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Sonntag, 15. September 2024

Caspar David Friedrich (6)

Ich habe im Februar, als ich den Post Caspar David Friedrich (1) schrieb, gesagt, dass ich bis zu seinem Geburtstag im September noch einige andere Posts zu dem Maler schreiben würde. Was ich auch getan habe. Die meisten dieser Posts hatten sehr viele Leser, nur der über den Chasseur im Walde nicht. Dies Bild von Friedrich stand schon in meiner nie veröffentlichten Autobiographie, die ich schrieb, bevor ich das Internet entdeckte. Ich stelle mal einen Absatz davon hier ein, der sich in einem Kapitel über den deutschen Wald findet (mit viel Adalbert Stifter darin):

James Fenimore Cooper hat wunderbare Wälder in seinen Romanen, aber er ist ja auch in den großen Wäldern des Staates New York als Sohn eines Großgrundbesitzers aufgewachsen. Der Anfang von The Pioneers ist, waldmäßig betrachtet, sehr schön. Viele Schriftsteller können das nicht, die rollen nur ein Versatzstück auf die Bühne, auf dem wie bei Shakespeare ein Wald steht. Aber die schönsten Wälder sind bei Eichendorff, der kann Wälder. Ist es die Romantik, die uns die Sehnsucht nach dem Wald vermittelt? Oder ist es etwas tief Deutsches in uns, das sich nach dem Wald verzehrt?

Mein Nachbar Uli, der eine Doktorarbeit über die Auswirkungen des sauren Regens geschrieben hat, sieht Wälder anders als ich. Zwischen Altdorfers Heiligem Georg und Caspar David Friedrichs Chasseur im Walde liegen dreihundert Jahre. Und doch sind beide Bilder sehr ähnlich. Und sehr deutsch. Hinter dem großen Garten von Tante Margret gab es für mehr als einen Kilometer, bis zum Waldrand des Wiehengebirges hinauf, früher nur Wiesen und Felder. Heute hat sich die Bebauung bis an den Waldrand heran geknabbert. James Fenimore Cooper wird eine Gruppe von englischen Adligen den Hudson hinauf begleiten. Ein zukünftiger englischer Premierminister wird ihn bei Glen Falls auf dieses schöne romantische Motiv hinweisen. Das wäre doch etwas für einen Roman, Mr. Cooper? Mr. Cooper wird die Wasserfälle in The Last of the Mohicans hineinschreiben. Aber  die Begeisterung seiner Gefährten für das romantisch Pittoreske (die die Engländer ja überall hin mitnehmen) interessiert ihn kaum. Er registriert nur das Anwachsen der Fabriken am Hudson. Die zum Teil schon längst wieder aufgegeben sind und jetzt God’s Own Paradise verschandeln. Cooper wird der erste amerikanische Schriftsteller sein, dem die Probleme bewusst sind, die wir heute als die wichtigsten der Welt ansehen. The Pioneers ist reine Ökoliteratur. Es ist nicht Thoreau mit seinem Walden, es ist Cooper mit dem autobiographischen Roman über seine Kindheit in Cooperstown, der die Amerikaner warnt. Henry David Thoreau wäre sowieso ein schlechtes Vorbild. Der hat mal aus Unachtsamkeit einen ganzen Wald abgefackelt. Und dann nicht mal bei den Löscharbeiten geholfen.

Wir nehmen mal eben Abschied vom Wald, bleiben aber bei Caspar David Friedrich und dem Autobiographischen. Bei den staatlich geförderten Berlinreisen, bei denen man Ende der fünfziger Jahre für fünfzig Mark eine Woche der Schule entkam (ich habe die schon in dem Post Karl Lemke erwähnt), hatte ich ein kleines Ritual. Ich besuchte bei jeder Reise das Charlottenburger Schloss, um mir das Portrait von Harry Graf Kessler anzuschauen. Guckte mir danach natürlich auch jedesmal Caspar David Friedrichas Mönch am Meer an, das nicht so weit von Kessler entfernt einsam in einem großen Zimmer hing. Damit ich zu Hause ja sagen konnte, wenn die Eltern fragten: Hast Du den Caspar David Friedrich gesehen? Caspar David Friedrich kennt jeder. Wer kannte schon Harry Graf Kessler? Der Dandy Harry Graf Kessler ist eigentlich nicht einmal besonders gut gemalt, ist aber sehr plakativ. Und der Dandyismus interessierte mich damals mehr als die Einsamkeit eines Strandspaziergangs. Die kannte ich aus tausend einsamen Strandspaziergängen zu allen Tageszeiten, mit allen Wetterbedingungen, an Nord- und Ostsee. Von Egmond an Zee bis rauf nach Skagen. Ich hatte immer gute Jacken für die Strandwanderungen, mein Vater nannte sie beachcomber Jacken. Die Strandspaziergänge waren vielleicht ebenso ein Zeichen meiner Selbstinszenierung wie meine Begeisterung für den Dandyismus des Grafen Kessler. Die beiden Bilder hängen heute an anderen Stellen in Berlin. Es ist nach der Wende alles umgeschichtet worden.

