Donnerstag, 6. April 2017

Vogelflug


Heute vor 690 Jahren soll der italienische Dichter Francesco Petrarca in der Kirche von Avignon zum ersten Mal seine Laura gesehen haben. Er ist hin und weg, erfindet das Sonett, und schreibt dann in den nächsten Jahren 317 Sonette. Und alle Dichter beginnen Sonette zu schreiben. Der Romanist Ernst Robert Curtius spricht in seinem Buch Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter von einer Pest des Petrarkismus. Ein Satz, der mir immer gefallen hat, meinen Studenten auch. Aber es gibt heute keinen Petrarca, der war schon so häufig hier. Doch ein Sonett soll es schon sein. Es ist ein schönes Sonett, eins der schönsten der englischen Sprache, das der Theologe Gerard Manley Hopkins da geschrieben hat. Es hat den Titel The Windhover: To Christ our Lord, der Dichter selbst hielt das Gedicht für das Beste, was er geschrieben hat. Zu seinen Lebzeiten konnte es niemand lesen, seine Gedichte wurden erst dreißig Jahre nach seinem Tod veröffentlicht.

The Windhover: To Christ our Lord

I caught this morning morning’s minion, king-
dom of daylight’s dauphin, dapple-dawn-drawn Falcon, in his riding
Of the rolling level underneath him steady air, and striding
High there, how he rung upon the rein of a wimpling wing
In his ecstasy! then off, off forth on swing,
As a skate’s heel sweeps smooth on a bow-bend: the hurl and gliding
Rebuffed the big wind. My heart in hiding
Stirred for a bird,—the achieve of; the mastery of the thing!

Brute beauty and valour and act, oh, air, pride, plume, here
Buckle! AND the fire that breaks from thee then, a billion
Times told lovelier, more dangerous, O my chevalier!

No wonder of it: shéer plód makes plough down sillion
Shine, and blue-bleak embers, ah my dear,
Fall, gall themselves, and gash gold-vermillion.

Ich habe immer wieder versucht, dieses Sonett Studenten näher zu bringen. Doch das war dann so dieser Augenblick, wo mich in einem Seminar über englische Lyrik Studenten mit einem seltsamen Blick anguckten. Also diesem Blick, der sagt: Bis eben mochten wir Dich noch. Jetzt nicht mehr. Gut, es ist nicht leicht (ich hätte hier eine recht lesbare ➱Interpretation und es gibt im ➱Victorian Web eine Version des Gedichts mit Erklärungen), vielleicht macht eine deutsche Übersetzung es für den Leser leichter:

Der Windgleiter

Ich fing heut morgen des Morgens Liebling, den Königssohn
im Reich des Tageslichts, den Falken im getupften Dämmerkleid, er ritt
übers Hügelland, unter ihm die stille Luft, und schritt
hoch daher, wie flog über Flatterflügels Zügel der schrille Ton

in seinem Rausch! Dann weg, weit weg im Schwunge schon,
wie ein Schlittschuh sanft die Schleife saust: Sturz und Gleiten
stieß vor sich her der große Wind. Meines Herzens stumme Saiten,
ein Vogel schlug sie wach – ihn zu erlangen, ihn zu fangen war mein Lohn!

Wüste Schönheit und Mut und Tat, o Luft, Stolz, Gefieder,
hier knicke ein! Und die Feuer, die da aus dir brechen ohne Zahl,
ihren Zauber, ihre Fährniß, o mein Troubadour, faßten besser deine Lieder!

Wen nimmt es wunder: Schiere Schufterei pflügt tausendmal
die Lichter unter, und blau-graue Aschenglut fällt hernieder,
mein Teurer, sie sauert ein, und Goldrubine sickern aus dem Wundenmal.


Das fing im ersten Vers ist unglücklich, der Dichter fängt den Falken nicht. Er sieht ihn nur, beobachtet ihn, bewundert seine Schönheit. Die ersten acht Verse sind eigentlich nicht so schwer zu verstehen. Zugegeben, es ist nicht die von Behörden verwendete Leichte Sprache, aber es ist nicht unüberwindlich. Schwierig ist schon der Sprung, mit dem unser Jesuitenpater zu Christ our Lord findet. Der ist für ihn ein chevalier, er redet ihn mit thee an (chevalier durch Troubadour zu ersetzen, das geht nun gar nicht). Die Schönheit des Augenblicks, ob man den Falken in den Wolken kreisen sieht, ob der Pflug beim Pflügen blitzeblank wird, ob aus der Kohle ein Feuer springt, all das Alltägliche ist nichts gegen die Schönheit Gottes. Wenn wir für einen Augenblick das Wort fire durch das Wort glory ersetzen, kommen wir vielleicht mit dem Verständnis weiter.

