Samstag, 22. April 2017

wüstes Land


In einer ➱Interpretation dieses Gemäldes des australischen Malers John Peter Russell zitieren die Autoren beiläufig T.S. Eliot: Between the conception And the creation Life is very long. Der Artikel zu Russells Portrait von Dr Will Malone auf der Seite der National Gallery of Victoria ist ein hervorragendes Beispiel dafür, was ein Museum machen kann, um Kunst verständlich und begreifbar zu machen. Viele Museen haben heute hervorragende Seiten, der Satz von Frau Merkel Das Internet ist für uns alle Neuland, hat wohl nur für die ➱Kunsthalle Bremen Bedeutung.

Der australische Maler John Peter Russell ist eine erstaunliche Randerscheinung des Impressionismus. Er stellte seine Bilder nicht aus, er hatte es nicht nötig, er war reich genug (in dem Punkt ähnelte er ➱Caillebotte). Insofern hat eine größere Öffentlichkeit damals nichts von dem Maler John Peter Russell erfahren. Aber seine Malerkollegen schätzten ihn schon. Vincent van Gogh, den er hier portraitiert hat, war lebenslang sein Freund. Matisse war ihm zu Dank verpflichtet: Russell was my teacher, and Russell explained colour theory to me. Als seine Frau Marianna, die mehrfach Rodin Modell gesessen hatte, 1907 starb, vernichtete Russell den größten Teil seiner Werke. ➱Auguste Rodin schrieb ihm damals: Your works will live, I am certain. One day you will be placed on the same level with our friends Monet, Renoir, and Van Gogh.

Wenn man Russells Namen bei Googles Bildersuche eingibt, findet man auch dieses Bild. Es ist nicht von Russell, es ist da nur auf der Seite, weil ich das Bild von dem schwedischen Maler Gustav Berlin vor fünf Jahren in den Post von ➱John Peter Russell hinein getan habe. Damals hatte ich gerade das Bild von Gustav Berlin gekauft. Es zeigt das alte Rathaus von ➱Skanörs, ein kleines architektonisches Juwel aus dem 18. Jahrhundert.

Mit Russell und seinen Malerkollegen der sogenannten Heidelberg School kommt die Moderne nach Australien, das ist etwas anderes als ➱Waltzing Matilda und Kängurus. Dass sie auch moderne Dichter haben, habe ich schon in dem Post ➱Marinechronometer geschrieben. Ich könnte ein Gedicht von Kenneth Slessor oder einem anderen australischen Dichter nehmen, aber ich nehme lieber T.S. Eliot, den ich am Anfang erwähnt habe. The Waste Land ist ein Gedicht, in dem der Monat April vorkommt. Schon in der ersten Zeile, wie bei Chaucers Prolog zu den ➱Canterbury TalesWhan that Aprille with his shoures soote, The droghte of March hath perced to the roote ...

Das Gedicht hat 433 Zeilen, es wäre noch länger, wenn Ezra Pound es nicht zusammengestrichen hätte: Know diligent Reader That on each Occasion Ezra performed the Caesarean Operation hat er in einem kleinen bösartigen ➱Gedicht geschrieben. Der Beginn der modernen Lyrik des 20. Jahrhunderts liegt also in der Kooperation zweier Amerikaner, von denen der eine lieber Engländer sein wollte. Immer sehr englisch im Anzug, Ezra Pound, dem Eliot il miglior fabbro in das Widmungsexemplar von The Waste Land schrieb, trug ungern Anzüge. Eliot konnte auch anders, er schrieb lustige ➱Katzengedichte (aus denen man sogar ein Musical machte), schrieb kluge Sachen über Kultur und entdecke die Metaphysical Poets wie ➱John Donne wieder.

Das ganze The Waste Land zu präsentieren, wäre sicher etwas viel. Wir begnügen uns heute einmal mit dem ersten Teil. Eliot selbst hat sein Gedicht mit ➱Erklärungen versehen, und hier hätte ich noch einen Hypertext, wo es zu Eliots notes noch zusätzliche ➱Annotationen gibt.

