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Donnerstag, 3. September 2020

la first lady del jazz italiano


Vor dem Plattenladen stand ein hölzerner Tapeziertisch, der Besitzer des Ladens hatte einige Kartons voller Platten da draufgestellt. Sonderangebote, die meisten Platten sollten eine Mark kosten. Die Langspielplatte, die ich in der Hand hielt, kostete fünf Mark, sie hieß Sounds of Love. War von einer Sängerin namens Tiziana Ghiglioni. Den Namen hatte ich noch nie gehört, aber zwei Namen auf der Platte sagten mir etwas: Kenny Drew und Niels-Henning Ørsted Pedersen. Die hatte ich mal vor Jahren in Kopenhagen gehört. Ich nahm die Platte und ging in den Laden.

Der Händler sagte gerade zu einer jungen Frau, dass er die Platte, die sie kaufen wollte, auch noch als Japanpressung statt dieser billigen Pressung aus Spanien hätte. Sei etwas teurer, aber viel besser. Kommt aber drauf an, was für 'nen Plattenspieler Du hast, sagte er. Sie verzichtete auf die Japanpressung, ich weiß auch nicht, ob man das wirklich hört. Ich hatte damals einen alten Elac Plattenspieler, noch nicht dieses Luxusteil, das ich heute habe. Ich legte Sounds of Love auf den Ladentisch und bereitete mich darauf vor, auch geduzt zu werden. Aber das ließ der Händler dann doch. Die hab' ich seit einem Jahr liegen, sagte er, will niemand haben. Ist ihre zweite Platte, die erste Platte gab es wohl nur in Italien. Ist eine Spitzenbesetzung, ich glaube die Frau wird noch mal berühmt. 

Sie ist noch berühmt geworden, auf jeden Fall in Italien. So viele Jazzsängerinnen gab es da um 1980 ja nicht. Joachim-Ernst Berend zählte sie in seinem Jazzbuch mit ihren italienischen Kolleginnen Maria Pia De Vito und Francesca Simone zu den wichtigsten europäischen Jazzsängerinnen. Ghiglionis erste LP hieß Lonely Woman (1981), Sie könnten hier einmal in den Titel 'Round about Midnight hineinhören. Auf dem Cover der Platte steht unter ihrem Namen Jazz Singer, das musste man für das Publikum offenbar dazu schreiben. Auf dem Cover von Sounds of Love steht nur noch ganz groß ihr Name. Als die junge Sängerin hörte, wen der Produzent als Musiker für ihre zweite Platte für die Aufnahmen in Mailand verpflichtet hatte, hatte sie ziemliche Angst bekommen. Denn Kenny Drew, Niels-Henning Ørsted Pedersen und Barry Altschul waren weltbekannte Leute.

Das war eine neue Welt, in die sie da hineinsschwebte. Von nun an brauchte niemand mehr Jazz Singer als Erklärung unter ihen Namen zu schreiben. Arrigo Polillo, dessen Urteile in der Jazzszene etwas zählten, hatte Lonely Woman in den Himmel gehoben. Und da war sie nun. Für dieses Album hier mit dem schönen himmelblauen Cover (das vielleicht ihre beste CD ist) ist sie 1991 zu der Firma zurückgekehrt, die Sounds of Love produziert hatte, hier wird sie von Mal Waldron begleitet. Der hatte einst Billie Holiday am Klavier begleitet, und der Dichter Frank O'Hara hat ihn in sein Gedicht The Day Lady Died hineingeschrieben.

Die Platte Sounds of Love gefiel mir damals sehr, ich habe sie mir inzwischen als CD nachgekauft, die klingt aber nicht so gut wie die LP. Es fehlen die Kratzer, an die man sich in den Jahren gewöhnt hat. Ich begann, nach anderen Platten von der Italienerin Ausschau zu halten. Das war noch vor den Tagen des Internets, wo man mit einem Klick alles finden kann. Das waren noch die Zeiten, wo die Händler an schönen Sommertagen Kartons mit preisreduzierten Platten vor den Laden stellten. Diese schönen Zeiten gibt es nicht mehr, egal, ob man geduzt wurde oder nicht. Dieses unverlangte Du in Plattenläden hatte ja etwas mit einer musikalischen Sympathie zu tun, das war nicht so schlimm wie bei dem prolligen Horst Lichter.

Tiziana Ghiglioni Platten und LPs kann man heute immer noch finden. Vieles nicht, aber manches ist beinahe vollständig bei YouTube. Zum Beispiel die Lieder des Liedermachers Luigi Tenco, da hat YouTube eine ganze Seite für Tiziana Ghiglioni canta Luigi Tenco. Tiziana Ghiglioni ist schwer einzuordnen, sie war von Platte zu Platte anders. Sie wechselte nicht nur den Stil, sie wechselte auch die Label. War bei Splasc(h) unter Vertrag, wechselte dann zu Philology, und dann wieder zurück zu Splasc(h). Man muss dazu sagen, dass diese beiden italienischen Jazz Label erst seit den 1980er Jahren im Geschäft sind. Sie sind mit Tiziana Ghiglioni gewachsen und die Sängerin mit ihnen.

Sie war zum Jazz gekommen, nachdem sie ein Konzert mit Archie Shepp gehört hatte. Danach ging sie in den Workshop des Pianisten und Komponisten Giorgio Gaslini. Der behielt sie gleich für seine Big Band als Sängerin. Sie hat noch Gesangsstunden bei der Opernsängerin Gabriella Ravazzi genommen, die auch schon mit Gaslini zusammengearbeitet hatte, von da an war sie eine gesuchte Jazzsängerin, die irgendwann auch ihr eigenes Sextett hatte.

In diesem Blog ist Tiziana Ghiglioni schon einmal aufgetaucht, in dem Post Que reste-t-il de nos amours kann man ihre Version des Chansons von Charles Trenet hören. Unheimlich schnell in gutem Französisch gesungen, eine Minute schneller als die Version von Chrissie Hynde aus dem letzten Jahr. Der Titel findet sich auf der CD Spellbound, alle Aufnahmen von dem Album Spellbound, bei dem sie einen großen Teil der Songs selbst geschrieben hat, kann man sich hier bei YouTube anhören.

Cover und Liner Notes von Spellbound sind von York von Prittwitz, einem Mann, der sich große Verdienste dabei erworben hat, den italienischen Jazz nach Deutschland zu bringen. Tiziana Ghiglioni hat viel bewirkt in der italienischen Jazzszene. Sie hätte bei Songs wie Embraceable You und all dem, das das Great American Songbook hergibt, stehen bleiben können, aber sie wollte immer wieder etwas Neues machen. Deshalb war das Konzert von Archie Shepp, der damals für Avantgarde und Free Jazz stand, für sie so entscheidend gewesen. Der Herausgeber der Zeitschrift Musica Jazz Pino Candini hat sie die First Lady des italienischen Jazz genannt, das hat sie unbedingt verdient.


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