An meinem Geburtstag waren wir diesmal nicht so viele wie im letzten Jahr. Das hatte noch nichts mit der Corona Epidemie zu tun, obgleich Götz unbedingt The Masque of the Red Death von Edgar Allan Poe zitieren musste, als er ins Wohnzimmer kam. Einige waren krank, und Gabi hatte vergessen, mir zu sagen, dass sie zum fünfundachtzigsten Geburtstag ihres Onkels musste. Es war aber trotzdem ganz nett. Ich hatte für Götz eine kleine Überraschung, nämlich einen Umschlag voller Photos von Leuten, die er alle kannte. Es war unsere alte Fußballmannschaft, die hier schon einen Post hat. Auf diesen Photos sind wir an einem schönen Sommertag nach dem Spiel in Plön zu sehen. Alle haben ihre verschwitzten Trikots abgestreift. Wir haben gerade auf dem Fußballplatz der Marineunteroffiziersschule 9:1 gegen die Mannschaft vom Gymnasium und vom Internat Plön gewonnen. Die Photos hatte ich nach dem Spiel gemacht, alle sind drauf. Auch Georg, der diesmal nicht in unserer Mannschaft war, weil er für das Schloßinternat spielen musste. Aber wie das mit der Fröhlichkeit so ist, die Photos zeigten auch etwas anderes. Denn einige von denen, die hier noch im besten Mannesalter ausgelassen feiern, sind wenige Jahre später schon tot: Stani, Howmany und Tom.
Ich hatte als Torwart an diesem Tag nicht viel zu tun. In der ersten Halbzeit habe ich einen Schuß von 'Manner' Kowallik pariert, der frei vor dem Tor aufgetaucht war. War auch viel Glück dabei, gab aber Beifall von der Mannschaft. Wie die Plöner zum Schluß ihr einziges Tor schossen, weiß niemand mehr so genau. Da war ein Gewusel von einem halben Dutzend Leuten im Strafraum, vielleicht war es auch ein Eigentor. Ich habe den Ball erst gesehen, als er schon im Netz war. Trotzdem war ich eigentlich mit mir zufrieden.
Aber es gibt da in meiner Karriere als Torwart ein anderes 9:1, und das liegt mir immer noch ein klein wenig auf der Seele. Als wir 1959 mit der Evangelischen Jugend in dem Programm Versöhnung über Gräbern in Ailly-sur-Somme waren, haben wir gegen die Dorfjugend gespielt. Die hatten einen richtigen Platz, weil Ailly seit 1899 einen Fußballverein hat. Sie schickten sogar einen richtigen Schiedsrichter, der seine Sache ernst nahm. Manchmal musste der das Spiel unterbrechen und Leute vom Platz stellen. In ihrem Enthusiasmus hatten die Franzosen plötzlich 17 Spieler auf dem Platz. Wir gewinnen natürlich. Seit Bern 1954 haben selbst deutsche Straßenfußballer das Gefühl, dass sie unbesiegbar sind.
Aber der Übermut kommt vor den Fall. Einige Jahre später sind wir im Norden Jütlands, wo wir für den Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge Gräber der angeschwemmten Opfer der Skagerakschlacht pflegen. Das war das Jahr, als mir der dänische König die Hand geschüttelt hat. Und mit der Erinnerung an unseren Sieg in Frankreich hatten wir junge Dänen zu einem Fußballspiel eingeladen; die Organisation lief über den Pastor von Nykøbing, in dessen Gemeindehaus wir immer wieder zu Gast waren und der versucht hatte, uns das dänische Lied I skovens dybe stille ro beizubringen.
Das gepflegte Waldstadion von Nykøbing hätte uns zu denken geben sollen. Und als die gegnerische Mannschaft in Trikots auflief, hätten bei uns die Alarmglocken schrillen müssen. Wenn man in Trikots auf den Platz läuft, dann ist man ein Verein und nicht die Dorfjugend. Wir verlieren ganz kläglich 9:1. Wir wussten damals nicht, dass die Hälfte der Dänen in der dänischen Schülerauswahl spielt. Es ist der schlimmste Tag in meiner Torwartkarriere. Es hilft uns nicht, dass wir Charlie Kottkamp in unseren Reihen haben, der beim SAV spielt (und eines Tages ein großes Tier in der Sportredaktion der ARD wird). Aber selbst wenn wir Dragomir Ilic von Werder Bremen im Tor gehabt hätten, hätte es wohl nicht viel ausgemacht. Die Geschichte wird sogar den Bremer Nachrichten eine kurze Notiz wert sein.
Das eine Tor schießen wir auch nur, weil der dänische Torwart in der zweiten Halbzeit sein Tor verlassen und sich an den Spielfeldrand gesetzt hat, um mit der Ingrid zu flirten. Das nehme ich ihr irgendwie immer noch übel. Warum kann sie sich nicht hinter mein Tor stellen und mich trösten? Ich weiß nicht, wie sich Albert Camus nach solch einem Spiel gefühlt hätte. Der war als Jugendlicher ja auch Torwart. Und er hat später gesagt: Alles, was ich schließlich am sichersten über Moral und menschliche Verpflichtung weiß, verdanke ich dem Fußball. Darüber denke ich immer noch nach.
Noch mehr zu Torwarten in diesem Blog: Goalies, Bernd Trautmann, Bert Trautmann ✝. Und wenn Ihnen in diesen Tagen der Geisterspiele nach noch mehr Fußball zumute ist, dann klicken Sie doch die folgenden Posts an: Fußballpoesie, Hannover 96, Uns Uwe, HSV, Albert Camus, WM, Belfast Boy, Schicksalsspiel, Endspiel, Farbsymbolik, Wundliegen, Arkadien, WM, Sedanplatz, Volksschule, Talsperren, Mein Dänemark, Neo Rauch
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