Montag, 10. April 2017

Tabak


Im Jahre 1962 trat ein junger stand-up comedian in Amerika mit der Nummer Introducing tobacco to civilisation auf, einer Nummer die schnell zu einem Klassiker wurde. Sie ist nach beinahe einem halben Jahrhundert immer noch Kult. Man kann sie ➱hier nachlesen, oder sie sich auf ➱YouTube anschauen. Bob Newharts Fans der ersten Stunde haben das natürlich noch auf einer alten Warner Bros LP. Ich kenne diese Nummer mit der Entstehungsgeschichte des Tabaks seit 1965. In dem Jahr habe ich in Kiel auch ➱Karl-Heinrich Trennt kennengelernt, keinen stand-up comedian, sondern Besitzer eines Tabakwarengeschäftes. Aber in seinem Laden, der schon damals ein kleiner Mythos war, haben sich Szenen von solch aberwitziger Komik abgespielt, dass man King Trennt durchaus mit Bob Newharts Geschichte des Tabaks in einem Atemzug nennen kann.

Der Text des comedian Bob Newhart ist ein imaginiertes Telephongespräch zwischen dem Direktor der West Indies Company in London und Sir Walter Raleigh in Virginia. Das ja nach der virgin queen Virginia heißt, wo der Virginia Tabak herkommt. Den hatten sie damals schon, auch wenn sie vielleicht damals noch keine Telephone hatten. Damals war der Tabak noch etwas, was man mit dem Wort Genuss bezeichnete, und häufig wurde dieser Genuss geradezu zelebriert. Viktorianische Gentlemen zogen sich nach dem Essen in ein spezielles Zimmer zurück, manchmal zog man dafür ein spezielles smoking jacket an (nicht zu verwechseln mit unserem deutschen ➱Smoking). Man wusste auch, wo und wann man rauchen durfte. Kein Gentleman wäre jemals auf die Idee gekommen, im Speisesaal eines Hotels zu rauchen. Heute muss das, was früher eine Selbstverständlichkeit war, durch Gesetze geregelt werden.

Das stand hier vor sieben Jahren schon einmal in dem Post ➱Tabac Trennt, ich kann es aber heute noch ganz gut als Einführung gebrauchen. Weil nämlich der König James I am 10. April 1606 der Virginia Company of London die Erlaubnis gegeben hat, koloniale Siedlungen im fernen Amerika zu gründen. Die zweite Charter, die die Virginia Company vom König erhielt, ging sogar noch weiter. Sie definierte den Gebietsanspruch der Virginia Company als up into the Land throughout from Sea to Sea. Das bedeutet: ganz Amerika. Zum Dank nennt die Aktiengesellschaft (die den Namen der jungfräulichen Königin trägt) die erste Stadt, die sie gründet, Jamestown.

Der Tabak wird die wichtigste ➱Einkunftsquelle von Virginia. Im 18. Jahrhundert kommt noch, dank Eliza Lucas Pinckney, Indigo dazu. Die Baumwolle spielt noch keine große Rolle. Glaubt man immer, ist aber nicht so. Da muss erst Eli Whitney seine Baumwollentkörnungsmaschine erfinden, bis die Baumwolle zu King Cotton wird. Und die Sklaverei, die eigentlich schon ein Auslaufmodell war, wieder neu angekurbelt wird. George Washington hat in Mount Vernon zuerst auch Tabak angebaut, aber die Monokultur verdirbt den Boden. Washington, der als ➱Landwirt auf der Höhe der Zeit ist, geht zum Getreide und der Fünf Felder Wirtschaft über, das rechnet sich à la longue

Raucher assoziieren bei dem Namen Virginia einen goldgelben Tabak. Raucherinnen assoziieren die Marke Virginia Slims mit ihrem Werbespruch You've come a long way, baby. Goldener Virginiatabak war etwas anderes als das, was man nach dem Krieg Bahndamm Sonnenseite nannte. Das war der Tabak, den mein Opa nach dem Krieg auf dem Dachboden trocknete. Ich saß immer vor dem kleinen Bodenfenster und bewunderte die gelbbraunen Blätter, die Opa dort aufgespannt hatte. Wenn die Sonne hereinschien, konnte man die feinen Adern in dem Kunstwerk der Natur erkennen. Später musste ich (meine Cousine auch manchmal) weit aus dem Ort herausradeln, um für Opa seinen geliebten Kautabak und seine Zigarillos zu kaufen. Ich war von Kindheit an von Tabak umgeben.

Meine Eltern rauchten nicht, aber für Gäste standen immer Simon Arzt und Nil bereit. Diesen ➱Pfeifentabak, den ich jahrzehntelang geraucht habe (und dessen Dosen alle meine Kollegen zum Einsammeln der Photokopiergebühren der Handouts benutzten) gibt es leider nicht mehr. Man konnte ihn auch sehr gut mit St Bruno mischen, aber den gibt es auch nicht mehr. Doch ein Offizieller der Firma MacBaren hat letztens gesagt, dass beide wieder auf den Markt kommen sollen.

