Sonntag, 14. Mai 2023

Thomas Gainsborough

I'm sick of portraits, and wish very much to take my viol-da-gam and walk off to some sweet village, where I can paint landskips (sic) and enjoy the fag end of life in quietness and ease, schreibt der englische Maler Thomas Gainsborough in einem Brief, den Kunsthistoriker immer als den viola da gamba- Brief zitieren. Landschaftsmalerei verkauft sich damals noch schlecht (John Constable wird dieselbe Erfahrung machen), der junge Gainsborough ist auf das Geschäft des face painting angewiesen. Aber er kann die Naturliebe nicht aufgeben: The book of Nature - thank the Gods! - was library enough for him, sagte William Martin Conway in The Artistic Development of Reynolds and Gainsborough: Two Essays. Und so wird Gainsborough wie auf diesem Bild - Sir Ellis Waterhouse nennt es one of the eccentric masterpieces of English painting - einen Weg finden, um Portraitmalerei und Landschaftsmalerei miteinander zu verbinden. Allerdings wird er der Landschaft in einem Portraitbild nur noch ein zweites Mal so viel Bildfläche einräumen, in dem Portrait of Mr and Mrs John Browne of Tunsdall, with their daughter Anna Maria (von dem Bild gibt es im immer überschätzten Internet leider keine Abbildung).

Im Zusammenhang mit der Landschaftsmalerei muss noch ein anderer Brief Gainsboroughs gesehen werden, den er in den 1760er Jahren an den Earl of Hardwicke schreibt: Mr Gainsborough presents his Humble respects to Lord Hardwicke; and shall always think it an honor to be employ’d in any thing for his Lordship; but with regard to real Views from Nature in this Country, he has never seen any Place that affords a Subject equal to the poorest imitations of Gaspar or Claude. Paul Sanby is the only Man of Genius, he believes, who has employ’d his Pencil that Way – Mr G hopes Lord Hardwicke will not mistake his meaning, but if his Lordship wishes to have any thing tolerable of the name of G. the Subject altogether as well as the figures &c must be of his own Brain.

Stolze Selbstbehauptung des Künstlers: niemand redet mir drein, wie ich das Bild zu malen habe. Ein Jahrzehnt vorher ist das bei Gainsborough noch nicht so ausgeprägt, in das Portrait von Mr Robert Andrews und seiner frischangetrauten Gattin Frances Mary hat ihm Robert Andrews schon hineingeredet. He who pays the piper calls the tune.

Dieses Doppelportrait Conversation in a Park macht noch stärker als das Bild von Mr und Mrs Andrews deutlich, dass wir uns noch im Rokoko  befinden. Man kann das auch sehr schön an der Gartenbank erkennen, die auf dem Grundstück der Andrews' unter der Eiche steht. Das sollten wir nicht vergessen, es ist noch eine Welt der sorgfältig beachteten Konventionen. Rousseaus Gedanken über die Natur kursieren zwar schon, aber die französische Revolution ist noch weit entfernt. Für John Berger in seiner BBC Serie Ways of Seeing nicht, wenn er über das Ehepaar Andrews sagt: They are not a couple in nature as Rousseau imagined nature. They are landowners and their proprietary attitude towards what surrounds them is visible in their stance.

Ways of Seeing war eine revolutionäre Sendung. Ich habe den bei Penguin erschienen Begleitband jetzt mit einer gewissen Rührung in die Hand genommen, those were the days. Die Sendung war auch eine ideologische Attacke auf die Sendung Civilisation von Sir Kenneth Clark: Few television programmes have been as sincere as 'Ways of Seeing'. It was a revolutionary riposte to ‘Lord Clark of Civilisation’, who wore tweeds and offered a Grand Tour approach to world art, while Berger wore a pop art shirt (‘Haha! Everyone comments on it. I just liked it’), compared old masters with advertisements, solicited the opinions of mini-skirted feminists, and added a trespassers keep out sign to Gainsborough’s portrait of the rather smug Mr and Mrs Andrews in front of their rolling acres. Art as agitprop. ‘Our concept was, I suppose, distinctly opposed to programmes like 'Civilisation'.'

