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Sonntag, 29. September 2019

the best is yet to come


Sein Bruder Joachim Kühn war schon am 4. September in diesem Blog (und im Post Improvisationen kommt er auch vor), heute möchte ich mal eben ganz kurz Rolf Kühn erwähnen. Weil Glückwünsche angebracht sind, der Klarinettist, der seit siebzig Jahren vor den Mikrophonen steht, wird neunzig Jahre alt. Das hat der Saxophonist Heinz Sauer (der schon in den Posts Don Byas und Nachtfahrt erwähnt habe) noch nicht ganz geschafft.

Rolf Kühn durfte zur Zeit der Nazis nicht ans Konservatorium, weil seine Mutter Jüdin war. Er bekam von Freunden der Familie Privatunterricht als Holzbläser. Nach dem Krieg war er Saxophonist im RIAS Tanzorchester in Berlin, 1956 ging er in die USA. Dort spielte er in den Bigbands von Benny Goodman und Tommy Dorsey. Und er trat mit Caterina Valente auf, die mal - man glaubt es kaum - Jazzsängerin war. Hören sie doch mal hier hinein. In den sechziger Jahren kam Rolf Kühn nach Deutschland zurück und wurde Leiter des NDR Fernsehorchesters. Bevor er den Free Jazz entdeckte, klang sein Sound so wie bei Happy Discothek - Dancing in a new Sound. Das Photo zeigt ihn mit Donald Byrd 1960 in der New Yorker U-Bahn Linie, zu der es einen Jazzstandard gibt.

Die Firma MPS (was nichts als Musik Produktion Schwarzwald heißt) hat in Zusammenarbeit mit Kühn ein limitiertes Paket von sieben Langspielplatten zusammengestellt, das den Titel the best is yet to come hat. Und ja, Sie haben das richtig gelesen, das Paket gibt es nur als Vinyl, da braucht man einen Plattenspieler. Old school ist jetzt cool. Der 90. Geburtstag ist für Kühn kein Grund aufzuhören, Sie finden die Termine seiner nächsten Konzerte hier.

Und neben den Glückwünschen für das Geburtstagskind gibt es hier noch den Hinweis auf einen schönen Film, der bis zum Jahresende im Netz steht. Und wenn Sie noch mehr über Jazz lesen wollen: in diesem Blog gibt es noch die Posts: Mehr Jazz?Harry Belafonte, Rickie Lee Jones, Play Bach, Birdland, Charlie Parker spielt La Paloma, Michel Legrand, Candy DulferRickie Lee Jones, Mundharmonika, Nick Drake, Gulda, Rosemary Clooney, Sun Ra, Dexter Gordon, Don Byas, Richard Twardzik, Lena Horne, Monica Zetterlund, Cantate, Aimez-vous Brahms?, Folksongs, Teddy Boys, Mein Dänemark, Sempé, Marshall McLuhan, Arnold DuckwitzNico, Lou Reed, Madeleine Peyroux, Die Harmonie der Welt, Jean-Louis Trintignant, Birdland, P.J. Kavanagh, Improvisationen, Saturn, Nachtfahrt, Lush Life, Fehlkäufe, Frankieboy, Jugendkultur, Paul Kuhn

Freitag, 27. September 2019

Kakao


Gibt es eigentlich noch Kaba? Das Getränk war ja mal von Ludwig Roselius erfunden worden, dem wir Bremer den Kaffee HAG und die Böttcherstraße verdanken. Als ich klein war, bekam ich immer Kakao zu trinken, oder genauer: heiße Schokolade. Die beste Schokolade gab es bei Tante Cilly, die ich einmal im Monat besuchte. Von ihrem Großvater, dem Kaufmann Julius von Minden, hatten wir ein Portrait im Wohnzimmer hängen, darauf ist er dezent im Schwarz des 19. Jahrhunderts gekleidet. Er hat einen gepflegten grauen Bart und er trägt eine dunkelblaue Samtkappe. Ich weiß nicht weshalb, aber es sieht sehr elegant aus. Tante Cilly war eine vornehme kleine Dame, sie trug immer Schwarz, doch ihre Kleider aus Satin oder Seide zierte immer ein weißes Krägelchen. Tante Cilly, deren Neffe mein Patenonkel war, griff für die heiße Schokolade nicht zur Kaba Dose, sie bereitete sie selbst zu. Manchmal gab es bei ihr nach der Schokolade auch noch einen 5 Mark Schein.

Man konnte natürlich auch in einem Café Schokolade trinken. An einer Schokolade kann man die Qualität eines Cafés erkennen, sagte mein Freund Peter. Er sagte das mit der gleichen Bestimmtheit, wie er Wir müssen jetzt Proust lesen gesagt hatte. Die Schokolade durfte natürlich nicht diese Plörre sein, die man heute bei Starbucks (oder wie diese austauschbaren Café-Macdonalds heißen) bekommt. Die sieht genauso aus wie der Kakao der Schulspeisung in der Volksschule, den uns die amerikanischen Besatzer verordnet hatten. Schmeckt auch so. Nachdem wir alle Bremer Cafés getestet hatten, blieben wir bei Stecker in der Knochenhauerstraße hängen, diesem hübschen kleinen Haus aus der Renaissance, das im 18. Jahrhundert eine Rokoko Fassade bekam. Klein (nur sieben Meter breit), verwinkelt, intim und mit Stil. Es war geradezu privat.

Hierher verirrten sich nie die Pennäler der Hermann Böse Schule, die damals in Horden in das Café Jacobs einfielen. Wir hätten zu Knigge in der Sögestraße gehen können, wo ich jedes Jahr zu Weihnachten den telephonisch bestellten Bremer Klaben abholte, aber das Café wurde in jedem Reiseführer empfohlen. Und Hillmann war zu groß und voller Touristen. Obgleich Theodor Fontane der Vorläufer des Cafés, Hillmanns Hotel, gut gefallen hatte.

Er hat es in seinen Roman Cécile hineingeschrieben: Den andern Morgen war er in Bremen und nahm Wohnung in 'Hillmanns Hotel', einem entzückenden Gasthause, das er schon aus früheren Aufenthalten kannte. Die Fenster in seinem Zimmer standen auf, und er sah abwechselnd über die die Vorstadt von der Altstadt trennende Esplanade hin in die buntbelebte Sögestraße hinein und dann wieder unmittelbar auf eine neben der ganzen Hotelfront hinlaufende, mit Kies bestreute Rampe, darauf die Gäste saßen und eben ihren Frühkaffee nahmen. Denn es war noch milde Luft, und die mächtigen Bäume des benachbarten Wallgangs bildeten einen Schirm, der die ganze Rampe zu einer windgeschützten Stelle machte. Hier wollt er auch sitzen, und als er sich umgekleidet hatte, stieg er treppab und nahm an einem der Tische Platz. Das Treiben, das vorüberwogte: Rollwagen, die nach dem Hafen fuhren, Mägde, die zu Markt, und Kinder, die zur Schule gingen, alles tat ihm wohl und gab ihm ein stilles Behagen wieder, das er seit dem Tage, wo Clothildens Brief eintraf, nicht mehr gekannt hatte. Dabei sah er Cécile beständig vor sich, die, wie ein hinschwindendes Nebelbild, ihn aus weiter Ferne her zu grüßen und doch zugleich auch abzuwehren schien.