 Caspar David entdeckte ab 1801 die Insel Rügen für sich, und er entdeckt damit auch die Landschaftsmalerei. Er wird viele Sepiabilder zeichnen. Ich habe hier den langen Aufsatz Caspar Davids frühe Sepien als Vorstufe zur romantischen Landschaft von Werner Busch für Sie zum Lesen. Für die Sepiabilder hatte er Abnehmer wie den Fürsten Malte von Putbus, der auch den Chasseur im Walde gekauft hat. Friedrich malt diese Landschaftsbilder auf Bestellung, auch Ludwig Theobul Kosegarten und die Prinzessin Marianne von Preußen kauften ihm Blätter ab. Das Kap Arkona mit aufgehendem Mond wie hier, hat er mehrfach gemalt.

Als Ergebnis der sieben Reisen nach Rügen zwischen 1801 und 1826 werden zwei Bilder entstehen, die zum Hauptwerk von Friedrich zählen. Das eine ist der Mönch am Meer, das andere sind die Kreidefelsen auf Rügen. Das Bild lassen wir einmal weg, das hatte 2013 schon den ausführlichen Post Kreidefelsen, der beinahe zehntausend Mal gelesen wurde. Das erste Gemälde, das manchmal auch Wanderer am Gestade des Meeres heißt, war das größte, das Friedrich bisher begonnen hatte. Es wurde 1810 zusammen mit der Abtei im Eichwald vom preußischen König Friedrich Wilhelm III auf Wunsch des fünfzehnjährigen Kronprinzen Friedrich Wilhelm gekauft. 

Der Maler hat sein Bild in einem Brief an den Theologen Johannes Schulze so beschrieben: Da hier einmal von Beschreibungen die Rede ist, so will ich Ihnen eins meiner Beschreibungen mitheilen, über eins meiner Bilder so ich nicht unlängst Vollendet habe; oder eigentlich, meine Gedanken, über ein Bild; denn Beschreibung kann es wohl nicht genannt werden. Es ist nemlich ein Seestük, Vorne ein öder sandiger Strand, dann, das bewegte Meer, und so die Luft. Am Strande geht Tiefsinnig ein Mann, im schwarzen Gewande; Möfen fliegen ängstlich schreiet um ihn her, als wollten sie Ihm warnen, sich nicht auf ungestümmen Meer zu wagen. – Dies war die Beschreibung, nun kommen die Gedanken: Und sännest Du auch vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zur sinkenden Mitternacht; dennoch würdest du nicht ersinnen, nicht ergründen, das unerforschliche Jenseits! Mit übermüthigen Dünkel, wennest [wähnst] du der Nachwelt ein Licht zu werden, zu enträzlen der Zukunft Dunkelheit! Was heilige Ahndung nur ist, nur im Glauben gesehen und erkannt; endlich klahr zu wissen und zu Verstehn! Tief zwar sind deine Fußstapfen am öden sandigen Strandte; doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spuhr wird nicht mehr gesehen: Thörigter Mensch voll eitlem Dünkel! Es ist viel über das Bild geschrieben worden, auch Jacques Derrida und Gérard Genette kann man bemühen, um es zu begreifen. Wenn Sie es einfach und klar haben wollen, schauen Sie sich dieses Video an, das die Staatlichen Museen ins Netz gestell thaben.

Friedrich hat lange an diesem Bild gearbeitet, wir wissen von Zeitgenossen, die das Bild zu verschiedenen Zeiten gesehen haben, dass das Bild immer wieder ganz anders ausgesehen hat. Das ist auch vor zehn Jahren bei der Restaurierung des Bildes ans Licht gekommen, genauer ans Infrarotlicht. Der einsame Wanderer auf der Rügener Schaabe war links und rechts von Segelbooten umgeben, und Fischernetze gab es (ähnlich wie auf dem Bild Meeresstrand mit Fischer) auch noch. Das wurde 2015 als neue Erkenntnis verkauft, steht aber schon 1974 in dem Hamburger Katalog. All das hat Friedrich wieder übermalt, um die endgültige radikale abstrakte Form zu finden. Der amerikanische Kunsthistoriker Robert Rosenblum hat in seinem Buch Die moderne Malerei und die Tradition der Romantik eine Verbindung zwischen Caspar David Friedrich und der abstrakten Malerei gesehen. Sein Buch über die Bilder von Friedrich, die in russischem Besitz sind, ist als Volltext bei Google Books lesbar.

