Der englische Dichter Robert Herrick soll an einem 20. August geboren worden sein. So ganz sicher ist das nicht, wir wissen aber, dass er am 24. August getauft wurde. Sicher ist dagegen, dass der deutsche Dichter Martin Opitz an einem 20. August gestorben ist. Da dachte ich mir, ich könnte schön über Opitz schreiben, damit die Leser nicht immer klagen, hier käme zu viel englische Literatur vor. Warum also nicht den Vater und Wiederhersteller der Dichtkunst (so das Brockhaus Conversations Lexikon 1776) mit seinem englischen Zeitgenossen Robert Herrick vergleichen? Und ich war schon mittendrin, Opitzens An eine Jungfrau mit Herricks To the Virgins, to Make Much of Time zu vergleichen, als mich eine schreckliche Ahnung beschlich: ich hatte längst über ➱Opitz geschrieben. Am 20. August des letzten Jahres.
Also flog das Gedicht An eine Jungfrau wieder aus dem Text heraus, Sie können es ➱hier lesen, wenn Sie wollen. Es ist nicht das einzige Gedicht von Opitz, das diesen Titel trägt, und er ist auch nicht der einzige Dichter in dieser Zeit, der eine Jungfrau andichtet. Jungfrauen haben Konjunktur. Oder, wie Robin Williams in Dead Poets' Society seiner Klasse sagt: Language was invented for one reason, boys - to woo women - and, in that endeavour, laziness will not do. Die Liebeslyrik ist ja eine über die Jahrhunderte entwickelte Form, die sich hier (Opitz Gedicht datiert von 1624) immer noch nicht vom Petrarkismus erholt hat. Auf jeden Fall nicht, wie es auf den ersten Augenblick scheint, bei Opitz:
Daß auß America die beste Specerey
Mit eurem Athem weit nicht zu vergleichen sey,
Daß solche Hände nicht gemahlet werden köndten,
Daß gegen ihnen Schnee zu gleichen sey der Tinten,
Daß jedes Zähnlein sey ein köstlicher Demant,
An welches die Natur all' ihre Kunst gewandt,
Und daß die Lippen auch, so mehr als Rosen blühen,
Weit, weit den edelsten Corallen vorzüziehen:
Wenn man viele Gedichte aus dieser Zeit gelesen hat, stöhnt man an dieser Stelle auf und sagt: schon wieder die gleiche Leier. Ernst Robert Curtius, der normalerweise wenig zu Scherzen aufgelegt ist, spricht in seinem Buch Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter von einer Pest des Petrarkismus. Schon Shakespeare hatte sich im Sonett 130 über die Mode der gesuchten Beschreibung der weiblichen Schönheit mokiert:
My mistress' eyes are nothing like the sun;
Coral is far more red than her lips' red;
If snow be white, why then her breasts are dun;
If hairs be wires, black wires grow on her head.
Coral is far more red than her lips' red;
If snow be white, why then her breasts are dun;
If hairs be wires, black wires grow on her head.
Aber Opitz muss ja (wenn auch als gedankliche Hypothese) unbedingt die ollen Kamellen wieder auftischen. Wir müssen es ihm aber zu Gute halten, dass er dem ganzen doch noch eine andere Wendung gibt. Nicht, dass er sagt Jungfrau war ich vordem; jetzt bin ich eine Maitresse; Doch die gütige Welt nennt mich noch immer Mamsell. Er ist kein Revolutionär. Die Männer haben in dieser Zeit nicht anderes zu tun, als Liebesgedichte über ihre Liebesqualen zu verfassen. Und die ungeheuer schönen Frauen mit Augen, die heller sind denn alles Firmament, und dem Mund, der roter als Korallen ist, etc. etc. - diese wunderschönen Frauen mit dem kalten Herzen aus Stein (oder Diamant), diese belles dames sans merci sind natürlich abweisend. Ja, da kann man sich doch nicht gleich hinlegen, Ja, da muß man kalt und herzlos sein.
Und die Dichter, diese Weicheier, schreiben immer wieder die gleichen Dinge, nur mit anderen Worten. Und bringen dann auch noch - wir sind ja im Barock - dieses carpe diem (wenn nicht sogar das memento mori) Motiv ins Spiel: sei nicht spröde, wir haben nicht alle Zeit der Welt. Oder wie Andrew Marvell das in To His Coy Mistress so elegant formuliert: Had we but world enough, and time / This coyness, lady, were no crime. Was bei Opitz so ähnlich klingt: Ach Liebste, lass uns eilen, / Wir haben Zeit: / Es schadet das Verweilen / Uns beiderseit.