Wir gingen nicht wie die Flensburger Petuh Tanten einfach so zu Stecker, das Café beschloss immer einen kulturellen Bremen Besuch, Kino oder Kunsthalle. Auf dem Rückweg wurde bei Hespen am Wall in die Fenster geguckt, damit wir auf dem Laufenden waren, wie sich die Bremer die Engländer vorstellen sollen, erst danach gingen wir zu Stecker. Wir waren immer zurückhaltend elegant gekleidet: Flanell- oder Cordhosen, Tweedjackett und braune englische Schuhe. Einmal sah ich im ersten Stock des Cafés einige Tische weiter drei Bundeswehroffiziere. Während ich so tat, als würde ich meinen am Bahnhof gekauften Observer lesen, beobachtete ich sie. Man sah die damals ja selten in der Öffentlichkeit, bei Stecker hatte ich noch nie welche gesehen. Sie trugen die neuen Uniformen, nicht mehr die Affenjacken der ersten Jahre der Bundeswehr.

Einer der Männer fiel mir auf, seine Uniformjacke war dunkler als gewöhnlich. Und sein blaugraues Hemd hatte einen anderen Farbton als das der beiden anderen Offiziere. Seine Manschetten waren ausgefranst, das ist ja immer ein Zeichen der Oberklasse, die sich das erlauben kann. Er hatte lange schmale Hände, und die Gesichtshaut war über den Wangenknochen angespannt. Das Gesicht mit den tiefliegenden Augen hatte etwas Totenkopfähnliches an sich. Gehen solche Leute zum Bund, weil sie den Tod suchen? Draußen auf der Knochenhauerstraße wuchs die Dämmerung, und das Dämmerlicht, das sich mit dem Licht der Tischlampen mischte, ließ ihn wie einen Raubvogel aussehen. Degenerierter Adel? Zur Zeit von Lord Byron wäre das bestimmt ein romantisches Schönheitsideal eines schon todgeweihten Helden gewesen. Lese ich mit meinen morbiden Beobachtungen damals zu viel Tod in Venedig?

Aber ich habe das Bild dieser Gruppe von Offizieren und diesen Moment des Todeshauchs nicht vergessen, weil Stecker in Bremen wenige Jahre später nur noch mit dem Tod assoziiert wurde. Anfang der siebziger Jahre wird der Juniorchef Gerd Stecker auf der Straße erschossen. Von einem Matrosen, der sich in seine Frau verliebt hatte und mit ihr durchbrennen wollte. Die Ironie an der Geschichte ist, dass Gerd Stecker eigentlich schon dreißig Jahre vorher so gut wie tot war. Seine Mutter hatte ihn aus dem von den Phosphorbomben brennenden Asphalt der Hansastraße gerettet, wo das Café vor 1948 beheimatet war. Sie hat dabei schwerste Verletzungen davongetragen und konnte nie wieder ein Kleid mit kurzen Ärmeln tragen. Ihr Mann war unter den Trümmern des Hauses ums Leben gekommen. Das war die Bombennacht vom 19. August 1944, als der ganze Bremer Westen eine Flammenhölle war.

Nach dem Tod von Gerd Stecker blieb das Café erst einmal geschlossen. Aber wenn es wieder öffnet, ist irgendwie nichts wie früher. Das Café zog jetzt ein anderes Publikum an, die wohl wegen der Sensation hierher kamen. Danach soll es ein Treffpunkt lokaler Prominenz gewesen sein, angeblich war Otto Rehagel hier Stammgast. Das alles weiß ich nicht, ich habe nie wieder bei Stecker Schokolade getrunken. Ich fuhr lieber nach Worpswede zum Kaffee Verrückt, aber das ist gerade geschlossen worden.

Seit dem Jahre 2000 gehören Café und Konditorei dem Konditormeister Bernard Timphus, der der TAZ nur Trauriges über die Familie Stecker zu sagen wusste: Das Album mit den historischen Fotos der Familie Stecker hat jemand auf dem Flohmarkt gefunden und ihm vorbeigebracht – die beiden Töchter, die in den USA leben, haben die Familientradition wie Gerümpel verhökert. Und die alte Frau Stecker wurde anonym beerdigt, weil die Erben kein Interesse an einer Grabstelle hatten. Eine der Töchter soll in Arizona ein German Café betreiben. Stecker in Bremen ist heute bei Facebook, da stellen die Kunden Selfies von sich ins Netz und photographieren ihre Tortenstücke.

Mittwoch, 25. September 2019

one-day wonder


Am 25. September 1690 erschien in Boston eine Zeitung mit dem Titel  Publick Occurrences Both Forreign and Domestick, es war die erste Zeitung in Amerika. Am 26. September erschien sie nicht mehr, Tage später gab es nur die Verlautbarung: Whereas some have lately presumed to Print and Disperse a Pamphlet, Entitled, Publick Occurrences, both Forreign and Domestick: Boston, Thursday, Septemb. 25th, 1690. Without the least Privity and Countenace of Authority. The Governour and Council having had the perusal of said Pamphlet, and finding that therein contained Reflections of a very high nature: As also sundry doubtful and uncertain Reports, do hereby manifest and declare their high Resentment and Disallowance of said Pamphlet, and Order that the same be Suppressed and called in; strickly forbidden any person or persons for the future to Set forth any thing in Print without License first obtained from those that are or shall be appointed by the Government to grant the same. Wenn sie das einzige Exemplar der Zeitung lesen wollen, dann klicken Sie hier.

Die nicht verkauften Exemplare wurden eingestampft, der Herausgeber Benjamin Harris wanderte ins Gefängnis. Der englische Licensing of the Press Act von 1662 gilt auch für die Kolonien, Benjamin Harris hatte sich nicht um eine Lizenz bemüht.  Man hatte in Boston damals eine verständliche Furcht vor der Presse, im Jahr zuvor war der Gouverneur Sir Edmund Andros von einer aufgebrachten Menschenmenge aus dem Amt gejagt worden. Amerika musste noch bis zum 17. April 1704 warten, bis der pro-britische Boston News-Letter erschien, der mit der amerikanischen Revolution sein Erscheinen einstellte. Zu der Zeit hat der französische Philosoph Claude Adrien Helvétius schon vor Benjamin Franklin und den Gründervätern Amerikas schöne Dinge über die Pressefreiheit gesagt. In der englischen Ausgabe seines Werks De l’homme, de ses facultés intellectuelles, et de son éducation findet sich der Satz: To limit the press is to insult a nation; to prohibit reading of certain books is to declare the inhabitants to be either fools or slaves: such a prohibition ought to fill them with disdain. Und noch mehr zu De la liberté de la presse können Sie hier lesen.

Thomas Jefferson, gerade zum zweiten Mal zum amerikanischen Präsidenten gewählt, wird schreiben: I may err in my measures, but never shall deflect from the intention to fortify the public liberty by every possible means, and to put it out of the power of the few to riot on the labors of the many. No experiment can be more interesting than that we are now trying, and which we trust will end in establishing the fact, that man may be governed by reason and truth. Our first object should therefore be, to leave open to him all the avenues to truth. The most effectual hitherto found, is the freedom of the press.

