Ich hätte das Buch etwas genauer lesen soll, dann wäre mir der Maler Christian Friedrich Gille nicht entgangen. Denn das Buch Die Malerei der Romantik in Dresden vom Dresdner Kustos der Gemäldesammlung des 19. Jahrhunderts Hans Joachim Neidhardt steht bei mir im Regal. Ich habe das Buch und den Autor schon in dem Post über den Maler Carl Julius von Leypold erwähnt. Auf Seite 191 kann man lesen: Von allen Schülern Dahls ist Christian Friedrich Gille der bedeutendste. Das hat der Maler zu seinen Lebzeiten nicht gewusst, das haben diejenigen, die seine Bilder kritisierten, nicht gewusst. Es hat lange gedauert, bis man diesen Satz hinschreiben konnte. Bis man lesen konnte, dass er von allen Dresdner Landschaftsmalern einer der wichtigsten ist. Dieses Bild von der Brühlschen Terrasse mit den Ausflugdampfern auf der Elbe ist aus seinem Spätwerk. Es gehört heute dem Niedersächsischen Landesmuseum Hannover. Wahrscheinlich hätte man es in Dresden gerne.
Beinahe dreißig Jahre vorher, im September 1833, hat Gille dieses kleine Bild gemalt. Der kleine rote Fleck links unten ist eine Frau, die ihre Wäsche in der Weißeritz bei Plauen wäscht. Gerd Spitzer hat in seinem Buch Christian Friedrich Gille 1805-1899: Malerische Entdeckung der Natur dazu gesagt: In Dresden und seiner ländlichen Umgebung hat Gille fast siebeneinhalb Jahrzehnte gelebt und gearbeitet. Zumeist waren es die eher versteckten Winkel, die Vorstädte, die Dörfer nahe der Stadt, in denen der Künstler die Motive für sein malerisches Studium der Natur fand. An einem Frühherbstnachmittag im September 1833 beobachtete er in dem stillen Dorfe Plauen bei Dresden eine Wäscherin am baumbestandenen Ufer der Weißeritz und notierte dazu am Rande der Studie für sich exakt Ort und Stunde dieses optischen Erlebnisses – als sollte die Authentizität einer unmittelbaren Naturaufnahme dadurch Bekräftigung finden.
Auch auf diesem Bild findet sich eine Datierung, den Tag (6. August 1831) hat der Maler unten in das Grün mit dem Pinselstiel in die noch frische Farbe geschrieben. Das genaue Festhalten des Augenblicks mit raschem Pinselstrich, Datierung und Ortsangabe, das finden wir schon bei John Constable. Und dann ist da noch der Franzose Pierre-Henri de Valenciennes, den Simone Schultze in ihrer Doktorarbeit den wahren Entdecker des auf der Leinwand festgehaltenen unmittelbaren Eindrucks der Natur genannt hat. Valenciennes hatte schon um 1780 erste Wolkenstudien gemalt. Flüchtige Skizzen, worin die Natur auf frischer That erhascht wird. Im Original heißt es in seinem Traktat über die Malerei saisir la Nature sur le fait, und das ist das ganze Geheimnis dieser Malerei.
Gille wird Valenciennes und Constable nicht gekannt haben, aber er macht dasselbe wie sie. Man kann diese kleinen Ölskizzen auf Papier ein Subgenre der Landschaftsmalerei nennen, aber es ist eine plein-air Malerei, die in vielem den Impressionismus vorwegnimmt. Das ist jetzt keine revolutionäre Aussage. Schon 1934 sagt Gustav Pauli (gerade von den Nazis aus dem Amt als Hamburger Kunsthallendirektor geworfen) über den Dresdner Maler: Gille, dessen Ölstudien zu den feinsten und frischesten ihrer Zeit gehören, in denen die Errungenschaften des Impressionismus vorweg genommen sind.
Das kleine bisschen Rot auf dem Weißeritz Bild muss sein, sonst würde das Bild nicht leben. Wilhelm Busch hat das gewusst, er hat häufig in seinen Bildern diesen roten Fleck. Gille hat den auf diesem wunderbaren Bild der Elbbrücke auch. Auf der Seite Kunstbeziehung kann man das Bild von der Wäscherin an der Weißeritz mit dem Originalrahmen sehen. Und es findet sich dort die Einordnung Frühimpressionismus. Das ist wichtig, es ist diese unsentimentale Darstellung der Landschaft, die nicht mehr symbolisch überhöht ist wie bei Caspar David Friedrich. Es ist diese neue Sicht, die wir auch in Carl Blechens Bild mit dem Blick aus seinem Fenster finden. Über das Theodor Fontane gesagt hat, dass er das Bild gern in seinem privatesten Raum gehabt hätte.
Diese Elblandschaft mit den Lößnitzbergen im Hintergrund aus dem Jahre 1870 bezeichnet das Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 1961 als den Höhpunkt des Schaffens von Gille. Es ist wie beinahe alle Bilder von Gille ein sehr kleines Bild, 29 x 39 Zentimeter, Öl auf Papier. Wir können das Realismus nennen. Oder auch Impressionismus. Das ist eine große Entwicklung von dem Weißeritz Bild. Das übrigens bei einer Dresdner Ausstellung im Jahre 1833 in die Nähe eines Bildes von Corot gehängt worden war. Wahrscheinlich kommt daher die Bezeichnung der deutsche Corot, die man in manchen Lexikonartikeln findet.
