Seiten

Mittwoch, 30. November 2016

Andrea Doria


Aber sonst ist heute alles klar auf der Andrea Doria, sang Udo Lindenberg. Und dieses alles klar auf der Andrea Doria ist in unsere Sprache gewandert wie keine Panik auf der Titanic. Das Lied, mit dem Udo seinen Durchbruch hatte, handelt nicht wirklich von der Andrea Doria, dem Schiff, das der Stolz der italienischen Flotte war. Es sank in der Nacht des 26. Juli 1956 in den Nebelbänken vor Nantucket. Ich kann mich noch an die Wochenschau erinnern. Fernsehen hatten wir noch nicht, weil mein Vater es nicht mochte. Also Kino. Wochenschau. War eh viel interessanter.

Die fünfziger Jahre waren die Zeit der Schiffskatastrophen: Si bene calculum ponas, ubique naufragium est, ich habe den Satz des Petronius (den man für alle Zwecke gebrauchen kann) schon einmal in dem Post ➱Nero singt zitiert. Den Untergang der Flying Enterprise 1952 (schauen Sie doch hier einmal in diese ➱Wochenschau) habe ich nie vergessen. In jener Woche war ich dreimal im Kino, in der Hoffnung, dass es eine neue Wochenschau gäbe. Den Untergang der ➱Pamir ein Jahr nach dem Untergang der Andrea Doria habe ich natürlich auch nicht vergessen. Sie können dazu mehr in dem Post ➱Wetter lesen. Der ist zwar schon sechs Jahre alt, ist aber eigentlich immer noch aktuell.

Und da ich schon beim Zitieren von älteren Posts bin, zitiere ich doch mal eben noch etwas, was in dem Post ➱Untergang steht: Bildung, Charakterstärke und gutes Benehmen besitzt Joseph Conrad schon, als er sich zu einem der zahlreichen Examina der Kapitänsprüfung einfindet. Englisch kann er inzwischen auch. Sein Prüfer ist gefürchtet, das weiß Conrad schon. Der Prüfer versetzt Conrad auf einem imaginären Schiff in immer neue gefährliche Situationen. Da hilft es Conrad auch nicht, ihn milde darauf hinzuweisen, dass er sich niemals mit einem Schiff in eine solche Lage gebracht hätte. Conrad ist jetzt schon im Geiste bereit, seinen Platz als Kapitän des imaginären Unglücksschiffes mit einem Platz auf dem Fliegenden Holländer zu tauschen, als ihn sein Prüfer ihn in eine noch gefährlichere Situation bringt. Legerwall vor holländische Sandbänke. Ausweglos. Nothing more to do, eh? fragt ihn sein Prüfer. No sir, I could do no more, sagt Joseph Conrad. Worauf sein Prüfer sagt: You could always say your prayers. Das ist natürlich immer eine Möglichkeit, beten.

In Bremen kursiert eine Geschichte, wo ein Steuermann in seiner Prüfung in eine ähnliche Lage versetzt wird. Der ist schon jahrelang zur See gefahren, jetzt soll er die Prüfung nach §19 der Vorschriften über den Nachweis der Befähigung als Seeschiffer und Seesteuermann auf Deutschen Kauffahrteischiffen ablegen. Er kennt seinen Prüfer, er kann den nicht ausstehen. Der hat keinerlei Praxis als Fahrensmann. Und als der ihn mit dem imaginären Schiff in der Prüfung in eine lebensgefährliche Situation bringt und mit bösartigem Hohn in der Stimme fragt: Und wat nu? da antwortet unser Seebär: Nu heff ik die Büx voll. Und setzt hinzu: Und Du, Du hest di schon vor 'ne halben Stunde de Büx vollschieten. Vom Beten ist jetzt nicht mehr die Rede.

Joseph Conrad hatte damals, als die ➱Titanic unterging, einiges zu dem Unglück zu sagen. Aber man hört nie auf die Fachleute, die Ursachen der Unglücke, sei es bei der Andrea Doria oder der Pamir, werden nie geklärt. Selten sind die Fälle so eindeutig wie bei der Costa Concordia, die von einem bescheuerten italienischen Kapitän namens Francesco Schettino versenkt wurde. Kein stolzer Nachfolger eines Mannes wie Andrea Doria. Wenn Sie jetzt etwas überrascht sind, ja, Andrea Doria war Kapitän. Sogar Admiral. Und dieses Andrea ist auch kein Frauenname, es ist die italienische Form unseres Vornamens Andreas. Und als Andreas taucht der heute vor 550 Jahren geborene genuesische Seefahrer Andrea Doria auch bei Friedrich Schiller auf.

Der letzte Satz von Schillers ➱Verschwörung des Fiesco zu Genua lautet: Ich geh' zum Andreas. Der Republikaner ➱Verrina wechselt die Seiten, die Verschwörung ist zu Ende. Andrea Doria war nicht nur ein Seemann, er war auch ein Staatsmann, dem die Republik den Ehrentitel Liberator et Pater patriae verleiht. Bronzino (den Sie ja aus dem Post ➱Bilder- Texte - Bilder kennen) hat ihn als Neptun gemalt. Bei dem Bau des Luxusschiffes Andrea Doria hat die Reederei über eine Million Dollar für die Innenausstattung ausgegeben. Unter anderem gab es einen lebensgroße Statue des genuesischen Admirals. Wenn man etwas mehr Geld und Intelligenz bei der Statik des Schiffes verwendet hätte, wäre das Schiff nach der Kollision mit der Stockholm wohl nicht sofort gesunken. Die Stockholm ist übrigens, mehrfach umgebaut, immer noch auf den Weltmeeren unterwegs.

Dienstag, 29. November 2016

1970


Es gab im Jahre 1970 Annäherungen zwischen der BRD (ich weiß jetzt nicht mehr, ob man damals überhaupt diesen fiesen DDR Begriff überhaupt verwenden durfte) und der DDR. Zum einen trafen sich Willy Brandt und Willi Stoph, zum anderen sendete der NDR am 29. November den ersten Tatort, der Taxi nach Leipzig hieß. Die Hauptrolle in dem Film spielte ein Hamburger Kommissar namens Trimmel. Der sich mit seinem Kollegen in der DDR (den er noch aus den Tagen des Reichskriminalamts kennt) sehr gut verstand. Wahrscheinlich besser, als sich Willy Brandt und Willi Stoph verstanden haben. Der Grundlagenvertrag ließ noch auf sich warten, aber immerhin war Wandel durch Annäherung angesagt. Vielleicht hat der erste Tatort auch ein klein wenig zu diesem Wandel durch Annäherung beigetragen. Falls Sie heute Abend noch nichts vorhaben, schauen Sie sich doch ➱hier den deutsch-deutschen Kriminalfilm an.

Die Sendung Tatort ist die am längsten laufende Reihe im deutschen Fernsehen, der Polizeiruf 110 des DFF kam erst ein Jahr später. Warum brauchte man im Arbeiter- und Bauernparadies überhaupt eine Krimisendung, wo es doch im ganzen sozialistischen Land kein Verbrechen geben konnte? Rulo Melchert wusste in seinem Artikel Hauptsache, es ist ein Krimi: Chancen einer Romanform 1966 die Antwort: Warum ein Gebiet unserer Literatur vernachlässigen, das bei den Lesern viel gelesen wird, auf sie so großen Einfluß nimmt? Warum an einer Stelle ausschalten, wo sich sonst Ideologie westlicher Himmelrichtung breit macht?

Man suchte in der ARD damals nach einer Nachfolgesendung für Jürgen Rolands Stahlnetz (eine hervorragende Reihe mit den Drehbüchern von Wolfgang Menge) und wollte der Konkurrenz des ZDF und deren Reihe Der Kommissar etwas entgegensetzen. Nicht mehr in dem altbackenen Schwarz-Weiß, in dem die auch die ➱Edgar Wallace Filme daherkamen, sondern gleich in Farbe.

