Freitag, 28. April 2017

Cinecittà


Heute vor achtzig Jahren hat Benito Mussolini in Rom die Filmstadt Cinecittà eingeweiht, auf diesem Photo ist er bei der Grundsteinlegung zu sehen. Mussolini wusste, was das Kino bedeutete: Il cinema è l'arma più forte, hat er gesagt. Dies ist Italiens Antwort auf Hollywood. Auf den Tag genau acht Jahre nach der Einweihung von Cinecittà haben italienische Partisanen Benito Mussolini und seine Geliebte erschossen. Aus der Filmstadt wurde ein Gefangenenlager.

Das alles hat man aber schnell vergessen, als Cinecittà in den fünfziger Jahren aufblühte und zum Hollywood on the Tiber wurde. Weil die Amerikaner Rom als Drehort entdeckt hatten. Wenn Sie alles dazu wissen wollen, dann müssten Sie jetzt den Post ➱Cinecittà und die Mode lesen. Mussolinis Cinecittà hatte auch etwas mit dem ➱Architekturprogramm des Duce zu tun. Manches von den Bauwerken des Razionalismo steht ja immer noch.

Manches kann man in den Filmen von Fellini und ➱Antonioni sehen, eine irritierende und verstörende Kulisse. Antonioni benutzt die Bauwerke der Esposizione 1942 als Background für seine Liebesgeschichte in ➱L'Eclisse. Manchmal gehen neoklassizistische Architektur und schwedische Sexbomben auch eine nicht zu übertreffende Symbiose ein. ➱Anita Ekberg im ➱Trevi Brunnen badend ist ja schön und gut, ist aber gar nichts gegen dieses Bild. Kalte Architektur und kalte Blondinen. Wow.

Ein Gedicht zum Kino zu finden, ist nicht schwer. In vielen Filmen gibt es Gedichte, ich erinnere da nur an ➱In Her Shoes oder an das Gedicht, das Michael Caine Barbara Hershey in ➱Hannah and Herr Sisters zu lesen empfiehlt (lesen Sie ➱hier mehr). Oder Whitmans ➱O Captain! My Captain! in dem Film Dead Poet's Society, ganze Generationen haben da freiwillig Whitman gelesen. Ich hätte da noch William Blakes ➱America, A Prophecy in dem Film ➱Blade Runner:

Fiery the Angels rose, & as they rose deep thunder roll’d
Around their shores: indignant burning with the fires of Orc
And Boston's Angel cried aloud as they flew thro’ the dark night.

He cried: Why trembles honesty and like a murderer,
Why seeks he refuge from the frowns of his immortal station!
Must the generous tremble & leave his joy, to the idle: to the pestilence!
That mock him? who commanded this? what God? what Angel!

Nicht zu vergessen Blakes Tyger Tyger, burning bright in der Krimiserie The Mentalist, aber das sind wir schon an einer Grenze. Bei manchem Zelluloidtrash hat man das Gefühl, dass Gedichte nur hineingeworfen werden, um dem Ganzen einen intellektuellen Anstrich zu geben. Man soll jedoch das Kino als Lehrmeister für Lyrik nicht unterschätzen. Wenn Cameron Diaz in In Her Shoes ein Gedicht von ee.cummings aufsagt, dann erreicht sie wahrscheinlich mehr als der durchschnittschliche Lehrer einer amerikanischen High School. Vielleicht haben auch Gwyneth Paltrow und Daniel Craig als Sylvia Plath and Ted Hughes in dem Film Sylvia etwas zur Lektüre der beiden Dichter beigetragen.

Einen Film, in dem auf ihn aufmerksam gemacht wird, könnte ➱Theodor Kramer auch gebrauchen. Der österreichische Dichter ist so gut wie vergessen. Thomas Mann hatte ihn einst als einen der größten Dichter der jüngeren Generation bezeichnet, aber kennt man ihn noch? Er soll 12.000 ➱Gedichte geschrieben haben, zehntausend davon sind nicht veröffentlicht. Aber immerhin gibt es seit 2005 beim Wiener Paul Zsolnay Verlag (bei dem der Leutnant der Reserve Theodor Kramer schon 1931 seine Antikriegsgedichte veröffentlicht hatte) eine dreibändige Werkausgabe. Mit der Emigration nach England ging Kramer für die deutschsprachige Literatur verloren:

Es mögen andre eine Heimat suchen,
ich bin von meiner für die Zeit verbannt;

ich bin nicht da zu preisen noch zu fluchen,
im Lärm der Stille bin ich zugewandt.

Die Sprache lern ich nicht, um zu gestalten;
es ist für mich genug, sie zu verstehn,
des fremden Landes Sitten einzuhalten.
Es drängt mich nicht, in ihnen aufzugehn.

Mein Auftrag, mir von Anbeginn gegeben,
im Mutterlaut, ist mir zur Zeit verhüllt;
ich kann ihn nicht enträtseln, nur erleben,
ihn, der sich einzig im Gedicht erfüllt.

Wenn wir einst kommen – und wir kommen wieder −
bin ich zu lernen, nicht zu lehren da,
fürs erste, mögen meine kleinen Lieder
auch heut schon singen, was mir einst geschah.

Es mögen andre suchen eine Bleibe,
und nützlich werden, der und jener reich;
doch wo ich steh und was ich immer treibe,
dort steht und lebt ein Stückchen Österreich.


Er ist in England nicht glücklich geworden, zuerst wie so viele andere Emigranten als feindlicher Ausländer interniert, hat er 1943 die Stelle eines Bibliothekars im County Technical College in Guildford erhalten. Seinen Zustand im fremden Land beschreibt vielleicht am besten dies Gedicht:

Oh, wer geht mit mir rasch noch ins Kino vor Nacht
Im Speiseraum muffelt’s, die Zunge verdorrt
beim Kaffee mir und hart ist der Platz;
der eine bezahlt und der andre geht fort
und ein jeder hier hat einen Schatz.
Oh, wer geht mit mir rasch noch ins Kino vor Nacht,
denn das Hocken allein hat mich traurig gemacht
und grün blinken im black-out die Lichter.

Die andern sind Flüchtlinge, ich aber bin
fremd in London dazu… es erstirbt
das Geräusch in den Gassen; es zuckt mir das Kinn,
da ganz nah es im Finstern aufzirpt.
Oh, wer geht mit mir in den Hyde Park zur Nacht,
denn es hat sich im Ziergrün ein Wind aufgemacht
und grün blinken im black-out die Lichter.

Bis aufs Bröckeln des Mörtels vom Sims ist es still
vor den Häusern; ich kann es verstehn,
daß kein Mädel mit mir was zu tun haben will,
doch allein muß noch heut ich vergehn.
Oh, wer geht mit mir in die Bar noch vor Nacht,
denn betrunken schon hat selbst das ale mich gemacht
und grün blinken im black-out die Lichter.

Ich hab kein Arbeit, kein Heim, es zerreibt
das Gedärm mir im Leib… was ich kann,
ist: Gedichte zu schreiben wie keiner sie schreibt;
in ganz London kein Hund prunzt mich an.
Oh, wer schlägt mir rasch ins Gesicht noch zur Nacht,
denn das Herz ist mir nur zum Zerspringen gemacht,
und grün blinken im black-out die Lichter.

Es gibt ➱hier eine Interpretation des Gedichts aus dem Jahre 1942 von Peter von Matt. Oh, wer geht mit mir rasch noch ins Kino vor Nacht, das Kino als Flucht vor der Einsamkeit. Was ist ihm geblieben? Was ich kann, ist: Gedichte zu schreiben wie keiner sie schreibt. Man sollte sie lesen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen