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das Blaue Band
Als er mit seiner Bremen den New Yorker Hafen verließ, hat er nicht die amerikanische Nationalhymne The Star-Spangled Banner, sondern das Horst Wessel Lied spielen lassen. Was ja eigentlich nichts anderes als das Lied vom Wildschütz Jennerwein ist (lesen Sie doch einmal den Post The Happy Wanderer). Aber es ist natürlich ein schlimmes Lied, das der Bremer Kapitän da spielen lässt: Als die 'Bremen' in den Hudson hinausgleitet, mehr als die halbe Strombreite einnehmend, intonierte die Kapelle das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied. Mit erhobenen Armen steht die Mannschaft und singt die Lieder der Nation. Machtvoll schallt das stolze Bekenntnis zu Deutschland über die Piers und den Strom. Seine Schriften wie Die Siegesfahrt der Bremen oder Männer Schiffe Ozeane, aus denen dies Zitat stammt, werden nach dem Krieg in der Sowjetisch Besetzten Zone wegen ihres nationalsozialistischen Gedankenguts verboten werden.
Allerdings muss man bedenken, dass der größte Teil seiner Bücher von einem Ghostwriter namens Christian Hilker stammt, der aus Die Siegesfahrt der Bremen (man beachte allein den Titel) ein Propagandawerk gemacht hat. 1936 war Ahrens als Nachfolger von Kommodore Leopold Ziegenbein Kapitän der Bremen geworden, dem schnellsten und schönsten Schiff der Welt. Bei dem sogar der Schiffsname nachts beleuchtet war. Auf der Fahrt im September 1939 allerdings nicht mehr. Da ist alles dunkel. Es ist das Ende der deutschen Passagierschiffahrt.
Ich hoffe, dass es mir gelingt, euch gesund nach Hause zu bringen, hatte er der Besatzung am 30. August 1939 gesagt, als die Bremen ihre Heimfahrt antrat. Im letzten Krieg war er mit seinem Dampfer Derfflinger in Alexandria von den Engländern aufgebracht und fünf Jahre auf Malta interniert worden. Seit 1894 ist Ahrens auf See, da hat er als Schiffsjunge auf der Viermastbark Renée Rickmers angefangen. Den Bremerhavener Werftbesitzer Rickmer Clasen Rickmers kannte er, sein Vater war bei Rickmers der Gärtner. 1901 besteht der junge Ahrens sein Kapitänsexamen, danach ist er für den Norddeutschen Lloyd auf allen Weltmeeren. Meist in Ostasien. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte Ahrens den elterlichen Gemüsehandel in Nordenham übernommen. Dass er kaufmännisch tätig war (wie es im Wikipedia Artikel steht) klingt natürlich besser, aber es war nun mal der Gemüsehandel.
Schon auf der Reise nach New York hatte er am 25. August 1939 südlich von Neufundland den Befehl empfangen, sofort nach Deutschland zurückzukehren und nur noch verschlüsselt zu funken. Der Kapitän Ahrens ist seit 1934 in der NSDAP, aber er gehorcht den Befehlen nicht. Er ist nicht ganz dumm. Er hat hohe amerikanische Diplomaten an Bord und der Sprit reicht nicht bis zurück nach Deutschland.
Doch als er in New York ist, tut er alles, um sofort wieder auszulaufen. Ohne Passagiere. So etwas wie die fünf Jahre Malta soll ihm nicht noch einmal passieren. Die Behörden machen ihm das Leben schwer. Ahrens ahnt, dass man ihn aufhalten will, um sein Schiff den Engländern zu übergeben. Aber als die Zollbeamten am Nachmittag des 30. September das Schiff verlassen, legt Ahrens ab. Zuvor hatte man noch Strafantrag gegen einen desertierten Tellerwäscher gestellt, das ist deutsche Gründlichkeit. Da steht dann im Logbuch: Heute desertierte der Tellerwäscher R.M. geboren 30.8.1913, unter Mitnahme seiner Effekten, Strafantrag wird gestellt. Ich weiß nicht, ob dieser Tellerwäscher Millionär geworden ist, aber glücklicher als im Nazideutschland wird er in Amerika wohl geworden sein.