Schon Richard Nixon wusste: the press is the enemy, damit meinte er, dass die Presse sein persönlicher Feind sei. Donald Trump ging noch einen Schritt weiter und bezeichnete die Presse als the enemy of the people. Am 3. Mai des Jahres erklärte er: Unfortunately some of the press does not cover me accurately and in fact, they go out of their way to cover me inaccurately, so I don't think that's a free press. I think that's a dishonest press. Der 3. Mai war übrigens der World Press Freedom Day. Der Twitterfürst findet immer das richtige Wort zur richtigen Zeit. Es sind heute andere Verhältnisse als 1690. Donald Trump kann keine Zeitung verbieten, die Reflections of a very high nature enthält. Er kann aber leider auch nicht von einer aufgebrachten Menschenmenge aus dem Amt gejagt werden.

Montag, 23. September 2019

Ilona Grübel


Sie war 1966 in Zadeks Fernsehfilm von Tschechows Kirschgarten zu sehen, aber damals habe ich mehr auf Gisela Trowe und Margot Trooger geachtet. Dass sie 1970 in dem Film Die Jungfrauen von Bumshausen zu sehen war, das wusste ich nicht, weil ich den Film nie gesehen habe. Sie können ihn aber sehen, wenn sie den Filmtitel anklicken. Der Film, in dem auch Jochen Busse mitspielt, wurde später unter dem Titel Betthupferl in Oberbayern vertrieben. Es gab von dem Film auch eine englische Version, die Run, Virgin Run hieß.

Dass sie 1985 mit Matt Dillon und Gene Hackman in dem Film Target war, das habe ich nicht vergessen. Vielleicht liegt das daran, dass man Frauen, die im Film nackt in der Badewanne liegen, nicht so leicht vergisst. Also, zum Beispiel Anna Schäfer in Dominik Grafs Zielfahnder, die mich darauf brachte, den Post Nackt zu schreiben. Mein Gedächtnis speichert nicht nur Frauen auf Zelluloid, es sammelt auch Details von Gemälden und Wolkenformationen am Himmel.

Deutsche Schauspielerinnen, die ins internationale Geschäft wollten, mussten sich damals offensichtlich ausziehen. Das ging Ilona Grübel nicht anders als Senta Berger oder Andrea Rau (hier auf dem Photo mit Mel Ferrer). Target war der einzige internationale Film (wenn man Run, Virgin Run von Hans Billian, der sich wenig später auf Hardcore Pornos verlegte, nicht mitzählt). Was bleibt einer Frau, die mit Tschechow angefangen hat und ein Jahr später das Filmband in Gold für die Verfilmung von Strindbergs Totentanz erhielt? Die Antwort lautet natürlich: Krimis.

Ich sah letzten im Fernsehen einen Schnipsel von einer Serie, die SOKO Kitzbühel: Hinter der Fassade hieß. Ich wusste nicht, was in der Folge passiert war, wer wen umgebracht hatte oder so etwas. Alle Serien sind ja irgendwo gleich. Den Tatort von gestern kommentierte ein Zuschauer im Netz mit: Es ist langsam nicht mehr auszuhalten, welche unterirdischen Leistungen im Tatort geboten werden. Es ist frustrierend als Beitragszahler solchen Mist angeboten zu kriegen! Aber am Ende von SOKO Kitzbühel, als ich mich reinzappte, sah ich diese schöne Frau, die im Begriff war, in ein Luxusauto zu steigen. Ich dachte einen Augenblick nach, und da sagte mir mein Bildergedächtnis: das ist Ilona Grübel. Es ist für schöne Frauen schön, wenn sie noch im Alter gut aussehen.

Ich wusste nicht, dass Ilona Grübel in der Schwarzwaldklinik eine Hauptrolle als Ehefrau von Dr. Udo Brinkmann hatte, sonst hätte ich mir das mal angeguckt. Weil ich die Frau irgendwie mag, sie sieht aus, als ob sie Humor hat. Neben dieser Serie war sie in unzähligen Krimis zu sehen. Mehrfach im Tatort zu sehen (einmal bei Kressin), bei Derrick auch, und an ihre Rolle in Schwarz Rot Gold kann ich mich noch erinnern. In ihrer Heimatstadt München durfte sie als promovierte Kriminalrätin die SOKO München leiten, das war doch schon mal ein Aufstieg im trostlosen Krimigeschäft.

Die Frau, die neben bayrisch mehrere Sprachen spricht und ein Studium der Psychologie abgeschlossen hat, hat heute Geburtstag. Dazu gratuliere ich ganz herzlich. Ich würde ihr wünschen, dass sie endlich einmal eine Hauptrolle in einem richtigen Film bekommt und nicht in Rosamunde PilcherInga Lindström, dem Bullen von Tölz oder den Rosenheim-Cops in Nebenrollen auftreten muss. Man kann die Folge Schwarzer Kaffee von Schwarz Rot Gold bei YouTube kaufen, aber ich habe das auf DVD. Gucke ich mir heute an. Wenn ich nicht doch einen Blick in die frivole Komödie Die Jungfrauen von Bumshausen werfe.

Samstag, 21. September 2019

I will fight no more forever


Tell General Howard I know his heart. What he told me before I have in my heart. I am tired of fighting. Our chiefs are killed. Looking Glass is dead. Too-hul-hul-sute is dead. The old men are all dead. It is the young men who say yes or no. He who once led them is dead. It is cold and we have no blankets. The little children are freezing to death. My people, some of them, have run away to the hills, and have no blankets, no food; no one knows where they are – perhaps freezing to death. I want to have time to look for my children and see how many of them I can find. Maybe I shall find them among the dead. Hear me, my chiefs. I am tired; my heart is sick and sad. From where the sun now stands I will fight no more forever. Das sagt der Indianerführer Chief Joseph von den Nez Percé Indianern (der heute vor 115 Jahren starb) zu dem Colonel Nelson Miles, als der ihn 1877 kurz vor der kanadischen Grenze gefangen nimmt.

Arthur Kopit hat diesen Monolog in sein Theaterstück Indians hineingearbeitet, das 1969 auf die amerikanischen Bühnen kam. Das ist das Jahr, in dem die Amerikaner auf dem Mond landen und sich schrittweise aus Vietnam zurückziehen. Die Rede von Chief Joseph verfehlt in dem Stück ihre Wirkung nicht, wenn das Licht ausgeht und nur noch ein Spot auf Chief Joseph ist. Und wenn er auf ein kleines hölzernes Fass klettert und seinen Text aufsagt: Tell General Howard I know his heart... Die Szenenanweisung vermerkt an dieser Stelle accompanied by exaggerated and inappropiate gestures. Und wenn er I will fight no more forever gesagt hat, klettert er von seinem kleinen Fass, schaut ins Publikum und sagt: After which the audience always applauded und geht ab. Da wagt aber niemand zu klatschen, in diesem Augenblick.

So effektiv die Rede in Kopits Theaterstück ist, es bleibt die Frage: ist die Rede echt? Diejenigen, die in den siebziger Jahren die Rede von Chief Seattle zu einem ökologischen Evangelium erhoben hatten, mussten mitansehen, dass die schöne Rede peu à peu demontiert wurde. Und dass die plakativste Version keine Rede aus dem Jahre 1854 war, sondern das Werk eines texanischen Drehbuchautors aus dem Jahre 1971. Karl May Leser wissen, dass Indianer anders reden als wir, aber wir wissen, dass alles bei Karl May eine Fälschung ist. Die bildreiche Sprache der Edlen Wilden ist schon bei James Fenimore Cooper nicht echt, der schwedische Forscher Georg Fridén äußerte 1949 den Verdacht, dass sich Cooper reichhaltig bei Ossian bedient hat. Im Fall der Rede von Chief Joseph haben wir einen Autor, den jungen Leutnant C.E.S. Wood. Der 25-jährige Adjutant von General Oliver Otis Howard hat mitgeschrieben, was der Übersetzer Arthur Chapman von der Rede Chief Josephs verstanden hat.

