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Mittwoch, 13. Juli 2016

Theodor Fontane: Biographien


Das Buch kannte ich noch nicht: Fontane, Berlin und das 19. Jahrhundert von Herbert Roch. Ich las die ersten Seiten, es gefiel mir. Ich zahlte bei Herrn ➱Eschenburg zwei Euro fünfzig, ging nach Hause und las weiter. Es liest sich gut. Das Buch wird in Charlotte Jolles' Theodor Fontane zweimal erwähnt, allerdings sagt sie sonst nichts dazu. Charlotte Jolles, die Günter Grass in ➱Ein weites Feld als die Miss Marple der Fontane Forschung erwähnt, hat einen Wikipedia Artikel, Herbert Roch nicht. Er gehört zu den vielen zu Unrecht vergessenen deutschen Autoren, man kann aber ➱hier etwas über ihn lesen. Der Spiegel hat das Buch von Roch bei seinem Erscheinen verrissen, aber das ist der übliche ➱Spiegel Schmäh, das sollte einen nicht vom Lesen abhalten.

Bei der Lektüre von Herbert Rochs Fontane Buch kam mir die Idee, dass ich einmal die neueren Fontane Biographien vorstellen könnte. Natürlich kann und will ich nicht mit Charlotte Jolles' riesigem Forschungsbericht konkurrieren, der in der Sammlung Metzler erschienen ist. In deren Reihe Realien zur Literatur ja hervorragende Bücher erschienen sind. Also zum Beispiel ➱Liliane Weissbergs Edgar Allan Poe (es gibt nichts Besseres) oder der ➱Ludwig Wittgenstein Band von Kai Buchheister und Daniel Steuer. Wenn man versuchen will, Wittgenstein zu verstehen, dann sollte man dieses Buch lesen.

Nun könnte man sagen, dass man überhaupt keine Fontane Biographie braucht, man könnte ja auf autobiographische Schriften wie Meine Kinderjahre: Autobiographischer Roman (Volltext) und Von Zwanzig bis Dreißig: Autobiographisches (Volltext) zurückgreifen. Das ist eine schöne Lektüre: Als mir es feststand, mein Leben zu beschreiben, stand es mir auch fest, daß ich bei meiner Vorliebe für Anekdotisches und mehr noch für eine viel Raum in Anspruch nehmende Kleinmalerei mich für einen bestimmten Abschnitt meines Lebens zu beschränken haben würde. Denn mit mehr als einem Bande herauszutreten, wollte mir nicht rätlich erscheinen. Und so blieb denn nur noch die Frage, welchen Abschnitt ich zu bevorzugen hätte. Nach kurzem Schwanken entschied ich mich, meine Kinderjahre zu beschreiben, also »to begin with the beginning«. Ein verstorbener Freund von mir (noch dazu Schulrat) pflegte jungverheirateten Damen seiner Bekanntschaft den Rat zu geben, Aufzeichnungen über das erste Lebensjahr ihrer Kinder zu machen; in diesem ersten Lebensjahre »stecke der ganze Mensch«. Ich habe diesen Satz bestätigt gefunden, und wenn er mehr oder weniger auf Allgemeingültigkeit Anspruch hat, so darf vielleicht auch diese meine Kindheitsgeschichte als eine Lebensgeschichte gelten...

Was der Autor uns hier nicht sagt, ist, dass sein Arzt Dr Delhaes ihm geraten hatte, die Autobiographie zu schreiben: Fangen Sie gleich morgen mit der Kinderzeit an! Hat Fontanes Sohn gesagt, man weiß nicht, ob es wahr ist. Das ist leider das Problem bei allem Autobiographischen, Schriftsteller haben diese poetic licence, die Realität ein wenig zu verändern. Was aber wahr ist: Fontane war in einer schweren seelischen Krise, etwas anderes als einen Roman zu schreiben, war ein guter Rat des Doktors. Was Fontane später zugab: Ich wählte ›meine Kinderjahre‹ (bis 1832) und darf sagen, mich an diesem Buch wieder gesund geschrieben zu haben. Ob es den Leuten gefallen wird, muß ich abwarten, mir selbst habe ich damit einen großen Dienst getan.