Dass er solche Photos von Passagieren an Bord der Bremen, die die Silhouette von New York betrachten, nicht mehr machen wird, das ist Hanns Tschira klar. Hanns Tschira arbeitet seit Ende der zwanziger Jahre als Photograph für den Norddeutschen Lloyd. Bei dieser Reise ist er auf der Bremen. Auf dem Leuchtband der Nachrichten am Times Building kann er Englands Erklärung lesen, bei einem deutschen Angriff auf Polen die Polen zu unterstützen. Mit einem Male ist mir die ganze Stadt verleidet. Daß unser Führer die polnischen Provokationen weiter hinnimmt, ist ausgeschlossen, das steht in dem Buch Die Bremen kehrt heim, das den Untertitel Deutscher Seemannsgeist und deutsche Kameradschaft retten ein Schiff hat. Herausgegeben in Kooperation mit der NS Gemeinschaft Kraft durch Freude. Die meisten Bilder in diesem Post stammen von Hanns Tschira, sie können auf dieser →Seite beinahe alles sehen, was er an Bord der Schiffe des Norddeutschen Lloyd photographiert hat.
Die Bremen (zweite von unten) wird eins der letzten deutschen Schiffe sein, das Amerika verlässt. Eigentlich wollte Ahrens lieber nach Kuba, aber die Telegramme aus Berlin sind jetzt eindeutig. Kuba ist nicht drin. Der Kapitän der französischen Normandie, die neben der Bremen liegt, lässt als Gruß einmal die Trikolore dippen. Sein Schiff wird den Rest des Krieges in New York bleiben. Ahrens schafft es, ohne dass ihn die Engländer aufhalten, über den Atlantik. Zwar nicht nach Bremerhaven, erst einmal in den noch neutralen Hafen Murmansk. Und von da aus im Dezember dann endlich doch nach Bremerhaven. Den Triumph, gleich zu Beginn des Krieges das schönste und größte Schiff der deutschen Handelsflotte zu erbeuten, wird der Engländer jedenfalls nicht erleben, wird er schreiben. 1940 verleiht ihm der Norddeutsche Lloyd den Titel eines Kommodore und der Bremer Senat die goldene Ehrenmedaille. Ein Jahr später wird er pensioniert.
Am dritten September 1939, als die Bremen den sechzigsten Breitengrad erreicht, sagt Ahrens der Mannschaft, dass er niemals zulassen werden, dass sein Schiff der britischen Marine in die Hände fiele. vorher werde er es versenken. Und setzt hinzu: Obendrein zünde ich das Schiff noch an! Das Anzünden soll zwei Jahre später angeblich der siebzehnjährige Decksjunge Gustav Schmidt besorgt haben, der deshalb nach Marinerecht (die Bremen gehörte inzwischen der Kriegsmarine) zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Aber es gibt erhebliche Zweifel an dieser Darstellung. Das Schiff wird in Bremerhaven ausbrennen.
Ahrens war die Verkörperung des befähigten Seemannes und Nautikers, der die angeborene Gabe besaß, mit bewunderswerter Sicherheit schwierige Situationen vorauszuahnen und unnachahmlich zu meistern, heißt es in der Bremischen Biographie über ihn. Dort wird auch sein Engagement für die Stiftung Haus Seefahrt in Grohn gelobt. Eine Leistung, die vielleicht größer ist, als die Bremen nach Hause zu bringen. Ahrens war als Schiffahrtsexperte von 1949–1953 als Mitglied der Deutschen Partei im Bundestag. Die konservative Partei, die nur in den norddeutschen Bundesländern antrat (und in Bremen die meisten Stimmen bekam) war damals sogar Regierungspartei.
Die Entnazifizierungsakte stuft Ahrens als Mitläufer ein. Das Kommando der Bremen hätte er wohl nicht bekommen, wäre er nicht in der Partei gewesen. Das war sein Vorgänger, der Kommodore Leopold Ziegenbein, auf keinen Fall. Der war 1936 in Pension gegangen, offiziell aus Altersgründen (er war zweiundsechzig), in Wirklichkeit war es wohl eher eine Zwangspensionierung, an der er und die Reederei gleichermaßen interessiert waren. Er wäre nie auf die Idee gekommen, seine Briefe Mit deutschem Gruß und Heil Hitler zu unterzeichnen, wie Ahrens das tut. Er beendet offizielle Feiern der Mannschaft an Bord der Bremen mit einem dreifachen Hurra, nicht mit Sieg Heil. Dass 1934 das jüdische Bordpersonal entlassen wurde, hatte er nicht verhindern können. Dass 1935 in New York die Hakenkreuzflagge vom Heck der Bremen gerissen wird, hat ihn nicht besonders berührt.