Es wird gemeinhin gesagt, dass Kenneth Clark den Titel eines Baron of Saltwood (ja, es war natürlich die Satirezeitschrift Private Eye, die den Titel Lord Clark of Civilisation vorgeschlagen hatte) nur wegen der Sendung bekommen hätte, aber das ist wohl kaum richtig. Seine Verdienste um die englische Kunst und die National Gallery hätten einen Adelstitel jederzeit gerechtfertigt. Man täuscht sich auch ein wenig in ihm, der Millionärssohn mit den eleganten Savile Row Anzügen, der der jüngste Direktor der National Gallery wird, ist ein grundsolider Kunsthistoriker gewesen (er ist natürlich schon in diesem Blog erwähnt worden, als ich über Nikolaus Pevsner schrieb). Ich habe viel von Clark gelesen (und alles über ihn gelesen), und ich habe viel von ihm gelernt. Das habe ich schon in Posts wie Aktmalerei, John Constbles Wolken und Gothick gesagt.

Kenneth Clark was a much more erudite art historian than I was, or am. He was an expert, sharing his knowledge with those less expert. And we wanted somehow, now one would say to destructure expertise, to throw the initiative, democratically, to the spectators. That was our strategy. Sagte John Berger in einem Interview Jahrzehnte nach seiner Sendung, in der er Kenneth Clark direkt angriff. Dessen Sätze At the very beginning of his career his pleasure in what he saw inspired him to put into his pictures backgrounds as sensitively observed as the corn-field in which are seated Mr and Mrs Andrews. This enchanted work is painted with such love and mastery, kann er nicht unkommentiert stehen lassen.

Inzwischen hat David Cohen ihn unter Bezug auf den Kunstkritiker Peter Fuller darauf hingewiesen, dass Berger mit seiner Kritik an Clark fundamental falsch lag: Actually, strategy, rather than purpose, lies at the heart of Fuller's affection for Clark. Fuller's mentor in the 1970s had been John Berger, whose TV series 'Ways of Seeing' formed a critique of Clark's series, 'Civilization.' Berger disingenuously vilified Clark for failing to notice that Gainsborough's Mr. and Mrs. Andrews surveyed land filled with starving tenants, whereas, on reading Clark's text first hand, Fuller discovered that Clark had made precisely this point. Fuller's rehabilitation of Clark was a gesture of defiance against Berger and a characteristic act of naughtiness on the part of a Marxist whose critical subject up to that point had been a critique of the art establishment personified by Clark. Clark became Fuller's vehicle for a calculatedly polemical insistence on connoisseurship and taste.


Der Anfang von Ways of Seeing war spektakulär: Berger kam in die National Gallery und zerschnitt einen Botticelli mit einem Teppichmesser: The art of the past no longer exists as it once did. Its authority is lost. In its place there is a language of images. What matters now is who uses that language for what purpose. Sie können es sich hier anschauen. Es war glücklicherweise kein echter Botticelli. Die siebziger Jahre, die Reste der sogenannten 68er Revolution und der Klassenkampf liegen heute hinter uns. Über manches in Bergers Ways of Seeing wird man heute milde lächeln. Das Bild von Mr und Mrs Andrews hat nichts mit Klassenkampf zu tun. Wohl aber mit der sozialen Klasse. Um die geht es in England immer (das meinte man vor elf Jahren offensichtlich in der National Gallery, als man das Bild neben Martin Parrs Photo Signs of the Times präsentierte); vorzüglich im 18. Jahrhundert, in dem sich die bürgerliche Gesellschaft etabliert. Und das reich gewordene Bürgertum die Mode, die Manieren (und den Grundbesitz) des Adels adaptiert. Der Robert Andrews, den Gainsborough malt, ist Großgrundbesitzer. Pappi hat ihm das Anwesen The Auberies gekauft, der Rest kam durch die Heirat mit Frances Mary Carter dazu. Gainsborough kennt die beiden seit Jahren.