Man kann sich dem Leben eines Autors auch über seine Briefe (so sie erhalten sind) nähern. Der Hanser Verlag bot da zum hundertsten Todestag mit Theodor Fontane: Aus meinem bunten Leben ein biographisches Lesebuch, aus Briefen zusammengestellt von Gabriele Radecke und Walter Hettche an. Die 328 Seiten geben nur einen kleinen Eindruck von dem manischen Briefeschreiber Fontane wieder, dessen ➱Ehebriefe in der dreibändigen Ausgabe des Aufbau Verlages (Große Brandenburger Ausgabe) über zweitausend Seiten ausmachen.

Als mir die Baronin ➱Gisela von Stoltzenberg vor Jahrzehnten erzählte, dass ihr jüngerer Bruder Fontane Briefe sammele, hatte ich keine Ahnung davon, ein welch weites Feld die Sammlung und Edition der ➱Briefe Fontanes bedeutete. Sie sind, wie Professor Helmuth Nürnberger gesagt hat, die zweite Säule von Fontanes schriftstellerischer Arbeit.  Er sagte auch noch: Neben den Romancier tritt, gleichrangig, der Epistolograph. Zuweilen scheint die Grenze zwischen beiden zu verschwinden, deshalb fällt auch dem geübten Leser die Unterscheidung schwer. Es sind über vierzig Fontane Briefausgaben erschienen, etwa 5.000 Briefe sind publiziert, die Hälfte davon in der bei Hanser erschienen Sammlung. Der Sammler Max-Ulrich Freiherr von Stoltzenberg wurde von der Fontane Gesellschaft mit der Ehrenmitgliedschaft ausgezeichnet.

Einen anderen Sammler aus Schleswig-Holstein sollte ich auch noch nennen, und das ist Christian Andree. Da das von ihm herausgegebene Buch Mein skandinavisches Buch: Reisen durch Dänemark, Jütland und Schleswig schon in den Posts ➱Schleppegrell und ➱Michael Ancher vorkommen, kann ich mich hier kurz fassen. Nicht ohne zu erwähnen, dass er 1997 seine private Sammlung von über sechstausend Originalhandschriften Fontanes an das Land Brandenburg für beinahe zweieinhalb Millionen Deutsche Mark verkaufte. Das Theodor Fontane Archiv brachte 1998 ein 83-seitiges Büchlein über die Die Fontane Sammlung Christian Andree heraus. Das Photo zeigt Professor Andree neben seiner zweiten Leidenschaft: Rudolf Virchow.

Die Fontane Gesellschaft und das Fontane Archiv sind in Potsdam beheimatet, aber Bedeutendes in der Fontane Forschung kommt, wir wir sehen, auch aus Schleswig-Holstein. Nicht nur Max-Ulrich von Stoltzenberg und Christian Andree. Vor Jahren schrieb mir Eda Sagarra (Bild), dass sie wieder einmal nach Deutschland käme, aber diesmal nicht nach Kiel, sondern nach Flensburg. Was zieht eine weltberühmte irische Germanistin nach Flensburg? Die Antwort ist Helmuth Nürnberger. Nürnberger ist Ehrenpräsident der Fontane Gesellschaft, Eda Sagarra Ehrenmitglied. Helmuth Nürnberger hat, ebenso wie Eda Sagarra, keinen Wikipedia Artikel, aber in der Fontane Forschung geht nichts ohne ihn. Er wird natürlich in diesem Blog schon erwähnt, klicken Sie doch einmal den Post ➱Eugène de Beauharnais an. Und Eda Sagarra ist hier auch schon mehrfach erwähnt worden, zum Beispiel in dem Post ➱Wilhelm Raabe.

