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Sonntag, 28. Mai 2023

Pfingsten


Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen;
es grünten und blühten Feld und Wald;
auf Hügeln und Höhn, in Büschen und Hecken
übten ein fröhliches Lied die neu ermunterten Vögel;
jede Wiese sprosste von Blumen in duftenden Gründen,
festlich heiter glänzte der Himmel und farbig die Erde.

*****

The world is charged with the grandeur of God.
It will flame out, like shining from shook foil;
It gathers to a greatness, like the ooze of oil
Crushed. Why do men then now not reck his rod?

Generations have trod, have trod, have trod;
And all is seared with trade; bleared, smeared with toil;
And wears man’s smudge and shares man’s smell: the soil
Is bare now, nor can foot feel, being shod.

And for all this, nature is never spent;
There lives the dearest freshness deep down things;
And though the last lights off the black West went

Oh, morning, at the brown brink eastward, springs—
Because the Holy Ghost over the bent
World broods with warm breast and with ah! bright wings.



Die Welt ist erfüllt von Gottes Größe.
Ihr Feuer bricht auf wie aus Spiegelscherben.
Sie strömt ins Große wie gepreßtes Öl aus den Kerben.
Warum kniet vor ihr nicht des Menschen Blöße?

Menschenalter immerfort in neuen Gleisen reisen und kreisen.
Und alles verdorrt vom Getriebe, verrucht, verflucht von Qualen.
Alles starrt von Menschenschmutz, riecht nach Menschenschweiß: ohne Schalen
liegt die Erde nackt, kein Fuß kann fühlen mit Sohlen aus Eisen.

Und doch ist von alldem Natur nicht ganz zuschanden.
Es ist noch aus Lebenstiefen köstlichste Frische zu trinken.
Auch wenn die letzten Schimmer im schwarzen Westen verschwanden,

o Morgen, über dem braunen Saum gen Osten, dein Winken –
denn der Heilige Geist brütet über den Banden
der Welt mit warmem Flaum und ah! seine Flügel blinken.

Der erste Text ist von Goethe, es sind die ersten Zeilen von Reineke Fuchs. Das zweite Gedicht heißt God's Grandeur, es ist von Gerard Manley Hopkins, der in Deutschland nicht so bekannt geworden ist. In diesem Blog war er schon 2010 in dem Post May 11. Und 2017 gab es hier in dem Post Vogelflug sein schönstes Gedicht zu lesen. Ich habe im Internet eine deutsche Übersetzung von God's Grandeur gefunden, aber der Name des Übersetzers stand leider nicht dabei. Wenn Sie noch mehr Pfingstgedichte und Mai-Gedichte suchen, dann werden Sie in vier Folgen vom Goethezeitportal fündig.
 
Ich wünsche all meinen Lesern ein frohes Fest.


Samstag, 27. Mai 2023

Richard von Schaukal


Man nennt mich einen Dandy. Die Bezeichnung will ich gelten lassen. Aber die Meinung ist falsch. Ich bin ein Dandy. (Freilich noch einiges mehr; aber das Äußerlichste an mir, die für die Menschen sichtbare ‚Zwiebelschale‘ meiner Persönlichkeit ist das Dandytum.) Die Leute fassen jedoch den Begriff ganz oberflächlich auf; dies ist wörtlich zu nehmen: sie begreifen nur seine Oberfläche. Man verwechselt den Dandy mit dem Gecken, dem fat. Wenn Kurzsichtige in mir einen Gecken zu erblicken meinen und ihre primitive Erfahrung in dem Begriffe Dandy endgültig festzulegen, also zu begraben unternehmen, — denn Begriffe begraben das Leben der Erscheinung, während sie anderseits den Gedanken gleichsam erstarren machen, und man braucht solche Krystalle zu Zwecken des vereinfachten Verkehrs — dann sehen die Menschen an mir nichts als etwa den tadellos geschnittenen Rock, den niemals gesprungenen Lack meiner Schuhe, den täglich frisch gebügelten Zylinder und der gleichen Zeichen, die ihren vom empörten Gefühl des Unvermögens getrübten Augen als die Merkmale eines Gecken gelten müssen, weil sie selbst nicht imstande sind, sich auch nur menschlich zu kleiden, geschweige denn die Nüancen der guten Toilette zu begreifen. Daß sorgfältige Kleidung ihren Träger keineswegs zum Gecken stempelt, wird man Menschen von so dürftiger Anschauung niemals klar zu machen vermögend sein. 

Der Mann, der etwas auf sich hält, im Geistigen wie im Physischen, wird ebenso seinen Intellekt wie seine Nägel pflegen, seine Wäsche ebensowenig wie seine Gedanken vernachlässigen, aber bei all seiner Korrektheit — denn dies ist das gültige Wort — niemals das Impromptu mißachten. Es ließe sich natürlich, pathetisch ausgedrückt, ein Eid darauf schwören, daß die Leute, die den Korrekten mit dem Elegant zu verwechseln blöde genug sind, keine Ahnung davon haben, was es heißt, das Impromptu nicht außer acht zu lassen, und hierin gerade liegt das Wesen des Dandisme. In diesem Sinne sage ich, daß man, wenn man mich einen Dandy nennt, etwas Richtiges ausspreche und doch etwas Falsches darunter verstehe. Ich bin ein Dandy, nicht weil ich korrekt bin, sondern weil ich bei aller Korrektheit niemals das Impromptu außer acht lasse. Der Korrekte, der es außer acht läßt, ist der Gentleman.

Was Sie hier lesen, ist ein über hundert Jahre alter Text zum Thema des Dandyismus. Nicht irgendein Text, für manche ist es der Text überhaupt. Er stammt aus dem Buch Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser, eines Dandy und Dilettanten, wenn Sie den Buchtitel anklicken, sind Sie schon im Buch. Das stelle ich heute hier ein, weil Richard von Schaukal, der Autor des wunderbar exzentrischen Buches, heute Geburtstag hat. Der österreichische Dichter ist in diesem Blog schon einmal erwähnt worden. Sie könnten jetzt den Post Beau Brummell lesen, dann sind Sie im Thema. 

Als der Kaiser den Dr. jur. Richard Schaukal adelte, gab der seinen Beamtenberuf auf und widmete sich nur noch der Dichtkunst und der Übersetzung (zum Beispiel Mallarmé und Mérimée). Er hat auch aus dem Französischen einen Klassiker der Dandyliteratur übersetzt: J.-A. Barbey d’Aurevilly: Vom Dandytum und von G. Brummel. Ins Deutsche übertragen und eingeleitet von Richard Schaukal (1909). Vielleicht gab diese Übersetzung die Anregung, das Balthesser Buch zu schreiben (Sie können hier alles über die Entstehung lesen).