Er war ein Mann, der mit allen Situationen fertig wurde. Als er noch ein junger Seeoffizier auf der Prinz Ludwig war und sich eine Diplomatengattin kreischend über eine Ratte in ihrer Kabine beschwerte, wäre der gute Ruf der Schiffe des Norddeutschen Lloyds beschädigt gewesen. Wenn da nicht der Erste Offizier Leopold Ziegenbein gewesen wäre. Mit gewinnendem Lächeln dankte er der Dame für das Wiederauffinden des schon schmerzlich vermissten Maskottchens des Schiffes. Es braucht wohl nicht hinzugesetzt werden, dass die Ratte natürlich kein Maskottchen war.
Er war der berühmteste deutsche Kapitän seiner Zeit, die Stadt New York hatte ihn zum Ehrenbürger gemacht (oben ist er mit Graf Luckner zu sehen). Ziegenbein war Freimaurer (und Rotarier), er verstand sich als nationaler Patriot und Weltbürger, der sich und seine Reederei immer als Botschafter seines Landes ansah. Albert Ballins Satz Mein Feld ist die Welt könnte ihn charakterisieren. Aber das Deutschland der Nazis war nicht mehr das seine. Das waren sowieso freudlose Fahrten für den Mann geworden, der die schönen Frauen liebte: der internationale Jet Set meidet deutsche Schiffe. Die Bremen ist zu einem Nazischiff geworden. Im Oktober 1936 teilt er dem Norddeutschen Lloyd seinen bevorstehenden Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen mit.
Ziegenbein zog sich in sein Haus in Bremerhaven (wo es heute eine Kommodore Ziegenbein Promenade gibt) zurück und hisste die schwarz-weiß-rote Flagge, wenn die Bremen zurückkam. Niemals die mit dem Hakenkreuz. Es war für ihn der schmerzlichste Augenblick seines Lebens, die Bremen brennen zu sehen. Das war sein Schiff gewesen, er hatte schon die Bauaufsicht bei der AG Weser gehabt. Hatte der Mauretania das Blaue Band abgenommen. Da hatte sogar Willem aus seinem Exil in Doorn ein Glückwunschtelegramm gesandt. Natürlich kam auch ein Telegramm von Hindenburg, der das Schiff getauft hatte. In →Uniform mit Pickelhaube. Als die Amerikaner Bremerhaven besetzten, verbannten sie Ziegenbein in seinem Haus unters Dach. Das hat der Ehrenbürger von New York ihnen übelgenommen. Die Bremische Biographie 1912-1962, die eine ganze Seite für Adolf Ahrens übrig hat, erwähnt Leopold Ziegenbein mit keinem Wort. Ein Schiff, zwei Kapitäne. Und ein hingerichteter Schiffsjunge. Auf einer Sandbank bei Blexen kann man bei starker Ebbe noch die ✺Reste des Schiffes sehen.
Adolf Ahrens' Buch Die Siegesfahrt der Bremen lag bei meinem Opa herum, ich habe es gelesen, als ich noch klein war. Es war nicht so interessant wie die Erzählungen der Kapitäne, mit denen mein Vater befreundet war. Wenn Sie mehr zu der denkwürdigen Fahrt der Bremen lesen wollen, kann ich noch empfehlen: Gertrud Ferber, 'Acht Glas': Kommodore Ziegenbein. Wesen und Wirken eines deutschen Seemannes (1940). Klaus-Peter Kiedel, Die letzte Transatlantikreise des Schnelldampfers Bremen. In: Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft 98 (2004). Nils Aschenbeck, Schnelldampfer Bremen (1999). Peter A. Huchthausen, Shadow Voyage: The Extraordinary Wartime Escape Of The Legendary SS Bremen (2005) und Thomas Siemon, Ausbüxen, Vorwärtskommen, Pflicht erfüllen: Bremer Seeleute am Ende der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus 1930-1939 (2002), Schnelldampfer Bremen Hg. Norddeutscher Lloyd 2013.
Freitag, 19. Juli 2024
Ellen Andrée: nue et habillée
Der Maler Edgar Degas wurde heute vor hundertneunzig Jahren geboren, das wäre ein Grund, über ihn zu schreiben. Was ich aber nicht tun werde, weil ich ihn nicht mag. Weshalb ich ihn nicht mag, das steht in dem Post Edgar Degas. Und auch in dem Post Ratten sage ich nichts Nettes über ihn. Dieses Bild wird immer mit dem Titel L'Absinthe zitiert, original hieß es Dans un Café. Das grünliche Zeug, das die Dame vor sich hat, ist Absinth, ein Getränk, das Baudelaire in seinem Gedicht →Le vin des chiffonniers den Wein der Bettler, genannt hat. Die Dame trinkt in Wirklichkeit keinen Absinth, der Herr neben ihr wohl schon. Es ist der Maler Marcellin Gilbert Desboutin, der neben der Schauspielerin Hélène (oder mit ihrem Künstlernamen Ellen) Andrée sitzt. Die war über das Bild überhaupt nicht glücklich, fünfzig Jahre später hat sie gesagt: Je suis devant une absinthe. Desboutin devant un breuvage innocent, le monde renversé, quoi ! Et nous avons l’air de deux andouilles. Das ist es, die beiden sehen aus wie Idioten, eine Nutte und ein Penner. Soll das die Bohème sein oder nur die Demimonde?