Er war auf derselben Grammar School wie Robert Andrews, aber bei seinem Vater reichte das Geld nicht für ein Studium in Oxford. Denn sein Vater war in den 1730er Jahren in die Pleite geschlittert - der Vater von Frances Mary Carter hatte ihn übrigens vor dem Schuldgefängnis bewahrt. Die Gainsboroughs gehörten einmal zur gleichen Klasse wie Robert Andrews und Frances Mary Carter. 

Jetzt gucken diese beiden mit einer gewissen blasierten hauteur auf den armen Maler herab. Dass er sich selbst, wie manche Interpreten sagen (und wie die Bilder im Absatz oben vielleicht suggerieren) in das Portrait des zwei Jahre älteren Auftraggebers hineingemalt hat, glaube ich nicht. Peter Greenaway hätte einen Film wie The Draughtman's Contract mal über Gainsborough und das Ehepaar Andrews drehen sollen. Man braucht kein Studium der Kunstgeschichte, um zu sehen, dass dies conversation piece (dieser Fachausdruck wurde hier schon einmal erklärt) in zwei Teile zerfällt. Und dass die Kleidung der jungen Eheleute nicht unbedingt zu dem Leben auf dem Land passt. 

Kritiker wie John Berger haben das Bild deshalb auch als eine Art Karikatur gesehen (schauen Sie sich dazu doch einmal dies Video an, ist sehr komisch). In der Wirklichkeit würden sie wohl andere Dinge als die Städter tragen, der Landadel passt sich in dieser Zeit modehistorisch ein wenig an die praktische Kleidung der Landbevölkerung an. Man bevorzugt eine informelle Kleidung, die man damals als Negligé oder Deshabillé bezeichnet. Wenn George III König wird, werden ihn satirische Journalisten Farmer George nennen. Und seine Untertanen werden diesen royalen Farmer kaum von einem anderen Großgrundbesitzer unterscheiden können. Wenn man im 18. Jahrhundert in Richmond deutsche Schweine und neuseeländische Schafe züchtet, läuft man nicht in Samt und Rüschenjabot herum.

Die Kritiker, die aus dem Gegensatz der vornehmen Kleidung der Andrews' und der ländlichen Umgebung eine Kritik der landed gentry herauslesen wollen, denken zu kurz. Auf allen Portraits bei Gainsborough, die Personen in einen Landschaftsausschnitt versetzen, tragen die Dargestellten vornehme Kleidung. Wenn Gainsborough seine Vorliebe für die landskip mit der Portraitmalerei verbindet, folgen ihm die Dargestellten eher widerwillig. Aber ihre vornehme Kleidung, die wollen sie schon tragen, schließlich sind sie so im Studio des Malers erschienen. Und ein wirklich reales Ambiente wollen auch die wenigsten auf ihrem Bild, also geht Gainsborough zu einem diffusen Natureinerlei im Hintergrund über. Mr and Mrs William Hallett machen hier ihren Morgenspaziergang im malerischen Nirgendwo der Natur, Mr und Mrs Edwards befinden sich allerdings wirklich in einer geographisch identifizierbaren Natur.

