfen schon Schatten, mein lieber Wuttke, so hoch stand der Feuerball überm Horizont der Ostsee. Erinnere mich, als Kind in Mexiko solch Naturtheater gesehen zu haben. Sah toll aus!' Sogar den Grund des verpaßten Termins wußte er noch: 'Naja, die Fischer kamen zu spät. Immer noch angeduhnt, trugen sie den Sarg so torkelig, daß sie ins Stolpern gerieten, weil man am Vorabend schon den Leichenschmaus vorweggefeiert hatte. Und was es alles zum Schnaps zu essen gab: Wurst, Schinken, hartgekochte Eier, kaltes Huhn, Kartoffelsalat. Und da die Gaus und Striesows, die Schlucks und die Gottschalks allesamt nicht nur durstig, sondern auch ausgehungert waren, haben sie zugelangt und sich die Taschen vollgestopft. Das war ein Fest, mein lieber Wuttke! Kein Wunder, daß die Sargträger es noch in den Beinen hatten.' Bei diesem Leichenschmaus soll sich besonders ein Schauspieler aus Sachsen, der durch Filme bekannt geworden war, in denen er täuschend Friedrich den Großen dargestellt hatte, für die nächsten Tage versorgt haben; doch diese Lokalfarbe trug nicht Professor Freundlich auf, sondern tags drauf ein weiterer Inselgast.
Gerhart Hauptmann wurde heute vor 150 Jahren geboren. Muss man ihn heute noch lesen? Ich weiß es nicht, weil sein soziales Mitleidsepos (der Terminus ist von Thomas Mann) an mir vorbei gegangen ist. Welch furchtbares Geschwafel! … Überall dies wabernde, schwafelnde, fast könnte man sagen: unsaubere Geschwätz, hat Gottfried Benn in einem Brief an den Bremer Kaufmann Oelze geschrieben. Wenn man einmal als Jugendlicher Maria Schell in Rose Bernd im Kino gesehen hat, hat man nicht unbedingt Geschmack auf mehr - allerdings fand ich Hans Albers in Vor Sonnenuntergang gut, das liegt aber wohl daran, dass ich Hans Albers Fan bin. Vor Monaten habe ich in einem Antiquariat ein kleines Pappbändchen (86 Seiten) aus dem Jahre 1922 für einen Euro mitgenommen, es war das Theaterstück Und Pippa tanzt. Es war auch, das muss ich gestehen, das erste Stück, das ich von Hauptmann las. Durch die Schule bin ich mit Knaurs Schauspielführer gekommen (ein Werk, das man nicht unterschätzen sollte).
Als ich den Roman zum ersten Mal las, spielte Marie-France Pisier gerade die kleine Musikstudentin Colette in Truffauts Beitrag zu L'amour à vingt ans. Da wusste sie noch nicht, dass sie eines Tages Madame Chauchat sein würde. Obgleich ich dieser schönen Frau für den Film einen besseren Regisseur gewünscht hätte. Jemanden wie Visconti, Losey oder Raoul Ruiz (hier können Sie Le temps retrouvé ganz sehen). Aber Marie-France Pisier hin oder her, man hätte die Finger von der Verfilmung von dem Zauberberg lassen sollen. Denn was wird aus der Liebesgeschichte, die im fünften Kapitel des Romans nur aus französischem Dialog und angedeuteter Liebesnacht besteht? Ach, gucken Sie selbst in diese bunten Bilder. Diese Art der Literaturbebilderung nimmt dem Roman jedwede Subtilität.
