Constantijn Huygens liebte schöne Architektur, dieses
Landhaus hat er für sich selbst entworfen. Gebaut hat ihm das sein Freund Jacob van Campen, für den er eine Vielzahl von Gelegenheitsgedichten geschrieben hat. Denn unser
Constantijn Huygens, der am 28. März 1687 starb, ist nicht nur ein hoher Diplomat, er ist auch ein Dichter. Er wird schon einmal in diesem Blog erwähnt, in dem ausführlichen kunsthistorischen Post, der
Jacob van Campen heißt. Es geht darin um die Bauwerke der holländischen Renaissance, eines Baustils, der weit wirken wird. Selbst in meiner Heimatstadt Bremen kann man ihn sehen, ich denke da an das schöne
Gewerbehaus. Die Bremer mögen das natürlich nicht so gerne hören, dass Bauwerke wie Rathaus,
Schütting, Gewerbehaus und Stadtwaage Teil einer überregionalen Kunstrichtung der nordischen Renaissance sind und nicht etwas Einzigartiges, das es nur in Bremen gibt.
Die Kunstgeschichte verwendet inzwischen für diese Bauten den Begriff
Weserrenaissance. Der Kunsthistoriker Richard Klapheck hatte den Begriff 1912 geprägt, andere Kunsthistoriker wie Bernhard Niemeyer, Albert Neukirch und Max Sonnen haben Teilaspekte mit photographischen Dokumentationen vorgelegt. Und der dreizehnjährige Helmut Schmidt hat einen Aufsatz zum Thema
Die Weserrenaissance in Hameln und Bückeburg geschrieben, der ist leider nicht erhalten. Erst durch die große Bestandsaufnahme von Herbert Kreft und Jürgen Soenke
Die Weserrenaissance (1964) ist die Weserrenaisance zu einem geläufigen Begriff geworden. Das Buch mit seinem sorgfältigem Text und den wunderbaren Schwarzweißphotos ist immer noch die beste Quelle zu diesem Thema, auch wenn es jetzt vielleicht Neueres und kunsthistorisch Genaueres gibt. Das schöne Buch ist noch antiquarisch zu finden. Solch schöne Bauwerke wie dieses gibt es in Bremen nicht; das hier ist das von Huygens' Freund Jacob van Campen gebaute
Stadhuis in Amsterdam.
Der Dichter soll Glubschaugen gehabt haben, sagten seine Zeitgenossen, aber auf dem Bild von Michiel Janszoon van Mierevelt kann man nichts davon sehen. Er hat sich auch nicht mit einer Brille malen lassen, obgleich er die ständig trug, seit er sechzehn Jahre alt war. Das erregte großes Aufsehen, wenn man im Holland des 17. Jahrhunderts eine Brille brauchte, dann setzte man die zuhause zum Lesen auf, nicht auf der Straße. Huygens trägt seine Brille in der Öffentlichkeit: Sollten doch die Leute, die mich in meiner Jugend wegen meiner Brille verhöhnten, einsehen, dass ich mich damit keineswegs interessant machen wollte, sondern nur versuchte, keinen Anstoß zu erregen, wenn ich nicht als erster grüßte, was manche für wichtig halten.
In der Mitte des 17. Jahrhunderts schreibt er für seine Freundin Lucretia van Trello, die auf einem Auge zu erblinden droht, ein Trostbuch in Versen. Er nennt die Tochter des Ritters Charles de Trello in seinem Text
Parthenine, und sein Werk hat, wie viele Bücher im 17. Jahrhundert einen langen Titel:
Eufrasia: oogen-troost, aen Parthenine, bejaerde maeghd: over de verduysteringh van haer een ooge. Eintausend Verse ist das Gedicht lang, die erste Fasssung war nur halb so lang. Wenige Jahre später schreibt in England John Milton ein Gedicht auf seine Blindheit. Es ist nicht so lang wie das in Alexandrinern geschriebene Gedicht des Holländers, es sind nur vierzehn Verse, es ist das Sonett
On His Blindness. Steht heute in jedem englischen Schulbuch. Ich stelle hier einmal die deutsche Übersetzung von
Walter A. Aue ein, einem emeritierten Chemieprofessor, der sehr schöne deutsche Übersetzungen englischer Gedichte geschrieben hat:
Wenn ich bedenke, wie mein Licht verblich
zur Lebensmitte schon in dunkler Welt;
und das Talent, dess' Muße Tod enthält,
liegt ungenützt, obwohl die Seel' für sich
dem Schöpfer dienen, zeugen will für mich,
was ich getan, daß Rückgab' er nicht schelt:
Befiehlt Gott Arbeit, wem kein Tag erhellt?
mein Irrtum frägt. Geduldig antwort' ich
um Murren zu verhindern: Gott braucht nicht
die eig'nen Gaben noch der Menschen Hast:
Am besten dient, wer dient nach altem Brauch.