Und er hat ein wenig an der Rede gearbeitet, zwischen 1877 und 1939 entstanden neunzehn Versionen der Rede. Eine davon schrieb Wood in der Form eines Sonetts:

Tell General Howard – what he said to me before,
I have it in my heart – Maybe the Right is weak
I do not know – Tell him that I am tired
Of fighting – Too-hul-hul soot is dead – Looking Glass
Is Dead – he who led the young men in battle –

He is dead – Ah-laht-mah-Kaht – my brother. 
The old men are all dead – It is the young men 
Who say yes – or no – It is cold and we have 
No blankets – and no fire – Our children cry
For food and we have none to give –

My little daughter has run away upon the prairie –
Perhaps I shall find her too among the dead –
Hear me, my chiefs – From where the sun now stands 
Joseph will fight no more forever

Chief Josephs Rede ist Teil der amerikanischen Literatur geworden. Er wird noch einmal Teil der Literatur, wenn Robert Penn Warren sein überlanges Long Poem (64 Seiten) über Chief Joseph schreibt (es ist eine Art Komplementärgedicht zu dem langen Gedicht über John James Audubon). In  Chief Joseph of the Nez Percé heißt es über den Indianerführer, bevor er den ständig die Bibel zitierenden General Otis Howard trifft:

But then, my heart, it heard
My father’s voice, like a great sky-cry
From snow-peaks in sunlight, and my voice
Was saying the Truth that no
White man can know, how the Great Spirit
Had made the earth but had drawn no lines
Of separation upon it, and all
Must remain as He made, for to each man
Earth is the Mother and Nurse, and to that spot
Where he was nursed, he must,
In love cling.

An der Stelle gibt es eine Interpolation von einigen Sätzen, die Chief Joseph 1876 vor einer Kommission wirklich sagte: The earth, my mother and nurse, is very sacred to me: too sacred to be valued, or sold for gold or for silver . . . and my bands have suffered wrong rather than done wrong. Und dann fährt der Dichter fort:

Howard understood not. He showed us the rifle. 
The rifle is not what is spoken in peace-talk. 
He says we must leave the Winding Waters  
Forever, forever — Or come the horse-soldiers

General Howard, der sich im Bürgerkrieg in den Schlachten von Chancellorsville und Gettysburg militärisch blamiert hat, will jetzt gewinnen, will einen großen Erfolg haben. Bis zu seinem Lebensende wird er über seinen großartigen Feldzug gegen die Nez Percé Indianer reden und schreiben. Vor zwei Jahren erschien mit Daniel Sharfsteins Thunder in the Mountains: Chief Joseph, Oliver Otis Howard, and the Nez Percé War das wohl wichtigste Buch zu dem Thema. I do not think that I had to exercise more thorough generalship during the Civil War than I did in the march to the battlefield and the and the ensuing battle with Joseph and his Indians on the banks of Clearwater, schreibt General Howard voller Stolz. Er hat doppelt so viele Soldaten wie die Nez Percés, und er hat Kanonen. Das ist das Ende einer Flucht über beinahe 3.000 Kilometer, auf der die Indianer General Howard empfindliche Niederlagen beigebracht haben. Es war der letzte Feldzug der US Army gegen die Indianer.

Es gibt im Internet einen Fernsehfilm mit dem Titel I will fight no more forever aus dem Jahre 1975. Und Robert Altmans Verfilmung von Kopits Theaterstück Buffalo Bill and the Indians kann ich auch anbieten. Noch mehr zu den Indianern findet sich in den Posts Indianer, Buffalo Bill, Edle Wilde, Geronimos Cadillac, Custer, George Catlin, Tecumseh, Tecumseh in Dresden, Charles Wimar, Montcalm, Lake George, Philip Freneau, Ralph Earl, William Cullen Bryant, Aby Warburg, Custer und Friedenspfeife.

Mittwoch, 18. September 2019

Zauberberg


Am Ende des Films dirigiert der Komponist und Dirigent Fred Ballinger (gespielt von Sir Michael Caine) doch die Simple Songs, die die Königin gerne hören möchte. Am Anfang des Films Youth (Ewige Jugend) hatte er das noch abgelehnt, auch ein Adelstitel konnte ihn nicht locken. Zwischen dem Anfang und dem Ende, wenn Michael Caine im Frack der englischen Königin (ganz in weiß) und Prince Philip seinen ✱Simple Song #3 (gesungen von Sumi Jo) vorspielt, liegen zwei Stunden.

Die Story des Films ist so dünn wie die Schweizer Bergluft, befand Wolfgang Höbel bei Spiegel Online. Und Andreas Kilb schrieb in der FAZEin Rentnerfilm also, einer, in dem viel mehr geredet als gehandelt wird, ein Abgesang, in dem die Musik noch spielt, doch es ist die Musik verflossener Tage. Altes Kino für alte Augen. Aber noch böser und noch treffender ist der Satz: Der Film selbst, scheint es, hört auf zu denken, er macht es sich bequem in seinen Bildern, die wie eine Folge von Werbeclips auf der Suche nach dem passenden Produkt sind.

Es wird viel geredet in dem mit vielen Stars besetzten Film, aber inhaltlich gesehen, sagt uns eine Seite von Thomas Manns Zauberberg mehr als der ganze Film. Und an Clawdia Chauchat kommen die ganzen exotischen Schönheiten auch nicht heran. Paolo Sorrentino, der den wunderbaren Film La Grande Bellazza (lesen Sie dazu mehr in Felliniesque) gedreht hat, hat Michael Caine einen schönen Urlaub in einem alpinen Wellness Hotel verschafft. Ein Teil der Dreharbeiten wurde in dem Hotel gemacht, in dem Thomas Mann an seinem Zauberberg geschrieben hatte.

Heimat und Ordnung lagen nicht nur weit zurück, sie lagen hauptsächlich klaftertief unter ihm, und noch immer stieg er darüber hinaus. Schwebend zwischen ihnen und dem Unbekannten fragte er sich, wie es ihm dort oben ergehen werde. Vielleicht war es unklug und unzuträglich, daß er, geboren und gewohnt, nur ein paar Meter über dem Meeresspiegel zu atmen, sich plötzlich in diese extremen Gegenden befördern ließ, ohne wenigstens einige Tage an einem Platz von mittlerer Lage verweilt zu haben? Er wünschte, am Ziel zu sein, denn einmal oben, dachte er, würde man leben wie überall und nicht so wie jetzt im Klimmen daran erinnert sein, in welchen unangemessenen Sphären man sich befand. Er sah hinaus: der Zug wand sich gebogen auf schmalem Paß; man sah die vorderen Wagen, sah die Maschine, die in ihrer Mühe braune, grüne und schwarze Rauchmassen ausstieß, die verflatterten. 

