Freitag, 17. September 2021

englischer Landadel


Das Pferd hier heißt Sir Tatton Sykes, der Herr, der es am Zügel führt, heißt auch Sir Tatton Sykes. Er ist der vierte Baronet Sykes, er ist als Pferdezüchter in ganz England berühmt. Das Pferd, das seinen Namen trägt, hat gerade das St Leger Rennen gewonnen. Interessant ist die Kleidung des Baronets, er wird einundneunzig Jahre alt werden und bis zu seinem Tod im Jahre 1863 die Kleidung tragen, die im 18. Jahrhundert modern war.

Ich komme auf die Sykes Familie (hier noch einmal Sir Tatton), nicht weil ich nach dem Post Bräutigam unbedingt über englische Rennpferde schreiben wollte, aber es hat doch etwas mit diesem Post zu tun. Als ich über das Pferd mit seinem Bräutigam im Kostüm schrieb, hatte ich als erstes das Buch Below Stairs: 400 years of servants' portraits aus dem Regal geholt. Das ist der Katalaog von Giles Waterfield zu einer Ausstellung in der National Portrait Gallery. Ich habe den Katalog schon vor neun Jahren in dem Post Thomas Gainsborough erwähnt. Es war die erste Ausstellung in England, die den Portraits von Dienern und Bediensteten gewidmet war, die grooms von Rennpferden kamen da auch drin vor.

In den Post Gainsborough im Jahre 2013 habe ich erwähnt, dass der Kunsthistoriker Giles Waterfield, ehemaliger Direktor der Dulwich Picture Gallery, auch noch Romane schreibt. Seinen zweiten Roman The Hound in the Left-Hand Corner habe ich schon mehrfach an Kunsthistoriker verschenkt. In dem Buch Below Stairs gibt es ein Portrait von Sir Richard Sykes mit seinem Butler von dem Maler Simon Elwes. Elwes ist ein berühmter Mann, der die Großen und Mächtigen der Welt gemalt hat, er ist eine Art John Singer Sargent der dreißiger Jahre. Er war der Lieblingsmaler von Queen Mom, und er hat auch die junge Elizabeth gemalt, als sie Königin wurde. Hier hat er 1942 den Generalleutnant Robert Stone portraitiert, der gerade der Oberkommandierende der britischen Truppen in Ägypten geworden ist. Beim Kriegsausbruch war Elwes in die Welsh Guards eingetreten und wurde später zu den 10th Royal Hussars versetzt. Nach mehreren Schlachten in Afrika war das Oberkommando der Armee der Ansicht, dass der Oberstleutnant Elwes als Maler für England bedeutender sei denn als Gardeoffizier und machte ihn zum war artist.

Im Jahr 1936 hat er zwei wichtige Bilder gemalt. Das eine ist das Portrait von Sir Richard Sykes, dem siebten Baronet, einem Lebemann und Nichtsnutz. Das andere ist das Bild des Duke of York als Colonel-in-Chief der 11th Hussars. Wer die 11. Husaren sind, das weiß ich, bei denen war ich mal. Lesen Sie mehr in dem Post Winston Churchill. Hier auf dem Photo ist Elwes dabei, den Duke of York zu malen. Als das Bild fertig ist, hat der Duke einen neuen Titel. Da ist sein Bruder gerade als Edward VIII zurückgetreten, und der Duke ist als George VI König von England. Auf einer Internetseite der 11. Husaren können wir über die Uniform lesen: The uniform here is the levee dress which differs from full dress in that the breeches are of thinner material and tight-fitting. The stripe down the side of the breeches is a single strip of gold gimp. The black hessian boots are patent leather with built-in wrinkles and gold gimp round the top edge as well as the gold boss. The dramatic cloak is dark blue with a crimsom collar which does not show up clearly here.

Das andere Bild von Elwes hätte ich nicht gekannt, wenn ich den Katalog Below Stairs nicht gelesen hätte. Es hat für Simon Elwes eine persönliche Bedeutung. Zum einen, weil er mit dem siebten Baronet verwandt ist, zum anderen, weil er 1967, als er Mitglied der Royal Academy wurde, das 1936 gemalte Bild als diploma work der Royal Academy überlässt. Dieser Sir Richard Sykes auf dem Bild kommt gerade als Master of the Middleton Hunt von der Fuchsjagd zurück und lässt sich im Speisesaal von Sledmere House von seinem Butler Mr Cassidy ein Getränk servieren, während im Hintergrund ein Diener die gerade abgelegte Kleidung hält. Ein Hund liegt vorne rechts erschöpft am Boden. Der Kunstistoriker Anthony Blunt, von dem noch niemand weiß, dass er ein russischer Spion ist, beklagte im Spectator, dass in der Royal Academy nur noch Society Portraits zu sehen sein, gestand aber zu: the finest specimen of all, is, without doubt. Simon Elwes's portrait of Sir Richard Sykes complete with pink coat, butler, and family seat.

