Mittwoch, 15. August 2012
Caulaincourt
The time I spent in Russia is almost the only interval of my life to which I can refer without the fear of conjuring up some painful recollection, hat der Herzog von Vicenza in Napoleon and his Time gesagt. Er meint damit nicht Napoleons Feldzug gegen Russland, wo er am Ende derjenige war, der Napoleon auf seiner Flucht von der Beresina bis Paris begleitete. Die schöne Zeit in Rußland ist die Zeit, wo der Marquis Armand de Caulaincourt Botschafter in St. Petersburg ist: In 1807, when I was sent as ambassador to Russia, the Emperor Napoleon had attained the zenith of his political fortune. France had no boundaries save those determined by her sovereign. The French name was a talisman to which the nations of the world rendered homage and obedience. Then, indeed, there was glory and honor in being the representative of France! In den schönen Tagen in St. Petersburg, an die er sich so gerne erinnert, wird er übrigens einen Kollegen haben, der eines Tages noch Präsident der Vereinigten Staaten wird. Es ist niemand anderes als John Quincy Adams, der damals Botschafter am Zarenhof ist. Der bewundert den Prunk und den Aufwand, mit dem sich Caulaincourt umgibt, amerikanische Botschafter sind zu der Zeit die armen Verwandten des diplomatischen Corps.
Caulaincourt schreibt das oben Zitierte natürlich auf Französisch, ich zitiere es nur deshalb auf Englisch, weil ich Napoleon and his Times (1838 in Philadelphia erschienen) so im Netz gefunden habe. Und weil ich die englische Ausgabe von With Napoleon in Russia habe, die eine ganze andere Geschichte als Napoleon and his Times erzählt. With Napoleon in Russia hätten wir nicht in dieser Form nicht, wenn man das Originalmanuskript nicht durch Zufall in den dreißiger Jahren in einem kleinen Safe in den Überresten von Caulaincourts Schloss gefunden hätte. Das Schloss in der Nähe von Saint Quentin hatten die Deutschen 1917 gesprengt (das Photo zeigt den Zustand vor und nach der Sprengung), war das die Rache an einem der Generäle Napoleons? Oder schlichte Barbarei, wie die Zerstörung der Bibliothek von Löwen 1914? Wahrscheinlich waren es taktische Erwägungen in den Kämpfen der Deutschen gegen die Engländer. In dem Jahr, in dem man das Schloss Caulaincourt sprengt, sind zwei englische war poets mit ihren Einheiten in Saint-Quentin gewesen, Winfrid Owen und Ivor Gurney. Die ganze Gegend hier oben in der Picardie besteht ja nur aus ➱Schlachtfeldern. Bei dem, was hier alles zerstört wird, kommt es auf ein Schloss mehr oder weniger nicht an.
Der Text von Caulaincourts Bericht über den Rußlandfeldzug hat eine größere Sprengkraft als das Dynamit der deutschen Pioniere 1917. Wenige Jahre, nachdem Jean Hanoteau das Manuskript herausgegeben hatte, erschien es auf Deutsch unter dem Titel Unter vier Augen mit Napoleon: Denkwürdigkeiten des Generals Caulaincourt Herzogs von Vicenza, Großstallmeisters des Kaisers. Das Buch bekommt wenige Jahre später ein völlig neues Lesepublikum, denn es wurde mit Angst und Sorge von deutschen Generälen in Rußland gelesen. So berichtete der General Günther Blumentritt, dass das Buch für Feldmarschall von Kluge zu einer Bibel geworden sei und dass die Generalität das Schicksal Napoleons nicht mehr aus ihren Träumen verdrängen konnte. Ähnliche Äußerungen sind von den Generälen Hoepner und Guderian belegt. Vom Gefreiten Hitler allerdings nicht.
A volume...whose tremendous importance is due to its complete artlessness and candor....When General de Caulaincourt laid down his pen he had completed, whether he knew it or not, a masterpiece, schrieb die New York Times anläßlich einer Neuauflage des Buches. Wie komme ich auf Caulaincourt? Napoleon hat heute Geburtstag. Ich wollte nicht schon wieder über ihn schreiben, manchmal habe ich das Gefühl, dass dies ein Napoleon Blog wird. Eine meiner ersten kleinen historischen Skizzen hieß ➱Beresina, da war ich erst seit wenigen Tagen in der blogosphere. Und das letzte Mal kam Napoleon in dem wirklich schönen Post ➱La Belle-Alliance vor. Ich bin kein Bewunderer Napoleons, aber ich kenne mich in der Geschichte dieser Zeit ganz gut aus - und auch Napoleons Gegenspieler, der Herzog von Wellington, ist hier ja auch schon häufig genug erwähnt worden.