Wasser rauschten in der Tiefe zur Rechten; links strebten dunkle Fichten zwischen Felsblöcken gegen einen steingrauen Himmel empor. Stockfinstere Tunnel kamen, und wenn es wieder Tag wurde, taten weitläufige Abgründe mit Ortschaften in der Tiefe sich auf. Sie schlossen sich, neue Engpässe folgten, mit Schneeresten in ihren Schründen und Spalten. Es gab Aufenthalte an armseligen Bahnhofshäuschen, Kopfstationen, die der Zug in entgegengesetzter Richtung verließ, was verwirrend wirkte, da man nicht mehr wußte, wie man fuhr und sich der Himmelsgegenden nicht länger entsann. Großartige Fernblicke in die heilig-phantasmagorisch sich türmende Gipfelwelt des Hochgebirges, in das man hinan- und hineinstrebte, eröffneten sich und gingen dem ehrfürchtigen Auge durch Pfadbiegungen wieder verloren. Hans Castorp bedachte, daß er die Zone der Laubbäume unter sich gelassen habe, auch die der Singvögel wohl, wenn ihm recht war, und dieser Gedanke des Aufhörens und der Verarmung bewirkte, daß er, angewandelt von einem leichten Schwindel und Übelbefinden, für zwei Sekunden die Augen mit der Hand bedeckte. Das ging vorüber. Er sah, daß der Aufstieg ein Ende genommen hatte, die Paßhöhe überwunden war. Auf ebener Talsohle rollte der Zug nun bequemer dahin.

Das bisschen Thomas Mann musste mal eben sein, weil der Post sonst zu inhaltsleer wird. Der Schauspieler Michael Caine, der Thomas Mann wahrscheinlich nie gelesen hat, hat England in den siebziger Jahren verlassen, weil ihm die Steuern zu hoch waren. Dann kam Mrs Thatcher und senkte die Steuern: Maggie Thatcher came in and put the taxes back down and in the end, you know, you don't mind paying tax. What am I going to do? Not pay tax and drive around in a Rolls Royce, with cripples begging on the street like you see in some countries? I decided not to become a tax exile, so I stayed in Britain, but they kept putting the tax up... Das ist natürlich eine schlimme Sache für Multimillionäre. Caine, der vor Jahren in einen Steuerskandal verwickelt war, lebte dann in Miami.

Das Haus in Miami hat er vor Jahren mit Gewinn verkauft, das große Landhaus in Surrey auch. Aber das Penthouse am Chelsea Harbour besitzt er noch. Und irgendwas in der Größe von 75 Millionen Dollar ist ihm auch geblieben. Im Jahre 2000 hat die Königin Sir Maurice Micklewhite zum Ritter geschlagen, er hat inzwischen seinen Namen in Michael Caine geändert. Die nette Julie Walters, die neben ihm in ✱Educating Rita spielt, ist auch geadelt worden.

Michael Caine ist Sozialist, das ist uns vielleicht nicht so klar: Emotionally, I am working class and I am a socialist. I have seen what the lower end of life is like and I want those people to get help. I am a left-wing Tory. Er ist nicht nur Sozialist, er kämpft auch für den Brexit: I'm a Brexiteer... I'd rather be a poor master of my fate than someone I don't know making me rich by running it. Ein Journalist hat das als one of the most thoughtless sentences ever uttered bezeichnet.

Wenn Sie den Film mit dem Sozialisten Michael Caine sehen wollen, dann können Sie das ✱hier tun (hinter all den ✱ Symbolen laufen heute Filme). Lesen Sie auch: Michael Caine.

Montag, 16. September 2019

Feminismus?


To have written the first good poems in America, while rearing eight children, lying frequently sick, keeping house at the edge of the wilderness, was to have managed a poet's range and extension within confines as severe as any American poet has confronted, hat Adrienne Rich über Anne Bradstreet gesagt, deren Gedichtband The Tenth Muse, lately Sprung up in America 1650 veröffentlicht wurde. Der Dichter John Berryman konnte sich nicht so kurz fassen wie Adrienne Rich, länger als fünf Jahre hat er an seinem Gedicht Homage to Mistress Bradstreet geschrieben. Anne Bradstreet, die am 16. September 1672 starb, gehörte zur Aristokratie der amerikanischen Puritaner; ihr Vater war Gouverneur von Massachussetts gewesen, und ihr Ehemann wird nach ihrem Tod auch Gouverneur von Massachussetts werden. Jener Kolonie, die nach dem Willen von John Wintrop a citty upon a hill sein sollte (lesen Sie hier mehr zu dem Thema).

Anne Bradstreet kann lesen und schreiben. Sie ist nicht die einzige Frau in der Kolonie, die das kann. Die Puritaner fördern es, dass jeder lesen kann. Im Verhältnis gesehen, gibt es in Massachussetts damals wahrscheinlich weniger Analphabeten als im heutigen Amerika. Aber die Alphabetisierung wird nicht gefördert, damit man William Shakespeare oder Sir Philip Sidney liest, die Lektüre der Bibel ist das Ziel. Und die kann eigentlich nur von den Männern verstanden werden. Über Annes Schwester Sarah (growne a great preacher) schreibt die Familie: she has unwifed herself. Die Folgen sind die Ehescheidung (die erste in Amerika) und die Enterbung. Religiöse Toleranz ist ganz und gar nicht die Sache der Puritaner, Anne Hutchinson wird verurteilt und muss die Kolonie verlassen, die Quäkerin Mary Dyer wird hingerichtet. Und von den Hexenprozessen in Salem wollen wir gar nicht erst reden.

Anne Bradstreet, die erste Schriftstellerin einer englischen Kolonie in Amerika, hält sich vorsichtig aus all dem heraus. Ihre Gedichte, die zuerst wohl nur für die Familie bestimmt waren, handeln von ihren Kindern (I had eight birds hatcht in one nest, Four Cocks were there, and Hens the rest), dem geliebten Ehemann oder dem abgebrannten Haus. Aber in ihrem Prologue, da wird sie richtig gefährlich. Ironisch und sarkastisch, ein persönliches Bekenntnis zur Rolle der Frau in der puritanischen Gesellschaft:

To sing of Wars, of Captains, and of Kings, 
Of Cities founded, Common-wealths begun, 
For my mean Pen are too superior things; 
Or how they all, or each their dates have run, 
Let Poets and Historians set these forth. 
My obscure lines shall not so dim their worth.

Die Aeneis beginnt mit Arma virumque cano, die Odyssee handelt von Wars, of Captains, and of Kings, Of Cities founded, Common-wealths begun. Das liegt außerhalb der Reichweite eines mean Pen einer Frau, der nur obscure lines schreiben kann. Die Rolle, die die Gesellschaft ihr zuweist, ist die des Haushalts (my hand a needle better fits):

I am obnoxious to each carping tongue 
Who says my hand a needle better fits. 
A Poet’s Pen all scorn I should thus wrong, 
For such despite they cast on female wits. 
If what I do prove well, it won’t advance, 
They’ll say it’s stol’n, or else it was by chance.

In der Übersetzung des Flensburgers Adolf Strodtmann aus dem Jahre 1862 klingt das so:

Ich muß mich beugen jedem Spötterwort,
Das meiner Hand die Nadel überweist;
»Des Dichters Kiel entweih' ich«, und so fort ...
Denn so verachtet ist der Frauen Geist.
Ist, was ich singe gut: es fördert Nichts –
Ihr sagt: »Sie stahl es, oder Zufall spricht's.«


Leider hat Strodtmann, der mit Carl Schurz befreundet war (und der in New York eine deutsche Buchhandlung gründen und Heines Werke herausgeben wird), nur die Hälfte von Anne Bradstreets Prologue übersetzt. Aber als alter 1848er hat er geschickt jene Strophen gewählt, die das revolutionäre Potential des Gedichts enthalten.