Als die ARD Oberen überraschend beschlossen, das von dem Theaterwissenschaftler Gunther Witte (der mit dem ganzen Krimigenre ➱nichts am Hut hatte) entwickelte Konzept in die Tat umzusetzen, hatte man allerdings außer den Plänen nichts vorzuzeigen. Es sollte für jedes Land einen Kommissar geben, und es sollte Lokalkolorit in die Sendung kommen. Da nahm man, sozusagen aus Verlegenheit, den gerade beim NDR abgedrehten Film Taxi nach Leipzig und verpasste ihm das Etikett Tatort. Gunther Witte gab der Reihe kein langes Leben, die Rede war damals von zwei, vielleicht fünf Jahren.

Das Drehbuch zu Taxi nach Leipzig hatte Friedhelm Werremeier (Bild) zusammen mit dem Regisseur Peter Schulze-Rohr geschrieben. Vielleicht hat der Produktionsleiter des Films Dieter Meichsner noch daran mitgewirkt. Der war ja für seine Drehbücher berühmt, ich nenne nur mal den Dreiteiler Der Stechlin (Fontanes Romanvorlage hat ➱hier einen Post) und die achtzehn Teile der Serie ➱Schwarz-Rot-Gold mit Uwe Friedrichsen als Zollfahnder Zaluskowski. Leute wie Dieter Meichsner und Wolfgang Menge findet man beim Fernsehen nicht mehr. Dafür verdient aber der NDR Intendant Lutz Marmor heute über 300.000 Euro im Jahr, soviel Geld haben diejenigen, die einmal Qualitätsfernsehen gemacht haben, wahrscheinlich nicht in zehn Jahren bekommen. Das ist eine seltsame Entwicklung: das Programm wird immer schlechter, irgendwann gibt es nur noch den Degeto Mansch, aber die Intendanten verdienen sich dumm und dösig.

Die Schauspieler des Films kamen, nicht wie heute aus irgendwelchen läppischen Fernsehserien des Vorabendprogramms, die kamen alle vom Theater. Walter Richter, der den mürrischen Trimmel gab, war ja ein berühmter Mann gewesen. Günter Lamprecht, der einen Grenzbeamten spielt (was uns immer an den Satz Gänsefleisch mal `n Kofferraum uffmachen? denken lässt), stand am Anfang seiner Karriere. Hans-Peter Hallwachs hatte ich zu Peter Zadeks Zeiten noch auf der Bremer Bühne gesehen, er steht auch ➱hier im Blog mit einer kleinen komischen (aber wahren) Geschichte drin.

Die weibliche Hauptrolle in Taxi nach Leipzig spielte Renate Schroeter, für die schwärmte ich damals. Ich besaß zwar als Student damals kein Fernsehgerät, aber den Film habe ich trotzdem gesehen. Wegen Renate Schroeter. Und wegen Paul Trimmel, denn Werremeiers ersten Roman Ich verkaufe mich exklusiv (der unter dem Titel ➱Exklusiv nachträglich in die Tatort Reihe aufgenommen wurde) hatte ich damals schon gelesen. Ich las viele Krimis, meistens ➱englische Krimis, sie waren wichtig zum Ausgleich für das Studium. Genauso wichtig wie Westernfilme, die damals neue Formen annahmen, der Spätwestern (der ➱hier einen langen Post hat) hatte begonnen.

Damals war beinahe alles neu. In Frankreich gab es die ➱Neue Welle in Kino und Roman, in Deutschland gab es den Neuen deutschen Kriminalroman. Auf jeden Fall hieß die Tagung im Kloster Loccum so, wo jeder war, der damals in der Krimiszene irgendwas bedeutete. Denn Autoren wie Werremeier und -ky (und wie sie alle hießen) veränderten die Krimilandschaft. Viele deutsche Autoren versuchten allerdings nur, Georges Simenon, ➱Sjöwall Wahlöö, Nicolas Freeling (der ➱hier einen Post hat) oder Janwillem van de Wetering zu imitieren, aber so gut wie die waren sie nie.

Womit ich kein böses Wort über Friedhelm Werremeier sagen will, man kann seine Trimmel Romane nach Jahrzehnten immer noch lesen. Ich habe es getestet. Und auch kein böses Wort über den Rendsburger Studiendirektor Dr Edward Hoop, der unter dem Pseudonym Paul Henricks bei Rowohlt eine Menge durchaus seriöser Romane schrieb. Sein Lektor Richard K. Flesch bei Rowohlt schätzte ihn sehr. Henricks Sieben Tage Frist für Schramm war ein Bestseller. Wurde schlecht verfilmt mit Joachim Fuchsberger und Horst Tappert. Wenn Sie den Film sehen wollen, klicken Sie ➱hier. Aber gucken Sie sich lieber Taxi nach Leipzig an. Modehistorisch interessant ist allerdings der British Warm Offiziersmantel von Joachim Fuchsberger, während Tappert den stereotypischen ➱Trenchcoat eines Fernsehkommissars trägt. Fuchsbergers Mantel muss Tappert schwer beeindruckt haben, denn was trug er bei seinem ersten Auftritt als Derrick? Richtig, einen ➱British Warm.

Man konnte die neuen deutschen Krimis mit den Romanen der Schweden, Holländer, Engländer und Franzosen vergleichen, denn bei Rowohlt hatte Richard K. Flesch (manchmal Leichen-Flesch) genannt, eine Krimireihe hochgezogen, die sicherlich das Beste war, was es damals gab. Von Richard K. Flesch gibt es kein Bild im Internet, man könnte glauben, dass er ein Phantom sei. Aber es hat ihn wirklich gegeben, ich habe ihn mal einen Nachmittag lang interviewt. Er hatte eine angebrochene Flasche Whisky vor sich auf dem Tisch, der mit Manuskripten beladen war. Er bot mir einen Whisky an, aber ich wollte nachher noch auf die Autobahn. Nüchtern. Ich habe noch ein Dutzend Briefe von ihm, alle mit grüner Cheftinte unterschrieben. Heute gibt es Leute wie ihn auch wohl nicht mehr. Und gute Tatort Sendungen sind auch rar geworden. Sehr rar.

Man hat den tausendsten Tatort auch wieder Taxi nach Leipzig genannt, doch den habe ich mir nicht angeguckt. Aber den alten Film aus dem Jahre 1970, den lege ich heute Abend in den DVD Player.


Es gab in diesem Blog schon zwei Posts, die ➱Tatort und ➱Tatorte heißen. Und dann gibt es natürlich den Post Botulismus, der von einem ganz bescheuerten Tatort handelt. Und dann hätte ich da noch für Krimifreunde anzubieten: Maj Sjöwall, Sjöwall Wahlöö, Henning Mankell, Tulpen, Englische Krimiserien, Inspector Gently, Klaus Wennemann, Traumwagen

Sonntag, 27. November 2016

Duell


Guten Tag ich bin mitten im Abitur, besser gesagt die Schriftlichen hab ich hinter mir, d.h. ich habe nun noch eine mdl. Prüfung und wie der Titel vermuten lässt eine Präsentation vor mir.
Hierfür muss ich zum kommenden Mittwoch die Gliederung abgeben wie ich das Thema Strukturieren werde.
Folgende Aufgabenstellung soll ich behandeln:
Untersuchen sie die literarische Adaption der Figur Effi Brist im 20 Jahrhundert am Bsp. von Hochhuths Effis Nacht. Monolog
Ich würde mich über Tips einer sinnvollen Gliederung bzw. zur Präsentation allgemein freuen.
mfg Benni


