Sonntag, 10. März 2024

Caspar David Friedrich (4)


Kunstfreunde und Kunsthistoriker sind immer glücklich, wenn es für einen Maler ein vollständiges Werkverzeichnis gibt. Das kann dauern, bis es erscheint, und häufig ist es bei dem Erscheinen schon veraltet und nicht mehr relevant. Immer wieder werden neue Werke des Malers entdeckt, andere aus dem Verzeichnis gestrichen. Rembrandt ist ein berühmtes Beispiel. Vor hundert Jahren gab es noch mehr als siebenhundert Gemälde, die von Rembrandt stammen sollten. Heute ist von den siebenhundert Bildern (die sie hier anklicken können) nur noch die Hälfte wirklich echt. Und die Bremer Rembrandts sind auch nicht von Rembrandt.

Zweihundert Jahre nach Caspar David Friedrichs Geburt erschien das erste große Werkverzeichnis, und das hat seine Geschichte. Der Kunsthistoriker, der es erstellt hat, ist heute auch beinahe vergessen, er hat keinen Wikipedia Artikel, und auch das Dictionary of Art Historians kennt ihn nicht. Das habe ich schon in dem Post vergessen gesagt. Karl Wilhelm Jähnig wurde als Kustos der Dresdner Galerie 1937 entlassen, weil er mit einer jüdischen Ärztin verheiratet war. Das Ehepaar emigrierte in die Schweiz. Jähnig wurde 1944 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, er verlor sein Vermögen und das Haus in Dresden in der Caspar David Friedrich Straße. Aber in Dresden hat man den Dr Karl Wilhelm Jähnig nicht ganz vergessen. Gerd Spitzer, Oberkonservator an der Dresdner Galerie Neue Meister im Albertinum, gab seinem Buch Caspar David Friedrich in der Dresdener Galerie den Untertitel Karl Wilhelm Jähnig zum Gedächtnis. Man kann das schöne kleine Buch aus dem Sandstiein Verlag antiquarisch immer noch finden.

Karl Wilhelm Jähnig hatte 1915 als Freiwilliger Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der Gemäldegalerie Dresden angefangen, das ist eine aus dem 19. Jahrhundert stammende Berufsbezeichnung, die uns heute seltsam vorkommt. Er stieg vom Freiwilligen Wissenschaftlichen Hilfsarbeiter zum bezahlten Wissenschaftlichen Hilfsarbeiter und zum Kustos auf. Der Direktor der Galerie war Hans Posse (hier auf einem Gemälde von Georg Oehme), der hier schon in dem Post über Christian Friedrich Gille erwähnt wurde. Er war eine tragische Figur, ein Mann der Moderne, der mit den Nazis eigentlich nichts am Hut hatte und dann als Hitlers Sonderbeauftragter für den Sonderauftrag Linz endet. Jähnig erarbeitet in den zwanziger Jahren zusammen mit Klara Steinweg den ersten Katalog der Dresdner modernen Galerie, der 1930 veröffentlicht wird. Und er erwirbt sich durch Vorträge und Publikationen einen Ruf als Spezialist für die Dresdner Romantik. Der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft sieht in ihm den richtigen Mann, der ein Werkverzeichnis von Caspar David Friedrich erstellen kann.

Er wird die Publikation seines Lebenswerkes nicht mehr erleben, und es steht auch noch ein ganz anderer Autor auf dem Katalog. Der heißt Helmut Börsch-Supan, er war ein junger Kunsthistoriker, der mit einer schmalen Arbeit über Caspar David Friedrich (Die Bildgestaltung bei Caspar David Friedrich) promoviert worden war. Der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft beauftragt ihn, aus dem Archiv von Jähnig ein Werkverzeichnis zu erstellen. Das wird er tun, aber er tut zu Jähnigs Forschungen etwas hinzu, was Jähnig sicherlich kaum gutgeheißen hätte: alles in Friedrichs Werk wird von ihm symbolisch und christlich erklärt. Ein Name fehlt auf dem Buch, und das ist der Name von Jähnigs Ehefrau Dr Britta Jähnig, die alle Notizen und Notizzettel ihres Mannes in ein lesbares Manuskript verwandelt hatte, mit dem Börsch-Supan arbeiten konnte.