Ich muß mich beugen jedem Spötterwort,
Das meiner Hand die Nadel überweist;
»Des Dichters Kiel entweih' ich«, und so fort ...
Denn so verachtet ist der Frauen Geist.
Ist, was ich singe gut: es fördert Nichts –
Ihr sagt: »Sie stahl es, oder Zufall spricht's.«

Die Griechen waren milder doch gesinnt,
Da sie die Neun entlehnt aus unsern Reihn;
Die Poesie war einer Muse Kind,
Den Schwestern mußte jede Kunst sich weihn.
Doch solch Gespinnst zerhaut ihr mitleidslos –
Die Griechen waren arge Thoren bloß!

Laßt Griechen Griechen sein, und Frauen Fraun!
Des Geistes Kronen hat der Mann allein;
Vergebens ist's mit ihm zu kriegen, traun!
Er schafft das Höchste, und wir räumen's ein.
Den Vorrang drum in Allem ihm, dem Herrn –
Doch anerkennt auch unsre Leistung gern!

Ihr Federn, deren Flug gen Himmel steigt.
Für jedes Lied gekrönt mit Siegerglanz: –
Wenn euer Aug' auf dieses Blatt sich neigt,
Gebt mir – den Lorbeer nicht – den Epheukranz!
Dies schlichte Erz, dem Keiner Ehren zollt,
Macht heller nur erblinken euer Gold!


Sie können hier den Prologue ganz lesen, und eine Interpretationshilfe habe ich hier auch. Anne Bradstreet wird heute gerne als Feministin oder Proto-Feministin gesehen. Außerhalb ihres Gedichtes Prologue wird man dafür zuerst wenig Beweise finden, aber man muss genau lesen. So zum Beispiel steht in dem Gedicht über die verstorbene Königin Elizabeth:

Now say, have women worth, or have they none?
Or had they some, but with our Queen is’t gone?
Nay Masculines, you have thus tax’d us long,
But she, though dead, will vindicate our wrong.
Let such as say our sex is void of reason
Know ‘tis a slander now, but once was treason.


Ein Jahrhundert nach Anne Bradstreet schreibt Abigail Adams, auch eine Frau aus Massachussetts, an ihren Mann: remember the ladies, and be more generous and favorable to them than your ancestors. Do not put such unlimited power into the hands of the Husbands. Remember all Men would be tyrants if they could. If particular care and attention is not paid to the Ladies we are determined to foment a Rebellion, and will not hold ourselves bound by any Laws in which we have no voice, or Representation. 

Anne Bradstreet schreibt Gedichte, Abigail Adams schreibt Briefe. Immer mehr Frauen in Amerika werden schreiben. Einem Schriftsteller des 19. Jahrhunderts wird das zu viel: America is now wholly given over to a damned mob of scribbling women, and I should have no chance of success while the public taste is occupied with their trash-and should be ashamed of myself if I did succeed. What is the mystery of these innumerable editions of the 'Lamplighter,' and other books neither better nor worse?-worse they could not be, and better they need not be, when they sell by the 100,000. Hier spricht niemand anderer als Nathaniel Hawthorne, der übrigens Anne Hutchinson in das erste Kapitel von The Scarlet Letter hineingeschrieben hat. Es ist ein Roman über eine starke Frau, aber ebenso wie Melvilles Moby-Dick verkauft er sich nicht, nur knapp achttausend Exemplare werden zu Hawthornes Lebzeiten verkauft.

John Adams wird den Brief seiner Frau nicht ernstnehmen, er macht sich darüber lustig und redet vom Despotism of the Peticoat. Wenn er Präsident der Vereinigten Staaten wird, unternimmt er nichts, um die Rechte der Frauen zu stärken. Es wird lange dauern, bis amerikanische Frauen beim Wahlrecht den Männern gleichgestellt werden. Erst vor hundert Jahren hat der amerikanische Kongress das 19th Amendment beschlossen. Donald Trump, der Frauen schon als fat pigs, dogs, slobs, und disgusting animals beschimpft hat, hat das in diesem Jahr in einer Rede gewürdigt: Exactly one century after Congress passed the constitutional amendment giving women the right to vote, we also have more women serving in Congress than at any time before. Die New York Times hat ihn daraufhin als feminist bezeichnet. Aber Trump hat Recht, es gibt jetzt 102 Frauen im Kongress. Es überrascht nicht, dass die meisten von ihnen nicht der Partei des Mannes angehören, der als erster Präsident der Vereinigten Staaten immer wieder Frauen öffentlich beleidigt hat.

Freitag, 13. September 2019

Robert Frank


Die Weißen sitzen vorn, die Schwarzen sitzen hinten. Dieses Photo, das Robert Frank 1955 in New Orleans gemacht hatte, ist auf den Umschlag des Photobandes The Americans gewandert. Das Buch ist beim Steidl Verlag zur Zeit wohl vergriffen, aber ich nehme an, dass der Verlag das Buch, das seit 2008 elf Auflagen erlebt hat, jetzt wieder auf den Markt bringt. Es ist damals sehr aufwändig gedruckt worden, Frank hatte die Druckarbeiten selbst überwacht. Vor vier Jahren hatte Steidl das Gesamtwerk von Frank in einer Ausstellung gezeigt, nicht so aufwändig gedruckt: Cheap, quick, and dirty, that’s how I like it! hatte Frank dazu gesagt.

Der Schweizer Robert Frank hatte 1955 ein Guggenheim Stipendium bekommen, das es ihm erlaubte, mit seiner Leica (und einer Rolleiflex) einmal quer durch Amerika zu reisen. 687 Kleinbildfilme hat er von 1955 bis 1957 verbraucht, das waren beinahe 28.000 Aufnahmen, die die Betrachter hier 2016 bei einer Ausstellung in New York bewundern konnten. Nur 83 dieser Bilder wanderten in den Band The Americans.

Dieses Photo war nicht dabei, es sollte in einem Buch über New York erscheinen, das das Times Magazin herausbringen wollte, aber das ist nie erschienen. Hätte die elegante Dame, die die New York Times liest, in den Band The Americans gepasst? Die Menschen in dem Photoband tragen allerdings keine weißen Handschuhe, wenn sie die Zeitung lesen.

Sein Amerika in 83 Bildern wollte kein Verlag haben. Frank has managed to express, through the recalcitrant medium of photography, an intense personal vision, and that's nothing to carp at. But as to the nature of that vision I found its purity too often marred by spite, bitterness, and narrow prejudices just as so many of the prints are flawed by meaningless blur, grain, muddy exposure, drunken horizons, and general sloppiness. As a photographer, Frank shows contempt for any standards of quality or discipline in technique; as a poet he is too ready to lapse into the jargon of propaganda. His talent deserves better on both counts, schrieb Arthur Goldsmith in der Zeitschrift Popular Photography.

Aber dieses meaningless blur, grain, muddy exposure, drunken horizons, and general sloppiness ist ja bewusst eingesetzt, es ist der Stil von Robert Frank. Und meaningless ist es auf keinen Fall, die Photographin Jona Frank hat zu dem Bild Elevator — Miami Beach, 1955 einiges zu sagen. Jack Kerouac, der das Vorwort zu The Americans verfasste, schreibt darin: That little ole lonely elevator girl looking up sighing in an elevator full of blurred demons, what's her name & address?