Steht so im Internet, die Fehler sind im Text original. Ich weiß nicht, ob der Benni sein Reifezeugnis bekommen hat, aber ich kann sagen, dass ich sehr ähnliche E-Mails bekomme. Da stellen sich Schüler und Studenten offensichlich vor, ich würde ihre Schularbeiten machen oder ihre Seminararbeiten schreiben. Ich denke nicht daran. Ich würde auch keinem Benni, Manni oder Kevin einen Tip bezüglich Hochhuths Theaterstück Effis Nacht geben. Das Stück ist interessant, gehört aber nicht zu den besten Leistungen des Autors. Wäre ich Regisseur, würde ich den Rotstift ansetzen. Als ich einmal ein Jahr lang die Theatertruppe eines Gymnasiums leitete, erbte ich mit der Truppe einen hervorragenden Regieassistenten namens Martin. Der mir nach zwei Wochen sagte: Jay, das müsst ihr Typen von der Uni noch lernen. Dies ist keine Philologie, dies ist wirkliches Theater. Nimm diesen photokopierten Text mit nach Hause und streich am Wochenende zwanzig Prozent raus. Es tat mir weh, und es hätte Arthur Kopit wohl auch nicht gefallen, dass ich zwanzig Prozent aus seinem Stück Indians gestrichen habe, aber es hat funktioniert. Martin bekam gleich nach dem Abitur eine Stelle an einem Theater. Aber um zu dem Bennis und Mannis (und wie sie alle heißen) zurückzukommen. Einen Tip können sie gerne von mir bekommen: schreibt die junge Frau doch einfach Effi Briest. Mit e.

Theodor Fontane lässt sie jung sterben: So verging der Sommer, und die Sternschnuppennächte lagen schon zurück. Effi hatte während dieser Nächte bis über Mitternacht hinaus am Fenster gesessen und sich nicht müde sehen können. »Ich war immer eine schwache Christin; aber ob wir doch vielleicht von da oben stammen und, wenn es hier vorbei ist, in unsere himmlische Heimat zurückkehren, zu den Sternen oben oder noch drüber hinaus! Ich weiß es nicht, ich will es auch nicht wissen, ich habe nur die Sehnsucht.« Arme Effi, du hattest zu den Himmelwundern zu lange hinaufgesehen und darüber nachgedacht, und das Ende war, daß die Nachtluft und die Nebel, die vom Teich her aufstiegen, sie wieder aufs Krankenbett warfen, und als Wiesike gerufen wurde und sie gesehen hatte, nahm er Briest beiseite und sagte: »Wird nichts mehr; machen Sie sich auf ein baldiges Ende gefaßt.« Er hatte nur zu wahr gesprochen, und wenige Tage danach, es war noch nicht spät und die zehnte Stunde noch nicht heran, da kam Roswitha nach unten und sagte zu Frau von Briest: »Gnädigste Frau, mit der gnädigen Frau oben ist es schlimm; sie spricht immer so still vor sich hin, und mitunter ist es, als ob sie bete, sie will es aber nicht wahrhaben, und ich weiß nicht, mir ist, als ob es jede Stunde vorbei sein könnte.« Aber die wahre Effi, diese Elisabeth von Plotho, die einen Rittmeister namens Armand Léon von Ardenne heiratet, wird nicht jung sterben. Sie wird beinahe neunundneunzig Jahre alt werden.

Heute vor 130 Jahren haben sich der Rittmeister Armand Léon von Ardenne und der Amtsrichter Emil Hartwich (Bild) auf der Berliner Hasenheide duelliert. Da, wo Grabkreuze zu billigsten Preisen offeriert werden und wo an einer Schweizer Schießhalle steht Schieße gut und schieße schnell, Schieß und triff wie Wilhelm Tell. Das ist nicht einer meiner bösartigen Scherze, das steht in einem anderen Roman des Mannes, der die Geschichte von Elisabeth von Plotho, Emil Hartwich und Armand Léon von Ardenne in einen Roman hineingeschrieben hat, der Effi Briest heißt. Briest mit e. Der Amtsrichter, Leutnant der Reserve, Sportpädagoge und Amateurmaler Emil Hartwich wird wenige Tage später sterben, der Herr von Ardenne wandert für achtzehn Tage ins Gefängnis und wird danach vom Kaiser zum Major befördert.

In Hochhuths Monolog ist Emil Hartwich ein ganz anderer als der Major von Crampas, den wir aus dem Roman kennen und der heute bei Facebook ist (Effi auch): Hätte nicht die Wahrheit den Roman überzeugender gemacht: Daß eben nicht ein erfundener Major und Adliger mein Geliebter war, sondern ein Rebell, der zwar sein Geld als Amtsrichter verdienen mußte, aber doch ein kantiger Einzelgänger war, und ein Künstler.

Lieber als die Fragen von Benni sind mir im Internet kreative junge Leute wie Raisa Goldflowing, die ein Gedicht zu dem Leben von Effi Briest verfasst hat:

Effi von Briest,
Tochter der Luft.
Jugendlich, wild,
Midshipmans Kluft.

Plötzlich ganz anders,
Neue Zukunft in Sicht.
Verlobung, Hochzeit,
Nach Kessin bald Pflicht.

Verwirrend und neu,
Ja gruselig gar.
Neues Sein in Kessin
Ist wohl nun wahr.

Schrecklicher Spuk,
Nicht nur im Kopf.
Ostländisch, Chinese,
Mit schwarzem Schopf.

Dazu Langeweile,
Einsam wohl auch.
Instetten nie da,
Kaum mehr ein Hauch.

Crampas so heißt er,
Der Major selbst.
Zu dem du, ja Effi,
Dich dazugesellst.

Doch was verboten,
Das währt nicht ewig.
Die stetige Angst,
Keinesfalls selig.

Sechs Jahre lang,
Scheinbares Glück.
Bis mit einem Schlag,
Vergangenheit ist zurück.

Alles alte wieder,
Ganz neu aufgewühlt.
Jegliches Glück,
Wie fortgespült.

Nun, anderes Leben,
Wie einsam wohl,
Effi innerlich,
Fast schon hohl.

Immer schlechter,
Von Zeit zu Zeit,
Arme Effi Briest,
Voll Traurigkeit.

Ein Ende findet's,
Alles mit eins,
Zuhaus bei Eltern,
Ende so scheints.

Letztendlich ist's,
Ganz wie die Welt,
Wie Briest so sagt,
Ein zu weites Feld.


Die Geschichte unserer Effi, die an einen Mann verheiratet wird, der einmal um die Hand der Mutter angehalten hat, findet sich in diesem Blog schon in den Posts Internetsucht und Ehebruch.

Samstag, 26. November 2016

vollendet unvollendet


Das hier vorne links, das ist er, der Maler Carl Philipp Fohr. Ohne Zylinder, eher in der altdeutschen Tracht. Diese ➱Tracht war zu Hause bei den Heidelberger Studenten sehr chic und revolutionär gewesen. Jetzt bringt er sie nach Italien. Der Kronprinz von Bayern, der Fohr in Rom kennenlernt, übernimmt die neue Mode. Ohne zu wissen, daß er damit die Tracht der studentischen Revolutionäre hoffähig machte.

Fohr hat seinen Hund bei sich, der ist mit ihm über die Alpen gekommen. Über ➱Die Hunde des Carl Philipp Fohr hat Peter Märker, der Leiter der Graphischen Sammlung des Hessischen Landesmuseums, ein schönes kleines Buch geschrieben. Die aquarellierte Federzeichnung da oben im ersten Absatz, die die deutschen Maler in Rom zeigt, ist von dem Architekten Heinrich Hübsch (ihn wird Fohr auch ➱zeichnen). Es ist wahrscheinlich das letzte Bild, auf dem der am 26. November 1795 geborene Maler zu sehen ist, denn im Sommer 1818 ist er beim Baden im Tiber ertrunken. Sein Hund Grimsel, der auch auf Fohrs Zeichnung von den Künstlern im ➱Antico Caffè Greco zu sehen ist, ist damals tagelang nicht von der Unglücksstätte am Tiber gewichen.

