Montag, 5. November 2012
I hear America Singing
Sängerkrieg um das Weiße Haus? Barack Obama war kurz neben Mick Jagger und B.B. King zu sehen, Mitt Romney hat öffentlich America the Beautiful gesungen. Das peinliche Ereignis habe ich schon in dem Post über ➯William Billings erwähnt. Politiker tun ja alles, um sich beim Wahlvolk beliebt zu machen. Einen Hund zu haben, zum Beispiel, ist immer gut. Es sei denn, man bindet ihn oben auf das Autodach, wie Mitt Romney das getan hat. Man braucht nicht Noten lesen zu können, um Präsident der USA zu werden, aber wir greifen mal eben in den Wahlkampf ein und werfen heute einen Blick auf die musikalische Begabung der amerikanischen Präsidenten.
I can neither sing one of the songs, nor raise a single note on any instrument to convince the unbelieving, but I have, however one argument which will prevail with persons of true taste (at least in America), I can tell them that it is the production of Mr. Hopkinson, schreibt George Washington an Francis Hopkinson. Diese Briefstelle sollte die Diskussion beenden, wonach Washington eine ➯Zither besessen und gespielt hat. Aber Washington hat gerne in Gesellschaft laut gesungen, sein Lieblingslied soll der ➯Derby Ram gewesen sein. Wenn der erste Präsident Amerikas musikalisch nicht so viel zu bieten hat (obgleich natürlich in seinem Landsitz Mount Vernon auch ein Spinett stand), werden wir bei Thomas Jefferson fündig. Que je Vous envie Votre Retour à MontiChello, Sejour paisible et agreable que j'y ai passé! schreibt ihm der Baron Friedrich Wilhelm von Geismar nach Monticello. Der war wenige Jahre zuvor noch als Offizier des Stabes von General Riedesel ein Gefangener der Amerikaner. Wohnte mit General Riedesel unweit von Jeffersons Monticello und besuchte ihn ständig. Und was machen die Herren? Hausmusik.
Riedesel bringt eine Gattin Friederike mit (hier von ➯Tischbein gemalt), die sehr schön singen kann. Sie ist eine erstaunliche Frau, sie kam schon einmal ➯hier vor, ihr Buch Die Berufsreise nach Amerika: Briefe und Berichte des Generals und der Generalin von Riedesel während des nordamerikanischen Kriegs in den Jahren 1776 bis 1783 geschrieben ist immer noch eine wunderbare Lektüre. Jefferson wird dem Freiherrn Riedesel 1771 auch ein Klavier verkaufen (Sold my pianoforte to Gen. Riedesel. He is to give me 100), damit er in seinem schnell erbauten Holzhaus in Charlottesville (er braucht nicht wie der Rest der Truppe in den Albemarle Barracks zu wohnen) auch Musik machen kann. Der junge Baron Geismar, der ein ausgezeichneter Violinist ist, wird Jefferson beim Abschied noch seine mitgeführten Noten schenken (sie werden noch lange befreundet sein). Das ist noch ein netter Krieg, wenn adlige Offiziere im Dienste Englands ihre Violine und ihre Noten in den Feldzug mitnehmen.
Jeffersons Vorgänger John Adams war nicht ganz so musikalisch, amused myself with reading, writing, & taking lessons on the flute, which I have lately begun to learn, trägt er 1787 in sein Tagebuch ein. Aber 1795, als er in Den Haag ist, schreibt er: I am extremely fond of music, and by dint of great pains have learnt to blow very badly the flute. But could never learn to perform upon the violin, because I never could acquire the art of putting the instrument in tune. That I console myself with the idea of being an American and therefore not susceptible of great musical powers; though I must do my countrymen the justice to say that few of them are so very dull as this. That I know many who had a musical ear, and could tune an instrument with little or no instruction at all. Das sind interessante Sätze: being an American and therefore not susceptible of great musical powers.
Die Musik vermutet man in Europa, und damit will man in der jungen Republik nichts zu tun haben. Natürlich haben alle Einwanderer ihre Musik mitgebracht, und werden sie auch pflegen, aber im Bereich der high culture dauert es doch seine Zeit, bis die ersten Opernhäuser und Orchester in Amerika entstehen. Der erste Präsident, der 1922 ein Radio im Weißen Haus installieren lässt, ist Warren G. Harding (er ist auch der erste Präsident, den die Nation im Radio hören kann). Er möchte gerne Musik hören. Und von Musik versteht er etwas, I played every instrument but the slide trombone and the E-flat cornet, hat er gesagt. Er hatte sogar ein Blasorchester gegründet, das die politischen Parteien für Wahlkampfveranstaltungen mieten konnten, die Citizen's Cornet Band spielte für Demokraten und Republikaner, da waren sie sehr demokratisch.