Unser guter Martin Opitz kriegt in dem Gedicht An eine Jungfrau gerade noch die Kurve, zieht sich wie Münchhausen an den eigenen Haaren aus dem Morast des ➱Petrarkimus:
Wie möcht' ich aber wol so falsch Erdachtes sagen,
Und groß' Auffschneyderey mit Langmut nur ertragen?
Ich glaube, welcher sich nimpt solcher Lügen an,
Er Feder und Pappier auch schamroth machen kan.
Und was dann mich belangt, bin ich gar nicht der Sinnen,
Daß ich also die Gunst verhoffe zu gewinnen,
So hat mein Hertze noch anjetzt ein solches Ziel,
Daß ich ihm ohne Kunst kan wehren, wann ich wil.
Ich sage freylich wol und weiß es war zu machen,
Daß ihr gar rein' und steiff bewahret eure Sachen,
Und daß auch sehr viel sindt voll Hoffart, Stoltz und Pracht
Die ihr gar weißlich doch nicht sonders habt in Acht.
Daß ich euch aber auch für göttlich solt' erkennen,
Man möcht' es, fürcht' ich nur, wol Träum' und Lügen nennen:
In eurem Leichnam ist zwar alle Zierligkeit,
Doch auch nicht wenig steht vom Himmel trefflich weit.
Klingt zwar mehr nach philosophischem Traktat als nach Dichtung, aber so sind die Zeiten. Wenn man so etwas wie metaphysical poetry schreibt, muss man geistvoll sein. Auch wenn man an den monarch of wit (wie man ➱John Donne nennt) nicht herankommt. Man kann dem ganzen Spiel mit dem Petrarkismus und der häufig verkrampften Gelehrsamkeit der metaphysical poetry natürlich auch entgehen, wie Robert Herrick das tut. Und deshalb hat sein Gedicht To the Virgins, to Make Much of Time kein aufgedrucktes Mindesthaltbarkeitsdatum. Ist auch nach beinahe vierhundert Jahren so frisch wie im Jahre 1648, als es in der Sammlung ➱Hesperides zum ersten Mal erschien:
Old Time is still a-flying;
And this same flower that smiles today
Tomorrow will be dying.
The glorious lamp of heaven, the sun,
The higher he's a-getting,
The sooner will his race be run,
And nearer he's to setting.
That age is best which is the first,
When youth and blood are warmer;
But being spent, the worse, and worst
Times still succeed the former.
Then be not coy, but use your time,
And while ye may, go marry;
For having lost but once your prime,
You may forever tarry.
You may forever tarry.
Herrick hatte viel Zeit, um die Veröffentlichung seiner Gedichte (die ihm seine Freunde finanzierten) vorzubereiten, denn im Jahr zuvor hatten die Cromwell Anhänger ihn aus dem Amt als Vikar von Dean Prior entfernt. Wenn Charles II an die Macht kommt, wird Herrick sein Amt zurückbekommen. Er wird noch lange leben, er wird beinahe doppelt so alt wie Martin Opitz werden. Er bleibt sein Leben lang Junggeselle. Wir wissen so gut wie nichts über sein Leben. Wir können aber ziemlich sicher sein, dass Dianeme, Electra, Julia, Perenna, Perilla und Silvia keine wirklichen Frauen sind, sie sind - wie bei den meisten seiner Dichterkollegen - Erfindungen eines Verbalerotikers. Die einzigen Jungfrauen, die Herrick interessieren, sind die, die in seinem Gedicht A Hymn to the Muses auftauchen:
O you the virgins nine!
That do our souls incline
To noble discipline!
Nod to this vow of mine.
Come, then, and now inspire
My viol and my lyre
With your eternal fire,
And make me one entire
Composer in your choir.
Then I'll your altars strew
With roses sweet and new;
And ever live a true
Acknowledger of you.
Das kitschige Bild da oben ist von Gustave Moreau, es zeigt Apoll und die neun Musen. Der Gott der Künste ist natürlich im Vordergrund, die Jungfrauen verschwinden im Hintergrund. Es ist immer das gleiche. Doch die Krone für das bescheuertste Apollo Gemälde gebührt nicht Moreau oder ➱de Chirico, sondern ganz zweifellos unserem guten ➱Georg Friedrich Kersting.
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