Samstag, 7. November 2020

Roy Cohn

Er hatte doch schon gewonnen. Und dann verschwanden Stimmen auf mirakulöse Weise. War das nicht seltsam? Jetzt wollen sie ihm die Wahl stehlen. Sein Sohn zitiert schon Joseph Goebbels und redet vom totalen Krieg. Hysterie und Paranoia. Hatten wir es uns anders vorgestellt? Steht das nicht alles schon 1964 in Richard Hofstadters Aufsatz The Paranoid Style in American Politics?

Where's my Roy Cohn? soll Donald Trump einmal ausgerufen haben. Ein Ausdruck der Verzweiflung, ungefähr so etwas wie A horse, a horse, my kingdom for a horse bei Shakespeare. Der junge, aufstrebende Geschäftsmann kann nicht ohne den Juristen leben. Roy Cohn hat ihn zu dem gemacht, was er ist. Roy Cohn, schamlos, eiskalt, machtversessen, so der Spiegel, ist Amerikas Dr Frankenstein, der mit Trump sein eigenes Monster erschaffen hat.

Donald Trump ist nicht der einzige Klient von Roy Cohn; der Mann, der schon der Rechtsberater des rechtsradikalen Senators McCarthy war, hat noch andere Klienten. Die Tony Salerno, Carmine Galante und John Gotti heißen. Kurz gesagt: die ganze New Yorker Mafia. Donald Trump ist in guter Gesellschaft. Roy Cohn, den die Süddeutsche einen amerikanischen Alptraum nannte, bringt Trump die Dinge bei, mit denen der nach oben kommen wird. Sagen wir es einfach: leugnen, lügen, angreifen, verleumden, verklagen. Niemals entschuldigen.

Roy Cohn war schon häufig in diesem Blog, zum Beispiel in dem Post Ray Bradbury, in dem es um den Film Fahrenheit 451 und Bücherverbrennungen geht. Ich zitiere mal eben: Nein, da ist jemand, der von seinen Feinden im Kongress als the junior senator from Wisconsin bezeichnet wird, damit man den scheußlichen Namen Joseph McCarthy nicht aussprechen muss. Der hat sich nämlich gerade den Sender Voice of America und die vom United States Information Service unterhaltenen Bibliotheken der deutschen Amerika Häuser vorgenommen, muss alles vom Kommunismus gereinigt werden. Seine beiden Henkersknechte Roy Cohn und David Schine machen eine book burning mission durch Deutschland. All das, was durch die Re-Education aufgebaut worden war, gerät jetzt unter Generalverdacht. 

Triumphierend findet Roy Cohn im Amerika Haus in Frankfurt zwei Krimis von Dashiell Hammett. Da kann man doch sehen, wie weit die kommunistische Unterwanderung schon fortgeschritten ist! Viele Bibliotheksleiter finden originelle Wege, um die Anweisung der Buchvernichtung aus Washington zu umgehen, das hat mir einmal ein pensionierter Bibliotheksdirektor erzählt. Präsident Eisenhower ist das Treiben seines Parteifreunds McCarthy zuwider, er hält sich zwar meistens öffentlich zurück, aber privat sieht er auch die Gefahr und sagt: I will not get in the gutter with that guy. Doch in dieser Situation ringt er sich zu einem erstaunlich klaren öffentlichen Statement durch: Don't join the book burners. […] Don't be afraid to go in your library and read every book. Das hätte McCarthy eine Warnung sein sollen, aber der attackiert in seinem Größenwahn die US Army. Das wird sein Untergang. 

Schon vorher hatte Cohn Dashiell Hammett verhört, er insinuierte, dass alle Einkünfte aus dessen Romanen und Filmen nach Moskau geflossen seien. Hammett, Soldat im Ersten und im Zweiten Weltkrieg, schweigt zu den Vorwürfen des Mannes, der sich um den Wehrdienst gedrückt hat. Hammetts Lebensgefährtin Lillian Hellman wird das trio infernale Roy Cohn, David Schine und Joe McCarthy in ihrer Autobiographie Scoundrel Time Bonnie, Bonnie and Clyde nennen. Womit sie natürlich etwas über die sexuelle Orientierung der Herren sagt.

At long last, have you left no sense of decency? wird Joseph Welch, der Anwalt der US Army, den Senator McCarthy fragen. Es ist der Wendepunkt der Anhörungen des Kongresses, die landesweit übertragen werden. Es ist das Ende von McCarthy, er wird sich zu Tode saufen. Roy Cohn wird wieder auftauchen, trinkt Champagner und fährt Rolls Royce. Und hat Klienten, die in der Mafia oder im Pädophilie Business sind. Als Cohn starb, hatte er nach einer Entscheidung des Supreme Court von New York alle Rechte als Anwalt verloren. Schon dreimal war er wegen dishonesty, fraud, deceit and misrepresentation angeklagt worden (diese schönen Wörter passen irgendwie auch auf Donald Trump). Jetzt endlich setzte man dem Treiben des Mannes ein Ende, der wie Trump keine Steuern bezahlte (the closest thing we have in this country to a Nazi or Soviet-type agency, nannte er die Finanzbehörde).

L'avocat du diable hat der französische Journalist Philippe Corbé den Anwalt in einem gerade erschienenen Buch genannt. Für den englischen Historiker Eric Hobsbawm war er in dem Kapitel Epitaph for a Villain in seinem Buch Uncommon People ein Nichts: Apart from a few unrequited personal favors to friends and lovers, and an ability to entertain, he did good to none and brought ruin to many. Tony Kushner hat Roy Cohn in dem Theaterstück Angels in America auf die Bühne gebracht, Al Pacino hat ihn in der Verfilmung des Stückes gespielt. Emile de Antonios Dokumentarfilm Point of Order aus dem Jahre 1964 kann ich hier anbieten, und ich habe noch etwas ganz Neues. Where's my Roy Cohn? ist nicht nur ein Satz von Donald Trump, es ist auch ein Dokumentarfilm aus dem letzten Jahr. In dem noch ein zweiter Film über Roy Cohn mit dem Titel Bully, Coward, Victim: The Story of Roy Cohn erschienen ist. Sie können beide Filme hier sehen, Donald Trump wird sie sich bestimmt nicht angucken. Ivy Meeropol, die Regisseurin von Bully, Coward, Victim, ist übrigens die Enkelin von Julius and Ethel Rosenberg, für deren Verurteilung der junge Roy Cohn damals gesorgt hatte.

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