Warren G. Harding hat bei seinem Amtsantritt sehr schöne Dinge gesagt. Wie zum Beispiel: America's present need is not heroics, but healing; not nostrums, but normalcy; not revolution, but restoration; not agitation, but adjustment; not surgery, but serenity; not the dramatic, but the dispassionate; not experiment, but equipoise; not submergence in internationality, but sustainment in triumphant nationality... Das sind Worte, die man gerne aus dem Mund eines Präsidenten hört. Allerdings hat er sich wenig an diese schönen Worte gehalten, seine kurze Amtszeit ist überschattet von Skandalen, in die Mitglieder seines Kabinetts verstrickt sind. Die den Präsidenten ausrufen lassen: My God, this is a hell of a job! I have no trouble with my enemies, but my damn friends, my God-damned friends… they're the ones that keep me walking the floor nights!
Derjenige, der Hardings schöne Rhetorik am schnellsten durchschaute, war H.L. Mencken: He writes the worst English that I have ever encountered. It reminds me of a string of wet sponges; it reminds me of tattered washing on the line; it reminds me of stale bean soup, of college yells, of dogs barking idiotically through endless nights. It is so bad that a sort of grandeur creeps into it. It drags itself out of the dark abysm of pish, and crawls insanely up the topmost pinnacle of posh. It is rumble and bumble. It is flap and doodle. It is balder and dash. Auch das sind schöne Worte, die bestimmt auf eine Vielzahl von politischen Reden zutreffen, die heute gehalten werden. Wir lernen aus dem Beispiel von Harding, dass die Beherrschung eines Musikinstruments noch keinen guten Präsidenten ausmacht.
Wenn man den Angaben des Weißen Hauses trauen darf - nein, das ist jetzt nicht als Witz intendiert - also, wenn man den Angaben des ➯Weißen Hauses trauen darf, dann haben von den 44 Präsidenten der Vereinigten Staaten ein Dutzend ein Instrument gespielt. Wir haben im 19. Jahrhundert einige, die angeblich Banjo gespielt haben, und Lincoln soll (ebenso wie Woodrow Wilson) Violine gespielt haben. Allerdings werden all diese Angaben auch angezweifelt. Klaviere haben sie im Weißen Haus genug, dies hier ist eins von ihnen. Wenn Sie noch andere sehen wollen, dann klicken Sie ➯hier.
Dass der Südstaatenaristokrat John Tyler die Geige spielte, das zweifelt niemand an, es gibt sogar ein Bronzedenkmal, das ihn mit Violine zeigt. Von solchen Ausnahmen abgesehen, kann man doch immer wieder eine Tendenz erkennen, auch noch den farblosesten Präsidenten irgendwelche musikalische Begabungen anzudichten. Oder Musikstücke aufzuzählen, die der Präsident liebte. Franklin D. Roosevelt hörte gerne Home on the Range. Und wenn Präsidenten sonst gar nichts können, dann spielen sie Mundharmonika. Wobei ich nicht weiß, ob die Mundharmonika (Calvin Coolidge und Ronald Reagan spielten sie) wirklich als Instrument zählt. Wenn Larry Adler sie spielt, wie bei der ➱Filmmusik von Genevieve, dann ist das O.K. Aber Ronald Reagan? Als sich in der Presse Gerüchte vermehrten, der pensionierte Präsident nähme jetzt Unterricht, schickte der ein Telegramm an die New York Times: Unfortunately I'm not taking lessons and probably should be. I've always liked the harmonica, but can barely play a tune. My repertoire is limited to 'Red River Valley', and I play for my own self-amusement exclusively - usually when I don't have my hearing aids in. Thank you for thinking of me anyway. Have a blessed Easter. Sincerely, Ronald Reagan.