Und ich bin ja so froh, dass ich damals, als ich den Roman zum ersten Male las, noch nicht wusste, wer Thomas Manns Clawdia Chauchat wirklich war. Anscheinend nicht die Türen schmeißende Russin, die sich als Clawelia Ephanow, Tambof, Russie in die Gästeliste eingetragen hatte, eine Mitpatientin von Thomas Manns Ehefrau. Oder die russische Tänzerin, die er einmal kennengelernt hatte: Nach dem Abendessen (...) im Regen per Tram zu Kurt Wolf, wo die Russinnen tanzten (...) Machte zum Schluß noch flüchtig die Bekanntschaft der mich am meisten interessierenden Tänzerin mit schiefen Augen, die (während der Aufführung) der eine Bogenschütze war. Sie hatte K´s Mutter von dem Moskauer Elend erzählt, dem sie mühsam entkommen war. Eine gute Mme. Chauchat. Nein, für die Clawdia Chauchat soll irgendein Lübecker Mitschüler von Thomas Mann das Vorbild gewesen sein. Weil Thomas Mann ja schwul ist. Sagt eine neuere Literaturwissenschaft, die beim Lesen eine andere Brille als der normale Leser trägt. Da bin ich auch froh, dass Thomas Mann seinem Mynheer Peeperkorn nicht noch so ein wenig von Gustav von Aschenbach mitgegeben hat. Obgleich ich in dieser Sorte Sekundärliteratur (das Wort Sekundärliteratur bekommt da eine andere Bedeutung) schon gelesen habe, dass es eine homoerotische Beziehung zwischen Mynheer Peeperkorn und Hans Castorp gibt.
Solch interpretatorische Höhenflüge hatte der Romanautor Mann wohl nicht im Sinn, als er die Gestalt des holländischen Kaffeekönigs im Ruhestand plötzlich in die Welt des Zauber-Venusbergs einbrechen lässt. Aber natürlich hatte er bei Pieter Peeperkorn, groß, breit und hochgestirnt, weiß umlodert das mächtige Haupt, den Mann im Kopf, der sich seine Haare so hochbürstete, dass er wie Goethe aussah. Eigentlich könnte Gerhart Hauptmann ja stolz darauf sein, dass er in diese Figur gewandert ist. Doch er hat diese bezaubernde Parodie, diese Künstlersünde nicht so leicht genommen, wie Tommy Mann - von seinem kreativen Teufel geritten - sie hingeschrieben hat. Es bedurfte eines langen Briefes von Thomas Mann, der auch als ein Meisterwerk der Ironie gelesen werden kann, um Hauptmann zu beruhigen. Mit dem Telegramm Fern von allem Groll begrüße ich sie in alter Herzlichkeit. Brief folgt. Gerhart Hauptmann ist alles wieder gut.
Oder auch nicht. Er hat am 'Tage der Arbeit' auf seinem Hause das Hakenkreuz hissen lassen. Er mag sich goethisch vorkommen in seiner Loyalität gegen das Gemeine.[...] Ich hasse diese Attrappe, die ich verherrlichen half, u. die großartig ein Märtyrertum von sich weist, zu dem auch ich mich nicht geboren weiß, zu dem aber meine geistige Würde mich unweigerlich beruft, schreibt Thomas Mann am 9. Mai 1933 in sein Tagebuch, da ist der Bruch zwischen ihm und Hauptmann endgültig. Obwohl er später sagen wird: Mit Hauptmann verband mich eine Art Freundschaft. Und die Sache mit dem, was er als schlechten Streich bezeichnete, hat ihn nie losgelassen. Dieser Mann (ja, Thomas) beklaut Karl Kerényi (für Joseph und seine Brüder) und Adorno (für Doktor Faustus) und hat kein schlechtes Gewissen. Aber eine kleine Gerhart Hauptmann Parodie - und schon leidet Thomas Mann lebenslang.
