Samstag, 27. Mai 2023

Richard von Schaukal


Man nennt mich einen Dandy. Die Bezeichnung will ich gelten lassen. Aber die Meinung ist falsch. Ich bin ein Dandy. (Freilich noch einiges mehr; aber das Äußerlichste an mir, die für die Menschen sichtbare ‚Zwiebelschale‘ meiner Persönlichkeit ist das Dandytum.) Die Leute fassen jedoch den Begriff ganz oberflächlich auf; dies ist wörtlich zu nehmen: sie begreifen nur seine Oberfläche. Man verwechselt den Dandy mit dem Gecken, dem fat. Wenn Kurzsichtige in mir einen Gecken zu erblicken meinen und ihre primitive Erfahrung in dem Begriffe Dandy endgültig festzulegen, also zu begraben unternehmen, — denn Begriffe begraben das Leben der Erscheinung, während sie anderseits den Gedanken gleichsam erstarren machen, und man braucht solche Krystalle zu Zwecken des vereinfachten Verkehrs — dann sehen die Menschen an mir nichts als etwa den tadellos geschnittenen Rock, den niemals gesprungenen Lack meiner Schuhe, den täglich frisch gebügelten Zylinder und der gleichen Zeichen, die ihren vom empörten Gefühl des Unvermögens getrübten Augen als die Merkmale eines Gecken gelten müssen, weil sie selbst nicht imstande sind, sich auch nur menschlich zu kleiden, geschweige denn die Nüancen der guten Toilette zu begreifen. Daß sorgfältige Kleidung ihren Träger keineswegs zum Gecken stempelt, wird man Menschen von so dürftiger Anschauung niemals klar zu machen vermögend sein. 

Der Mann, der etwas auf sich hält, im Geistigen wie im Physischen, wird ebenso seinen Intellekt wie seine Nägel pflegen, seine Wäsche ebensowenig wie seine Gedanken vernachlässigen, aber bei all seiner Korrektheit — denn dies ist das gültige Wort — niemals das Impromptu mißachten. Es ließe sich natürlich, pathetisch ausgedrückt, ein Eid darauf schwören, daß die Leute, die den Korrekten mit dem Elegant zu verwechseln blöde genug sind, keine Ahnung davon haben, was es heißt, das Impromptu nicht außer acht zu lassen, und hierin gerade liegt das Wesen des Dandisme. In diesem Sinne sage ich, daß man, wenn man mich einen Dandy nennt, etwas Richtiges ausspreche und doch etwas Falsches darunter verstehe. Ich bin ein Dandy, nicht weil ich korrekt bin, sondern weil ich bei aller Korrektheit niemals das Impromptu außer acht lasse. Der Korrekte, der es außer acht läßt, ist der Gentleman.

Was Sie hier lesen, ist ein über hundert Jahre alter Text zum Thema des Dandyismus. Nicht irgendein Text, für manche ist es der Text überhaupt. Er stammt aus dem Buch Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser, eines Dandy und Dilettanten, wenn Sie den Buchtitel anklicken, sind Sie schon im Buch. Das stelle ich heute hier ein, weil Richard von Schaukal, der Autor des wunderbar exzentrischen Buches, heute Geburtstag hat. Der österreichische Dichter ist in diesem Blog schon einmal erwähnt worden. Sie könnten jetzt den Post Beau Brummell lesen, dann sind Sie im Thema. 

Als der Kaiser den Dr. jur. Richard Schaukal adelte, gab der seinen Beamtenberuf auf und widmete sich nur noch der Dichtkunst und der Übersetzung (zum Beispiel Mallarmé und Mérimée). Er hat auch aus dem Französischen einen Klassiker der Dandyliteratur übersetzt: J.-A. Barbey d’Aurevilly: Vom Dandytum und von G. Brummel. Ins Deutsche übertragen und eingeleitet von Richard Schaukal (1909). Vielleicht gab diese Übersetzung die Anregung, das Balthesser Buch zu schreiben (Sie können hier alles über die Entstehung lesen).

Zwei Jahre, bevor das Buch über den Dandy erscheint, schreibt Schaukal in sein Notizbuch: Abgeschlossen - Plan vor ein paar Tagen vage gefaßt - ein Buch aus der Arabeske Balthesser zu machen. Andreas von Balthesser, Das Buch vom Dandy; Vorbild: Hofmannsthal, viel eigenes dazu (in Ironie abtun, Eierschalen der Entwicklung) das ganze Buch stilistisch und auf eine dezente Note gestimmt. Gegengewicht gegen das senti­mental-inbrünstige Buch „Großmutter". Parallele Arbeit an beiden. Wollen sehen! Es wird sein erfolgreichstes Buch werden. Ich frage mich nur: weshalb trägt der Wiener Dandy zu seinem Frack eine schwarze Weste? Ist auf diesem Ausschnitt nicht zuu sehen. Aber sie ist da. Die weißen Handschuhe und der schwarze Zylinder sind auch da zu sehen. Die sind comme il faut. Aber die schwarze Weste? Ich weiß nicht. Vielleicht muss man da erst einmal sein Buch Vom Geschmack: Zeitgemäße Laienpredigten über das Thema Kultur lesen, um das zu verstehen.

Er sei ein Krummliniger, ein Vielseitiger hat er über sich gesagt. Und er ist wirklich schwer einzuordnen. Da gibt es Liebesgedichte en masse (klicken Sie doch einmal hier), aber es gibt auch Besinnliches und Patriotisches auf der Seite Die deutsche Gedichtebibliothek. Und dann sind da seine literaturwissenschaftlichen Arbeiten wie die kleine Wilhelm Busch Biographie. Oder der lange Adalbert Stifter Essay. Den fand ich sehr interessant, aber die Lektüre hat mich nicht dazu bewegt, endlich Stifters Nachsommer zuende zu lesen. Dass ich den Roman immer noch nicht ganz gelesen habe, steht schon in den Posts Adalbert Stifter und Mein Stifter. Die auch sehr lesenswert sind.

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