In dem Post Johan Christian Clausen Dahl habe ich dazu geschrieben: Helmut Börsch-Supan hat bei der Überarbeitung des Caspar David Friedrich Kataloges 1973 - den Karl Wilhelm Jähnig erstellt hatte - das Katalogwerk mit einem bizarren Symbolgeflecht überzogen: wir können fortan sicher sein, dass bei Caspar David Friedrich kein Piepmatz durchs Bild fliegt, der nicht eine symbolische Bedeutung hat. Aber manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre, wie schon Freud wusste, und es ist mir ein wenig zuwider, jedes Schiff und jeden Anker im Hafen als ein christliches Symbol zu sehen. Eine ähnliche Interpretationssucht hatte auch schon einmal die amerikanische Literaturkritik befallen, die damals alles, was länger als breit war, als Penissymbol interpretierte. Dieses sicherlich symbolische Bild von Friedrich hat übrigens Johan Christian Clausen Dahl einmal besessen, für eine würdigere Bestimmung für die Kgl. Gemälde-Gallerie hat er es der Dresdner Gemäldegalerie geschenkt.

Man kann das mit der übertriebenen Symbolik, dem bizarren Symbolgeflecht, die Börsch-Supan beherrscht, anders formulieren als ich.  John Russell hat in der New York Times von der tight, unvarying formula gesprochen, mit der Börsch‐Supan jedes Bild interpretiert. Und der Greifswalder Professor Reinhard Zimmermann schreibt: In diesen Zusammenhang gehört auch die sofort mit Erscheinen des Buches 1973 aufgebrochene Kontroverse um die Deutung der Kunst Friedrichs, die bis heute die Forschung belastet. Börsch-Supan hatte durch eine konsequente ikonographische Analyse der Bilder deren eindeutige Lesbarkeit behauptet, wobei er eine fast durchweg christliche, um das Thema von Tod und Auferstehung kreisende Gedankenwelt herausarbeitete. Dieser Auffassung, die der gängigen Romantik- und Friedrichvorstellung widersprach, wurde die These von der Bedeutungsoffenheit der Kunst Friedrichs, die keine eindeutigen Interpretationen zulasse, entgegengestellt; die christliche Ausdeutung wurde von einer anderen Forschungsrichtung der 1970er Jahre mit einer politischen beantwortet.

Das Bild hier zeigt die zweibändige Ausgabe der Zeichnungen von Christna Grummt, die 2011 erschienen ist. Grummt konnte sich auf Vorarbeiten stützen. Da gab es die Greifswalder Dissertation Caspar David Friedrich als Zeichner von 1966 von Sigrid Hinz (allerdings nur in maschinenschriftlicher Form), die als Anhang ein Verzeichnus der Zeichnungen hatte. 1974 erschien als eine Art Begleitbuch zu Jähnigs und Börsch-Supans Werk Marianne Bernhards Caspar David Friedrich. Das gesamte graphische Werk mit einem Nachwort von Hans H. Hofstätter. Kann man antiquarisch noch finden, kostet nicht die Welt.

Das Werkverzeichnis Caspar David Friedrich: Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen brauchte ich mir 1973 nicht zu kaufen, ich erhielt es als Jahregabe des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, dessen Mitglied ich damals war. Es ist, trotz der symbolischen Sperenzchen von Börsch-Supan ein Standardwerk geblieben, das man heute antiquarisch ab hundert Euro noch finden kann. Reinhard Zimmermann hat auf dieser Seite eine Überarbeitung und Korrektur gefordert, aber aus dem dort avisierten Projekt scheint nichts geworden zu sein.
 
Johan Christian Clausen Dahl war Norweger, er war mit Friedrich befreundet, entfernte sich in seinem Werk aber immer mehr von dem Dresdner Maler, den man nach seinem Tod schnell vergaß. Und es sind nicht wir Deutschen, die Friedrich aus der Vergessenheit geholt haben. Das muss ich zum Schluss noch sagen. Nein, es ist ein Norweger namens Fredrik Ludvig Andreas Vibe Aubert, ein Maler und Kunstwissenschaftler, der Friedrich aus der Vergessenheit zurückholt. Er hatte seine Doktorarbeit über Dahl geschrieben, was ihm ein jährliches Regierungsstipendium einbrachte. Er entdeckt Friedrich um 1900 und beginnt über ihn zu schreiben. Zuletzt Caspar David Friedrich, "Gott, Freiheit, Vaterland" (Berlin: Cassirer, 1915). Wenn die Berliner Jahrhundertausstellung von 1906 dem Werk von Friedrich Raum eingeräumt und Beachtung geschenkt wurde, dann war das Auberts Verdienst. Hätte er länger gelebt, hätte er vielleicht das erste Caspar David Friedrich Verzeichnis gemacht.

2 Kommentare:

  1. In meiner Ausgabe der Broschüre von Gerd Spitzer steht nichts von "Karl Wilhelm Jähnig zum Gedächtnis."
    Ich finde die Hintergrundgeschichten faszinierend.
    https://litterae-artesque.blogspot.com/2024/03/illies-florian-zauber-der-stille.html

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  2. Der Text war zuerst ein Aufsatz, und der hatte diesen Untertitel.

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