Ein Gedicht über Virginia Tabak (oder irgendeinen anderen Tabak) zu finden, ist für mich ein Klacks. Weil ich vor Monaten Viktor Wendels Buch Pegasus in Tabakwolken: Deutsche Rauchergedichte vom dreißigjährigen Krieg bis zur Gegenwart im Antiquariat fand. 469 Seiten Gedichte, 80 Seiten Anmerkungen. Und das alles für einen Euro.  Die Anthologie beginnt mit Jacob Baldes Gedicht ➱Die Virginische Pflanze, dann kommen ➱Harsdörffer und Christian H. von Hoffmannswaldau mit seinem Lob des tabacks. Ich hätte gern ➱Barthold Heinrich Brockes Tabakgedicht genommen, aber das ist nirgends im Netz zu finden; das ist so lang, das tippe ich nicht ab. Die Barockdichter schreiben gerne lange Gedichte, sie haben ja Zeit.

Von Hoffmannswaldaus Gedicht Lob des tabacks soll mal eben die erste Strophe zitiert werden:

Rosen und violen
Mögen kinder holen
Kinder dieser zeit.
Diß / was meinen sinn erfreut
Und in meinen händen brennet
Wird taback genennet.


Ich kann über das Rosen und violen Mögen kinder holen nur lächeln. Ich war das Kind, das für den Opa Tabak holte. In Viktor Wendels Anthologie Pegasus in Tabakwolken sind die ersten sechzig Seiten voller Barockgedichte, lauter Lobpreisungen des Nikotins. Da wir in letzter Zeit relativ viel Barock in diesem Blog hatten, gibt es heute mal etwas Neueres, nämlich Marie von Ebner-Eschenbachs Sonett Zigarette:

Gewidmet sei das erste der Sonette,
In dem ich völlig mich der Form bemeistert,
Der Zauberin, die mich dazu begeistert:
Der duftenden Havannazigarette.

Nicht mühsam ward zusammen es gekleistert.
Es floss, ein Strom im selbstgegrabnen Bette,
Indessen ich des Rauches Wolkenkette
Gen Himmel blies, vor Wonne halb entgeistert.

Mir zaubert, Feine, deines Dufts Narkose
Des Traumes Blüte ins entlaubte Leben,
In meinen Herbst die Nachtigall, die Rose.

Wenn deine zarten Wölkchen mich umschweben,
Fühl ich versöhnter mich mit meinem Lose
Und lass mit ihnen sich den Geist erheben.

Dichter und Denker brauchen ihren Tabak. Und schreiben ihn auch, wie Thomas Mann, ungeniert in die Literatur: »Wie schmeckt der Krautwickel, Castorp? Lassen Sie mal sehen, ich bin Kenner und Liebhaber. Die Asche ist gut: was ist denn das für eine bräunliche Schöne?« »Maria Mancini, Postre de Banquett aus Bremen, Herr Hofrat. Kostet wenig oder nichts, neunzehn Pfennig in reinen Farben, hat aber ein Bukett, wie es sonst in dieser Preislage nicht vorkommt. Sumatra-Havanna, Sandblattdecker, wie Sie sehen. Ich habe mich sehr an sie gewöhnt. Es ist eine mittelvolle Mischung und sehr würzig, aber leicht auf der Zunge. Sie hat es gern, wenn man ihr lange die Asche läßt, ich streife nur höchstens zweimal ab. Natürlich hat sie ihre kleinen Launen, aber die Kontrolle bei der Herstellung muß besonders genau sein, denn Maria ist sehr zuverlässig in ihren Eigenschaften und luftet vollkommen gleichmäßig. Darf ich Ihnen eine anbieten?« 

Camus rauchte Ziggis wie ➱André Malraux (und wie ➱Lucky Luke früher). Sartre rauchte Pfeife (wie hier auf dem Photo von Cartier-Bresson). Philosophen haben es mit dem Tabak. Denn Sätze wie Bevor man eine Frage beantwortet, sollte man immer erst seine Pfeife anzünden oder Pfeiferauchen trägt zu einem einigermaßen objektiven und gelassenen Urteil über menschliche Angelegenheiten bei sind beides Sätze großer Weisheit. Sie stammen beide von Albert Einstein. Einem amerikanischen Populärphilosophen namens Mark Twain verdanken wir Einsichten wie: Zuerst schuf der liebe Gott den Mann, dann schuf er die Frau. Danach tat ihm der Mann leid und er gab ihm den Tabak. Mark Twain hat auch gesagt: Wenn man im Himmel nicht rauchen darf, gehe ich nicht hin! Und damit höre ich für heute auf. Nicht ohne Sie auf die Gefahren des Rauchens hingewiesen zu haben. Und die Telephonnummer der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist 0800-8313131. Steht auf meiner Tabakdose.

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