I. The burial of the dead

April is the cruellest month, breeding
Lilacs out of the dead land, mixing
Memory and desire, stirring
Dull roots with spring rain.
Winter kept us warm, covering 
Earth in forgetful snow, feeding
A little life with dried tubers.
Summer surprised us, coming over the Starnbergersee
With a shower of rain; we stopped in the colonnade,
And went on in sunlight, into the Hofgarten, 
And drank coffee, and talked for an hour.
Bin gar keine Russin, stamm’ aus Litauen, echt deutsch.
And when we were children, staying at the archduke’s,
My cousin’s, he took me out on a sled,
And I was frightened. He said, Marie, 
Marie, hold on tight. And down we went.
In the mountains, there you feel free.
I read, much of the night, and go south in the winter.

What are the roots that clutch, what branches grow
Out of this stony rubbish? Son of man, 
You cannot say, or guess, for you know only
A heap of broken images, where the sun beats,
And the dead tree gives no shelter, the cricket no relief,
And the dry stone no sound of water. Only
There is shadow under this red rock, 
(Come in under the shadow of this red rock),
And I will show you something different from either
Your shadow at morning striding behind you
Or your shadow at evening rising to meet you;
I will show you fear in a handful of dust. 
Frisch weht der Wind
Der Heimat zu,
Mein Irisch Kind,
Wo weilest du?
“You gave me hyacinths first a year ago; 
They called me the hyacinth girl.”
—Yet when we came back, late, from the Hyacinth garden,
Your arms full, and your hair wet, I could not
Speak, and my eyes failed, I was neither
Living nor dead, and I knew nothing, 
Looking into the heart of light, the silence.
Öd’ und leer das Meer.

Madame Sosostris, famous clairvoyante,
Had a bad cold, nevertheless
Is known to be the wisest woman in Europe, 
With a wicked pack of cards. Here, said she,
Is your card, the drowned Phoenician Sailor,
(Those are pearls that were his eyes. Look!)
Here is Belladonna, the Lady of the Rocks,
The lady of situations. 
Here is the man with three staves, and here the Wheel,
And here is the one-eyed merchant, and this card,
Which is blank, is something he carries on his back,
Which I am forbidden to see. I do not find
The Hanged Man. Fear death by water. 
I see crowds of people, walking round in a ring.
Thank you. If you see dear Mrs. Equitone,
Tell her I bring the horoscope myself:
One must be so careful these days.

Unreal City,
Under the brown fog of a winter dawn,
A crowd flowed over London Bridge, so many,
I had not thought death had undone so many.
Sighs, short and infrequent, were exhaled,
And each man fixed his eyes before his feet. 
Flowed up the hill and down King William Street,
To where Saint Mary Woolnoth kept the hours
With a dead sound on the final stroke of nine.
There I saw one I knew, and stopped him, crying “Stetson!
You who were with me in the ships at Mylae! 
That corpse you planted last year in your garden,
Has it begun to sprout? Will it bloom this year?
Or has the sudden frost disturbed its bed?
Oh keep the Dog far hence, that’s friend to men,
Or with his nails he’ll dig it up again! 
You! hypocrite lecteur!—mon semblable,—mon frère!”

Ich habe eine Übersetzung. Sie stammt von Norbert Hummelt und ist unter dem Titel Das öde Land bei Suhrkamp erschienen:

April ist der übelste Monat von allen, treibt
Flieder aus der toten Erde, mischt
Erinnerung mit Lust, schreckt
Spröde Wurzeln auf mit Frühlingsregen.
Der Winter hat uns warm gehalten, hüllte
Das Land in vergeßlichen Schnee, fütterte
Ein wenig Leben durch mit eingeschrumpelten Knollen.
Der Sommer kam als Überraschung, über den Starnberger See 
Mit Regenschauer; wir flüchteten unter die Kolonnaden,
Die Sonne kam wieder, wir gingen weiter zum Hofgarten
Und tranken Kaffee und redeten eine Stunde.
Bin gar keine Russin, stamm’ aus Litauen, echt deutsch.
Und als wir Kinder waren, wohnten wir beim Erzherzog,
Der war mein Vetter, und der ist dann mit mir Schlitten gefahren, 
Und ich hatte solche Angst. Marie, sagte er,
Marie, halt dich fest. Und runter gings.
Im Hochgebirge, da fühlt man sich frei.
Ich lese die halbe Nacht, im Winter muß ich nach Süden.