In einer Rede heute vor sechzig Jahren fragte er sich, warum er nicht reden sollte davon im Schutz der Verzeihung, die seine großartige Güte mir gewährt hat. Und gestand nach einer gerade erneuten Lektüre (als ob Schriftsteller ihr Werk nicht genau kennten) des Romans: Glauben Sie doch nicht, daß ich ihn belauert und heimtückisch beschlossen hätte, ihn abzukonterfeien. So geht dergleichen nicht vor sich, nicht so kleinlich und schlecht. Man 'beobachtet’ nicht mit einem Blick, der sich an der Wirklichkeit zum Schauen bricht. [...]; ich las die drei Kapitel nach, in denen ich den sündhaften Verrat begangen, und ich gestehe Ihnen: Ich war ergriffen von der überwirklichen Getroffenheit dieser Porträt-Phantasie. Das ist kein schnödes Zerrbild, – es ist kein Verrat, sondern eine Huldigung, und als Niederschlag der rührend größten Erfahrung im Menschlich-Persönlichen, die mir je zuteil wurde, mag es der Nachwelt von dem Erlebnis des Daseins, von seines Wesens weher Festlichkeit mehr überliefern, als noch so viele kritische Monographien je vermöchten. So viel ironische Distanz Thomas Mann zu vielen Dingen hat, irgendwie muss er immer übertreiben.
Der Zauberberg ist nicht der einzige Roman, in dem Gerhart Hauptmann vorkommt. Er begegnet uns auch - wenn auch schon tot - in dem Fontane-Roman Ein weites Feld von Günter Grass:
Auch davon war unterwegs und beim Kaffee die Rede. Fonty verweilte noch einige Zeit auf dem Hugenotten-Friedhof und schilderte dessen jetzigen, eher trostlosen Zustand, doch da Eckhard Freundlich, in Begleitung seines Vaters, bei der Beerdigung auf dem Friedhof in Kloster dabeigewesen war, rückten seine Erinnerungen als photographisch genaue Ausschnitte bald in den Vordergrund: das Bild vom Sarg auf dem Vorschiff des Dampfers 'Hiddensee'; der zum Bild gewordene Schleier der vereinsamten Witwe Margarete Hauptmann, der in gleicher Windrichtung wehte. Wie sich die Rauchfahne des Totenschiffes hinzog; und Bild nach Bild die sechs Hiddenseer Fischer als Sargträger. Wenn Fonty, der nicht dabeigewesen ist, etwas undeutlich von 'beigemischter schlesischer Erde' sprach, wußte Freundlich, daß man 'nach jeder Schippe Inselsand eine Schippe schweren Boden aus Agnetendorf', der zum geretteten Flüchtlingsgut gehörte, 'ziemlich polternd' in die Grube geschaufelt habe. Fonty beharrte auf den vom Dichter gewünschten Begräbnistermin 'vor Sonnenaufgang'.
Freundlich war sicher, daß mit einiger Verspätung begraben wurde: 'Wir alle warfen schon Schatten, mein lieber Wuttke, so hoch stand der Feuerball überm Horizont der Ostsee. Erinnere mich, als Kind in Mexiko solch Naturtheater gesehen zu haben. Sah toll aus!' Sogar den Grund des verpaßten Termins wußte er noch: 'Naja, die Fischer kamen zu spät. Immer noch angeduhnt, trugen sie den Sarg so torkelig, daß sie ins Stolpern gerieten, weil man am Vorabend schon den Leichenschmaus vorweggefeiert hatte. Und was es alles zum Schnaps zu essen gab: Wurst, Schinken, hartgekochte Eier, kaltes Huhn, Kartoffelsalat. Und da die Gaus und Striesows, die Schlucks und die Gottschalks allesamt nicht nur durstig, sondern auch ausgehungert waren, haben sie zugelangt und sich die Taschen vollgestopft. Das war ein Fest, mein lieber Wuttke! Kein Wunder, daß die Sargträger es noch in den Beinen hatten.' Bei diesem Leichenschmaus soll sich besonders ein Schauspieler aus Sachsen, der durch Filme bekannt geworden war, in denen er täuschend Friedrich den Großen dargestellt hatte, für die nächsten Tage versorgt haben; doch diese Lokalfarbe trug nicht Professor Freundlich auf, sondern tags drauf ein weiterer Inselgast.
Es hält sich allerdings hartnäckig das Gerücht, dass die sechs Hiddenseer Fischer überhaupt nicht zu der Zeremonie erschienen waren, weil sie Hauptmann nicht ausstehen konnten.
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