Zwei Jahre, bevor das Buch über den Dandy erscheint, schreibt Schaukal in sein Notizbuch: Abgeschlossen - Plan vor ein paar Tagen vage gefaßt - ein Buch aus der Arabeske Balthesser zu machen. Andreas von Balthesser, Das Buch vom Dandy; Vorbild: Hofmannsthal, viel eigenes dazu (in Ironie abtun, Eierschalen der Entwicklung) das ganze Buch stilistisch und auf eine dezente Note gestimmt. Gegengewicht gegen das senti­mental-inbrünstige Buch „Großmutter". Parallele Arbeit an beiden. Wollen sehen! Es wird sein erfolgreichstes Buch werden. Ich frage mich nur: weshalb trägt der Wiener Dandy zu seinem Frack eine schwarze Weste? Ist auf diesem Ausschnitt nicht zuu sehen. Aber sie ist da. Die weißen Handschuhe und der schwarze Zylinder sind auch da zu sehen. Die sind comme il faut. Aber die schwarze Weste? Ich weiß nicht. Vielleicht muss man da erst einmal sein Buch Vom Geschmack: Zeitgemäße Laienpredigten über das Thema Kultur lesen, um das zu verstehen.

Er sei ein Krummliniger, ein Vielseitiger hat er über sich gesagt. Und er ist wirklich schwer einzuordnen. Da gibt es Liebesgedichte en masse (klicken Sie doch einmal hier), aber es gibt auch Besinnliches und Patriotisches auf der Seite Die deutsche Gedichtebibliothek. Und dann sind da seine literaturwissenschaftlichen Arbeiten wie die kleine Wilhelm Busch Biographie. Oder der lange Adalbert Stifter Essay. Den fand ich sehr interessant, aber die Lektüre hat mich nicht dazu bewegt, endlich Stifters Nachsommer zuende zu lesen. Dass ich den Roman immer noch nicht ganz gelesen habe, steht schon in den Posts Adalbert Stifter und Mein Stifter. Die auch sehr lesenswert sind.

Mittwoch, 24. Mai 2023

Seewölfe


Das sieht man selten, dass Taucheruhren mit ein wenig Ironie beworben werden. Normalerweise sieht man die ja nicht in der Dusche, sondern tief unter Wasser. Mit Haifischen drumrum. Aber diese Zodiac Sea Wolf hier war wirklich eine Taucheruhr. World's finest Underwater Watch Guaranteed waterproof to a depth of 660 feet, stand 1960 in amerikanischen Anzeigen. Auf dem Stahlboden steht 20 ATM  Especially Water Tested. Das weiß ich, weil ich  nämlich diese Uhr mit diesem Edelstahlband besitze. Aber ich habe sie noch nie zum Duschen getragen. 

Als Ariste Calame 1882 seine Werkstatt für Spezialuhren gründete, da hatte er keine Idee davon, dass die Zodiac Sea Wolf das berühmteste Produkt des Hauses werden würde. Meine Sea Wolf ist vom  Ende der sechziger Jahre, das sagt die Modellnummer 702-916. Sie ist ungeheuer flach, halb so flach wie die Doxa 300 SUB (die hier schon einen Post hat). Die Uhr war nicht gerade billig, mein Uhrmacher, der mir sonst viele Uhren schenkte, wollte sechshundert Euro haben. Aber dafür kam sie mit dem Originalband, war generalüberholt und hatte eine neu verchromte Lünette. Und sie kam in dieser Box, für die heute Sammler schon viel Geld bezahlen.

Sie hat ein Automatikwerk, dessen Basis von der Firma Adolf Schild kam. Aber Zodiac und einige andere Firmen, die in der Communauté Horlogere de Precision (CHP) zusammengeschlossen waren (wie zum Beispiel Favre-Leuba, denen damals Jaeger-LeCoultre gehörte), haben da eine eigene Automatik Mechanik draufgebaut. Ohne Rückerzeiger, mit einer Feinregulierung, das Werk sollte etwas Besseres sein. Hier kann man die Feinregulierung sehen; mein Werk hat allerdings die noch luxuriösere Triovis Feinregulierung, die mein Uhrmacher immer verflucht hat. Die Firma Zodiac brachte ihre Sea Wolf in allen möglichen Varianten auf den Markt. Es gab welche mit einer babyblauen Lünette und mit einer Datumsanzeige (braucht man die unter Wasser?); irgendwann gab es eine Super Sea Wolf und eine Sea Dragon. Wenn Sie alles darüber wissen wollen, dann habe ich hier eine schöne Seite, wo ein Sammler beinahe alles zusammengetragen hat, was es über die Sea Wolf gibt.

Die Firma Zodiac gibt es nicht mehr, der Name ist vor zwanzig Jahren an die Firma Fossil verkauft worden, die ja nicht unbedingt als Uhrenhersteller berühmt sind. Die bringen jetzt die alten Modelle neu heraus, aber das ist nichts für Sammler. Meine Zodiac ist ziemlich einzigartig, weil sie einen roten Minutenzeiger hat. Den gibt es bei der Super Sea Wolf, aber an einer Sea Wolf habe ich den noch nie gesehen. Als ich noch an der Uni war, habe ich die Sea Wolf immer getragen, wenn ich Prüfungen hatte. Man brauchte nicht wirklich auf die Uhr zu gucken, um zu wissen, wann die Prüfung vorbei war. Der rote Zeiger, der halb so groß wie das Zifferblatt ist, war nie zu übersehen. Auch wenn man nicht hinguckte.

Die Sea Wolf war nicht nur die bekannteste Taucheruhr der sechziger Jahre, sie machte noch eine ganz andere Karriere. Und die heißt Vietnam. Die Uhr wurde zu der beliebtesten Armbanduhr der amerikanischen Soldaten, die nicht mit dem zufrieden waren, womit die Army sie ausstattete. 1970 wurde die Sea Wolf die offizielle Uhr der US Navy Seals. Die amerikanische Uhrenproduktion war in den sechziger Jahren zusammengebrochen. Die Firma Hamilton, die man zu Recht einmal als Patek Philippe von Amerika bezeichnete, war ein Schattten ihrer selbst. Wurde nur noch einmal durch die Elvis Uhr berühmt. Die Ausschreibung für die Militäruhren für den Vietnamkrieg (MIL-W-3818B) gewannen eine Schweizer Firma namens Benrus und die japanische Seiko mit ihrem Modell 6105-8000/8009. Eine Sea Wolf kostete in Amerika damals einhundert Dollar (was in den sechziger Jahren viel Geld war, eine Eterna KonTiki kostete damals 130 Dollar), in den PX Läden bekamen die Soldaten die unverwüstliche und zuverlässige Uhr für beinahe die Hälfte. Bei ebay schreiben die Händler heute bei den Sea Wolf Uhren ganz häufig Vietnam dazu, das treibt die Preise hoch.

Heute scheint es nur noch riesengroße Taucheruhren zu geben, die alle wie eine geklonte Rolex aussehen. Bei ebay liegen mehr als 12.000 Stück herum. Als die Sea Wolf 1955 Jahren auf den Markt kam, gab es auf dem Markt nur zwei Taucheruhren mit beweglicher Lünette. Das waren die Blancpain Fifty Fathoms (1953) und die Rolex Submariner (1954). Für eine alte Blancpain zahlen Sammler heute fünfstellige Summen. Hoffentlich schraubt niemand von denen den Boden auf. Weil man dann sieht, dass da ein ganz billiges AS Werk drin ist, das man zur gleichen Zeit auch in einer Dugena finden kann. Über die Firma Rolex sage ich nichts, lesen Sie doch einfach den Post Rolex

Unter dem Strich war die Zodiac Sea Wolf die beste Uhr von den drei Uhren. Sie war preiswerter, kleiner (35 Millimeter) und flacher als die Konkurrenten und sie hatte ein besseres Uhrwerk, das sogar einen Sekundenstopp hatte. Auf dem Werk steht unadjusted, das bedeutet, dass die Uhr für den Export vorgesehen war. Eigentlich würde hier five adjustments stehen, es war ein Chronometerwerk. Aber würde man zugeben, dass die Uhr feinreguliert war, müsste man höhere Zollgebüren bezahlen. Und dann war the world's finest underwater watch auch noch bis zu 200 Metern wasserdicht. Blancpain und Rolex brachten es nur auf hundert Meter. Aber die haben die besseren Werbeabteilungen, deshalb hält man ihre Uhren für besser.

Sonntag, 21. Mai 2023

Abmahnung

Ich erhalte ständig Post von Googles Tochterfirma Blogger (= blogspot.com). Letztens hat man mir mitgeteilt, dass das Layout meines Blogs nicht auf das Handy eines japanischen Lesers passe, der habe sich darüber beschwert. Da kann ich nun rwirklich nichts machen, vielleicht sollte sich der Mann ein größeres Handy kaufen. Aber letzte Woche kam etwas ganz anderes vom immer anonym bleibenden Blogger Team. Die duzen mich, können aber in ihrem Brief das Du nicht groß schreiben. Ich habe eine Abmahnung erhalten, weil ich gegen die Blogger Richtlinien verstoßen haben soll. Deshalb hat man zwei Posts zur Schlacht von Gettysburg aus dem Netz genommen. Die angeblich gegen  die Richtlinien zu Malware und Viren verstoßen haben. Ich hatte schon einmal eine Abmahnung; vor elf Jahren hatte Blogger meinen Post Leuchttürme aus dem Netz genommen, weil ich gegen irgendetwas verstoßen haben sollte. Angeblich. Ich schrieb an Blogger im Silicon Valley eine englischsprachige Gegendarstellung, eine Woche später war der Post wieder im Netz. Es gab keine Begründung, keine Entschuldigung, nix. Diesmal sah die Abmahnung so aus:

Hallo,
wie du vielleicht weißt, wird in unseren Community-Richtlinien (https://blogger.com/go/contentpolicy) beschrieben, was auf Blogger erlaubt ist und was nicht. Dein Post "Gettysburg, Pennsylvania" wurde uns zur Überprüfung gemeldet. Wir haben festgestellt, dass er gegen unsere Richtlinien verstößt. Die URL http://armavirumquecanojay.blogspot.com/2014/07/gettysburg-pennsylvania.html wurde auf "Unveröffentlicht" gesetzt und ist für Blogleser nicht zugänglich.

       Warum wurde dein Blogpost auf "Unveröffentlicht" gesetzt?
Dein Inhalt verstößt gegen unsere Richtlinien zu Malware und Viren. Weitere Informationen findest du in unseren Community-Richtlinien, die in dieser E-Mail verlinkt sind.
       Wenn du den Post neu veröffentlichen möchtest, ändere bitte den Inhalt so, dass er den Community-Richtlinien von Blogger entspricht. Anschließend kannst du den Post unter https://www.blogger.com/go/appeal-post?blogId=7519860291202583692&postId=857445639927482729 neu veröffentlichen. Dadurch wird eine Überprüfung des Posts ausgelöst.
       Weitere Informationen erhältst du auf folgenden Seiten:
Nutzungsbedingungen: https://www.blogger.com/go/terms
Community-Richtlinien von Blogger: https://blogger.com/go/contentpolicy
Viele Grüße
Das Blogger-Team

Ich las mir die Richtlinien durch und stieß auf seltsame Dinge. Man kann bei Blogger offenbar Porno Blogs betreiben: Nicht jugendfreie Inhalte: Wir gestatten die Veröffentlichung von nicht jugendfreien Inhalten auf Blogger, darunter auch von Bildern und Videos, die Nacktheit und sexuelle Handlungen zeigen. Wenn dein Blog nicht jugendfreie Inhalte enthält, markiere ihn in deinen Blogger-Einstellungen als nicht jugendfrei. Nehmen Blog-Inhaber diese Einstellung nicht vor, markieren wir die betreffenden Blogs eventuell selbst als nicht jugendfrei. Allen Blogs, die als nicht jugendfrei markiert sind, wird eine Warnseite für nicht jugendfreie Inhalte vorgeschaltet. Wenn deinem Blog eine solche Warnseite vorgeschaltet ist, versuche nicht, sie zu umgehen oder zu deaktivieren. Sie dient zum Schutze aller. Die Firma, die sich sonst als Sittenwächter des Internets aufspielt, vertreibt also Pornographie. Und ist nebenbei der größte Verbreiter von Malware weltweit. Sehr seltsam. Google klagt übrigens auch gegen das deutsche Gesetz gegen Hassbotschaften, weil die Firma in dem Gesetz einen Verstoß gegen die Privatsphäre der Nutzer sieht. Das ist auch sehr seltsam. Ich habe gegen die Doppelmoral des Steuerflüchtlings Google schon vor Jahren in dem Post Hinterhältiges Pack einige böse Dinge gesagt.

Aber das Thema Pornographie brachte mich auf eine Idee, wie diese angebliche Malware und Viren in den Post gekommen sein können. Als ich letztens über Armbanduhren schrieb, hatte ich mir die Seite Precision Classs noch einmal angeschaut. Und klickte den Link zu dem Uhrwerk Peseux 260 an, einem der schönsten Chronometerwerke. Zu meiner großen Überraschung war da, wo einmal eine Seite mit diesem Uhrwerk gewesen war, nicht dieses Chronometerwerk mit Breguetspirale. Da waren nackte Frauen in anzüglichen Posen, die Seite hieß plötzlich stripchat.com. Ich löschte den Link. Später fiel mir ein, dass ich den in meinem Themenblog Tickendes Teufelsherz auch noch löschen musste. Was wieder Arbeit bedeutete, weil ich da nur mit Googles Chrome hineinkomme, und das hasse ich.

