Donnerstag, 20. April 2017

Nachtkasper


Das ist natürlich ➱Rembrandt, hier hat er sich als Paulus gemalt. Er heißt aber nicht Paul Rembrandt. So heißt er nur in dem Gedicht Harlem von Aloysius Bertrand. Der französische Dichter wurde heute vor 210 Jahren geboren. Er ist nicht alt geworden, starb mit vierunddreißig Jahren an der Schwindsucht, der Krankheit von Dichtern und Musikern in dieser Zeit. Was er für Zeitungen schrieb, erregte die Aufmerksamkeit von Victor Hugo und Sainte-Beuve, aber sein Hauptwerk kannte damals noch niemand, es wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht.

Das Werk heißt Gaspard de la nuit, es ist ein Prosagedicht, das einen immensen Einfluß hatte. Dies rätselhafte Bild von René Magritte heißt auch Gaspard de la nuit. Und natürlich gibt es noch das berühmte Musikstück ➱Gaspard de la nuit: Trois poèmes pour piano d'après Aloysius Bertrand von Maurice Ravel. Hier gespielt von Valentina Lisitsa, die kennen sie aus dem Post ➱Klavierkonzert No 24. Das ist die Frau, die unter Verzicht auf Unterwäsche das Klavier erotisch umarmt. Andere Pianisten können das auch ohne diese Mätzchen spielen.

Momentan scheint sich die Inspiration wieder zu beleben. Nach langen Monaten der Vorbereitung wird 'Gaspard de la nuit' das Tageslicht erblicken. [...] Dazu musste der Teufel kommen, Gaspard, was logisch ist, da ER der Autor der Gedichte ist. Ein Werk des Teufels sind die Fantasiestücke in Rembrandts und Callots Manier für ➱Ravel. Es ist eine düstere Welt, in die Aloysius Bertrand den Leser hineinzieht: Und ich fragte mich ob ich wachte oder schliefe — ob das die blässe des mondes war oder die Luzifers — ob es mitternacht war oder tagesanbruch! Sie können das Original ➱hier lesen (und hier gibt es eine ➱Auswahl auf deutsch). Diese Welt, die unser poète maudit vor uns entwirft, zeigt noch Reste der ➱schwarzen Romantik und den Beginn einer literarischen ➱Fantastik.

Als ich, mindestens zum zwanzigsten Mal den berühmten Gaspard de la Nuit von Aloysius Bertrand durchblätterte [...], kam mir die Idee, etwas Gleichartiges zu versuchen und auf die Beschreibung des modernen Lebens oder vielmehr einer Seite des modernen und abstrakteren Lebens die Vorgehensweise anzuwenden, die er auf das Gemälde des altertümlichen, so seltsam malerischen Lebens angewandt hat. Wer von uns hat nicht in seinen ehrgeizigen Zeiten von dem Wunder einer poetischen Prosa geträumt, musikalisch ohne Rhythmus und ohne Reim, geschmeidig und schroff genug, um sich den lyrischen Regungen der Seele, den Schwingungen des Traums, den Zuckungen des Bewußtseins anzupassen, schrieb Charles Baudelaire 1861.

Eine Ondine gibt es in der Welt von Bertrand auch, diese hier ist von Victoria Dubourg Fantin-Latou gemalt (und hier spielt Martha Argerich Ravels ➱Ondine). Wenn Sie noch mehr über geheimnisvolle Wasserfrauen wissen wollen, dann lesen Sie ➱Meerjungfrauen und Waldnixen. Es sind nicht nur Charles Baudelaire und Stéphane Mallarmé, die sich dem Einfluss von Bertrand nicht entziehen können, es gibt da noch einen Autor, in dessen Werk wir Gaspard de la nuit wiederfinden. Und das ist ➱Joris-Karl Huysmans mit À rebours. Denn dort gehört das Buch von Bertrand zur ➱Lieblingslektüre von des Esseintes: Cette anthologie comprenait un selectæ du Gaspard de la Nuit de cefantasque Aloysius Bertrand qui a transféré les procédés du Léonard dans laprose et peint, avec ses oxydes métalliques, de petits tableaux dont les vivescouleurs chatoient, ainsi que celles des émaux lucides.

Das Gedicht des Tage heißt heute Harlem, eine deutsche Übersetzung gibt es auch:

Harlem

Harlem, cette admirable bambochade qui résume l'école
flamande, Harlem peint par Jean-Breughel, Peeter-Neef,
David-Téniers et Paul Rembrandt.

Et le canal où l'eau bleue tremble, et l'église où le
vitrage d'or flamboie, et le stoël où sèche le linge
au soleil, et les toits, verts de houblon.

Et les cigognes qui battent des ailes autour de l'horloge
de la ville, tendant le col du haut des airs et recevant
dans leur bec les gouttes de pluie.

Et l'insouciant bourguemestre qui caresse de la main
son double menton, et l'amoureux fleuriste qui maigrit,
l'oeil attaché à une tulipe.

Et la bohémienne qui se pâme sur sa mandoline, et le
vieillard qui joue du Rommelpot, et l'enfant qui enfle
une vessie.

Et les buveurs qui fument dans l'estaminet borgne, et
la servante de l'hôtellerie qui accroche à la fenêtre un
faisan mort.

Harlem

Wenn der goldhahn von Amsterdam singt, wird die goldhenne von Harlem ein ei legen.
Die Zenturien des Nostradamus

Harlem, dies bewundernswerte genrebild das die flämische schule in eins faßt,
Harlem gemalt von Jan Breughel, Pieter Neefs, David Teniers und Paul Rembrandt;

Und der kanal wo das blaue wasser zittert, und die kirche wo das goldfenster flammt, und der söller wo die wäsche in der sonne trocknet, und die dächer, grün von hopfen;

Und die storche die rund um die turmuhr mit den flügeln schlagen, den hals hoch in die lüfte streckend und in ihrem schnabel die regen-tropfen auffangend;

Und der unbekümmerte bürgermeister der mit der hand sein doppelkinn liebkost, und der verliebte blumengärtner der, das auge auf eine tulpe geheftet, abmagert;

Und die Zigeunerin die auf ihrer mandoline vergeht, und der greis der auf dem brummtopf spielt, und das kind das eine blase aufbläst;

Und die trinker die in der finsteren kneipe rauchen, und die magd des gasthofs die einen toten fasan ans fenster hängt.

Weshalb der Übersetzer das Rommelpot mit Brummtopf und nicht mit Rummelpott übersetzt, das weiß ich nicht. Seit fünfzehn Jahren gibt es Aloysius Bertrands Gaspard de la Nuit: Fantasiestücke in Rembrandts und Callots Manier zweisprachig. Die machen interessante Dinge bei Matthes und Seitz

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen