Dienstag, 14. September 2021

Moskau brennt


Bald zeigten hohe Rauchsäulen und auflodernde Flammen die Wirkungen. Es brannte beinahe gleichzeitig in zwei verschiedenen Richtungen und bei der herrschenden Windstille stieg der Rauch in rötlich-grauen Säulen himmelhoch, schauerlich-majestätisch empor. Da ich das alles gleichsam zu meinen Füßen vor sich gehen sah und ein Plätzchen fand, wo ich ungestört zeichnen konnte, packte ich sogar meine Farben aus und entwarf an Ort und Stelle ein Aquarell von dem brennenden Regensburg ... Napoleon, welcher den ganzen Tag hindurch anwesend war und allenthalben gesehen wurde, stand gegen Abend nicht ferne von mir auf der Anhöhe mit einer ungeheuren Suite von mehr als hundert Köpfen; fast alle Generäle mit ihren Adjutanten hatten sich in einer Entfernung von etwa 40-50 Schritten hinter ihm versammelt. Das Ganze war prachtvoll von der Abendsonne beleuchtet. Unverwandt blickte er nach der Stadt in das mittlerweile bedeutend gewachsene Feuer. Er schien mir unheimlich, ich dachte an Nero ... Das schreibt der bayrische Maler Albrecht Adam in seinen Lebenserinnerungen (hier im Volltext). Hier hat er Napoleon in Regensburg gemalt. Er wird ihn noch mehrmals malen. Immer auf seinem weißen Araber, immer nach links blickend, immer ein Feuer betrachtend.

Der Maler Albrecht Adam wurde schon in den Posts Beresina 1812 und Bräutigam in diesem Blog erwwähnt. Er ist der Hofmaler von Eugène de Beauharnais, dem Stiefsohn Napoleons, der auch den Titel eines Vizekönigs von Italien hat. Der Militärmaler Christian Wilhelm von Faber du Faur, der dieses Bild von Smolensk gemalt hat, ist kein Zivilist wie Albrecht Adam, er ist Oberleutnant der württembergischen Armee (und wird es noch bis zum General bringen). Er zeichnet auf dem Rußlandfeldzug beinahe täglich. Er wird nach dem Krieg seine Skizzen unter dem Titel Blaetter aus meinem Portefeuille im Laufe des Feldzugs 1812. In Russland, an Ort und Stelle gezeichnet veröffentlichen. Auf diesem Bild von Smolensk haben die Russen haben die Stadt noch nicht angezündet. Wir können Napoleon in der Bildmitte auf seinem weißen Araber Marengo sehen.

Auch bei Albrecht Adam sieht das Schlachtfeld von Smolensk ziemlich ordentlich und aufgeräumt aus. Die Stadt brennt zwar schon, aber das Bild hat nichts von der Dramatik des Bildes im nächsten Absatz. Da brennt Smolensk wirklich. Das Bild hat der französische Offizier Jean-Charles Langlois gemalt. Allerdings nicht 1812 an Ort und Stelle, sondern erst in den 1830er Jahren, als er nicht mehr bei der Armee war. Der Franzose Langlois hat auf seinen Bildern immer einen Hang zur Melodramatik, die Deutschen Adam und Faber du Faur bleiben in ihrer Darstellung sachlicher. 

Nach der Schlacht um Smolensk löste Kutusow den General Barclay de Tolly als Oberbefehlshaber ab. Der Zar mochte Kutusow nicht, beugte sich aber den Forderungen des Adels, der einen Russen und keinen Deutsch-Balten an der Spitze des Herres haben wollte: Le public a voulu sa nomination, je l'ai nommé: quant à moi, je m'en lave les mains. Am Ende des Jahres 1812, als Napoleon längst wieder in Paris ist, wird Zar Alexander seinen Feldmarschall zum Fürsten von Smolensk ernennen. Der alte Kerl soll zufrieden sein. Das kalte Wetter hat ihm einen großen Dienst erwiesen, soll er gesagt haben. Er mochte Kutusow immer noch nicht.