Ich liebe ja diese Links (die eigentlich Hyperlinks heißen), ich benutze sie, so wie ich früher als Wissenschaftler Fußnoten gemacht habe. Und so waren sie bei der Einführung des Internets von Tim Berners-Lee ja auch gedacht. In diesen Links steht ja häufig noch so viel mehr zu dem Thema als in dem Post gesagt wird. In dem Post Finckenstein zum Beispiel gibt es einen Link zu der Seite von Christa Mühleisen, und da erfährt man wirklich alles über das Schloss Finckenstein, Napoleon und die polnische Gräfin Maria Walewska (Bild). Mehr geht nicht, ich liebe solche Seiten. Viele Links sind leider nicht so stabil, wie sie sein sollten, sie sind nach kurzer Zeit weg. Man kennt das von Wikipedia Artikeln. Man findet einen interessanten Link, klickt ihn an, und es passiert nix. Oder man bekommt die Zahl 404, und damit ist kein Peugeot Modell gemeint. Oder die ursprüngliche Seite ist verfallen und neu vergeben worden. Oder gekapert worden. Und dann ist da statt eines Uhrwerks plötzlich eine Pornoseite.

Das hatte mich gewarnt. Ich guckte mir in den beiden Gettysburg Posts alle Links genau an. Drei waren inzwischen tote Links, ich entfernte sie und reichte die beiden Posts zur Überprüfung bei dem Blogger Team ein. Nach einer Viertelstunde waren die Posts wieder im Netz: Hallo, wir haben den Post "Gettysburg, Pennsylvania" noch einmal anhand unserer Community-Richtlinien unter https://blogger.com/go/contentpolicy geprüft und wieder freigegeben. Du kannst ihn unter http://loomings-jay.blogspot.com/2013/07/gettysburg-pennsylvania.html aufrufen. Viele Grüße Das Blogger-Team.                              

Es hätte schlimmer kommen können. 2016 hat Blogger die Blogs des amerikanischen Schriftstellers Dennis Cooper wegen angeblicher Verletzung der Nutzungsbedingungen und ohne Angabe weiterer Gründe gelöscht. Dennis Cooper ist jetzt bei Wordpress. Hoffentlich kriegt er dort nicht die schlimme Wordpress Krankheit, den White Screen of Death.


Mittwoch, 17. Mai 2023

Après moi le déluge


Am frühen Abend, wir waren gerade auf dem Hof der Kasseler Jugendherberge beim Kicken, kam ein Bus mit blonden Schwedinnen an. Denen wir natürlich mit unseren Fußballkünsten imponieren wollten. Was mir durch einen missglückten Fallrückzieher von Klaus Lindner, für den er von jedem Schiedsrichter die rote Karte bekommen hätte, einen Nasenbeinbruch eintrug. Und meine Chancen sehr minimierte, bei den blonden Schwedinnen in der Nacht noch anzukommen. Im Rot Kreuz Krankenhaus hatte ein Jungarzt Nachtdienst, der keine Lust hatte, meinen Nasenbeinbruch zu behandeln. Hat meinen Kopf einmal links und einmal rechts gedreht und gesagt: Schädelbasisbruch haben Sie keinen. Nach einer durchwachten Nacht habe ich am nächsten Morgen mit meinem Freund Wuddel einen Arzt in der unbekannten Stadt gesucht. Wir nahmen nach einigen Kilometern Wanderung den ersten, auf dessen Schild HNO stand. Der hat den Nasenbeinbruch fachmännisch gerichtet, ein Pflaster drüber, fertig. Ich hatte keinen Krankenschein, war in keiner Kasse, ich habe meine Adresse hinterlassen, er hat meinem Vater nie eine Rechnung geschickt. Ärzte behandelten sich untereinander damals noch ohne Honorare. Das ist heute nicht mehr so. Eigentlich wollte ich sofort wieder zurück ins Bett, aber der sadistische Herbergsvater (der mir in der Nacht immerhin eine emaillierte Schale ans Bett gebracht hat, damit ich das Blut da reinspucken konnte) holt mich da wieder raus, Wuddel und ich müssen zwei Stunden lang im Hof Kartoffeln schälen. Dafür packt er uns dann zur Belohnung zu einer ganz fremden Jugendgruppe in den Bus, die einen Nachmittagsausflug macht.

Irgendwann gibt es einen Halt an einer Talsperre oder einem großen See. Ich weiß nicht, wo wir sind. Ich liege neben Wuddel unter einem schattenspendenden Baum im Gras, oben auf einem Hügel. Noch weiter oben steht der Bus an der Straße. Tief unter uns ist das Wasser. Über uns ein wunderbarer Sommerhimmel mit weißen Wattewölckchen, die Zeit steht still. Gut, ich habe eine kleine Gehirnerschütterung und habe die ganzen Schmerzmittel geschluckt, die mir der Doc gegeben hat. Ich bin high, und ich erlebe das alles ein wenig in slow motion. Das ist mir schon klar. Man hat immer wieder diese Augenblicke, in denen man alles registriert. In denen einem ist, als ob man träumt. And I asked myself about the present: how wide it was, how deep it was, how much was mine to keep. Eine blonde Schwedin an meiner Seite wäre jetzt auch schön gewesen, aber ich bin froh, dass Wuddel bei mir ist. Ich muss nachher, tüddelig wie ich bin, noch den Hügel hoch. Was für mich ein kurzer Augenblick eines besoffenen Glücks war, war für die Menschen hier achtzehn Jahre zuvor eine Tragödie.

Heute vor achtzig Jahren haben die Engländer im Rahmen der Operation Chastise (chastise heißt Züchtigung) Angriffe mit neuartigen Rollbomben gegen die Edertalsperre, die Möhnetalsperre und die Sorpetalsperre geflogen. Das ist für die Engländer ein gefeierter Sieg gewesen. Der englische König wird die Piloten einen Monat später im Buckingham Palace auszeichnen. Wing Commander Guy Penrose Gibson erhält das Victoria Cross

Der Film The Dam Buster kam 1955 in die Kinos und hatte großen Erfolg in England: On paper 'The Dam Busters' is exciting but the film works brilliantly in allowing the suspense to slowly build as the viewer invests their hopes and fears into this remarkable story. The reward is a slick conclusion that rattles along at a pace that would put many Hollywood blockbusters to shame, sagte die BBC. Das Drehbuch zu dem Film hatte (nach Paul Brickhills Roman The Dam Busters) kein Geringerer als R.C. Sheriff geschrieben, der für Goodbye, Mr. Chips eine Oscar Nominierung erhalten hatte. Vor zehn Jahren hat man mit alten Lancaster Bombern den Angriff in England über dem Derwent Reservoir in Derbyshire noch einmal simuliert, so etwas lieben die Engländer ja. Vor allem, weil die Lancaster Piloten genau an dieser Stelle den Angriff auf die deutschen Talsperren eingeübt haben. Zu der ganzen Operation Chastise habe ich hier eine interessante einstündige Dokumentation.