Dass die akkurat ziselierten Kornreihen zu den zierlichen Füsschen der 18-jährigen Mrs Andrews passen, ist keine Erfindndung des Malers, der die Natur rokokohaft ordnen möchte. Das zeigt nur, dass man die state of the art Maschine des Landwirtschaftsreformers  Jethro Tull zum Einsäen des Getreides verwendet hat. Zur modernen Landwirtschaft gehört auch, dass die Schafe in einem eingezäunten Areal weiden. Diese enclosures des 18. Jahrhunderts bieten sozialen Sprengstoff, vorher war es (seit dem Mittelalter) common land. Jetzt wird alles eingezäunt. Mit Neuerungen aller Art in der Technik ist Gainsborough nicht unvertraut, zwei seiner Brüder sind, wenn man so will, Erfinder. Der erste, John Gainsborough (auch Scheming Jack) genannt, rangiert eher in der Kategorie der mad scientists. Aber der zweite, der Reverend Humphrey Gainsborough (der auch landwirtschaftliche Geräte erfindet), ist ein Mann von großer Bedeutung. Gainsboroughs Freund Philip Thicknesse schrieb über Humphrey: one of the most ingenious men that ever lived, and one of the best that ever died … Perhaps of all the mechanical geniuses this or any nation has produced. Mr Gainsborough was the first.

Wir können vieles in dem Bild erklären. Der Kirchturm im Hintergrund (weiter oben im Detail) hat so ausgesehen. Die Eiche in dem Bild ist sicherlich symbolisch (wie das Kornfeld als Symbol der Fruchtbarkeit), aber es ist auch eine wirkliche Eiche, sie steht immer noch im Park von Auberies. Aber ein kleines Rätsel bleibt doch: das Bild ist unfertig, unter den Händen von Mrs Andrews ist eine freie Fläche, nur die Grundierung der Leinwand ist in ihrem Schoß zu sehen. Hier hat es die erstaunlichsten Spekulationen gegeben. Er habe das Bild nicht fertig gemalt, weil er die die beiden nicht ausstehen konnte, man könne das aus den Gesichtern des Paares herauslesen.

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wenn ich bösartig wäre, würde ich sagen, dass er die Musikinstrumente auf seinen Portraits mit größerer Liebe malt als die Gesichter von Mr und Mrs Andrews. Er ist Musikliebhaber und Liebhaber von Instrumenten, die Erwähnung der Viola da Gamba in seinem Brief ist keine rhetorische Formel. Wir müssen auch bedenken, dass dies eins seiner ersten Portraits ist - er hat noch nicht die Meisterschaft, die er auf dem Portrait der Herzogin Georgiana zeigt. Auch die Theorie, dass hier ein toter Vogel hätte Platz finden sollen, den Robert Andrews gerade geschossen hat, kann nicht überzeugen. Bei aller Liebe zum Ehemann und zum Landleben, würde eine junge Dame auf diesem neuen Seidenkleid eine blutige Jagdtrophäe plazieren? Die dritte Theorie ist überzeugender: die zwanzigjährige Frances Mary Andrews ist guter Hoffnung, an diese Stelle sollte ihr erstes Kind gemalt werden.

Sie hatte noch zwanzig Jahre zu leben, in der Zeit wird sie ihrem Robert neun Kinder gebären. Er wird achtzig Jahre alt werden, im Tode werden sie wieder vereint. Seite an Seite liegen sie auf dem Friedhof der St Andrews Kirche von Bulwer. Bis 1927 war das Bild des Ehepaars, das heute neben dem Blue Boy eins der bekanntesten Bilder von Gainsborough ist, völlig unbekannt. Weil es im Privatbesitz der Familie Andrews war. Erst 1960 ist es von der National Gallery bei der Kunsthandlung Thomas Agnew gekauft worden, die es für 130.000 Pfund (das waren damals 1,5 Millionen Mark) von der Familie erworben hatte.
 