Wir müssen noch einmal auf diesen Herrn zurückkommen, den Sammler Johann Friedrich Lahmann, der 1906 von Bremen nach Dresden gezogen war. Er lebte bei der Familie seines gerade gestorbenen Bruders, kost- und logisfrei. Er war ein stiller zurückhaltener Mann, ein Gentleman. Immer freundlich. Irgendwann hatte er begonnen, Kunst zu sammeln. Und irgendwann entdeckt er das Werk von Christian Friedrich Gille, den die Kunstwelt schon längst vergessen hatte. Und kauft und kauft. Bei seinem Tod 1937 konnte man in einer Dresdner Zeitung lesen: In seltener Großzügigkeit und vorbildlichem Gemeinsinn hat der bekannte Dresdner Kunstsammler Johann Friedrich Lahmann, ein Bruder des berühmten Arztes und Begründers des Sanatoriums Dr. Lahmann auf dem Weißen Hirsch, testamentarisch die Dresdner Galerie und das Kupferstichkabinett sowie die Kunsthalle seiner Vaterstadt Bremen ermächtigt, aus den reichen Beständen seines in fast 40-jähriger Sammeltätigkeit zusammengebrachten Kunstbesitzes alles für die Öffentlichkeit Wichtige und den Museen Erwünschte auszuwählen. Der Gemäldegalerie sind mehr als 50 Bilder und Studien, dem Kupferstichkabinett fast 2.000 Handzeichnungen und Aquarelle aus allen Jahrhunderten zugefallen.
Auch in Bremen ist man dankbar, erhält man doch 45 Gemälde, 639 Zeichnungen und 3.627 Blatt Druckgrafik. Die Heuernte von Wilhelm Busch ist auch dabei, da ist natürlich wieder ein kleiner roter Fleck drauf. Lahmann hatte auch Wilhelm Buschs Bilder gesammelt, wahrscheinlich war er einer der ersten, der das tat. 1995 gibt es für Lahmann in der Bremer Kunsthalle eine kleine Ausstellung, die zuvor in Dresden gewesen war. Für die Ausstellung hatte man aus den Beständen 140 Zeichnungen und vierzig Gemälde ausgewählt.
Aus Lahmanns Sammlung werden in dem Katalog Die Kunsthalle Bremen und ihre Stifter. Bd. 1 dreiundsechzig Werke von Gille aufgelistet, die zum größten Teil in Bremen und Dresden sind. Das entspricht dem Testament, in dem er verfügt hatte, dass seine Sammlung zu möglichst gleichen Teilen nach Dresden und Bremen gehen sollte. Auch wenn er die letzte Hälfte seines Lebens in Dresden lebte, er hatte seine Heimatstadt nicht vergessen. Bremen hätte von ihm auch noch ein Gemälde von Caspar David Friedrich bekommen sollen, aber die drei Bilder von Friedrich, die Lahmann nach München geliehen hatte, sind 1931 beim Brand des Glaspalasts verbrannt.
Lahmann hatte Jura studiert, nicht Kunstgeschichte. Er war als dilettierender Liebhaber zur Kunst gekommen, so wie er vorher ein dilettierender Schriftsteller war. Er wird Sammler und sammelt, was ihm gefällt. Große Namen bedeuten ihm wenig. Mit dem Sammeln wird er zum Kenner und zum Forscher. Es ist genügend Geld in der Familie, und Kunst ist vor hundert Jahren noch billig zu bekommen.
Jahrzehntelang hat er mit sicherem Verständnis und unermüdlich in seiner Sammelleidenschaft und ständig auf der Suche, in und außerhalb Dresdens, beim kleinsten Trödler und im unscheinbarsten Privathaus solchen Dingen nachgespürt, als nur ganz Wenige Liebe und Verstehen für diese anspruchslose feine Kunst hatten und eine Zeichnung von C.D. Friedrich gelegentlich noch fast umsonst zu haben war, hat der ehemalige Direktor der Dresdner Gemäldegalerie Hans Posse über Lahmann gesagt. Das Verhältnis des Sammlers zur Dresdner Gemäldegalerie war gut, Lahmann hatte der Galerie 1915 diesen Carl Gustav Carus geschenkt. Und Posse schuf in den zwanziger Jahren ein kleines Lahmann Kabinett im Museum, wo Lahmann seine Bilder ausstellen konnte.Lahmann war kein Millionär, man könnte ihn wohlsituiert nennen. Sein Vater, der auch in der Bremer Bürgerschaft sitzt, wird in vielen Lexika als Reepschläger bezeichnet. Das hat jetzt nichts mit der Hamburger Reeperbahn zu tun, obgleich die auch mal eine Reepschlägerbahn gewesen ist. Lahmann Senior, der seinem Sohn eines Tagen ein wenig widerwillig das Geld für die schönen Künste und den Start seiner Sammlerkarriere gibt, war Besitzer einer Tauwerkfabrik. Und Schifftaue bedeuten für die Hafenstadt Bremen viel. In meinem Heimatort Vegesack gab es in meiner Jugend noch zwei Tauwerkbetriebe. Der eine war 1824 vom Kapitän Georg Gleistein begründet wurde, der zweite war die Grohner Tauwerkfabrik. In der Grohner Tauwerk war übrigens Jürgen Trittins Vater der Direktor.
Diese Baumstudie ist bei einer Auktion für 8.350 Euro verkauft worden. Und dabei war es nicht mal sicher, dass es ein Werk Gilles war. Soviel Geld hat Gille niemals gehabt, er ist arm gestorben. Dass sie bettelarm sterben, das liest man häufig über Maler. Rembrandt stand vor dem Ruin. John Singleton Copley, der immer gut verdiente, hinterließ nur Schulden. Die sein Sohn, inzwischen Lord Lyndhurst und Lord Chancellor von England, beglich. Van Gogh war arm, aber neuere Forschungen sagen uns, dass er arm sein wollte. Und zitieren den Satz: Ich sage Dir, ich wähle bewusst den Hundeweg, ich bleibe Hund, ich werde arm, ich werde Maler, ich will Mensch bleiben – in der Natur.
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