Ich habe mittlerweile Paul Brickhills Roman gelesen, und ich besitze eine DVD des gleichnamigen Films. Damals, an dem schönen Sommertag, wusste ich mit meiner gebrochenen Nase nichts über die Operation Chastise, jetzt weiß ich beinahe alles darüber. Die 617. Staffel der Royal Air Force, die heute noch existiert, gab sich nach den Angriffen ein Abzeichen, das drei Blitze, eine gebrochenen Damm und das Motto Après moi le déluge zeigt. Aber die Sintflut, die Trinkwasser- und Elektrizitätsversorgung des Ruhrgebiets für Wochen lahmlegt, tötet auch mehr als tausend Zwangsarbeiter und alliierte Gefangene in ihren Lagern.

Luftmarschall Harris war gegen die Operation Chastise, ihm schwebte schon damals so etwas wie Dresden vor. Wir verdanken ihm Sätze wie: Trotz all dem, was in Hamburg geschehen ist, bleibt das Bomben eine relativ humane Methode. Und zu Dresden hat er 1947 in seinem Buch Bomber offensive auch etwas zu sagen: I know that the destruction of so large and splendid a city at this late stage of the war was considered unnecessary even by a good many people who admit that our earlier attacks were as fully justified as any other operation of war. Here I will only say that the attack on Dresden was at the time considered a military necessity by much more important people than myself. Arthur Harris ist der einzige britische Air Marshall, der nach dem Krieg kein Viscount oder Lord wird, nur einen einfachen Baronet Titel hat man für ihn übrig.

Wenn es nach Harris gegangen wäre, hätte es überhaupt keine Spitfires gegeben, es wären nur Bomber gebaut worden. Aber es waren die Spitfires, die die Battle of Britain gewonnen haben. Für Harris ist carpet bombing die Devise, neben dem Spitzmnamen Bomber hat er noch einen zweiten Spitznamen: Butcher, der Schlächter. Den hat er von den RAF Piloten bekommen, jeder zweite RAF Soldat unter seinem Kommando verliert das Leben. Weil Harris Deutschland brennen sehen will. Lübeck bombardiert er, bevor er Dresden bombardiert. Mal zur Probe, weil historische Stadtkerne so schön brennen. Hat er gesagt. Cologne, Lubeck, Rostock—Those are only just the beginning, sagt er 1942 in einem Film der Royal Air Force. Das Flächenbombardement hatte Harris schon zwanzig Jahre vor der Operation Gomorrah mit Erfolg im Irak ausprobiert. Wenige Jahre nach seinem Tod hat Queen Mum ein Denkmal für Harris enthüllt. Viele Engländer waren der Meinung, dass sie da doch ein paar Pink Gins zuviel getrunken hätte und besser zu Hause geblieben wäre. So it goes.

Dieses So it goes steht ebenso wie der oben zitierte Satz And I asked myself about the present: how wide it was, how deep it was, how much was mine to keep in Kurt Vonneguts Roman Slaughterhouse Five. Vonnegut war als Kriegsgefangener in Dresden, er hat die Schrecken der Bombennacht erlebt. Wenn wir heute an die Dresdener Bombennacht und deren Opfer denken, scheinen wir seit dem Jahr 2014 nur über Rechtsradikale zu reden. Vonneguts Romanheld Billy Pilgrim hätte das seltsam gefunden. Sind die Neonazis dafür da, dass wir es vermeiden können, über Dresden nachzudenken? Die ehemalige Piraten Politikerin Mercedes Reichstein protestierte so gegen Pegida. Sie hatte sich mit dem Spruch Bomber Harris Do It Again und nopegida beschriften lassen und das Photo bei Twitter eingestellt. Ist vielleicht sophisticated, aber musste das sein? Kann man, soll man solche Scherze machen? 

Das bringt mich zu Kurt Vonnegut, der nach einem Dresden Besuch in den 1960er Jahren gesagt hat: There is nothing intelligent to say about a massacre. The Dresden atrocity, tremendously expensive and meticulously planned, was so meaningless, finally, that only one person on the entire planet got any benefit from it. I am that person. I wrote this book, which earned a lot of money for me and made my reputation, such as it is. One way or another, I got two or three dollars for every person killed. Some business I'm in. Hier treibt einer mit dem Entsetzen Scherz, aber Vonnegut darf zu dieser bitteren Ironie greifen. Er war dabei.

Sonntag, 14. Mai 2023

Thomas Gainsborough

I'm sick of portraits, and wish very much to take my viol-da-gam and walk off to some sweet village, where I can paint landskips (sic) and enjoy the fag end of life in quietness and ease, schreibt der englische Maler Thomas Gainsborough in einem Brief, den Kunsthistoriker immer als den viola da gamba- Brief zitieren. Landschaftsmalerei verkauft sich damals noch schlecht (John Constable wird dieselbe Erfahrung machen), der junge Gainsborough ist auf das Geschäft des face painting angewiesen. Aber er kann die Naturliebe nicht aufgeben: The book of Nature - thank the Gods! - was library enough for him, sagte William Martin Conway in The Artistic Development of Reynolds and Gainsborough: Two Essays. Und so wird Gainsborough wie auf diesem Bild - Sir Ellis Waterhouse nennt es one of the eccentric masterpieces of English painting - einen Weg finden, um Portraitmalerei und Landschaftsmalerei miteinander zu verbinden. Allerdings wird er der Landschaft in einem Portraitbild nur noch ein zweites Mal so viel Bildfläche einräumen, in dem Portrait of Mr and Mrs John Browne of Tunsdall, with their daughter Anna Maria (von dem Bild gibt es im immer überschätzten Internet leider keine Abbildung).

Im Zusammenhang mit der Landschaftsmalerei muss noch ein anderer Brief Gainsboroughs gesehen werden, den er in den 1760er Jahren an den Earl of Hardwicke schreibt: Mr Gainsborough presents his Humble respects to Lord Hardwicke; and shall always think it an honor to be employ’d in any thing for his Lordship; but with regard to real Views from Nature in this Country, he has never seen any Place that affords a Subject equal to the poorest imitations of Gaspar or Claude. Paul Sanby is the only Man of Genius, he believes, who has employ’d his Pencil that Way – Mr G hopes Lord Hardwicke will not mistake his meaning, but if his Lordship wishes to have any thing tolerable of the name of G. the Subject altogether as well as the figures &c must be of his own Brain.

Stolze Selbstbehauptung des Künstlers: niemand redet mir drein, wie ich das Bild zu malen habe. Ein Jahrzehnt vorher ist das bei Gainsborough noch nicht so ausgeprägt, in das Portrait von Mr Robert Andrews und seiner frischangetrauten Gattin Frances Mary hat ihm Robert Andrews schon hineingeredet. He who pays the piper calls the tune.