Aber kommen wir doch einmal zu wirklichen Virtuosen im Weißen Haus. Kommen wir zu Harry S. Truman. Das ist der Mann der gesagt hat: My choice early in life was either to be a piano-player in a whorehouse or a politician. And to tell the truth, there's hardly any difference. Hier sehen wir Harry S. Truman am Piano, die Dame, die sich da halb brav, halb lasziv auf dem Klavier räkelt, ist übrigens Lauren Bacall. Wäre er als Pianist gut genug gewesen, wäre er kein Präsident geworden, hat er einmal gesagt, I missed being a musician and the real and only reason I missed being one is because I wasn't good enough. Er liebte Mozart, Beethoven und Chopin, spielte aber auch Gershwin. Und Paderewskis ➯Menuet in G-Dur. Das hatte ihm seine Klavierlehrerin Mrs E.C. White beigebracht, die ihn auch einmal zu einem Konzert von Paderewski mitgenommen hatte. Während der Konferenz von Potsdam hat er Stalin das Menuett von Paderewski vorgespielt und später im Jahr auf einem Volksfest in Caruthersville (Missouri) dem Publikum gesagt: When I played this, Stalin signed the Potsdam Agreement. Irgendwie war er schon witzig.
So professionell Harry S. Truman an den Tasten war, es gibt da noch jemanden im Weißen Haus, der ein begnadeter Pianist gewesen sein soll. Auf den wäre ich nie gekommen, aber es stimmt: Richard Milhouse Nixon spielte Klavier. Und scheute sich - ebenso wie Harry Truman - nicht, damit in der Öffentlichkeit aufzutreten. Hier sehen wir ihn 1974 bei der ➯Eröffnung des neuen Konzertsaals der ➯Grand Ole Opry in Nashville, wo er God Bless America spielt. Und YouTube ist voll von kleinen Video Schnipseln, wo man Nixon beim ➯Klavierspiel sehen kann oder wo er über seinen ➯Musikunterricht redet. Macht das alles aber Tricky Dick sympathischer? Seine Amtszeit war doch eher eine Katastrophe.
Und sich mit einem Musikinstrument photographieren zu lassen, ist nicht immer für die politische Karriere förderlich. Hier tritt gerade George Bush mit einer Gitarre auf, die man ihm in die Hand gedrückt hat. Er tut so, als könnte er Gitarre spielen, aber man kann an seiner Handhaltung sehen, dass er keine Ahnung davon hat. Das Photo daneben zeigt die Opfer des Hurrikans Katrina. Gut, für den kann er nix, es ist nur etwas blöd, in Kalifornien auf der Bühne den Gitarristen zu mimen, wenn ein großer Teil der USA wirkliche Sorgen hat.
So schön der Gedanke wäre, einen gebildeten, charakterfesten, witzigen Mann im Weißen Haus zu haben, der sich seine Reden selbst schreibt (was amerikanische Präsidenten nach Woodrow Wilson nicht mehr getan haben) und auch noch ein Musikinstrument beherrscht, wir werden heute kaum fündig werden. I deeply regret not having learned a musical instrument, hat Obama letztens gesagt. Von seinem Herausforderer sind keinerlei musikalischen Neigungen bekannt, abgesehen davon dass er neuerdings von einer Band namens The Killers schwärmt (die Obama schon mal vor zwei Jahren ins Weiße Haus eingeladen hatte). Aber solch ein Flirt mit der popular culture kann auch gefährlich sein, nicht nur bei den Killers (welch schöner Name für eine amerikanische Band). Die Geschichte der jüngeren Popmusik ist eine Geschichte des Protests. Obgleich das häufig nicht viel nutzt, wir unterschätzen in Europa das Beharrungsvermögen der konservativen Kräfte sicherlich. Als die Dixie Chicks eine Woche vor dem Einmarsch der USA in den Irak erklärten We don't want this war, this violence, and we're ashamed that the President of the United States is from Texas, da fand man das in Europa ganz toll, aber in Amerika wurden ihre CDs aus Protest gegen diese lèse majesté geschreddert. Da hätten die jungen Texanerinnen doch lieber den Klassiker Okie from Muskogee von Merle Haggard singen sollen:
We don't smoke marijuana in Muskogee; We don't take our trips on LSD
We don't burn our draft cards down on Main Street;
We like livin' right, and bein' free.
I'm proud to be an Okie from Muskogee,
A place where even squares can have a ball
We still wave Old Glory down at the courthouse,
And white lightnin's still the biggest thrill of all
The future of our nation depends on providing our children with a complete education that includes music, hat Gerald Ford gesagt, aber das bleiben nur schöne Worte. I console myself with the idea of being an American and therefore not susceptible of great musical powers, der Satz von John Quincy Adams bleibt bestehen. Ein Äquivalent für jemanden wie den englischen Premierminister Ted Heath haben die Amerikaner nicht in den Reihen ihrer Präsidenten. Trösten wir uns damit, dass es eine Rockband gibt, die The Presidents of the United States of America heißt.
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