Das ist der zweite Baronet Sir Christopher Sykes mit seiner Gattin und ihrem Lieblingshund, gemalt von George Romney (sein Sohn wird sich von Thomas Lawrence malen lassen). Christopher Sykes hatte Sledmere House umbauen lassen, und der berühmte Landschaftsarchitekt Capability Brown hatte den Entwurf für den vier Quadratkilometer großen Park geliefert. Der siebte Baronet erbt nach dem Tod seines Vaters, des Colonels Sir Tatton Benvenuto Mark Sykes, den Landsitz, sonst nichts. Er lebt von den Einnahmen aus dem Gestüt, das es seit den Tagen von Sir Tatton Sykes immer noch gibt. Er hat eine katholische Privatschule besucht, Eton, Oxford und Cambridge sind für ihn Fremdwörter. Sein Bruder Christopher Hugh Sykes war in Oxford und wird Schriftsteller, seine Schwester Angela wird Bildhauerin und Malerin. 

Sledmere House hat zwar eine eindrucksvolle Bibliothek, aber ich glaube, unser Baronet benutzt sie nicht. Er ist von seinen Geschwistern der einzige, der keinerlei intellektuelle und kulturelle Interessen hat. Obgleich er kein Geld hat, führt er das Leben eines Playboys. Sein Vater, der ein verdienstvoller Mann war, hätte sich für ihn geschämt. Vor allem, wenn er erfahren hätte, dass sein Sohn in Wentworth rausgeflogen ist und auf Lebenszeit verbannt wurde, weil er im Park einen Fasan überfahren hatte und den toten Vogel einer jungen Frau ins Bett gelegt hatte. Engländer nennen so etwas einen practical joke, aber mit einem Gentleman hat so etwas nichts zu tun.

Und dann ist da noch diese Sache mit dieser jungen Frau. Sie heißt Doris Duke und ist die reichste Frau der Welt. Der angesäuselte Baronet fällt in ihrer Limousine über sie her und will ihr an die Wäsche. Ihr Chauffeur und ein Personenschützer, der der Millionenerbin in einem zweiten Wagen gefolgt war, holen den Baronet aus dem Auto, verpassen ihm eine Abreibung und lassen ihn am Straßenrand liegen. Sir Richard will sich unbedingt rächen. Auf einer Party von Lady Diane Cooper, der Gattin von Duff Cooper, nimmt er der Amerikanerin die Lucky Strike aus dem Mund (es muss natürlich eine Lucky Strike sein, weil ihr die Fima gehört) und drückt sie auf ihrer Hand aus. Randolph Churchill will Sykes verprügeln, das Ganze artet zu einer Massenschlägerei aus, an der sich auch Cecil Beaton und Oliver Messel beteiligen. Es ist ein Tiefpunkt im Leben des siebten Baronet, der sich jetzt im Riviera Set bewegt und dieselben Leute kennt, die im Leben der Viscountess Castlerosse eine Rolle spielen. Wenn Sie den Post Schöne Beine gelesen haben, wissen Sie, wo wir gerade sind.

Und seien wir ehrlich, kann man das nicht schon alles in diesem Bild lesen? Oder vielleicht auch nicht. Simon Elwes hatte das Bild seines Schwagers als ein jeux d'esprit gesehen. Eine ironische Karikatur dessen, wie sich die Öffentlichkeit das Leben eines englischen Landadligen vorstellt. Aber Sir Richard fand das überhaupt nicht witzig. Ich weiß nicht, was sein Butler Mr Cassidy dazu gesagt hat. Heute gibt es in Sledmere House keinen Butler mehr. Zwanzigtausend Menschen besuchen das stately home und den Park jedes Jahr. Das Bild vom siebten Baronet können sie da nicht sehen, das hängt in der National Library. Aber man kann da heiraten und sich anschließend photographieren lassen.

Und da ich schon bei der Sykes Familie bin, sollte ich diesen Herrn noch vorstellen. Das ist Christopher Simon Sykes, der zweitälteste Sohn des siebten Baronets. Im Gegensatz zu seinem Vater war er in Eton, jetzt ist er Photograph und Schriftsteller. Er hat die Rolling Stones auf ihrer Amerika Tournee photographiert, das hat ihn berühmt gemacht. Er war auch der Ghostwriter für Eric Claptons Autobiographie und hat eine zweibändige Biographie von David Hockney geschrieben. Er photographiert sich seit Jahren durch Englands Parks und Landsitze, Sledmere House, wo er aufwuchs, ist auch dabei. Und über das Haus und die Sykes Familie hat er 2005 ein Buch geschrieben: The Big House: The Story of a Country House and its Family. Ist sehr amüsant zu lesen. Pflichtlektüre für meine anglophilen Leser.

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