Eines der ersten Gedichte, das ich auswendig lernte, als ich klein war, war ein Gedicht, von dem ich damals nicht einmal den Dichter kannte. Irgendwie ist es bei Heinrich Heine ja etwas befremdlich, dass er ➱Napoleon verehrte. Aber es reimte sich so schön und ließ sich so leicht lernen:
Nach Frankreich zogen zwei Grenadier',
Die waren in Rußland gefangen.
Und als sie kamen ins deutsche Quartier,
Sie ließen die Köpfe hangen.
Mein Opa hörte mich immer ab, ich weiß nicht so recht, weshalb ihm dieses Gedicht gefiel. Vielleicht weil der kaisertreue Hauptmann des Ersten Weltkriegs auch an seinen Kaiser dachte, wenn es in der letzten Strophe heißt:
Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab,
Viel Schwerter klirren und blitzen;
Dann steig' ich gewaffnet hervor aus dem Grab-
Den Kaiser, den Kaiser zu schützen!
Aber in diesem Gedicht steckt natürlich, wie auch in dem Schweizer Beresinalied, das ganze Elend des Rußlandfeldzuges. Die Weltseele zu Pferde (so ➱Hegel) ist froh, dass er mit Caulaincourt im Schlitten entkommen kann. Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas. Und mit der feigen Flucht Napoleons (hier ein zeitgenössischer Stich, der Napoleon und Caulaincourt zeigt), beginnt das Buch von Harold Nicolson The Congress of Vienna. Mein Freund Georg wies mich letztens auf eine Stelle in dem Buch hin, ich ging zum Bücherregal und musste feststellen: ich besaß das Buch gar nicht. Ich habe sehr viel von Harold Nicolson, von seiner Kulturgeschichte des Gentleman (Good Behaviour, being a Study of Certain Types of Civility) bis zu dem dicken Packen seiner Briefe und Tagebücher. Also ratzfatz bei Amazon Marketplace antiquarisch gekauft, war 24 Stunden später da. Wenn man bedenkt, dass man früher manchmal Monate auf ein Buch warten musste, ist das antiquarische Händlernetz wirklich eine der Segnungen, die die Welt des Internets mit sich gebracht hat.
The Congress of Vienna ist ein großartiges Buch, es wieder so etwas, was nur Engländer hinkriegen. Und Nicolson würdigt gleich am Anfang die Integrität des Generals Caulaincourt. Falls Ihnen dieses Bild irgendwie bekannt vorkommt, das ist Caulaincourt. Und auch wieder nicht, weil es eigentlich Heino Ferch ist, der in dem Fernseh-Mehrteiler Napoleon den Marquis de Caulaincourt spielte. Es ist ein wenig erstaunlich, dass man den Mann, der sich dank Napoleon Herzog von Vicenza nennen durfte, überhaupt in den Film hineingeschrieben hatte. Normalerweise lässt ihn die Filmindustrie aus, er ist nicht bedeutend genug. Und er passt so wenig in die Zeit, weil er ein Ehrenmann ist, dem alle Intrigen fremd sind. Deshalb gefällt er natürlich auch Harold Nicolson, der wie Engländer es häufig tun, die Darstellung geschichtlicher Ereignisse mit moralischer Wertung verbindet. Das scheint seit Edward Gibbon ein Wesenszug englischer Historiker zu sein.
Nicolson entgehen auch die kleinen Absurditäten der Geschichte nicht. So, wenn George Canning vor das Unterhaus tritt und den berühmten Satz (well-known but almost meaningless) sagt: I called the New World into existence, to redress the balance of the Old. Dem fügt Nicolson hinzu: Observers have recorded that when he said these words there was a sudden hush, broken by one slight titter. Then the whole House rose and shouted their applause. History does not record the name of the man who tittered. We are left wonderung whether he was foolish or wise.
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