Mon petit Charles, hat sein Vater ihn immer gerufen. Und zart und zerbrechlich ist er gewesen. Mit dem petit Charles beginnt Peter Härtling auch seine ➱Erzählung über das junge Genie aus Heidelberg. Fohrs Vater Jacob hatte sich einst als junger Mann bei den Schweizer Truppen in französischen Diensten (lesen Sie mehr in ➱Kuhreigen) anwerben lassen und war nach zwanzig Jahren Militärdienst als Lehrer in der französisch-reformierten Wallonengemeinde in Heidelberg tätig. Das Französische war ihm zur Muttersprache geworden. Den Aufenthalt in Rom hatte unserem petit Charles ein Stipendium der Erbprinzessin Wilhelmine Luise von Baden finanziert, der er beinahe all seine Gemälde zuschicken würde. Viele sind es nicht, sie passen in eine Kiste. Nur sieben Gemälde gibt es von seiner Hand. Sein Freund Ludwig Sigismund Ruhl (mit dem der Hitzkopf Charles sich in Rom duelliert) wird ihn in der Technik der Ölmalerei unterweisen. Fohr geht da, wie wir im nächsten Absatz sehen können, keine großen Experimente ein. Klar voneinander abgesetzte Farben, wie sie die ➱Nazarener verwenden, beherrschen das Bild.

Die Zeichnung von Heinrich Hübsch im ersten Absatz findet sich auch in den ➱Bildern von Ludwig Richters Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Und damit sind wir mittendrin in der deutschen Romantik. Was wäre aus Fohr, dem Wunderkind der Romantik, geworden? Es ist eine Frage, die man immer wieder stellt, wenn ein Maler so jung stirbt. ➱Adam Elsheimer und Carel Fabritius waren zweiunddreißig als sie starben, Fohr ist zehn Jahre jünger.

Diese italienische Landschaft hat er ein Jahr vor seinem Tod gemalt. Es ist sein größtes Bild, das Bild der ➱Ritter vor der Köhlerhütte (unten) ist dagegen klitzeklein. Vielleicht sind Mutter (Fohrs Zimmerwirtin in Rom) und Kinder auf diesem Bild in zeitgenössischer Tracht dargestellt, aber die Musikanten links und die Ritter und Pilger rechts im Bild verweisen eindeutig auf das Mittelalter. Ins Mittelalter will die deutsche Romantik immer wieder hin. Für Peter Märker war die ➱Landschaft bei Rocca Canterano im Sabinergebirg ein Hauptwerk der Romantik. Für den nicht genannten Autor in der Zeit ist es das vollkommenste, was die deutsche Romantik, in ihrer süddeutschen Spielart, uns hinterlassen hat, ihr Jugendbild, das helle, weltfreundliche Gegenstück zur tiefsinnig norddeutschen Erdlebenmalerei.

Also, dieses Bild hier ist nicht von Fohr, das ist die Burg Scharfenberg bei Nacht. Wenn ich ein Bild aussuchen sollte, um die deutsche Romantik zu verdeutlichen, dann würde ich dieses Bild von Ernst Ferdinand Oehme aus Dresden nehmen. Der natürlich bei ➱Johan Christian Clausen Dahl und ➱Caspar David Friedrich gelernt hat, wie könnte es anders sein. Dahl und Friedrich haben hier längst Posts, aber wann habe ich schon mal die Gelegenheit, einen Oehme abzubilden?

Es sind viele Ritter in den Wäldern unterwegs in dieser ➱Zeit. Auf den Bildern der Maler oder in den Gedichten der romantischen Dichter. In den Balladen liegt der Ritter eher tot hinter der Hecke, bewacht von seinen Hunden, während die Raben auf ihr Abendessen warten. Auf jeden Fall in der Ballade ➱Die drei Raben, die Theodor Fontane auch übersetzt hat (lesen Sie mehr in ➱Chevy Chase und ➱Balladen).

Dieses Bild von Fohr heißt Der verirrte Ritter. Er scheint sich auf dem Gebilde meiner Phantasie, wie Fohr sein Bild bezeichnete, wirklich verirrt zu haben und kein knight errrant zu sein. Er reitet mit seinen Hunden in einen Wald voller Sonntagsspaziergänger.
Die Leute hier sind nett zu ihm, da kann er froh sein, dass er hier gelandet ist und nicht in dem Wald, in dem der Ritter ausruft: Jetzt kenn ich dich – Gott steh mir bei! Du bist die Hexe Lorelei. Sie müssen an dieser Stelle unbedingt in dem Post ➱Lurley weiterlesen. Und dann sollten Sie sich das Eichendorff Gedicht noch Anna Lucia Richter (die Sie aus dem Post ➱Liederkreis kennen) ➱vorsingen lassen.

Wie viele Maler der Romantik sucht auch Fohr die Nähe zur Literatur. Dieses kleine Bild (54 x 66 cm) macht nur Sinn, wenn man Friedrich de la Motte Fouqués 1813 erschienenen Ritterroman ➱Der Zauberring kennt, wo es über die Ritter vor der Köhlerhütte heißt: die Nacht war schon hereingebrochen, und stach mit ihrem tiefblauen Dunkel seltsam gegen die weißen Schneegipfel und die überreifen Forsten ab. Hell stand der Vollmond am Himmel, aber es strichen schwarze Wolken, wie mit Rabenfittichen, im eiligen Zuge darüber hin. ➱Arno Schmidt, der sicher nicht zu Unrecht auf sein Buch über de la Motte Fouqué stolz war (Fouqué habe ich - gottlob! - für die Deutschen gerettet) konnte sich für den Zauberring begeistern. Aber man muss schon ein ganz hartgesottener Arno Schmidt Fan sein, wenn man diesen Ritterroman lesen will. Als ich jung war, habe ich mal Achim von Arnims Die Kronenwächter gelesen. War ein schwerer Fehler (➱Gutzkows Roman ➱Wally die Zweiflerin zu lesen, war dagegen ein Vergüngen). Weshalb das Bild mit den Rittern vor der Köhlerhütte eins der Lieblingsbilder von Hitler war, weiß ich nicht. Aber ich hätte hier einen interessanten Aufsatz ➱Politische Symbolik in der deutschen Kunst, der eine Erklärung versucht.

Fohr hat in Rom im Studio von Joseph Anton Koch (der ➱hier einen Post hat) gearbeitet. Bei diesen Wasserfällen im Tivoli kann man sicher eine Nähe zu Koch finden. Doch Fohr wusste, dass er über Koch eigentlich schon hinaus war: Ich getraue mir nicht zuviel, wenn ich glaube, den berühmtesten Landschaftsmaler Koch in weniger Zeit noch zu übertreffen. Den nur sieben Gemälden steht eine unglaubliche Zahl von Zeichnungen und Aquarellen (ungefähr neunhundert) gegenüber, von denen das Hessische Landesmuseum in Darmstadt die meisten besitzt. Wenn man die Zeichnungen und Aquarelle betrachtet, bekommt man einen Eindruck von dem wirklichen Talent des Heidelberger Malers.

Dieses am Brenner gemalte Aquarell hätte auch ➱Claude Lorrain nicht besser hingekriegt. Auch wenn die Figuren auf seinen Landschaftsbildern manchmal seltsam ungelenk erscheinen, in seinen Zeichnungen ist Fohr ein Meister. Er zeichnet besser als Caspar David Friedrich. Das was ➱Horst Janssen kann, ist in der Romantik nicht jedem gegeben.