Was sind das für Wurzeln, die krallen, was für Äste wachsen 
Aus diesem steinernen Schutt? Menschensohn,
Du ahnst es nicht und kannst nicht wissen, du siehst doch nur 
Einen Haufen zerbrochener Bilder, wo die Sonne sticht
Und der tote Baum kein Obdach bietet, die Grille keine Hilfe 
Und der trockene Stein kein Wassergeräusch. Nur
Dort ist Schatten unterm roten Fels,
(Komm in den Schatten unterm roten Fels),
Und ich werde dir etwas zeigen, das anders ist als 
Der Schatten, der dir morgens nachläuft,
Und als der Schatten, der dich abends einholt; 
Ich zeig dir die Angst in einer Handvoll Staub.
Frisch weht der Wind Der Heimat zu: 
Mein irisch Kind, Wo weilest du?
›Vor einem Jahr, da brachtest du mir erstmals Hyazinthen;
Sie nannten mich das Hyazinthenmädchen.‹
– Doch als wir wiederkamen aus dem Hyazinthengarten, es war schon spät, 
Du hattest die Hände voll, dein Haar war naß, da konnte ich nicht mehr 
Sprechen, ich sah auch nichts mehr, ich fühlte mich weder
Tot noch lebendig, und alles war weg,
Als ich ins Herz des Lichts sah, die Stille.
Öd’ und leer das Meer.

Madame Sosostris, Top-Wahrsagerin,
War schwer erkältet, nichtsdestotrotz
Gilt sie als weiseste Frau Europas,
Dank eines verruchten Kartenspiels. 
Hier, sprach sie, Ist Ihre Karte, der ertrunkene phönizische Seemann, 
(Perlen sind, was seine Augen waren. Schau!)
Hier haben wir Belladonna, die Herrin der Felsen,
Die Herrin der Gelegenheiten.
Hier kommt der Mann mit den drei Stäben, und hier das Rad, 
Und hier der Kaufmann mit dem einen Auge, und hier die Karte, 
Wo nichts drauf ist, ist etwas, das er auf dem Rücken trägt,
Aber das läßt man mich nicht erkennen. Ich sehe nirgendwo 
Den Gehenkten. Fürchten Sie den Tod durch Wasser.
Ich sehe Menschenmengen, die im Kreis einhergehn.
Danke schön. Falls Sie die gute Mrs. Equitone sehen, 
Sagen Sie ihr, daß ich das Horoskop selbst vorbeibringe, 
Man kann nicht vorsichtig genug sein heutzutage.

Unwirkliche Stadt,
Unter dem braunen Nebel eines Wintermorgens
Glitt eine Menschenmenge über London Bridge, so viele,
Das dacht’ ich nicht, daß derart viele schon verblichen wären. 
Gelegentliche kleine Seufzer wurden ausgehaucht,
Und jedermann sah starr vor seine Füße.
Glitt hügelan und abwärts zur King William Street
Bis dahin, wo Saint Mary Woolnoth Stunden zählte
Mit einem dumpfen Nachhall auf dem neunten Schlag.
Da traf ich einen, den ich kannte, und ich rief ihm zu: ›Stetson! 
Der du mit mir zu Schiff vor Mylae lagst!
Der Tote, den du letztes Jahr im Garten pflanztest,
Sprießt er schon? Blüht er noch in diesem Frühjahr?
Oder ist der Nachtfrost ihm nicht gut bekommen?
O halt den Köter fern, der um die Beete streunt,
Sonst buddelt er ihn aus, der Menschenfreund!
You! Hypocrite lecteur! – mein Ebenbild, – mon frère!‹

Wenn Sie T.S. Eliots Gedicht ganz in deutscher Sprache lesen wollen, dann gibt es das hier heute auch. Klicken Sie doch einmal die Version von ➱Karl Heinz Göller an.

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