Donnerstag, 11. Mai 2023

nachts

Musik klingt schön des Nachts, wenn alles still und dunkel ist. Man könnte jetzt die Goldberg Variationen hören, weil die ja angeblich geschrieben wurden, um einen schlaflosen Grafen in den Schlaf zu spielen. Man könnte auch Max Richters Sleep in der acht Stunden Version hören (wenn Sie das anklicken, bekommen Sie tatsächlich die lange Version). Ich habe Teil von dem Stück zum erstenmal im Radio bei dem Sender NDR Kultur (neo) gehört. Die haben tolle Musik, aber leider nur in der Nacht von Sonnabend und Sonntag. Da habe ich damals auch zum erstenmal Chick Coreas Mozart gehört. In der Nacht klang es besser als am Tage. Letztens habe ich kurz vor Mitternacht bei Kultur (neo) wieder etwas gehört, was ich überhaupt nicht kannte. Ein Lied mit Klavierbegleitung, das ein wenig wie Schubert klang, wie Brahms oder Mahler, sehr romantisch. Das Display meines kleinen Digitalradios sagte mir, dass das Lied Auf den Schwingen der Nacht hieß und vom New Muses Project kam. Ich wusste, dass ich am nächsten Tag etwas am Computer forschen musste und ging schlafen.

Am nächsten Morgen ging ich zur Seite von NDR Kultur (neo), die haben die Listen gespeichert, von dem, was sie gesendet haben. Allerdings kam ich nur mit einem speziellen Programm an die Liste, von dem ich gar nicht wusste, dass mein Computer das besitzt. In dem Programm, das Charlotte Oelschlegel zusammengestellt hatte, fand ich den Titel Auf den Schwingen der Nacht, bei dem auch noch Luise Greger dabei stand. Ich lernte dank meines Computers dazu, dass Luise Greger eine Komponistin und Sängerin gewesen war, die bestimmt einhundert Lieder geschrieben hat. Sie war einmal berühmt, um 1930 war sie Deutschlands bedeutendste lyrische Tondichterin der Gegenwart. Man hat sie auch eine pommersche Gans genannt, weil sie einmal gesagt hat: Geboren bin ich in Greifswald, wo es die fetten Gänse gibt. Ich bin auch eine von den Gänsen. Nach ihrem Tod 1944 hat man sie schnell vergessen. Aber man hat sie jetzt wiederentdeckt, es gibt CDs und Noten, und die verlorengegange Fassung ihrer Märchenoper Gänseliesel hat man auch wiedergefunden. Der Musikverlag Furore leistet da viel.

Der Dichter, der in den 1920er Jahren Auf den Schwingen der Nacht geschrieben hat, heißt Gottfried Hertel. Über ihn habe ich nichts herausfinden können. Aber das Gedicht habe ich gefunden:

Auf den Schwingen der Nacht 
trägt mich die Sehnsucht zu dir. 
Ob ein Verlangen nach mir 
in deiner Seele erwacht? 

Stern steht droben bei Stern, 
und wie mich tröstet ihr Licht, 
seh' ich dein Angesicht 
liebenden Aug's von fern.

Es gibt bei YouTube eine Fassung von Auf den Schwingen der Nacht, die allerdings nur 42 mal in den letzten acht Monaten angeklickt wurde. Das sollte sich ändern. Eine andere Fassung kann man ab Minute 40:51 in dem Programm hören, das Charlotte Oelschlegel ihren Hörern in der letzten Aprilnacht servierte. Luise Greger hat noch ein anderes Gedicht von Gottfried Hertel vertont, aber davon habe ich keine musikalische Fassung. Doch von einem Gedicht von Oskar Ludwig Brandt, von dem die Komponistin viele Lieder vertonte, habe ich eine Fassung. Und den Text:

Wenn ich einst zum letzten Male 
meine beiden Augen schließe, 
möcht' ich, dass aus einer Schale 
dunkle Nacht ins Träumen fließe. 

Und mein letzter Blick, der schaue 
nur die Nacht und ihre Sterne, 
träumend von der Sonne Leuchten 
zieh' das Leben in die Ferne! 

Schrecklich dächt' ich mir ein Scheiden 
unter lichten Sonnenstrahlen;
tief vergessen sei mein Leiden, 
Nacht lieg' auf den Freudenschalen. 

Nein, kein Leuchten soll mich locken! 
Ich will an das Frührot glauben, 
wenn der Nacht gespenst'ge Flocken 
mir das letzte Atmen rauben.

Wenn ich dann zum letzten Male 
meine beiden Augen schließe, 
möcht' ich, dass aus einer Schale 
dunkle Nacht ins Träumen fließe.

Ein Hörer hat da als Kommentar Wow geschrieben. Ist ein bisschen kitschig, aber irgendwie doch wow. Und schön. Vor allem nachts.


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