Zu Fohrs 200. Geburtstag im Jahre 1995 erschien der von Peter Märker herausgegeben Katalog Carl Philipp Fohr: Romantik - Landschaft und Historie, an dem auch ➱Jens Christian Jensen mitgearbeitet hatte. Im letzten Jahr ist bei Hirmer das 696-seitige Werksverzeichnis erschienen, das den schönen Untertitel Im Unvollendeten Vollendet hat. Das Werkverzeichnis ist leider sehr teuer, so dass sich für den normalen Kunstfreund der preislich erschwingliche ➱Katalog von 1995 anbietet.

Noch preisgünstiger sind diese Kissenbezüge mit Motiven aus Fohrs Bildern, die man bei Amazon bestellen kann. Der Händler garantiert aber keine Lieferung vor Weihnachten. Man fragt sich, was so etwas soll. Der Maler und Kunstschriftsteller Johann David Passavant hat über Fohr in seinen 1820 erschienenen ➱Ansichten über die bildenden Künste geschrieben: Wenig Künstler hat es wohl je gegeben, welche mit einer so reichen Phantasie, einem so großartigen Sinn für Formen und Farbe, und einer solchen Leichtigkeit begabt waren, die Natur in ihrem Charakter so lebendig aufzufassen und mit der größten Meisterschaft darzustellen, wie dieser Künstler, welcher erst 22 Jahre alt war, als der bekannte Unglücksfall seinem Leben ein Ziel setzte.

Passavant gehörte in Rom zu den Förderern des jungen Malers. Er war nicht der einzige. Die Erbprinzessin Wilhelmine habe ich schon erwähnt, dann sind da noch der preußische Gesandte Christian Karl Josias von Bunsen (er kommt mit seiner walisischen Gattin, einer Malerin, in dem Post ➱Kartätschenprinz vor) und der bayerische Kronprinz Ludwig. Und natürlich Caroline von Humboldt mit ihrem Salon, wo sich die deutschen Künstler gerne aufhalten (wenn sie nicht im Antico Caffè Greco hocken). Ich übte eine Gewalt über ihn aus, die er sich gar nicht zu erklären wisse, aber der er gern folge, hat Caroline von Humboldt geschrieben. War Fohr in die eine unkonventionelle Ehe führende Gattin von Wilhelm von Humboldt verknallt?

Bei seinem ersten Biographen Philipp Diefenbach findet sich in dessen kleiner Biographie (hier im ➱Volltext) ein seltsamer Satz: Als er bald darauf seine große Landschaft für seine Gönnerinn in Darmstadt beendigt hatte, besuchte ihn Frau von Humboldt in seiner Werkstätte, um sich von der Kraft seines Pinsels näher zu überzeugen. Und wirklich fand sie seine Arbeit so vortrefflich, daß sie den folgenden Tag den Bildhauer von Rauch zu ihm sandte, um ihm die Verfertigung eines Gemäldes aufzutragen und dafür die Summe von achthundert Gulden einzuhändigen. Ich weiß nicht, was Sie sich bei diesem um sich von der Kraft seines Pinsels näher zu überzeugen denken, aber ich glaube nicht, dass es das ist. Dies hier ist nicht die unkoventionelle Caroline, die Dame heißt ➱Sonja, gemalt von Christian Schad. Und warum ist sie hier? Weil der Maler der ➱Neuen Sachlichkeit Christian Schad ein Urgroßneffe des Heidelberger Malers Carl Philipp Fohr ist.

Das mit dem Kissenbezug und Sonja hätte nicht sein müssen, aber ich brauche immer so einen kleinen Gag zum Schluss.


Noch mehr Romantik in diesem Blog: Deutsche Romantik, Joseph von Eichendorff, Romantik, Lindenbäume, Tränenregen, Volkslieder, Vollmond, Kreidefelsen, Friedhof, måneskinnsmaler, Joseph Anton Koch, Georg Friedrich Kersting, Karl Friedrich Schinkel, Johann Adam Ackermann, Eduard Gaertner, Carl Blechen, Moritz von Schwind, Overbeck, Lurley, Loreley, Drachenfels, Tyger, Tyger, Karl Philipp Moritz, Ludwig Tieck, 18th Century, Liederkreis, Fritz Wunderlich

Donnerstag, 24. November 2016

Digressions, incontestably, are the sunshine


Digressions, incontestably, are the sunshine;—they are the life, the soul of reading;—take them out of this book for instance,—you might as well take the book along with them... Das sind Worte, die als Untertitel für meinen Blog stehen könnten. Ich liebe diese Digressionen. Und sie als Leser haben sich längst daran gewöhnt und folgen den mäandernden Gedanken dieses Bloggers. Das Zitat stammt natürlich von dem Meister der Abschweifung, dem unnachahmlichen Laurence Sterne, der heute Geburtstag hat. Von ihm habe ich noch ein anderes Zitat, das sich jeder Blogger an den Schreibtisch kleben sollte, so wie Herman Melville an seinen Schreibtisch einen ➱Zettel geklebt hatte, auf dem stand: Keep true to the Dreams of thy Youth. Das Zitat von Sterne ist ganz kurz: I begin with writing the first sentence—and trusting to Almighty God for the second.

Die englischen Autoren, die im 18. Jahrhundert den Roman erfinden, haben viel Zeit. Ihre Leser auch. Und so neigen die auktorialen Erzähler des Romans zu Digressionen. Wer heute über sein Mobiltelephon Kurzbotschaften versendet, neigt nicht zu Digressionen. Die wunderbaren Nebensächlichkeiten, die den Erzähler nie dazu kommen lassen, zur eigentlichen Handlung zurückzukehren, haben mit dem 18. Jahrhundert nicht aufgehört. Ich kann da nur die Lektüre des Romans Der schwarze Herr Bahßetup von ➱Albert Vigoleis Thelen empfehlen.

Schon der erste Band von The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman hatte den englischen Landpfarrer zur europäischen Berühmtheit gemacht. Nicht unbedingt überall in ➱England. ➱Dr Johnson urteilte: Nothing Odd Will Do Long. 'Tristram Shandy' Did Not Last. Horace Walpole fand die Digressionen furchtbar und verdammte das Werk: At present, nothing is talked of, nothing admired, but what I cannot help calling a very insipid and tedious performance: it is a kind of novel, called ' The Life and Opinions of Tristram Shandy' the great humour of which consists in the whole narration always going backwards. I can conceive a man saying that it would be droll to write a book in that manner, but have no notion of his persevering in executing it. It makes one smile two or three times at the beginning, but in recompense makes one yawn for two hours. Der damals angesehene Professor Professor Richard Farmer warnte die Studenten des Emmanuel College in Cambridge: You young men seem very fond of this Tristram Shandy; but mark my words, and remember what I say to you; however much it may be talked about at present, yet depend upon it, in the course of twenty years, should any one wish to refer to the book in question, he will be obliged to go to an antiquary for it.

Wie man sich doch täuschen kann, Tristram Shandy, diese cock and bull story, wird noch immer gelesen. Wer kennt noch Professor Farmer? Der Roman ist - wie beinahe alle englischen Romane aus dieser Zeit - schon früh ins Deutsche übersetzt worden. Es hat seit 1769 eine Vielzahl von deutschen Übersetzungen gegeben. Eine Übersetzung hätten wir alle sicher gerne gelesen, nämlich die des Mannes, der 1825 an den Verleger Brockhaus schreibt:

Da ich sehe daß Sie eine Sammlung Uebersetzungen klassischer Romane des Auslandes veranstalten, würde ich mit vielem Vergnügen die des unsterblichen Tristram Shandy von Sterne übernehmen. Es ist eines von den Büchern, die ich immer wieder lese. Es giebt zwar eine deutsche Uebersetzung, ich denke von Bode, die gut seyn soll, ich kenne sie nicht: allein die Sprache ist wohl nicht mehr die heutige, und man macht jetzt größere Ansprüche. In jedem Fall würde ich ganz unabhängig davon und sehr con amore übersetzen, um den ganzen Eindruck und Geist des köstlichen Originals lebendig wiederzugeben, und da ich der englischen Sprache, die ich jung in England erlernte, fast so mächtig als meiner eigenen bin, so darf ich hoffen etwas sehr vollkommenes zu Stande zu bringen.

