Sonntag, 16. April 2017

Ostern


Nicht jeder kommt im Poetry Month in meinen Blog. Doris Runge, deren neuestes Buch Man könnte sich ins Blau verlieben heißt, wird hier kaum vorkommen. Ulla Hahn erst recht nicht. Ich habe meine eigenen Vorlieben, Empfehlungen von Fachleuten oder die Bestsellerlisten des Buchhandels lassen mich kalt. In dem Post über die kanadische Dichterin Marilyn Bowering habe ich geschrieben: Blogger sind freie Menschen, sie dürfen sagen, was sie wollen. Sie sind subjektiv und deshalb objektiv. Und so kann ich Dichter wie ➱Andrew Hudgins, ➱Red Shuttleworth oder ➱C.K. Stead über den grünen Klee loben. Das mache ich aus Überzeugung. Ich könnte an manchen Gedichten von Marilyn Bowering herummäkeln, wie das Jeffrey Weingarten ➱hier nicht zu Unrecht tut. Und dennoch, vieles von ihr ist einfach Wow! Wie das Gedicht Hotel. Oder Zeilen wie diese:

In the night, when the sky holes open
and flights of crows dismember the planets -
when everyone is gone -
I know what death is


Es schmerzt mich ein wenig, dass der Post zu dem Neuseeländer ➱C.K. Stead so wenig gelesen wird, andererseits ist es faszinierend, wie viele Leser ➱Sabine Techel in diesem Monat gefunden hat. Den Amerikaner Red Shuttleworth habe ich im Internet entdeckt. Er tauchte hier zuerst im April 2012 im Post ➱Warren Oates auf und bekam zwei Monate später einen langen ➱Post. Red schickt mir immer seine neueste Lyrik zu, ich habe die vielen kleinen chapbooks im Regal neben ➱Robert Lowell gestellt. Eine symbolisch Handlung, die zeigen soll, dass ich ihn für Lowell ebenbürtig halte.

Nicht weit davon entfernt in dem Regal für amerikanische Lyrik steht Andrew Hudgins, dessen erste Gedichtbände ich bei Harald Eschenburg im Antiquariat fand. Drei Seiten gelesen und sofort alles gekauft, was da war. Alles andere von ihm habe ich im Internet bestellt, der Mann ist wirklich großartig. Dies Bild von Hieronymus Bosch findet sich hier, weil wir es für das Verständnis des Gedichtes Ecce Homo von Andrew Hudgins brauchen, das heute mein Ostergedicht ist.

Christliche Dichter sind in unseren Tagen rar. Ein christlicher Dichter, der auch noch Humor hat, ist noch rarer. Ich möchte dafür als Beispiel den Anfang des Gedichts ➱Praying Drunk zitieren. Ein Gedicht, in dem sich die schönen Zeilen Dear Lord, / we lurch from metaphor to metaphor, / which is – let it be so– a form of praying finden:

Our Father who art in heaven, I am drunk.
Again. Red wine. For which I offer thanks.
I ought to start with praise, but praise
comes hard to me. I stutter. Did I tell you
about the woman whom I taught, in bed,
this prayer? It starts with praise; the simple form
keeps things in order. I hear from her sometimes.
Do you? And after love, when I was hungry,
I said, Make me something to eat. She yelled,
Poof! You’re a casserole!—and laughed so hard
she fell out of the bed. Take care of her.

Sie werden unbedingt ➱hier weiterlesen wollen. Andrew Hudgins hat keinen deutschen Wikipedia Artikel, seine Gedichte sind nicht ins Deutsche übersetzt. Warum eigentlich nicht?

Ecce homo, sagt Pilatus. Sehet, welch ein Mensch, schreibt Luther. Pilatus kann keine Schuld an Jesus finden, andere schon. Diejenigen, die kreuziget ihn rufen. Und die vielleicht so aussehen, wie auf dem Bild von Bosch. Dieser Augenblick, da Pilatus Ecce homo sagt, ist zu einem der meistgebrauchten Motive von Kunst und Literatur geworden. Das Gedicht von Andrew Hudgins nimmt das Thema auf:

Ecce Homo

Christ bends, protects his groin. Thorns gouge
his forehead, and his legs
are stippled with dried blood. The part of us
that’s Pilate says, 'Behold the man'.
We glare at that bound, lashed,
and bloody part of us that’s Christ. We laugh, we howl,
we shout. 'Give us Barabbas',
not knowing who Barabbas is, not caring.
A thief? We’ll take him anyway. A drunk?
A murderer? Who cares? It’s better him
Than this pale ravaged thing, this god. Bosch knows.
His humans waver, laugh, then change to demons
as if they’re seized by epilepsy. It spreads
from eye to eye, from laugh to laugh until,
incited by the ease of going mad,
they go. How easy evil is! Dark voices sing,
'You can be evil or you can be good,
but good is dull, my darling, good is dull'.
And we’re convinced: How lovely evil is!
How lovely hell must be! 'Give us Barabbas!'

Lord Pilate clears his throat and tries again:
'I find no fault in this just man'.
It’s more than we can bear. In gothic script
our answer floats above our upturned eyes.
'O crucify, we sing. O crucify him!'



Ich wünsche all meinen Lesern ein frohes Osterfest.

Und wenn Sie noch mehr von Andrew Hudgins lesen wollen, es gibt hier noch diese Posts: Andrew Hudgins, Weihnachtsfeiern, Karfreitag, Karfreitag, Mockingbird, Ostern, Lord Byrons Schuhe

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