Das bekannteste Buch von Helmuth Nürnberger ist dieser grüne Band, der 1968 in der berühmten ➱rororo monographien Reihe als Theodor Fontane in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten erschienen war. Er ist seitdem häufig nachgedruckt worden, und wenn Sie eine preisgünstige kurze Biographie suchen, dann sollte dies die erste Wahl sein. Im selben Jahr erschien in der DDR bei Reclam in Leipzig auch eine kleine, reich bebilderte, Biographie. Sie war von Hans-Heinrich Reuter und hatte den etwas abschreckenden Untertitel Grundzüge und Materialien einer historischen Biographie. So etwas musste in der DDR wohl damals sein, ansonsten ist die Biographie verglichen mit anderen DDR Publikationen erstaunlich ideologiefrei. Vielleicht sollte der Reclam Verlag einmal darüber nachdenken, dieses hervorragende Buch neu aufzulegen.

Für die Autoren Helmuth Nürnberger und Hans-Heinrich Reuter waren die kleinen Biographien nur eine Fingerübung gewesen. 1968 erschien Reuters zweibändige Fontane Biographie in Berlin und München, 1.000 Seiten, und 1917 folgte Helmuth Nürnberger mit Der frühe Fontane: Politik, Poesie, Geschichte 1840-1860, 448 Seiten stark bei Hanser. Der Münchener Hanser Verlag war neben der Nymphenburger Verlagsanstalt (1959-1975) der einzige westdeutsche Verlag, der den ganzen Fontane präsentieren konnte (1962-1997). Kostete im Fontane Jahr 1998 stolze 2.304 Mark. Die acht Bände des erzählerischen Werks vom Aufbau Verlag haben mich bei Eschenburg 32 Euro gekostet. Parallel zu Nürnbergers Buch gab Helmut Richter beim Aufbau Verlag eine Textsammlung Der junge Fontane mit einem 50-seitigen Nachwort heraus.

Seit 1994 erscheint in Zusammenarbeit mit dem Fontane Archiv Potsdam im Aufbau Verlag die von Gotthard Erler angeregte und herausgegebene ➱Große Brandenburger Ausgabe (GBA) der Werke Fontanes, die auf etwa 75 Bände veranschlagt ist. Ich habe neben Einzel- und Erstausgaben ja diese schöne ältere Ausgabe des Aufbau Verlags, in der der Name ➱Gotthard Erler (der auch zusammen mit Edda Ziegler das schöne Buch Theodor Fontane: Lebensraum und Phantasiewelt geschrieben hat) immer wieder auftaucht, da brauche ich die GBA nicht.

Hundert Jahre nach Fontanes Tod erschien eine Vielzahl von Publikationen, manche (wie die von Helga Bemmann) konnten sich am Markt nicht durchsetzen, Helmuth Nürnbergers Fontanes Welt wurde schnell zum Standardwerk. 848 Seiten dick, reich illustriert, die bald folgende Paperback Ausgabe hatte einen etwas reduzierten Bildteil (allerdings wurden die Bildlegenden in den Text dieser Ausgabe integriert). In Fontanes Welt hat der Autor alles hineingeschrieben, was die Forschung über Fontane weiß. Er wollte keine "wissenschaftliche" Biographie schreiben, wollte aber durchaus eine wissenschaftlich verantwortete Darstellung anstreben. Wenn man die Unikarriere hinter sich hat, dann kann man das einzwängende Korsett der Wissenschaftlichkeit ablegen. Und so erkennt Nürnberger: ganz ohne nachschaffende narrative Phantasie geht es in einer Lebenserzählung ohnehin nicht ab. Die Leser sind Nürnberger dankbar für diese Quadratur des Kreises - gleichzeitig den wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden und eine wunderbar lesbare Erzählung des Lebens von Theodor Fontane zu schreiben.