Sein Königswort nimmt Tausende in Pflicht
und schickt durch Meer und Land sie ohne Rast -
und wer nur steht und wartet, dienet auch!
Wenn man ein tausendzeiliges Gedicht schreibt, kommt man natürlich nicht als Text in die Schulbücher. Aber 369 Jahre nach seinem Erstdruck ist das Gedicht jetzt in der Übersetzung von Ard Posthuma (der auch Cees Nooteboom übersetzt hat) als
Euphrasia: Augentrost beim Verlag Reinecke & Voß erschienen. Leider kann man das Buch nirgends finden. Wenn man bei Amazon, deren Suchsystem noch schlechter ist als die
Übersetzungen bei ebay, nach
Euphrasia: Augentrost sucht, bekommt man Augentropfen angeboten. Vielleicht ist es auch gut, dass man den Text nicht findet, denn der Autor selbst warnt vor der Lektüre:
Lies mich bitte nicht, wenn besseres Salz dir zusteht
und dir keine Speise schmeckt, die fader ist als die der Alten.
Lies mich bitte nicht. Wozu deine Augen (oder ein Auge nur) peinigen?
Huygens' Euphrasia ist ein Katalog von menschlichen Blindheiten, und sie sind alle blind: die Müßigen, die Hastigen, die Geizigen, die Prasser, die Prächtigen, die Mächtigen, die Ehrgeizler, die Verliebten, die Neidischen, die Zornigen, die Saufbrüder, die Fröhlichen, die Traurigen, die Hektischen, die Faulpelze, die Maler (Die Maler [jetzt wird's ernst!], die Maler, Parthenine, obgleich aus einer Zunft, der ich mit Achtung diene, die Maler nenn' ich blind, wie scharf ihr Blick auch sei), die Mutigen, die Ängstlichen, die jungen Leut, die Alten, die Fräulein, die Schnatterer, die Stillen, die Sänger, die Springer, die Eifersucht, die Jäger, die Spieler, die Kläger, der ganze Hof, Gelehrte und Autoren. Und da wir bei den Autoren sind, lassen wir den Dichter doch einmal zu Wort kommen:
Nur eine Sorte noch: Autoren sind auch Blinde,
besonders die von dir geliebten Dichterfreunde.
Die sind so dicht wie blind; sie sehen nur den Reim
und gehen in der Kunst den Wörtern auf den Leim,
der doch bloß kleben kann, als machten Leim und Schere
statt Hobel, Meißel, Maß dem Schreiner höchste Ehre.
Denn blindlings rühren sie die schwersten Sachen an
und hoffen dass der Reim der Rede folgen kann.
Doch wenn der Reim stagniert, wie sie den Kurs verlegen!
Und fahren kreuz und quer auf wunderlichen Wegen
und driften hin und her und rückwärts her und hin,
so dass die tolle Fahrt am Ende ohne Sinn
gänzlich im Leim erstickt: der Lotse hat geschlafen
und schleppt, selbst mitgeschleppt, dich in den falschen Hafen.
Wie schwankt ihr Reiseziel: sie steuern anfangs an
auf Japan, doch die Fahrt endet in Astrachan.
Das sind mir Käptens, das sind weitblickende Leute!
Bin ich davon nicht selbst das beste Beispiel heute?
(Zeit ist’s, dir zu gestehn, wie blind ich selber bin;
das kam dir, wie ich seh‘, schon früher in den Sinn!):
bedenk‘ nur, wo ich einst den Eislauf angefangen
und wie ich abgeirrt, es ist dir nicht entgangen,
mir gab der liebe Reim den Leim für mein Gedicht
und meine Rede stockt, sobald er mir gebricht.
Bin ja so herzlich blind wie meine Blindgesellen,
ja ich versteige mich sogar mir vorzustellen,
du seist entzückt von dem, was meine Verskunst spinnt.
Was sagst du? Bin ich nun wohl eher blöd als blind?
Das ist Poeten-Art, denn die zu dichten pflegen
sehen kein schöneres Ei als was sie selber legen.
Verprügeln kannst du ihn, doch sagt er unentwegt,
dass kein Poet so schön wie er die Laute schlägt.