Dieses Doppelportrait Conversation in a Park macht noch stärker als das Bild von Mr und Mrs Andrews deutlich, dass wir uns noch im Rokoko  befinden. Man kann das auch sehr schön an der Gartenbank erkennen, die auf dem Grundstück der Andrews' unter der Eiche steht. Das sollten wir nicht vergessen, es ist noch eine Welt der sorgfältig beachteten Konventionen. Rousseaus Gedanken über die Natur kursieren zwar schon, aber die französische Revolution ist noch weit entfernt. Für John Berger in seiner BBC Serie Ways of Seeing nicht, wenn er über das Ehepaar Andrews sagt: They are not a couple in nature as Rousseau imagined nature. They are landowners and their proprietary attitude towards what surrounds them is visible in their stance.

Ways of Seeing war eine revolutionäre Sendung. Ich habe den bei Penguin erschienen Begleitband jetzt mit einer gewissen Rührung in die Hand genommen, those were the days. Die Sendung war auch eine ideologische Attacke auf die Sendung Civilisation von Sir Kenneth Clark: Few television programmes have been as sincere as 'Ways of Seeing'. It was a revolutionary riposte to ‘Lord Clark of Civilisation’, who wore tweeds and offered a Grand Tour approach to world art, while Berger wore a pop art shirt (‘Haha! Everyone comments on it. I just liked it’), compared old masters with advertisements, solicited the opinions of mini-skirted feminists, and added a trespassers keep out sign to Gainsborough’s portrait of the rather smug Mr and Mrs Andrews in front of their rolling acres. Art as agitprop. ‘Our concept was, I suppose, distinctly opposed to programmes like 'Civilisation'.'

Es wird gemeinhin gesagt, dass Kenneth Clark den Titel eines Baron of Saltwood (ja, es war natürlich die Satirezeitschrift Private Eye, die den Titel Lord Clark of Civilisation vorgeschlagen hatte) nur wegen der Sendung bekommen hätte, aber das ist wohl kaum richtig. Seine Verdienste um die englische Kunst und die National Gallery hätten einen Adelstitel jederzeit gerechtfertigt. Man täuscht sich auch ein wenig in ihm, der Millionärssohn mit den eleganten Savile Row Anzügen, der der jüngste Direktor der National Gallery wird, ist ein grundsolider Kunsthistoriker gewesen (er ist natürlich schon in diesem Blog erwähnt worden, als ich über Nikolaus Pevsner schrieb). Ich habe viel von Clark gelesen (und alles über ihn gelesen), und ich habe viel von ihm gelernt. Das habe ich schon in Posts wie Aktmalerei, John Constbles Wolken und Gothick gesagt.

Kenneth Clark was a much more erudite art historian than I was, or am. He was an expert, sharing his knowledge with those less expert. And we wanted somehow, now one would say to destructure expertise, to throw the initiative, democratically, to the spectators. That was our strategy. Sagte John Berger in einem Interview Jahrzehnte nach seiner Sendung, in der er Kenneth Clark direkt angriff. Dessen Sätze At the very beginning of his career his pleasure in what he saw inspired him to put into his pictures backgrounds as sensitively observed as the corn-field in which are seated Mr and Mrs Andrews. This enchanted work is painted with such love and mastery, kann er nicht unkommentiert stehen lassen.

Inzwischen hat David Cohen ihn unter Bezug auf den Kunstkritiker Peter Fuller darauf hingewiesen, dass Berger mit seiner Kritik an Clark fundamental falsch lag: Actually, strategy, rather than purpose, lies at the heart of Fuller's affection for Clark. Fuller's mentor in the 1970s had been John Berger, whose TV series 'Ways of Seeing' formed a critique of Clark's series, 'Civilization.' Berger disingenuously vilified Clark for failing to notice that Gainsborough's Mr. and Mrs. Andrews surveyed land filled with starving tenants, whereas, on reading Clark's text first hand, Fuller discovered that Clark had made precisely this point. Fuller's rehabilitation of Clark was a gesture of defiance against Berger and a characteristic act of naughtiness on the part of a Marxist whose critical subject up to that point had been a critique of the art establishment personified by Clark. Clark became Fuller's vehicle for a calculatedly polemical insistence on connoisseurship and taste.


Der Anfang von Ways of Seeing war spektakulär: Berger kam in die National Gallery und zerschnitt einen Botticelli mit einem Teppichmesser: The art of the past no longer exists as it once did. Its authority is lost. In its place there is a language of images. What matters now is who uses that language for what purpose. Sie können es sich hier anschauen. Es war glücklicherweise kein echter Botticelli. Die siebziger Jahre, die Reste der sogenannten 68er Revolution und der Klassenkampf liegen heute hinter uns. Über manches in Bergers Ways of Seeing wird man heute milde lächeln. Das Bild von Mr und Mrs Andrews hat nichts mit Klassenkampf zu tun. Wohl aber mit der sozialen Klasse. Um die geht es in England immer (das meinte man vor elf Jahren offensichtlich in der National Gallery, als man das Bild neben Martin Parrs Photo Signs of the Times präsentierte); vorzüglich im 18. Jahrhundert, in dem sich die bürgerliche Gesellschaft etabliert. Und das reich gewordene Bürgertum die Mode, die Manieren (und den Grundbesitz) des Adels adaptiert. Der Robert Andrews, den Gainsborough malt, ist Großgrundbesitzer. Pappi hat ihm das Anwesen The Auberies gekauft, der Rest kam durch die Heirat mit Frances Mary Carter dazu. Gainsborough kennt die beiden seit Jahren.

Er war auf derselben Grammar School wie Robert Andrews, aber bei seinem Vater reichte das Geld nicht für ein Studium in Oxford. Denn sein Vater war in den 1730er Jahren in die Pleite geschlittert - der Vater von Frances Mary Carter hatte ihn übrigens vor dem Schuldgefängnis bewahrt. Die Gainsboroughs gehörten einmal zur gleichen Klasse wie Robert Andrews und Frances Mary Carter. 

Jetzt gucken diese beiden mit einer gewissen blasierten hauteur auf den armen Maler herab. Dass er sich selbst, wie manche Interpreten sagen (und wie die Bilder im Absatz oben vielleicht suggerieren) in das Portrait des zwei Jahre älteren Auftraggebers hineingemalt hat, glaube ich nicht. Peter Greenaway hätte einen Film wie The Draughtman's Contract mal über Gainsborough und das Ehepaar Andrews drehen sollen. Man braucht kein Studium der Kunstgeschichte, um zu sehen, dass dies conversation piece (dieser Fachausdruck wurde hier schon einmal erklärt) in zwei Teile zerfällt. Und dass die Kleidung der jungen Eheleute nicht unbedingt zu dem Leben auf dem Land passt. 