Der Blue Boy in seinem Van Dyck suit war dem amerikanischen Milliadär Henry Huntington, der das Bild von Joseph Duveen für seine Galerie kaufte, zu grün. Das Bild an der Wand des Luxusschiffes Aquitania war viel blauer gewesen, das wusste Huntington genau. Schließlich hatte er auf der Aquitania die Gainsborough Suite bewohnt. Und da hing natürlich diese Kopie des Blue Boy an der Wand. Duveen wird dem Huntington versichern, dass man das Grün wegbekommt. Kann man machen, wenn Sie das vorher-nachher sehen wollen, dann klicken Sie hier. Bevor das zuvor im Privatbesitz gewesene Gemälde 1922 in die USA wanderte, wurde es für drei Wochen in der National Gallery in London ausgestellt. Hunderttausend Engländer haben es sich angeschaut. 

Thomas Gainsborough hat heute Geburtstag, es ist zwar schon hier in einem Post vorgekommen, aber das ist nicht genug von diesem wunderbaren Maler. Und so habe ich seinen Geburtstag zum Anlass genommen, um diesen schönen zehn Jahre alten Post noch einmal einzustellen. Und um einmal zu zeigen, was man aus einem Bild herauslesen kann. Ob man nun Marxist ist wie John Berger oder ein konservativer Gentleman wie Lord Clark. Und, nein: Der Satz The art of the past no longer exists as it once did stimmt nichtEs bleiben immer Fragen, dafür sind Bilder da, damit sie uns Fragen stellen. Solange sie niemand mit dem Teppichmesser zerschneidet. Oder sich die Klimaaktivisten an sie kleben.

Ich habe noch einige Lesetips zum Schluss (mehrere Leser haben mir geschrieben, dass sie die ganz nützlich fänden). Wenn es nur ein Buch sein soll, dann sollte es Gainsborough von William Vaughan aus der Reihe World of Art von Thames & Hudson sein. Es gibt kein Buch, das auf 224 Seiten so umfassend und so lesbar in Leben und Werk Gainsboroughs einführt. Reich illustriert mit 172 Abbildungen (davon 68 in Farbe) gibt dieses Buch dem Leser einen schnellen Zugang zum Werk. Das aber nicht auf Kosten einer seriösen Wissenschaftlichkeit, Vaughan ist auf dem neuesten Stand der Forschung, dies zeigt die Einarbeitung von Forschungsergebnissen, die Ellis Waterhouse bei seinem Katalog von 1958 noch nicht kennen konnte. Und auch die kurze Bibliographie ist ein Meisterstück der Selbstbeschränkung, aber alles Wesentliche steht drin. Professor Vaughan beherrscht nicht nur sein Fach und seinen Gegenstand, er kann auch gut schreiben. Das ist etwas, was Engländer ja häufig ihren deutschen Kollegen voraus haben.

Zum dritten Mal in einem halben Jahrhundert hatte die Tate Gallery 2002 eine Gainsborough Ausstellung veranstaltet, die anschliessend nach Washington und Boston weiterreiste. Allerdings waren dort nicht alle Exponate zu sehen. Michael Rosenthal und Martin Myrone haben diesen vorzüglichen Katalog herausgegeben, der etwas unterkühlt englisch daherkommt, aber forschungsmäßig das Neueste enthält, was die Gainsborough Forschung vor zwanzig Jahren zu bieten hatte. Viel ist außer dem catalogue raisonné der Portraits von Hugh Belsey seitdem nicht hinzugekommen. 

Wenn man sich das Selbstportrait des dreizehnjährigen Gainsborough betrachtet, möchte man nicht darauf wetten, dass aus ihm einer der berühmtesten englischen Maler werden wird. Mit diesem ersten Bild beginnt auch der Katalogteil des Bandes, der sich an zwei große Übersichtsessays anschliesst. Darauf folgen die Werke (Zeichnungen und Aquarelle inklusive) nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern in einer von den Herausgebern selbst gewählten thematischen Ordnung. Die ist manchmal etwas schwer zu durchschauen und lässt viele Fragen offen. Mir ist bei der Unterscheidung zwischen Portraiture and Fashion und Sensibility inzwischen klar geworden: ist eine elegante Dame ohne Hund dargestellt, landet sie im Kapitel Portraiture, mit Hund ist sie offensichtlich sensibel und kommt ins Kapitel Sensibility.