Heute wissen wir, dass sie Sharon Collins heißt, sie hat sich auf dem Photo von Robert Frank wiedererkannt, als sie das San Francisco Museum of Modern Art besuchte. Und wir können am Beispiel dieser Photos auch sehen: nicht alles ist spontan, das Photo oben rechts ist Teil einer Inszenierung. Ein signierter Handabzug des Photos ist bei Lempertz vor zwei Jahren für 34.720 Euro verkauft worden.

To Robert Frank I now give this message: You got eyes, hat Jack Kerouac geschrieben. Es wird erzählt, dass Robert Frank häufig photographierte, ohne durch den Sucher zu schauen. Wer je eine alte Leica in der Hand hatte, kann das verstehen. Den Sucher kann man vergessen, was man braucht, sind die Augen.

Robert Franks Les Américains erschien 1958 bei Robert Delpire in Paris, die Photographien wurden begleitet durch ausgewählte Texte von Erskine Caldwell, John Dos Passos, Henry Miller, William Faulkner und John Steinbeck. Nach der Präsentation der französischen Ausgabe kehrte Frank nach Amerika zurück, in New York traf er Jack Kerouac: I had met Jack Kerouac at a party given for him by his friend Lucien Carr. He was sitting on the sidewalk, around 18th or 19th Street, and I came there with a French edition of the book and I showed it to him. He liked the photos, and I said that you should write something for it. It was pretty relaxed. But Kerouac wrote the introduction. Wären Kerouac und Ginsberg nicht gewesen, wäre The Americans nicht zum Kultbuch geworden.

Dies ist das letzte Photo in The AmericansU.S. 90, en route to Del Rio, Texas, es zeigt seine Frau und seine Kinder, die er auf seinen Photoreisen häufig mitnahm, im Auto. Das Bild ist beschnitten (cropped), ein Stilmittel, das Frank häufig verwendet. Wie auch die schiefe Perspektive (die drunken horizons von denen Goldsmith sprach), ohne die das Photo vom elevator girl nicht denkbar wäre. Robert Frank war nicht der erste Photograph, der ein Guggenheim Stipendium erhielt. Vor ihm hatten Edward Weston, Ansel Adams, Walker Evans und Dorothea Lange schon ein Stipendium bekommen.

Robert Frank ist am 9. September im Alter von 94 Jahren gestorben. In manchen der Nachrufe wird er als Erfinder der street photography gefeiert. Das ist nicht ganz richtig, Ansätze dazu kann man schon bei Eugène Atget und Berenice Abbott finden. Und natürlich in Henri Cartier-Bressons Images à la sauvette. Robert Frank, Swiss, unobtrusive, nice, with that little camera that he raises and snaps with one hand he sucked a sad poem right out of America on to film, taking rank among the tragic poets of the world, hat Kerouac geschrieben. All die schönen Dinge, die jetzt in Nachrufen gesagt werden, sind richtig.

Was zu schnell vergessen wird, ist die Tatasache, dass Frank nur da weitermacht, wo die FSA Photographie aufgehört hat. Dies Photo ist nicht von Robert Frank, es ist von Dorothea Lange. Sie könnten zu diesem Thema den langen Post Dokumentarfilm lesen. Und in den Posts Margaret Bourke-White, Gordon Parks und Berenice Abbott steht auch etwas zu Franks Vorläufern. Und Jack Kerouac hat in diesem Blog natürlich auch einen Post.

Mittwoch, 11. September 2019

Vergessen


Vergessen ist vergessen wollen, sagte Professor Bondy in seiner Vorlesung. Er illustrierte den Satz mit einer kleinen Geschichte. Er hatte einer Studentin ihre Examensarbeit zurückgegeben und ihr gesagt, dass sie die noch einmal überarbeiten müsse. So wie sie sei, könne er sie nicht annehmen. Als die Studentin das Zimmer verlassen hatte, lag die Arbeit immer noch auf seinem Schreibtisch, die Studentin hatte vergessen, sie mitzunehmen. Curt Bondy war schon emeritiert, aber er las immer noch in gut gefüllten Hörsälen. Ich schrieb eifrig mit, auch den Satz Vergessen ist vergessen wollen. Bondy hatte gleich in der ersten Vorlesung gesagt, dass er ein Freudianer sei, auch wenn das zur Zeit nicht in Mode sei. Vielleicht war das eine Anspielung auf seinen Nachfolger Peter R. Hofstätter, der bei den Studenten nicht so beliebt war.

Zumal auch das Gerücht umlief, dass der ein Nazi gewesen war. Zwei Jahre zuvor hatte Hofstätter, in der Zeit einen Artikel mit dem Titel Bewältigte Vergangenheit? veröffentlicht, in dem er eine Generalamnestie für alle Verbrechen Nazideutschlands zu fordern schien. Die Redaktion stellte dem Artikel folgendes voran: Zur Veröffentlichung seiner Fragen haben wir uns nach einigem Zögern entschlossen. Die Gefahren liegen auf der Hand. Der Artikel ist von der Art, bei der – wie Erfahrung lehrt – statt des Ganzen einzelne Sätze wirken, die dann empört abgelehnt oder mit Beifall von der falschen Seite begrüßt werden können. Auch sind wir nicht in der Lage, uns Hofstätters Schlußfolgerungen zu eigen zu machen. Aber daß seine Fragen gestellt werden – das scheint uns wichtig.

Der Artikel wurde als Skandal empfunden, zumal Hofstätter in einem Interview die These vertrat, Hitler habe den Juden den Krieg erklärt – Konsequenz: Die getöteten Juden sind ‚gefallen‘, nicht ermordet worden –, eine Amnestie für NS-Verbrechen sei notwendig. Ähnliches sagte er auch in einem Leserbrief an die Deutsche National Zeitung, der er auch ein Interview gab. Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer wäre da ganz anderer Meinung gewesen. Wie tief kann man als Ordinarius fallen, wenn man die Nähe zur Deutschen National Zeitung sucht? Der Herausgeber der Zeit, Rudolf Walter Leonhardt, nahm mit einem langen Artikel Der Fall Hofstätter: Notwendiger Widerspruch – Verständliche Empörung – Unkontrollierte Hysterie zum Fall Hofstätter Stellung. Es wurde mit keinem Wort erwähnt, dass Hofstätter Mitglied der NSDAP und österreichischer Heerespsychologe gewesen war.

Die Hamburger verfuhren etwas seltsam mit der Besetzung ihrer Lehrstühle. Erwin Panofsky war 1933 von den Nazis entlassen worden. 1947 berief man das ehemalige SA- und NSDAP Mitglied Werner Schöne auf die Professur für Kunstgeschichte, der noch wenige Jahre zuvor geschrieben hatte: Sozialistische Gedankengänge waren mir immer fremd, die weiche Politik der Republik gegenüber dem Ausland habe ich gehasst. Ich war und bin ausgesprochener Antisemit . . . Auch in der Kunstgeschichte war mir das jüdische Element zuwider.