Kritiker wie John Berger haben das Bild deshalb auch als eine Art Karikatur gesehen (schauen Sie sich dazu doch einmal dies Video an, ist sehr komisch). In der Wirklichkeit würden sie wohl andere Dinge als die Städter tragen, der Landadel passt sich in dieser Zeit modehistorisch ein wenig an die praktische Kleidung der Landbevölkerung an. Man bevorzugt eine informelle Kleidung, die man damals als Negligé oder Deshabillé bezeichnet. Wenn George III König wird, werden ihn satirische Journalisten Farmer George nennen. Und seine Untertanen werden diesen royalen Farmer kaum von einem anderen Großgrundbesitzer unterscheiden können. Wenn man im 18. Jahrhundert in Richmond deutsche Schweine und neuseeländische Schafe züchtet, läuft man nicht in Samt und Rüschenjabot herum.

Die Kritiker, die aus dem Gegensatz der vornehmen Kleidung der Andrews' und der ländlichen Umgebung eine Kritik der landed gentry herauslesen wollen, denken zu kurz. Auf allen Portraits bei Gainsborough, die Personen in einen Landschaftsausschnitt versetzen, tragen die Dargestellten vornehme Kleidung. Wenn Gainsborough seine Vorliebe für die landskip mit der Portraitmalerei verbindet, folgen ihm die Dargestellten eher widerwillig. Aber ihre vornehme Kleidung, die wollen sie schon tragen, schließlich sind sie so im Studio des Malers erschienen. Und ein wirklich reales Ambiente wollen auch die wenigsten auf ihrem Bild, also geht Gainsborough zu einem diffusen Natureinerlei im Hintergrund über. Mr and Mrs William Hallett machen hier ihren Morgenspaziergang im malerischen Nirgendwo der Natur, Mr und Mrs Edwards befinden sich allerdings wirklich in einer geographisch identifizierbaren Natur.

Dass die akkurat ziselierten Kornreihen zu den zierlichen Füsschen der 18-jährigen Mrs Andrews passen, ist keine Erfindndung des Malers, der die Natur rokokohaft ordnen möchte. Das zeigt nur, dass man die state of the art Maschine des Landwirtschaftsreformers  Jethro Tull zum Einsäen des Getreides verwendet hat. Zur modernen Landwirtschaft gehört auch, dass die Schafe in einem eingezäunten Areal weiden. Diese enclosures des 18. Jahrhunderts bieten sozialen Sprengstoff, vorher war es (seit dem Mittelalter) common land. Jetzt wird alles eingezäunt. Mit Neuerungen aller Art in der Technik ist Gainsborough nicht unvertraut, zwei seiner Brüder sind, wenn man so will, Erfinder. Der erste, John Gainsborough (auch Scheming Jack) genannt, rangiert eher in der Kategorie der mad scientists. Aber der zweite, der Reverend Humphrey Gainsborough (der auch landwirtschaftliche Geräte erfindet), ist ein Mann von großer Bedeutung. Gainsboroughs Freund Philip Thicknesse schrieb über Humphrey: one of the most ingenious men that ever lived, and one of the best that ever died … Perhaps of all the mechanical geniuses this or any nation has produced. Mr Gainsborough was the first.

Wir können vieles in dem Bild erklären. Der Kirchturm im Hintergrund (weiter oben im Detail) hat so ausgesehen. Die Eiche in dem Bild ist sicherlich symbolisch (wie das Kornfeld als Symbol der Fruchtbarkeit), aber es ist auch eine wirkliche Eiche, sie steht immer noch im Park von Auberies. Aber ein kleines Rätsel bleibt doch: das Bild ist unfertig, unter den Händen von Mrs Andrews ist eine freie Fläche, nur die Grundierung der Leinwand ist in ihrem Schoß zu sehen. Hier hat es die erstaunlichsten Spekulationen gegeben. Er habe das Bild nicht fertig gemalt, weil er die die beiden nicht ausstehen konnte, man könne das aus den Gesichtern des Paares herauslesen.

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wenn ich bösartig wäre, würde ich sagen, dass er die Musikinstrumente auf seinen Portraits mit größerer Liebe malt als die Gesichter von Mr und Mrs Andrews. Er ist Musikliebhaber und Liebhaber von Instrumenten, die Erwähnung der Viola da Gamba in seinem Brief ist keine rhetorische Formel. Wir müssen auch bedenken, dass dies eins seiner ersten Portraits ist - er hat noch nicht die Meisterschaft, die er auf dem Portrait der Herzogin Georgiana zeigt. Auch die Theorie, dass hier ein toter Vogel hätte Platz finden sollen, den Robert Andrews gerade geschossen hat, kann nicht überzeugen. Bei aller Liebe zum Ehemann und zum Landleben, würde eine junge Dame auf diesem neuen Seidenkleid eine blutige Jagdtrophäe plazieren? Die dritte Theorie ist überzeugender: die zwanzigjährige Frances Mary Andrews ist guter Hoffnung, an diese Stelle sollte ihr erstes Kind gemalt werden.

Sie hatte noch zwanzig Jahre zu leben, in der Zeit wird sie ihrem Robert neun Kinder gebären. Er wird achtzig Jahre alt werden, im Tode werden sie wieder vereint. Seite an Seite liegen sie auf dem Friedhof der St Andrews Kirche von Bulwer. Bis 1927 war das Bild des Ehepaars, das heute neben dem Blue Boy eins der bekanntesten Bilder von Gainsborough ist, völlig unbekannt. Weil es im Privatbesitz der Familie Andrews war. Erst 1960 ist es von der National Gallery bei der Kunsthandlung Thomas Agnew gekauft worden, die es für 130.000 Pfund (das waren damals 1,5 Millionen Mark) von der Familie erworben hatte.
 
Der Blue Boy in seinem Van Dyck suit war dem amerikanischen Milliadär Henry Huntington, der das Bild von Joseph Duveen für seine Galerie kaufte, zu grün. Das Bild an der Wand des Luxusschiffes Aquitania war viel blauer gewesen, das wusste Huntington genau. Schließlich hatte er auf der Aquitania die Gainsborough Suite bewohnt. Und da hing natürlich diese Kopie des Blue Boy an der Wand. Duveen wird dem Huntington versichern, dass man das Grün wegbekommt. Kann man machen, wenn Sie das vorher-nachher sehen wollen, dann klicken Sie hier. Bevor das zuvor im Privatbesitz gewesene Gemälde 1922 in die USA wanderte, wurde es für drei Wochen in der National Gallery in London ausgestellt. Hunderttausend Engländer haben es sich angeschaut. 