Brockhaus vertröstete den Mann auf die ferne Zukunft, er wolle erst einmal warten, wie die neue Reihe einschlägt. Das Verhältnis zu dem Mann, der der englischen Sprache ... fast so mächtig als meiner eigenen war, war sowieso nicht das beste. Denn wenige Jahre zuvor hatte der ihm geschrieben: Ich habe nicht des Honorars wegen geschrieben, wie die Unbedeutsamkeit desselben von selbst beweist; sondern um ein lange durchdachtes und mühsam ausgearbeitetes Werk, die Frucht vieler Jahre, ja eigentlich meines ganzen Lebens, durch den Druck zur Aufbewahrung und Mitteilung zu bringen. Woraus folgt, daß Sie nicht etwa mich anzusehen und zu behandeln haben wie Ihre Konversationslexikons-Autoren und ähnliche schlechte Skribler, mit denen ich gar nichts gemein habe als den zufälligen Gebrauch von Tinte und Feder. Das Werk, um das es in diesem Brief geht, ist Die Welt als Wille und Vorstellung. Und der Mann, der so gerne con amore den Tristram Shandy übersetzt hätte, ist natürlich niemand anderer als Arthur Schopenhauer.

Ich weiß nicht, ob die neue Übersetzung des Romans von Michael Walter wirklich so viel besser ist als die erste Übersetzung von Johann Joachim Christoph Bode. Ich könnte da die alte Manesse Ausgabe mit einem Vorwort von ➱Fritz Güttinger empfehlen, zumal dort die Bodesche Übersetzung von Ilse Leisi-Gugler (deren Gatte schon in den Posts ➱Michael Drayton und ➱Gisela von Stoltzenberg auftaucht) leicht überarbeitet worden ist. Wenn Sie den Roman in der Originalsprache lesen wollen, dann sollten Sie die von Joan und Melvyn New edierte Florida Edition, die es als Penguin Paperback gibt, benutzen. Auf keinen Fall sollten Sie die Graphic Novel von Martin Rowson lesen (ein Weihnachtsgeschenk, für das ich jemanden immer noch hasse). Und nehmen Sie sich Zeit. Denken Sie an den Satz, der gestern hier stand: Reading novels needs almost as much talent as writing them.


Laurence Sterne hat hier schon zwei Posts: Laurence Sterne und Trismegistus. Die glücklicherweise häufig angeklickt werden. Und dann wird der Autor noch erwähnt in den Posts: 18th century: Grand Tour, Nachtfahrt, SoFi, Friedrich Theodor Vischer, Gräber

Mittwoch, 23. November 2016

Bilder - Texte - Bilder


Ich dachte, ich müsste mal wieder über Malerei schreiben. Der Post über ➱Ferdinand von Rayski war bei den Lesern leider ein Flop. Dabei habe ich im Augenblick so viele Leser wie nie zuvor. Ganz viele davon kommen aus Frankreich, da kann ich nur merci mesdames et monsieurs sagen. Aber Leser hin und her, der Post Ferdinand von Rayski wird nicht gelesen. Da serviere ich Ihnen als amuse gueule doch mal eben drei Bestseller aus meinem Blog. Was sie verbindet, ist die Tatsache, dass alle drei dort erwähnten Maler am 23. November gestorben sind. Und dass man ihre Hauptwerke in London sehen kann. Dafür haben die englischen Gentlemen auf ihrer ➱Grand Tour im 18. Jahrhundert schon gesorgt, dass sie alle wichtigen Kunstwerke mit nach England schleppten. Dieses Bild von Agnolo di Cosimo (den seine Zeitgenossen Bronzino nannten) findet sich in dem Post ➱Aktmalerei, der unglaubliche Leserzahlen erreicht hat. Das Bild heißt Venus, Cupid, Folly and Time. Es hängt in der National Gallery und ist das wohl wichtigste Bild von Bronzino, der am 23. November 1572 starb. Dies hier ist ein Ausschnitt, das Bild kommt gleich noch einmal in voller Nackheit.

In der National Gallery in London hängt auch dies Bild von dem Maler Claude Lorrain, der am 23. November 1682 starb. Der französische Maler, der als Pastetenbäcker begann (und von ➱Adam Elsheimer beeinflußt wurde), ist in meinem Blog ein ständiger Gast. Ich liste die wichtigsten Posts einmal unten auf. Es gibt außer dem Todestag und der National Gallery noch eine Verbindung zwischen Bronzino und Claude: beide tauchen in dem Roman A Dance to the Music of Time von Anthony Powell auf. Der englische Schriftsteller hat ➱hier einen langen Post. Glücklicherweise ist das ein Post, der tausende von Lesern gefunden hat.

In dem Roman Casanova's Chinese Restaurant (dem fünften Band von Powells Roman) heißt es: Moreland, like myself, was then in his early twenties. He was formed physically in a ‘musical’ mold, classical in type, with a massive, Beethoven-shaped head, high forehead, temples swelling outwards, eyes and nose somehow bunched together in a way to make him glare at times like a High Court judge about to pass sentence. On the other hand, his short, dark, curly hair recalled a dissipated cherub, a less aggressive, more intellectual version of Folly in Bronzino’s picture, rubicund and mischievous, as he threatens with a fusillade of rose petals the embrace of Venus and Cupid, while Time in the background, whiskered like the Emperor Franz-Josef, looms behind a blue curtain as if evasively vacating the bathroom.

Romanautoren schreiben manchmal Bilder in ihren Text: poema pictura loquens, wusste schon Plutarch. Fontane schreibt zum Beispiel ➱Franz Skarbina in einen Roman, aber erstaunlicherweise nicht ➱Carl Blechen, über den er ein Buch schreiben will. Glücklicherweise gab es zu dem Thema ➱Fontane und die bildende Kunst einmal eine Ausstellung mit einem schönen Katalog. Joseph Conrad hat seine ➱Ästhetik als Romanautor in dem berühmten Satz My task which I am trying to achieve is, by the power of the written word to make you hear, to make you feel — it is, before all, to make you see formuliert. Und viele Beschreibungen in seinen Romanen sind ja der reine Impressionismus in Prosa. Wahrscheinlich hat Joseph Conrad den Amerikaner ➱Steven Crane deshalb bewundert, weil dem genau dieses to make you see gelang.

Anthony Powell schreibt ständig Bilder in seine Romane hinein. Wenn Jenkins (der Erzähler von A Dance to the Music of Time) seinen Freund Peter Templer zu der Villa seiner Eltern begleitet, erscheint ihm die als a sea-palace for a version of one of those embarkation scenes of Claude Lorraine– the Queen of Sheba, St. Ursula, or perhaps The Enchanted Castle. Gleich drei Bilder werden hier genannt, das Enchanted Castle von Lorrain, das Keats zu seiner Ode to a Nightingale anregte, habe ich hier abgebildet (die Abreise der Königin von Saba, eines der ersten Bilder im Besitz der National Gallery, war schon im zweiten Absatz zu sehen).