Wir sind 1965 in einer seltsamen Zeit. In meinem Heimatort finanziert der Ziegeleibesitzer Fritze Thielen die NPD, deren erster Bundesvorsitzender er wird. Seine Tochter ist damals aus dem Elternhaus ausgezogen, ich habe sie dafür bewundert. Alles schien irgendwie wiederzukommen. Ich studierte damals keine Psychologie, aber ich hörte Bondys Einführung in die Psychologie. Zum einen hörte ich die Vorlesung, weil er ein berühmter Mann war, ich habe damals auch die Vorlesung von Carl Friedrich von Weizsäcker besucht. Gerhard Maletzke hat auf die Frage, in wieweit sein Lehrer Curt Bondy ihn beeinflusst habe, geantwortet: Bondy hat mich menschlich sehr geprägt. Er hatte ein grundgütiges Herz und besaß viel Güte und Weisheit. Er war allerdings kein hundertprozentig echter Wissenschaftler. Was immer das heißen soll. Mir reichte das, was Bondy vortrug, durchaus aus. Ich habe von der Vorlesung nichts vergessen. Auch nicht die nette Frau, die immer neben mir saß. Die hatte einen Job beim Spiegel und brachte mir jede Woche ein kostenloses Exemplar mit.

Ich hörte Bondys Einführung in die Psychologie auch deshalb, weil man noch in andere Fächer als die eigenen hineinschnupperte. Ich habe jahrelang Romanistik Vorlesungen gehört, obgleich ich das Fach nicht studierte. Aber damals empfahlen die Rektoren der deutschen Universitäten den Erstsemestern, auch Lehrveranstaltungen außerhalb ihrer Fächer zu besuchen. Das studium generale war nicht nur ein leeres Schlagwort. So etwas ist heute undenkbar. Die Bachelor-Master Studiengänge haben Module und credit points und sind eine Verschulung und Verflachung der Universität. Ich bin froh, dass ich das nicht mehr zu erleben brauche. Bondy benutzte uns 1965 in gewisser Weise als Versuchskaninchen, denn zwei Jahre später erschien seine überarbeitete Vorlesung als Buch bei Ullstein. Die Einführung in die Psychologie erlebte 16 Auflagen.

Curt Bondy kam aus einer wohlhabenden großbürgerlichen Hamburger Familie. 1914 begann er sein Medizinstudium in Kiel, das er aber abbrach, als er Soldat wurde. Freiwillig, genau wie mein Opa. Bondy studierte nach dem Krieg in Hamburg Philosophie und Psychologie und promovierte 1921 als erster Doktorand bei William Stern, dem Mitbegründer der Hamburger Universität. Er arbeitete nach seiner Habilitation im Jugendstrafvollzug, leitete später eine Jugendstrafanstalt in Eisenach und unternahm Reformversuche im Bereich der Resozialisierung von Jugendlichen. Die von ihm initiierten reformpädagogischen Experimente auf Hanöhfersand galten als bahnbrechend. Er wurde 1936 der Leiter des Lehrguts Groß Breesen (hier mit seinem Pferd Edgar in Groß Breesen), wo Jugendliche auf die Auswanderung vorbereitet werden sollten.

1938 kam er mit seinen Schülern in das KZ Buchenwald, konnte aber dank internationaler Hilfe zusammen mit den Schülern wegen der geplanten Emigration freikommen. Er emigrierte über England und Holland nach Amerika und wurde Professor am renommierten College of William and Mary in Williamsburg, Virginia. Ein Teil seiner Schüler konnte in Richmond auf der Farm unterkommen, die William Thalhimer auf Bondys Anregung angelegt hatte. 1949 nahm Bondy den Ruf auf den Lehrstuhl in seiner Heimatstadt an. Viele hatten nicht geglaubt, dass er zurückkehren würde, aber der Wiederaufbau des Psychologischen Instituts der Universität Hamburg wurde jetzt sein Lebenswerk. Er führte es, wie es in einem Bericht über 100 Jahre akademische Psychologie in Hamburg heißt, danach von 1952 bis 1959 als erster Nachkriegsordinarius für Psychologie beeindruckend schnell zu neuer Größe.

Ich überlegte mir das ganze Semester, wie die Herren Bondy und Hofstätter wohl miteinander umgehen würden. Als Bondy Hofstätter nach Hamburg holte, wusste er vielleicht nichts von Hofstätters Vergangenheit. Für ihn war Hofstätter ein Schüler von Karl Bühler, und der war ja auch emigriert. Doch spätestens nach dem Artikel in der Zeit hätten Bondy erste Zweifel kommen müssen. Vielleicht war er deshalb in seinem Institut noch derart aktiv, damit es ein Gegengewicht für Hofstätter gab. Ich hatte von Hofstätter das Buch Gruppendynamik: Die Kritik der Massenpsychologie gelesen, das bei Rowohlt in der Reihe Rowohlts deutsche Enzyklopädie erschienen war. Es war frei von nationalsozialistischem Gedankengut.

Ich las damals alles aus der rde Reihe, was ich in die Finger kriegte. Eine Suhrkamp Kultur, von der später jeder reden würde, gab es noch nicht, die rde Reihe war der intellektuelle Olymp. Die beiden Bände von Gustav René Hocke über den Manierismus erschienen mir als das Beste der Reihe. Ich habe mir später auch noch Bondys Einführung in die Psychologie gekauft, aus reiner Nostalgie. Im letzten Jahr ist bei dem Hentrich & Hentrich Verlag in Berlin in der Reihe Jüdische Miniaturen ein schönes kleines 90-seitiges Buch von Susanne Guski-Leinwand erschienen, das die Lebensleistung von Curt Bondy würdigt.

Über Hofstätter wissen wir inzwischen auch mehr. Das verdanken wir dem Lehrer und ehemaligen Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten Dr Hans-Peter de Lorent, der in 180 Biographien dargestellt hat, wie sich die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen während der Naziherrschaft verhielten. Die drei Bände von Täterprofile hat die Hamburger Landeszentrale für politische Bildung dankenswerterweise online gestellt (Band 1, Band 2 und Band 3). Peter R. Hofstätters Biographie findet sich in Band 2.

Dies hatte ein ganz anderer Post werden sollen. Den Titel Vergessen hatte ich gewählt, weil ich etwas wirklich vergessen hatte. Der erste Absatz mit dem Vergessen ist vergessen wollen war geschrieben, bevor das Ganze außer Kontrolle geriet. Ich kam von Bondy auf Hofstätter, und da war ich bei dem Thema, zu dem ich eigentlich nicht wollte, das man aber nicht vermeiden kann. Und auch nicht vergessen sollte. Worüber ich eigentlich schreiben wollte, das war ein altes schwarzes Schulheft aus den sechziger Jahren, das ich beim Aufräumen fand. Christine stand vorne drauf, und in dem Heft waren Skizzen zu einer Erzählung über eine Frau, die ich Christine genannt hatte. Ich erinnere mich an sie, sie war blond und hatte kleine Strähnchen im Haar, sie legte den Kopf immer etwas schief. Sie sprach sehr leise, man musste nahe an sie heranrücken. Das alles weiß ich noch. Aber alles andere, das in diesem Heft stand, das hatte ich vergessen.

Es ist manchmal ganz gut, dem anderen Ich zu begegnen, das man einmal gewesen ist. Das sagt auf jeden Fall Joan Didion in ihrem Essay On keeping a notebook: It all comes back. Perhaps it is difficult to see the value in having one’s self back in that kind of mood, but I do see it; I think we are well advised to keep on nodding terms with the people we used to be whether we find them attractive company or not. Otherwise they turn up unannounced and surprise us, come hammering on the mind’s door at 4 a.m. of a bad night and demand to know who deserted them, who betrayed them, who is going to make amends. We forget all too soon the things we thought we could never forget. We forget the loves and the betrayals alike, forget what we whispered and what we screamed, forget who we were.

Und irgendwann schreibe ich über diese blonde Frau, die ich Christine genannt habe. Das werde ich nicht vergessen.