Thomas Gainsborough hat heute Geburtstag, es ist zwar schon hier in einem Post vorgekommen, aber das ist nicht genug von diesem wunderbaren Maler. Und so habe ich seinen Geburtstag zum Anlass genommen, um diesen schönen zehn Jahre alten Post noch einmal einzustellen. Und um einmal zu zeigen, was man aus einem Bild herauslesen kann. Ob man nun Marxist ist wie John Berger oder ein konservativer Gentleman wie Lord Clark. Und, nein: Der Satz The art of the past no longer exists as it once did stimmt nichtEs bleiben immer Fragen, dafür sind Bilder da, damit sie uns Fragen stellen. Solange sie niemand mit dem Teppichmesser zerschneidet. Oder sich die Klimaaktivisten an sie kleben.

Ich habe noch einige Lesetips zum Schluss (mehrere Leser haben mir geschrieben, dass sie die ganz nützlich fänden). Wenn es nur ein Buch sein soll, dann sollte es Gainsborough von William Vaughan aus der Reihe World of Art von Thames & Hudson sein. Es gibt kein Buch, das auf 224 Seiten so umfassend und so lesbar in Leben und Werk Gainsboroughs einführt. Reich illustriert mit 172 Abbildungen (davon 68 in Farbe) gibt dieses Buch dem Leser einen schnellen Zugang zum Werk. Das aber nicht auf Kosten einer seriösen Wissenschaftlichkeit, Vaughan ist auf dem neuesten Stand der Forschung, dies zeigt die Einarbeitung von Forschungsergebnissen, die Ellis Waterhouse bei seinem Katalog von 1958 noch nicht kennen konnte. Und auch die kurze Bibliographie ist ein Meisterstück der Selbstbeschränkung, aber alles Wesentliche steht drin. Professor Vaughan beherrscht nicht nur sein Fach und seinen Gegenstand, er kann auch gut schreiben. Das ist etwas, was Engländer ja häufig ihren deutschen Kollegen voraus haben.

Zum dritten Mal in einem halben Jahrhundert hatte die Tate Gallery 2002 eine Gainsborough Ausstellung veranstaltet, die anschliessend nach Washington und Boston weiterreiste. Allerdings waren dort nicht alle Exponate zu sehen. Michael Rosenthal und Martin Myrone haben diesen vorzüglichen Katalog herausgegeben, der etwas unterkühlt englisch daherkommt, aber forschungsmäßig das Neueste enthält, was die Gainsborough Forschung vor zwanzig Jahren zu bieten hatte. Viel ist außer dem catalogue raisonné der Portraits von Hugh Belsey seitdem nicht hinzugekommen. 

Wenn man sich das Selbstportrait des dreizehnjährigen Gainsborough betrachtet, möchte man nicht darauf wetten, dass aus ihm einer der berühmtesten englischen Maler werden wird. Mit diesem ersten Bild beginnt auch der Katalogteil des Bandes, der sich an zwei große Übersichtsessays anschliesst. Darauf folgen die Werke (Zeichnungen und Aquarelle inklusive) nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern in einer von den Herausgebern selbst gewählten thematischen Ordnung. Die ist manchmal etwas schwer zu durchschauen und lässt viele Fragen offen. Mir ist bei der Unterscheidung zwischen Portraiture and Fashion und Sensibility inzwischen klar geworden: ist eine elegante Dame ohne Hund dargestellt, landet sie im Kapitel Portraiture, mit Hund ist sie offensichtlich sensibel und kommt ins Kapitel Sensibility.

Wir sind im Zeitalter der Empfindsamkeit. Oliver Goldsmiths Roman The Vicar of Wakefield ist, wie die Literaturhistoriker sagen, eine sentimental novel. Laurence Sterne schreibt kurz vor seinem Tod A Sentimental Journey. So etwas ist damals en vogue. Henry Mackenzies Roman hatte den Titel The Man of Feeling, da ist alles klar. Viele Herren aus der Oberschicht lassen sich von Gainsborough im Stil der neuen Empfindsamkeit malen. Man trägt jetzt Gefühl. Und zeigt es. Für Engländer eine erstaunliche Sache. Dieser junge Herr auf Gainsboroughs Portrait ist sicherlich a man of feeling. Wir kennen leider seinen Namen nicht - oder vielleicht doch. Im Gainsborough Katalog  bleibt er namenlos. Aber Martin Myrone, der Kurator der Tate Gallery, identifizierte ihn 2004 als einen gewissen Colonel St. George. Hätte ihm das nicht früher einfallen können? Denn immerhin war er wenige Jahre zuvor der Mitherausgeber des Gainsborough Katalogs.

Natürlich ist der Herzog von Buccleuch, der seinen Wauwi umarmt, in der Rubrik Sensibilty gut aufgehoben, er hätte allerdings auch unter die Portraits gepasst. Das letzte Kapitel des Bandes bietet dann die letzten Jahre Gainsboroughs hauptsächlich chronologisch geordnet an. Zu diesem Thema ist Hugh Belseys Buch Gainsborough's Cottage Doors: An Insight into the Artist's Last Decade natürlich viel besser. Ist auch besser als Ann Berminghams Sensation and Sensibility: Viewing Gainsborough's Cottage Door.

Noch nie war für eine Ausstellung soviel von Gainsborough zusammengetragen worden wie 2002 in London. Und es wird auch nie wieder so viel an einem Ort zu sehen geben, sodass dieser Katalog Thomas Gainsborough endgültig jenen Platz zuweist, den ihm viele in seinem Jahrhundert abgesprochen haben. Es hat lange gedauert, bis er so berühmt wurde, wie er sein sollte. Als der dreiundzwanzigjährige John Constable die Heimat Gainsboroughs besucht, schreibt er einem Freund: Tis a most delightful country for a landscape painter. I fancy I see Gainsborough in every hedge and hollow tree. Constable hat 1836 in einem Vortrag seinen Kollegen gewürdigt: The landscape of Gainsborough is soothing, tender, and affecting. The stillness of noon, the depths of twilight, and the dews and pearls of the morning, are all to be found in the canvases of this most benevolent and kind-hearted man. On looking at them, we have tears in our eyes, and know not what brings them. Schöner kann man es nicht sagen. 

Einen schönen Roman könnte ich zum Schluss noch bieten: The Hound in the Left-Hand Corner von Giles Waterfield. Ja, ich weiß, dass ich den hier schon einmal empfohlen habe, aber man kann das Buch gar nicht häufig genug empfehlen. Und wenn Sie hier den Anfang lesen, weiß ich, dass Sie es sofort bestellen werden. Und natürlich kommt ein Gainsborough Gemälde in dem Buch vor. Dieser Post stand hier vor zehn Jahren schon einmal, aber ich habe ihn umgeschrieben und erweitert. Mein Freund Götz, der dies wunderbare kleine Buch über England geschrieben hat, wollte mir vor Jahren den Gainsborough Katalog von der Hamburger Ausstellung mitbringen. Aber ich habe verzichtet, mein Regal mit den Büchern über Gainsborough ist schon zu voll. Götz hatte vor Tagen Geburtstag, ein Geschenk hat er schon bekommen. Jetzt bekommt er noch eins, weil ich ihm diesen Post widme.