Der Feldmarschall Kutusow wusste, dass er Napoleon immer weiter in das Land hineinlocken musste. Die russischen Armeen waren weit über das Reich verstreut gewesen: Barclay de Tolly im Norden, Wittgenstein im Baltikum, Bagration bei den Pribet Sümpfen und Tschitschagow muss mit der Moldauarmee erst von der türkischen Grenze zurückkehren. Keine der einzelnen Armeen hätte gegen Napoleon in offener Feldschlacht siegen können, das weiß Kutusow. Und wenn es ihm auch die Patrioten übelnehmen, dass er halb Russland preisgibt, Smolensk und Moskau anzünden lässt, am Ende geht sein Plan auf. 

Das ist jetzt noch einmal Napoleon vor Smolensk, wieder von Albrecht Adam gemalt. Der schreibt 1836 an seine Tochter Amalie: Ich selbst habe gegenwärtig ein Bild in Arbeit welches bey Kennern Aufsehen erregt, es ist Napoleon vor dem brennenden Smolensk (...) dieses Bild, und besonders der Ton in dem es gemalt ist, hat bisher jeden der es sah einen großen Eindruck gemacht, es hat einen nicht unbedeutenden Umfang, u(nd) gehört zu meinen größeren Werken. So groß ist das Bild nicht geworden, es ist 60x77 cm groß. Wurde vor zehn Jahren bei Neumeister für 184.150€ versteigert.

Das Auktionshaus wies bei der Versteigerung darauf hin, dass es aus der Sammlung Dr Walter Helbig komme. Den kennt die Wikipedia nun wieder gar nicht, obwohl er mal eine der größten Privatsammlungen Deutschlands besaß. Der Dresdner hatte sein Geld mit einer Firma namens Anita gemacht, die Korsagen und Miederartikel herstellte. 1971 machte er mit der DDR Regierung einen Deal, er durfte seine ganze Kunstsammlung aus der Meyerburg mit in den Westen nehmen, alles andere, was er in Dresden besaß, wurde enteignet. Die Firma Anita Lingerie und Swimwear mit Herz gibt es immer noch. Die DDR nicht mehr.

Am Abend des 14. September 1812, als die Franzosen gerade in Moskau einmarschiert sind, gibt es die ersten Brände in Moskau. Sie werden gelöscht, aber dann werden es immer mehr Brandherde. Moskau ist von seinen Bewohnern so gut wie verlassen. Von Napoleons Armee ist nur noch ein Fünftel übriggeblieben, die kampieren jetzt vor Moskau, wie man auf diesem Bild von Albrecht Adam vom 20. September 1812 sehen kann. Napoleon residiert zwei Tage im Kreml und wartet auf die Abgesandten des Zaren, aber die kommen nicht. Er hat jetzt nachts einen schönen Blick auf das Feuer. Still und in sich gekehrt betrachtete er, von den Fenstern des Kremls aus, die immer weiter sich verbreitenden und immer höher aufbrausenden Wogen des Feuermeers, schreibt Wilhelm Zimmermann in Die Befreiungskämpfe der Deutschen gegen Napoleon.

Der holländische General Gijsbert van Dedem, der unter Murat eine Brigade kommandiert (in Wirklichkeit ist es nur noch eine halbe Brigade), wird den Brand als den schönsten Schrecken, den man je betrachten konnte beschreiben. Die ganze Nacht starrte ich verwundert auf dieses einzigartige Drama, das schrecklich, aber zugleich majestätisch und imposant war. Napoleon hat das, was hier der russische Maler Alexander F. Smirnov gemalt hat, ähnlich beschrieben: Es war der erhabenste, sublimste und fürchterlichste Anblick, den die Welt je gesehen hatte! wird er sagen. Aber da ist er schon geographisch und zeitlich weit weg, da sitzt er schon auf St Helena.