Friedrich hatte sich gewünscht, dass seine Bilder Abtei im Eichwald und Mönch am Meer in der Berliner Akademieausstellung nebeneinander aufgehängt würden. Man hängte sie übereinander. Im Katalog der Ausstellung waren die beiden Bilder unter einer Nummer als Zwei Landschaften verzeichnet. Heute hängen sie so, wie sich Friedrich das vorgestellt hat. Am 13. Oktober 1810 veröffentlichte Heinrich von Kleist in den Berliner Abendblättern seine Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft, einen Aufsatz, an dem auch Clemens Brentano und Achim von Arnim mitgeschrieben hatten:

Herrlich ist es, in einer unendlichen Einsamkeit am Meeresufer, unter trübem Himmel, auf eine unbegrenzte Wasserwüste, hinauszuschauen. Dazu gehört gleichwohl, daß man dahin gegangen sei, daß man zurück muß, daß man hinüber möchte, daß man es nicht kann, daß man alles zum Leben vermißt, und die Stimme des Lebens dennoch im Rauschen der Flut, im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, dem einsamen Geschrei der Vögel, vernimmt. Dazu gehört ein Anspruch, den das Herz macht, und ein Abbruch, um mich so auszudrücken, den einem die Natur tut. Dies aber ist vor dem Bilde unmöglich, und das, was ich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, nämlich einen Anspruch, den mein Herz an das Bild machte, und einen Abbruch, den mir das Bild tat; und so ward ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte, die See, fehlte ganz. Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein, als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunkt im einsamen Kreis. Das Bild liegt, mit seinen zwei oder drei geheimnisvollen Gegenständen, wie die Apokalypse da, als ob es Youngs Nachtgedanken hätte, und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit, nichts, als den Rahm, zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären. Gleichwohl hat der Maler zweifelsohne eine ganz neue Bahn im Felde seiner Kunst gebrochen; und ich bin überzeugt, daß sich, mit seinem Geiste, eine Quadratmeile märkischen Sandes darstellen ließe, mit einem Berberitzenstrauch, worauf sich eine Krähe einsam plustert, und daß dies Bild eine wahrhaft Ossiansche oder Kosegartensche Wirkung tun müßte. Ja, wenn man diese Landschaft mit ihrer eignen Kreide und mit ihrem eigenen Wasser malte; so, glaube ich, man könnte die Füchse und Wölfe damit zum Heulen bringen: das Stärkste, was man, ohne allen Zweifel, zum Lobe für diese Art von Landschaftsmalerei beibringen kann. – Doch meine eigenen Empfindungen, über dies wunderbare Gemälde, sind zu verworren; daher habe ich mir, ehe ich sie ganz auszusprechen wage, vorgenommen, mich durch die Äußerungen derer, die paarweise, von Morgen bis Abend, daran vorübergehen, zu belehren.

Meine kleinen rituellen Besuche im Charlottenburger Schloss dauerten nie länger als eine halbe Stunde, für die Gemäldegalerie in Dahlem und die Museumsinsel im Osten hatte ich die ganze Woche Zeit. Ich bin kein Caspar David Friedrich Fan, das habe ich schon 2010 in dem Post Caspar David Friedrich gesagt. Ich habe mehr als fünfzig Bilder von ihm gesehen, habe den Katalog von Helmut Börsch-Supan und Karl Wilhelm Jähnig, den Hamburger Katalog von 1974 und ein halbes Dutzend Bücher über den Maler. Aber das ist es denn auch. Ich wäre nie in Versuchung, ein Bild von Friedrich zu stehlen. Das wäre bei Constable oder Gainsborough anders. 

Eine Kuriosität muss ich zum Schluss noch anmerken. Ein gewisser Dr Hans-Thomas Tillschneider hat im Landtag von Sachsen-Anhalt einen Antrag für eine Auslobung eines Caspar-David-Friedrich-Preises für Malerei eingebracht. Er hat auch gesagt: Ich bin mir sicher, würde Caspar David Friedrich heute leben, würde er das Geld der AfD spenden. Dr Tillschneider ist Abgeordneter der AfD. Wenn man seinen Antrag liest, der eine nationale deutsche Kunst fordert, hat man das Gefühl, dass man das alles schon einmal gelesen hat. Und zwar bei einem Mann namens Kurt Karl Eberlein in seinem Buch Was ist deutsch in der deutschen Kunst, das 1933 erschien. Dr Tillschneider wird vom Verfassungsschutz beobachtet, das ist das Beruhigende an der Sache.

2 Kommentare:

  1. Über die Deutschen und ihre Beziehungen zum Deutschen Wald schrieb Neil McGregor sehr anschaulich in DEUTSCHLAND - ERINNERUNGEN EINER NATION.https://litterae-artesque.blogspot.com/2016/02/macgregor-neil-deutschland.html
    Viele Grüße vom Bücherjungen

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  2. Schlimmer noch, jedoch als Unsinn zu erkennen: "Literatur kann nur von denjenigen verstanden werden, die in der Sprache dieser Literatur aufgewachsen sind. Literatur ist deshalb immer Nationalliteratur. Mit der Malerei verhält es sich anders. Die Abbildung dessen, was die Augen sehen, erschließt sich zumindest auf einer ersten Sinnebene jedem Weltbewohner." Als ob Literatur nur national verstanden wird.
    Viele Grüße vom Bücherjungen

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