Man ist ja glücklich, wenn sich ein Kenner daran macht, alle Anspielungen eines Autors auf Bilder im Roman (und ein Bild von ➱Poussin hat ➱A Dance to the Music of Time ja schon im Titel) zu erklären. Eric Karpeles hat das für ➱Proust mit ➱Paintings in Proust: A Visual Companion to 'In Search of Lost Time' getan. Dafür sind ihm viele Proust Leser dankbar, dass man etwas über die Bilder (und nicht nur die Sache mit der petit pan de mure jaune auf dem Bild von ➱Vermeer) erfährt. Für den 12-teiligen Roman von Powell hat seine Gattin Lady Violet Powell das schöne Album of Anthony Powell's Dance to the Music of Time vorgelegt. Aber im Internet gibt es jetzt noch mehr. Nämlich diese hervorragende Seite bei Wordpress, die ➱picturesinpowell heißt. Und da finden wir viel zu ➱Bronzino und zu ➱Claude Lorrain. Es sind Seiten wie diese, die einen mit dem Internet, das sonst häufig ja nur eine elektronische Müllhalde ist, versöhnen.

Für deutsche Leser, die sich jahrelang mit den wenigen bei Ehrenwirth erschienenen Bänden von Powell begnügen mussten, gibt es eine frohe Botschaft. Der Berliner Elfenbein Verlag hat es unternommen, eine ➱Gesamtausgabe in der Übersetzung von Dr Heinz Feldmann herauszubringen. Feldmann ist ein Übersetzer, über den Anthony Powell in seinem Tagebuch am 24. Juli 1982 vermerkte: I am lucky to have him as a translator. Sieben Bände sind schon erschienen. Ich gebe mal ein Pröbchen - und Sie holen sich vorher mal eben einen Tee. Am besten Lapsang Souchong, der kommt auch bei Powell vor: Die endlos langen, trostlosen Sonntagnachmittage in der Universitätsstadt wurden etwas erträglicher, wenn man Sillerys Teegesellschaften besuchte, wo jeder nach halb vier hereinschauen konnte. Das Wirken eines mathematischen Gesetzes der Serie regulierte die Zahl der Anwesenden bei diesen Zusammenkünften immer auf zwischen vier und acht Personen — die meisten von ihnen Studenten, aber gelegentlich befand sich auch ein Dozent unter ihnen. Ich wurde etwa Mitte meines ersten Trimesters durch Short, einen sanften Studenten in seinem zweiten Jahr, der zu Sillerys College gehörte und sich für Politik interessierte, in sie eingeführt.

Short erklärte mir, dass Sillerys Gesellschaften seit Jahren eine fest etablierte Rolle in dem Leben der Universität spielten und dass die Trockenheit des Gebäcks, das ein äußerst wichtiges Element dieser Nachmittagspartys bildete, zu einem so abgedroschenen Thema akademischen Humors geworden sei, dass selbst Sillery manchmal auf die anhaltend ungenießbare Qualität dieser aus einer vergessenen Kuchenwelt herübergeretteten Fossilien anspiel­te.­ Bei­ diesen­ Gelegenheiten­ pflegte­ Sillery­ seine­ Gäste­ an­ die spaßigen oder absonderlichen Bemerkungen zu erinnern, die von früheren Generationen junger Männer, die in längst vergangenen Tagen den Tee bei ihm eingenommen hatten, über das Gebäck fallengelassen worden waren; und er zitierte dabei besonders gern die glänzende Schar seiner Bekannten unter den ehemaligen Studenten, die ­im­ späteren­ Leben zu gewissen Würden aufgestiegen waren — ­eine­ Klasse, der er unverhohlene Hochachtung entgegenbrachte.

Man muss das Beharrungs- und Durchhaltevermögen des Übersetzers Heinz Feldmann (Bild) bewundern, der in den letzten Jahrzehnten nicht aufgehört hat, an seine Übersetzung von Powells Werk zu glauben. Die im übrigen von allen ➱Rezensenten gelobt wurde. Und man muss natürlich auch Beharrungs- und Durchhaltevermögen und den unternehmerischen Wagemut des Elfenbein Verlags und seines Chefs ➱Ingo Držečnik bewundern, dass sie diesen englischen Jahrhundertroman dem deutschen Leser nahebringen. Und für den Leser gilt, dass er auch Beharrungs- und Durchhaltevermögen aufbringen muss. So etwas sagt auch die Romanfigur ➱X. Trapnel in Temporary KingsReading novels needs almost as much talent as writing them.

Das Schöne bei der Tätigkeit als Blogger ist ja, dass man ungehemmt Werbung für kleinere Verlage machen kann. Was ich ja immer tue. Ob das der ➱Wallstein Verlag, der ➱Mattes Verlag, der ➱Rimbaud Verlag, die ➱Edition Signathur oder der ➱Verbrecher Verlag sind. Manchmal zeigt das ja ➱Wirkungen, und die Verlage können mehr Bücher verkaufen. Das ist gut, denn wie heißt es so schön bei Anthony Powell: ➱Books do furnish a room.

Der dritte der Gruppe der Maler, die am 23. November starben, ist der Engländer ➱James Ward. Der Post über sein Gemälde ➱Gordale Scar brachte mir leicht und locker vierstellige Leserzahlen. James Ward wird Bilder von Claude Lorrain gesehen haben, die kennt jeder Maler in der Romantik. Ob er jemals ein Bild von Bronzino gesehen hat, das weiß ich nicht. Seine maskuline Venus hat mit der Venus mit den feinziselierten Brüstchen des Hofmalers der Medici wenig zu tun, seine ➱Diana im Bade ist da ein wenig besser geraten. Man muss allerdings zu Ward sagen, dass er eigentlich kein Portraitist ist, eigentlich ist er Tiermaler. Er kann wunderbare Pferde malen, manchmal so ➱dramatisch wie der Kampf mit dem Löwen bei ➱Stubbs, manchmal so still und ausgeglichen wie Stubbs' ➱Firetail with his Trainer. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mal eben erwähnen, dass ➱Ferdinand von Rayski auch wunderbare Pferde malen kann.

Claude Lorrain scheint James Ward nicht so wichtig zu sein. Wenn er sich mit dem Maler ➱James Northcote über ➱Malerei und Maler unterhält, fällt der Name Claude nur ein einziges Mal. Und dennoch ist Ward als Landschaftsmaler in der Tradition von Claude Lorrain, auch wenn er das in der Romantik bevorzugte ➱Erhabene ein wenig mit der ➱schwarzen Romantik gewürzt hat. Working in the last years of the Napoleonic wars, Ward aimed to depict a national landscape, primordial and unchanging, defended by ‘John Bull’ in animal form. His painting also epitomised the awe-inspiring qualities of the fashionable ‘Sublime’ landscape, heißt es auf der Seite der Tate Gallery. Mit ➱Awe and a kind of Reverential Expectation haben die zeitgenössischen Betrachter auf das drei mal vier Meter große Bild geschaut. Awe and a kind of Reverential Expectation gefällt mir, das kann man auch über Anthony Powells A Dance to the Music of Time sagen.

In die Literatur hat es James Wards Gordale Scar auch geschafft. Nicht bei Anthony Powell, aber in ein Gedicht des südafrikanischen Dichters David Wright:

It's not a painting but a celebration,
This canvas, which seems huger than the room
It broods in, pastoral yet sybilline:
These hanging cliffs and brown romantic shades,
Darkness composed, and solitude imaged.

As for its subject – Upon the high limestone
Moors above Settle, you'll find Gordale Scar
Deflated, an authentic diminution
Of the assertion of its picture here;
The gloom is not the mood, the scale is smaller.

No reality but in imagination:
The painting is more real than the place;
More than the thing is its interpretation,
Or than its interpreter, whose bias
Of feeling, here contained, transmutes to vision.