Wir sind im Zeitalter der Empfindsamkeit. Oliver Goldsmiths Roman The Vicar of Wakefield ist, wie die Literaturhistoriker sagen, eine sentimental novel. Laurence Sterne schreibt kurz vor seinem Tod A Sentimental Journey. So etwas ist damals en vogue. Henry Mackenzies Roman hatte den Titel The Man of Feeling, da ist alles klar. Viele Herren aus der Oberschicht lassen sich von Gainsborough im Stil der neuen Empfindsamkeit malen. Man trägt jetzt Gefühl. Und zeigt es. Für Engländer eine erstaunliche Sache. Dieser junge Herr auf Gainsboroughs Portrait ist sicherlich a man of feeling. Wir kennen leider seinen Namen nicht - oder vielleicht doch. Im Gainsborough Katalog  bleibt er namenlos. Aber Martin Myrone, der Kurator der Tate Gallery, identifizierte ihn 2004 als einen gewissen Colonel St. George. Hätte ihm das nicht früher einfallen können? Denn immerhin war er wenige Jahre zuvor der Mitherausgeber des Gainsborough Katalogs.

Natürlich ist der Herzog von Buccleuch, der seinen Wauwi umarmt, in der Rubrik Sensibilty gut aufgehoben, er hätte allerdings auch unter die Portraits gepasst. Das letzte Kapitel des Bandes bietet dann die letzten Jahre Gainsboroughs hauptsächlich chronologisch geordnet an. Zu diesem Thema ist Hugh Belseys Buch Gainsborough's Cottage Doors: An Insight into the Artist's Last Decade natürlich viel besser. Ist auch besser als Ann Berminghams Sensation and Sensibility: Viewing Gainsborough's Cottage Door.

Noch nie war für eine Ausstellung soviel von Gainsborough zusammengetragen worden wie 2002 in London. Und es wird auch nie wieder so viel an einem Ort zu sehen geben, sodass dieser Katalog Thomas Gainsborough endgültig jenen Platz zuweist, den ihm viele in seinem Jahrhundert abgesprochen haben. Es hat lange gedauert, bis er so berühmt wurde, wie er sein sollte. Als der dreiundzwanzigjährige John Constable die Heimat Gainsboroughs besucht, schreibt er einem Freund: Tis a most delightful country for a landscape painter. I fancy I see Gainsborough in every hedge and hollow tree. Constable hat 1836 in einem Vortrag seinen Kollegen gewürdigt: The landscape of Gainsborough is soothing, tender, and affecting. The stillness of noon, the depths of twilight, and the dews and pearls of the morning, are all to be found in the canvases of this most benevolent and kind-hearted man. On looking at them, we have tears in our eyes, and know not what brings them. Schöner kann man es nicht sagen. 

Einen schönen Roman könnte ich zum Schluss noch bieten: The Hound in the Left-Hand Corner von Giles Waterfield. Ja, ich weiß, dass ich den hier schon einmal empfohlen habe, aber man kann das Buch gar nicht häufig genug empfehlen. Und wenn Sie hier den Anfang lesen, weiß ich, dass Sie es sofort bestellen werden. Und natürlich kommt ein Gainsborough Gemälde in dem Buch vor. Dieser Post stand hier vor zehn Jahren schon einmal, aber ich habe ihn umgeschrieben und erweitert. Mein Freund Götz, der dies wunderbare kleine Buch über England geschrieben hat, wollte mir vor Jahren den Gainsborough Katalog von der Hamburger Ausstellung mitbringen. Aber ich habe verzichtet, mein Regal mit den Büchern über Gainsborough ist schon zu voll. Götz hatte vor Tagen Geburtstag, ein Geschenk hat er schon bekommen. Jetzt bekommt er noch eins, weil ich ihm diesen Post widme.

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