Als Degas das Bild malte, war Ellen Andrée zwanzig Jahre alt. Sie war Schauspielerin, war aber auch das Modell für viele Maler. Sie hat für Degas, Manet und Renoir (und andere) Modell gesessen. Die Maler liebten sie, nicht weil sie besonders schön war, sondern weil sie lange in der Position sitzen oder stehen lonnte, die der Maler gerne haben wollte. Die →Wikipedia hat eine schöne Seite für die Schauspielerin, mit vielen Bildern. Hier ist sie das Modell für Édouard Joseph Dantans Bild Un Moulage sur Nature. Das ist eins der wenigen Male, wo sie nackt posiert. Das zweite Bild mit der nackten Ellen habe ich natürlich auch, es war ein Bild, dass 1878 ein Pariser Skandal war.Weißt du denn nicht, daß ich seit heute Nacht ruiniert?
Das weiß ja alle Welt! – Drum muß ich sterben gehen,
Und kam die Nacht hierher, noch einmal dich zu sehen.«
»Ja hast du denn gespielt?« – »O nein, ich bin ruinirt!«
»Ruiniert?« frug sie; und wie zur Statue gerührt,
Ließ sie den vollen Blick starr auf der Decke ruhn –
»Ruiniert? Ruiniert? Hast du denn keine Mutter? Hör!
Verwandte? Keinen Freund? Auf Erden niemand mehr?
Und tödten willst du dich? Weshalb willst du es thun?«
Vom weichen Kissen hob plötzlich das Haupt Marie,
Und süßer glomm ihr Blick als wie in allen Tagen.
Es bebte ihr der Mund im Drang von tausend Fragen,
Doch keine wurde laut – nur schluchzend neigte sie
Ihr Angesicht auf seins zu einem langen Kuß. –
»Jakob – zürnst du, wenn ich um etwas bitten muß?«
So schluchzte sie – »du weißt, Jakob – Geld hab ich nie –
Denn was du mir auch gabst, nahm mir die Mutter ab –
Jedoch – dies Halsband hier – 's ist Gold – soll ich's verkaufen?
Du nimmst das Geld und spielst – laß, Jakob – ich will laufen ....«
Ein mattes Lächeln war die Antwort, die er gab;
Drauf zog ein Fläschchen er hervor, trank's langsam leer,
Neigte sich über sie und küßte ihren Schmuck.
Dann sank auf ihre Brust sein Haupt mit leisem Druck –
Und als Marie es hob, da war es kalt und schwer.
Durch diesen keuschen Kuß ließ er die Seele scheiden,
Und, einen Augenblick, hatten geliebt die Beiden.
Wir wachten auf. Die Sonne schien nur spärlich
Durch schmale Ritzen grauer Jalousien.
Du gähntest tief. Und ich gestehe ehrlich:
Es klang nicht schön. Mir schien es jetzt erklärlich,
Dass Eheleute nicht in Liebe glühn.
Ich lag im Bett. Du blicktest in den Spiegel,
Vertieftest ins Rasieren dich diskret.
Du griffst nach Bürste und Pomadentiegel.
Ich sah dich schweigend an. Du trugst das Siegel
Des Ehemanns, wie er im Buche steht.
Wie plötzlich mich so viele Dinge störten!
Das Zimmer, du, der halbverwelkte Strauss,
Die Gläser, die wir gestern abend leerten,
Die Reste des Kompotts, das wir verzehrten.
... Das alles sieht am Morgen anders aus.
Beim Frühstück schwiegst du.
Das ist hygienisch, aber nicht sehr schön.
Ich sah das Fruchtgelée auf deinen Lippen
Und sah dich Butterbrot in Kaffee stippen –
Und sowas kann ich auf den Tod nicht sehn!
Ich zog mich an. Du prüftest meine Beine.
Es roch nach längst getrunkenem Kaffee.
Ich ging zur Tür. Mein Dienst begann um neune.
Mir ahnte viel –. Doch sagt ich nur das Eine:
"Nun ist es aber höchste Zeit! Ich geh..."