Und dann habe ich zum Schluss noch einen kleinen Kuddelmuddel von Titeln. Ich sollte unbedingt Wolfgang Hädeckes Theodor Fontane erwähnen. Hädecke ist Schriftsteller, kein Literaturwissenschaftler, er hat eine viel beachtete ➱Kleist Biographie geschrieben. Seine Fontane Biographie ist nicht schlecht, kürzer als die von Nürnberger. Und ohne Bilder. Wenn man Fontane ohne nachschaffende narrative Phantasie haben will, dann kann ich Christian Grawes Fontane-Chronik empfehlen. Der Autor, der auch mit Helmuth Nürnberger beim Kröner Verlag ein Fontane-Handbuch vorgelegt hat (und Jane Austen ins Deutsche übersetzt hat), gibt Fontanes Leben Tag für Tag wieder. Ist irgendwie auch faszinierend.

Ich könnte jetzt noch Hans Blumenbergs 'Gerade noch Klassiker': Glossen zu Fontane, Gordon A. Craigs Über Fontane und Heinz Ohffs Theodor Fontane: Leben und Werk besprechen, aber das kann ich auch ein anderes Mal tun. Ich lasse lieber einmal Theodor Fontane zu Wort kommen: Es gibt nichts Auswendiggelerntes, nichts Schablonenhaftes in mir, ich bin ganz selbständig in Leben, Anschauungsart und halte mich deshalb für interessant und apart... Es geht mir mit meinem Wesen, Charakter und gesellschaftlichem Auftreten wie mit meinen Büchern; einige sind sehr davon eingenommen; aber die große, große Mehrheit läßt mich im Stich. Vielleicht damals, heute wird er immer noch gelesen.

Auch wenn es ein wenig desillusionierend ist, die Kommentare von Schülern zu Effi Briest bei Amazon zu lesen: Schade dass mann im Zuge des Abiturs gezwungen wird soetwas zu kaufen und zu lesen. Gibt es doch so viel bessere Romane von Fontane. Oder: Doch dieses Buch mit mehr als 300 Seiten ist einfach nicht lesbar. Der Stoff zieht sich ziemlich lang hin und dafür, dass nur ganz selten etwas für die Geschichte wichtiges passiert ist er wirklich nicht interessant genug. Ansonsten wird in jedem Detail alles beschrieben, was beschrieben werden könnte. Man hat das Gefühl man wäre selbst in Effis langweiligem Leben gefangen, was jedoch in diesem Fall nicht positiv ist. Wer will sich schließlich bei einem Buch langweilen nur weil die Protagonistin sich auch langweilt? Das Buch ist nicht empfehlenswert.

Mit Zeichensetzung und Orthographie haben es die jungen Rezensenten bei Amazon nicht so: Mit diesem Buch sin schon unzählige Schülergenerationen gequält worden (das Wort ist bewußt gewählt), Und ich empfehle NICHT, dieses Buch zu lesen. Auch nicht, um den Vergleich meiner "werten" Vorschreiberin zu vertsehen. Na ja, wer's mag...ich mags nicht. Am besten gefiel mir dies: Die Story selbst rührte mich sehr an. Effi steckt voller Phantasien, geht aber reichlich naiv mit ihrem Leben um. In der Zeit, in der sie lebte, duellierten sich die Herren der Schöpfung noch. Ich habe den Roman am Pool in Spanien gelesen, man sollte sich damit Zeit nehmen und ihn möglichst nicht wochenlang weglegen.

Und dafür der ganze wissenschaftliche Aufwand mit kritischen Ausgaben und minutiös recherchierten Biographien? Die Menschen werden gewandter, redefertiger, aber immer dümmer; das eigene Denken hört ganz auf. Wahrscheinlich wären viele Schüler mit einer graphic novel besser bedient (für ➱Proust gibt es ja schon so etwas). Oder mit einer ➱Verfilmung, es gibt ja genug davon, es braucht nicht ➱Ruth Leuwerik zu sein. Die Lithographie oben ist von Max Liebermann, den Chinesen des Alptraums erkennen wir sofort. Auch wenn wir am Pool in Spanien liegen. Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf.


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