Sein ehemaliger Kriegskommissar Henri Beyle wird ihm 1817 sein erstes Buch widmen: Seiner Majestät Napoleon dem Großen, Kaiser der Franzosen, zurückgehalten auf der Insel Sankt-Helena. Wir kennen den Schriftsteller unter dem Namen Stendhal. Er ist Napoleon bis Moskau gefolgt, jetzt will er zurück nach Paris, am 16. Oktober, zwei Tage vor Napoleon, verläßt er Moskau. Seine Schwester hatte ihm Goldstücke in den Mantel eingenäht, aber das hatte er vergessen, er gibt den Mantel in Wilna, dem Leichenhaus der Grande Armeee, weg. 

Am 4. Oktober 1812 hatte er seiner Schwester Pauline Perier-Lagrange geschrieben: Wir verließen die vom schönsten Feuer der Welt erleuchtete Stadt; das Feuer bildete eine ungeheure Pyramide, gleich den Gebeten der Gläubigen: die Grundfläche war auf der Erde und die Spitze im Himmel. Der Mond schien, glaube ich, über dem Feuer. Das war ein großartiges Schauspiel, aber man hätte allein sein müssen, um es anzusehen, oder umgeben von geistreichen Menschen. Das Traurige an dem Russlandfeldzug war, dass ich ihn mit Leuten machte, die das Kolosseum und das Meer von Neapel im Wert herabgesetzt hätten. Das Buch, aus dem ich dieses Bild habe, schreibt es einem gewissen Jacques Boulogne zu, von dem ich noch nie etwas gehört habe. Es sieht ein wenig nach naiver Malerei aus, aber es ist völlig authentisch. Die französischen Soldaten, die im Vordergrund stehen, machen uns darauf aufmerksam, dass wir ansonsten keinen Menschen sehen. Moskau ist leer. Keine Menschen, nur Feuer.

Und zum Schluss habe ich noch einmal Albrecht Adam, der hier Napoleon malt, wie er auf dem Verneigungsberg (Poklonnaja Gora) das brennende Moskau betrachtet: Wer kann den Eindruck schildern, als die ganze ungeheure Zarenstadt mit ihren unzähligen Türmen, Kirchen und vergoldeten Kuppeln vor unsern Blicken sich ausbreitete! Der Himmel tat sich, nachdem er den ganzen Tag mit grauen Wolken bedeckt gewesen, am Abende auf und die goldenen Kuppeln und das große Kreuz, das den Kreml zierte, warfen die Strahlen der Abendsonne zurück, die das Zauberbild verklärte. Endlich lag das lang ersehnte Ziel vor uns! mir pochte das Herz bei dem Gedanken: ,Morgen schon werden wir dort einziehen'! Unwillkürlich fielen mir die Kreuzfahrer ein, so oder ähnlich, dachte ich, muss es diesen zu Mute gewesen sein. Zwar stieg schon am äußersten Ostende der Stadt, das der Saum eines Waldes bedeckte, eine ungeheure Rauchsäule himmelhoch empor; aber man tröstete sich damit, dass es wahrscheinlich ein Magazin sei, das der Feind in Brand gesteckt. Dass wir das Grab von Napoleons Herrlichkeit vor uns sehen und Moskau bald als Aschenhaufen verlassen müssten, daran dachte Niemand.

An derselben Stelle, an der Napoleon hier auf dem Bild ist, hatte sich am 1. September Kutusow mit seinen Generälen getroffen. Da sah Moskau noch so aus, wie Faber du Faur es 1812 gezeichnet hat: Auf Poklonnaja Gora vereinigten sich die Beschützer Rußlands und beriethen sich, Angesichts Moskwa's, welches sich an dem heiteren Herbstmorgen in seiner ganzen Schönheit, mit allen Erinnerungen  des vaterländischen Ruhmes, vor ihnen ausbreitete, schreibt Aleksandr I. Michajlovskij-Danilevskij in seiner Geschichte des vaterländischen Krieges im Jahre 1812.  Dreizehn Tage später werden sich die Generäle hier in Fili wiedertreffen und beschliessen, Moskau nicht zu verteidigen. Auf dem Verneigungsberg ist heute das Museum des Großen Vaterländischen Krieges.



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