Die anonyme Übersetzung aus dem Internet ist nicht wirklich gut, sie steht hier aber aus einem didaktischen Grund: wenn man sich über eine schlechte Übersetzung ärgert, vergleicht man immer wieder Original und Übersetzung. Und lernt das Original immer besser kennen. Ich habe zum Schluß noch eine gute Übersetzung von dem berühmten Friedhelm Kemp (einem Schüler von ➱Karl Vossler), da klingt das Ganze gleich ganz anders. Und von Troubadouren ist in dem Sonett Der Turmfalke auch nicht mehr die Rede:

Heut fing mein Auge früh der Frühe Liebling, Erbprinzen im
Reich des Taglichts, von gesprenkelter Dämmrung verlockt den Falken, in seinem Reiten 
Auf der stetig flach unter ihm rollenden Luft, und ausgreifend
Hoch dort, wie er kreiste am Zaum einer wimpelnden Schwinge.

In seiner Verzückung! dann fort, weit fort im Schwung, 
Wie eines Schlittschuhs Schneide sanft schweift in einer Bogen- Beuge: das Wirbeln und Gleiten Stob gegen den mächtigen Wind. Mein Herz insgeheim
Schlug heftig für einen Vogel, - für die Vollkommenheit, die Meisterschaft dieses Geschöpfs!

Wildschönheit und Hochkraft und Tat, kühnes Gebaren, Gepränge, Gefieder, hier Zügelt euch! 
UND das Feuer, das dann von dir sprüht. billionen-
mal lieblicher, dräuender noch, o mein Ritter! 

Nicht zu verwundern: schiere Mühsal wetzt die Pflugschar 
tief in der Furche 
Blank, und blau-fahle Asche, ah mein Liebling, 
Fällt, reibt sich wund, und klafft scharlach-golden

Gerard Manley Hopkins hat einen neuen Rhythmus in die englische Lyrik gebracht, sprung rhythm nannte er ihn. Ein Rhythmus, bei dem nicht mehr die Silben sondern die Betonungen gezählt werden. Wir können das durch die Markierungen in shéer plód makes plough down sillion sehen. Dadurch kann er das  Tempo variieren, es ist am Anfang schneller, am Ende langsamer. Man merkt das beim Lesen des Gedichts.

Am Ende seines Lebens ist der zwergenhaft kleine Hopkins Professor für Klassische Literatur in Dublin. Weit entfernt von England und seiner Familie: Father and mother dear, Brothers and sisters are in Christ not near. Er kam aus einer anglikanischen Familie, unter dem Einfluss von Kardinal Newman ist er Katholik geworden. Seine letzten Gedichte, wie zum Beispiel ➱I Wake and Feel the Fell of Dark, not Day, zeigen seine Isolation. Ich zitiere einmal To seem the stranger, da ist er weit von dem rauschhaften Naturerlebnis, dem  dapple-dawn-drawn Falcon:

To seem the stranger lies my lot, my life
Among strangers. Father and mother dear,
Brothers and sisters are in Christ not near
And he my peace my parting, sword and strife.
England, whose honour O all my heart woos, wife
To my creating thought, would neither hear
Me, were I pleading, plead nor do I: I wear-
y of idle a being but by where wars are rife.

I am in Ireland now; now I am at a thírd
Remove. Not but in all removes I can
Kind love both give and get. Only what word
Wisest my heart breeds dark heaven’s baffling ban
Bars or hell’s spell thwarts. This to hoard unheard,
Heard unheeded, leaves me a lonely began.


Und wenn sie heute doch noch ein wenig Petrarca lesen wollen, dann klicken Sie diese Posts an: ZähmungPetrarca, Mont Ventoux, Laura, Michael Drayton, Anne Boleyn, Martin Opitz, Lonnie Donegan, Mount Everest, Nachbarn

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