Und falls Sie noch mehr zu Claude Lorrain lesen wollen: Claude Lorrain, Claude, Ästhetik, Asher B. Durand, 18th century: Grand Tour, Reynolds, Mein Stifter, John Ruskin, Richard Wilson, Gothick, John Thomson of Duddingston, Himmel, Kreidefelsen, Landschaftsmalerei, Richard Parkes Bonington, Tänzer

Sonntag, 20. November 2016

Lord Elgin


Sein Vater (hier von Anton Graff gemalt) war schon häufig in diesem Blog, er ist derjenige, der die Elgin Marbles nach England brachte. Das haben ihm die Griechen bis heute nicht verziehen. Am besten lesen Sie jetzt mal eben den Post ➱Griechen, dann wissen Sie alles, was man zu dem Thema wissen muss. Obgleich das Spekulationsgeschäft mit dem antiken Marmor für Elgin ein Reinfall war, reichte das Familienvermögen doch noch dazu aus, seinen Sohn James Bruce, den späteren 8. Earl of Elgin und 12. Earl of Kincardine, nach Eton und Oxford zu schicken. Eine solche Ausbildung fehlte unserem Steinräuber, dem hatte sein Pappi gleich den Rang eines Fähnrichs in einem Garderegiment gekauft. James Bruce wird nicht nur die Universität Oxford besuchen, er besteht auch das Examen in Klassischer Philologie mit Auszeichnung. Was dem Chief Inspector ➱Endeavour Morse, wie wir wissen, nicht gelungen ist.

James Bruce wird von seinen Freunden für seine Bildung und seine rhetorischen Fähigkeiten bewundert. Die Gruppe seiner Freunde ist die crème de la crème des viktorianischen Englands: William Ewart Gladstone, der Marquess of Dalhousie, Lord Canning, Lord Selborne, Sidney Herbert, Robert Lowe. Sie werden Vizekönige von Indien werden, Lord Chancellor, Generalgouverneur und Premierminister. Vizekönig von Indien wird James Bruce auch werden, nachdem er Gouverneur von Jamaica, ➱Generalgouverneur von Kanada und High Commissioner and Plenipotentiary in China war.

Auf diesem Bild zieht Lord Elgin im Zweiten Opiumkrieg gerade in Peking ein. Wohin man ihn auch schickt, er vertritt Englands Interessen. Und wundert sich über seine Landsleute: I know that our people for a long time used to insist on every Chinaman they met taking his hat off. Of course it rather astonished a respectable Chinese shopkeeper to be poked in the ribs by a sturdy sailor or soldier, and told, in bad Chinese or in pantomime, to take off his hat, which is a thing they never do, and which is not with them even a mark of respect. I only mention this as an instance of the follies which people commit when they know nothing of the manners of those with whom they have to deal.

Elgin bringt Recht und Ordnung, wohin er kommt, er ist ein Mann der Vernunft: Of Elgin's character as a public man, the most prominent features were the thoroughly practical manner in which he habitually dealt with public questions; his readiness to assume responsibility, and the strong sense of duty which enabled him to suppress personal considerations whenever they appeared to conflict with the public interests, heißt es im ➱Dictionary of National Biography.

Als er in Southampton für das Parlament kandidiert, sagt der redegewandte liberale Konservative: I am a Conservative, not upon principles of exclusionism—not from narrowness of view, or illiberality of sentiment—but because I believe that our admirable Constitution, on principles more exalted and under sanctions more holy than those which Owenism or Socialism can boast, proclaims between men of all classes and degrees in the body politic a sacred bond of brotherhood in the recognition of a common warfare here, and a common hope hereafter. I am a Conservative, not because I am adverse to improvement, not because I am unwilling to repair what is wasted, or to supply what is defective in the political fabric, but because I am satisfied that, in order to improve effectually, you must be resolved most religiously to preserve. I am a Conservative, because I believe that the institutions of our country, religious as well as civil, are wisely adapted, when duly and faithfully administered, to promote, not the interest of any class or classes exclusively, but the happiness and welfare of the great body of the people; and because I feel that, on the maintenance of these institutions, not only the economical prosperity of England, but, what is yet more important, the virtues that distinguish and adorn the English character, under God, mainly depend.

Er kann mit Wörtern umgehen, dieser klassische Philologe, der Milton und Coleridge verehrt. Und er ist auch jemand, der meint, was er sagt. Das finden wir bei Politikern heute kaum noch. Außer bei ➱Donald Trump. Aber der hat nicht die Bildung von Lord Elgin. Und auch nicht die Macht, die der Schotte einmal hatte. Auf allen Photos sieht Elgin - wie die meisten Viktorianer - sehr alt aus. Als er am 20. November 1863 in Dharmshala in Indien stirbt, ist er erst zweiundfünfzig Jahre alt. Es hat dem Vizekönig nicht gefallen, wie seine Landsleute die Inder behandeln. Aber bevor er dagegen Maßnahmen ergreifen kann, ist er schon tot. Er hätte wohl besser nicht im Vorgebirge des Himalayas herumkraxeln sollen, wo er sich ein Fieber zuzog.

Im Jahre 1863 malt Thomas Jones Barker dieses scheußliche Bild. Es hat den Titel The Secret of England's Greatness. Die Botschaft ist klar: man muss den fremden Völkern, die vor der Königin knien, nur die Bibel überreichen. Sie sagen Christus und meinen Kattun, heißt es bei Theodor Fontane in ➱Der Stechlin, das fällt mir bei diesen moralintriefenen Bilder des Viktorianismus immer ein.

Das Bild ist (neben vielen anderen) in dem hochinteressanten Ausstellungskatalog Artist and Empire: Facing Britain's Imperial Past zu finden. In dem leider keine Bilder von Lord Elgin sind. Aber der Photograph Felice Beato, der im Krimkrieg und in Indien und China photographierte, ist hier mit seinen Bildern vertreten. Er hat auch unseren Lord Elgin abgelichtet, das Photo oben, das Elgin im Mantel mit Pelzkragen (und mit dem schottischen Distelorden) zeigt, ist von ihm.

Der schwarze Fleck auf der weißen Weste von Lord Elgin ist, dass er den Palast von Canton hat niederbrennen lassen. I never felt so ashamed of myself in my life, wird er seiner Frau schreiben. Aber eine symbolische Handlung musste sein: It was the Emperor’s favourite residence, and its destruction could not fail to be a blow to his pride as well as his feelings. Zu seiner Entschuldigung kann er vorbringen, dass die Franzosen schon mit der Zerstörung des ➱Palastes begonnen und vieles geplündert hatten.

Aber die Engländer sind auch mittenmang dabei. So schreibt der General Garnet Wolseley (Bild) über die englischen Truppen: in body and soul they were absorbed in one pursuit, which was plunder, plunder. Wolseley, der in der Oper The Pirates of Penzance von Gilbert und Sullivan als ➱the very model of a modern major-general karikiert wurde (das müssen Sie unbedingt anklicken), ist in diesem Blog schon in den Posts ➱Raglan, ➱Reiter und ➱Moltke erwähnt worden.

Theodore Walrond, der ➱The Letters and Journals of James, Eighth Earl of Elgin herausgegeben hat, schließt sein Buch mit den Worten: He sleeps far away from his native land, on the heights of Dhurmsala; a fitting grave, let us rejoice to think, for the Viceroy of India, overlooking from its lofty height the vast expanse of the hill and plain of these mighty provinces — a fitting burial beneath the snow-clad Himalaya range, for one who dwelt with such serene satisfaction on all that was grand and beautiful in man and nature — Pondering God's mysteries untold, and, tranquil as the glacier snows, He by those Indian mountains old Might well repose.

Bevor Sie jetzt zum Taschentuch greifen, hätte ich noch ein kleines Schmankerl zum Schluss. Das habe ich ja häufig (man will den ➱Hörsaal ja gerne unter Beifall verlassen). Mein Schmankerl ist ein kleiner Film vom National Film Board of Canada aus dem Jahre 1959, er heißt ➱Lord Elgin: Voice of the PeopleHe established the principles on which Canadian government stands today, steht in der Beschreibung. Das ist kein geringer Verdienst.