Mein Vater bekam jedes Jahr zu Weihnachten als Werbegeschenk einen Kunstkalender der Firma Hoechst. Jeder Kalender war einem Museum oder einer Sammlung gewidmet und enthielt erstklassig gedruckte Abbildungen. Für jeden Monat eine, aber man konnte den Kalender umdrehen, dann waren es noch einmal zwölf. Die Kalender der Firma Hoechst landeten immer bei mir, die Firma weiß gar nicht, wie dankbar ich ihr war. Ich habe viel von diesen Kalendern gelernt, man kann sie heute noch antiquarisch finden, ich habe meine natürlich noch.
Aber dann gab es ein Weihnachtsfest, bei dem die Firma Hoechst vergessen hatte, einen Kalender zu schicken. Mein Vater offerierte mir einen anderen Kunstkalender, den er gerade erhalten hatte. Der kam von einer Zahnpastafirma, es war ein Siegward Sprotte Kalender, der für jeden Monat das Bild einer Welle präsentierte. Ich war damals froh, als das Jahr zuende war. Zwölfmal die grüne Welle reichte mir. Im Februar hatte ich begonnen, das Bild vom Januar zu kopieren, Tusche auf Papier. Am Ende des Jahres hätte ich leicht Siegward Sprottes fälschen können. Das ist bei den kalligraphischen Reduzierungen nicht so schwer.
Hier hat er sich 1937 gemalt, Selbstbildnis mit Lebensbaum heißt das Bild. Die Nationalsozialistischen Monatshefte lobten das Bild als meisterhaftes Selbstbildnis. Die Haltung der einen Zweig haltenden Hand hat der Maler von Dürers Selbstbildnis im Pelzrock (Alte Pinakothek München) entlehnt. Es ist ein bisschen Neue Sachlichkeit, möchte ein klein wenig Magischer Realismus sein, aber besonders großartig ist das nicht. Kann sich nicht mit Gerta Overbeck oder Albert Aereboe messen. Doch Sprotte hat als Maler Erfolg, er war Mitglied der Reichskulturkammer und Mitglied der Reichskammer der Bildenden Künste. Er war auf der Großen Deutschen Kunstausstellung 1939, 1941/42 und 1944 mit insgesamt zehn Werken vertreten. Die Zeitschrift Die Kunst im Dritten Reich (erschienen im Zentralverlag der NSDAP) bespricht seine Werke.
Er malt jetzt viele Portraits wie hier 1936 seine neunjährige Schwester Dietlind, Portraits sind in unsicheren Zeiten eine sichere Sache. Angeblich soll Hitler von ihm ein Bild gekauft haben, und er soll mit anderen Künstlern bei Hitler zum Kaffee eingeladen gewesen sein, aber das ist nicht zu belegen. Über das, was Sprotte in den dreißiger Jahren gemacht hat, bewahrte er Stillschweigen oder streute Fehlinformationen aus. Wegen einer Herzschwäche wurde der Soldat Sprotte nach einem halben Jahr entlassen, war aber gesund genug, Auslandsreisen anzutreten. Ohne jeglichen Fronteinsatz erhielt er 1941 eine u.k.-Stellung, er war für das Reich unabkömmlich. Nach 1945 ist das für den Meister der Selbstvermarktung, der jetzt grüne Wellen malt, alles vergessen.
Diese Welle ist nicht von Siegward Sprotte, die ist von Karl Hagemeister. Dessen Meisterschüler er angeblich von 1930 bis 1933 war. Auch hierfür fehlen, wie für so viele Behauptungen von Sprotte, die Beweise. Hagemeister malte schon Wellen, als Sprotte noch gar nicht geboren war. Es kann durchaus sein, dass Sprotte sein ewiges Motiv der Welle gar nicht in Sylt gefunden hat, sondern bei Hagemeister geborgt hat. Über dieses Bild hat Hagemeister geschrieben: Als ich die große Welle malte, die jetzt in der Nationalgalerie ist, war in Lohme auf Rügen ein besonders starker Sturm. Ich habe da in zwei Tagen vier große Seebilder gemalt: vormittags eins und nachmittags eins. Zwischendurch habe ich einen starken Kaffee getrunken. Bei dem einen Bild kam plötzlich eine so große Sturzwelle, daß ich bis am Hintern im Wasser stand und die Hälfte meiner Oelfarben mit fortgerissen wurde. Aber ich habe trotzdem weiter gemalt. Für dieses Bild bekam ich die große Medaille. Als ich die vier Seebilder in den beiden Tagen gemalt hatte, habe ich gesagt: So – nun kann der Sturm aufhören!
Das ist jetzt eine Phase in Hagemeisters Werk, wo er von Wellen geradezu besessen ist: Ich sehe ein, dass man keine Wellen abmalen kann und wenn das noch so gut mit Hilfe der Momentphotographie möglich wäre. Solche gemalten Wellen werden still stehen. Um sie bewegt zu malen, muss man vorher alles genau studieren, die Durchsichtigkeit der Stimmung, den Rhythmus der Wellen, und wenn man alles erfasst hat, muss man schnell gefühlsmässig gestaltend das Ganze hinschreiben. So nur wird die Darstellung den Beschauer mit fortreissen. Die letzten Aufenthalte an der See überzeugten mich, dass ich schliesslich nur See malen sollte, um schliesslich Herr des Meeres zu werden – eine grosse Aufgabe, wenn ich denke, dass nur Courbet der einzige ist, der den Eindruck der Unendlichkeit, der Allgewalt des Meeres getroffen hat.Ludwig Justi, der Direktor der Nationalgalerie, hatte anläßlich des 75. Geburtstags des Malers die Nationalgalerie mit Wellenbildern von Hagemeister drapiert: Zu Hagemeisters 75. Geburtstag, 1923, hatte ich den größten Saal der Nationalgalerie ausgeräumt und die langen Wände mit einer durchlaufenden Reihe solcher Wellenbilder behängt, die ich aus Hagemeisters Vorrat geholt hatte; es ergab sich eine Wirkung sondergleichen. Es begeisterte nicht jeden. Der Kunstkritiker Karl Scheffler schrieb: Eine große Ausstellung verträgt Hagemeister überhaupt nicht, und noch weniger eine, die nur große Bilder enthält, weil in den Arbeiten großen Formats der Mangel an Vergeistigung am meisten zutage tritt.
Ich glaube, das gilt für die Wellen von Siegward Sprotte auch (hier ist wieder eine von ihnen), man sieht sie sich schnell über. Man kann sie heute tausendfach als Reproduktion kaufen, und Siegward Sprotte Kalender gibt es jedes Jahr wieder. Ein Siegward Sprotte Kunstkalender aus dem Jahre 2009 kostet heute bei ebay 39€, vielleicht hätte ich meinen damals nicht im Papiermüll entsorgen sollen. Wenn Sie alles über den Künstler wissen wollen, dann habe ich hier den Katalog der Siegward Sprotte Retrospective für Sie. Er gibt das Leben Sprottes so wieder, wie Sprotte es haben wollte. Der Katalog wurde von Sprottes Sohn, der eine Kunstgalerie betreibt, ins Netz gestellt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen