Der Dichter Paul Celan war hier im Blog am Karfreitag schon mit einem Gedicht. Er wurde heute vor einhundert Jahren geboren, da muss an den Dichter der Todesfuge erinnert werden. Das Gedicht, das ich heute ausgewählt habe, heißt Corona. Dass dieses lateinische Wort neuerdings eine Krankheit bezeichnet, konnte Celan nicht ahnen, als er das Gedicht schrieb. John Donne auch nicht, als der La Corona schrieb. Denn dieses Wort, das eine Krone oder ein Kranz sein kann, ein Sternbild und eine Menschenmenge (und noch viel mehr), soll mal für einen Augenblick von der Assoziation covid-19 befreit werden. Bei dem 1948 geschriebenen Gedicht wird es wohl Kranz heißen, und sich auf die Beziehung zwischen Celan und Ingeborg Bachmann beziehen. Es ist ein Liebesgedicht auf Ingeborg Bachmann, die ihm 1949 nach Paris schrieb: Ich habe oft nachgedacht, 'Corona' ist Dein schönstes Gedicht, es ist die vollkommene Vorwegnahme eines Augenblicks, wo alles Marmor wird und für immer ist.
Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.
Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehn:
die Zeit kehrt zurück in die Schale.
Im Spiegel ist Sonntag,
im Traum wird geschlafen,
der Mund redet wahr.
Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:
wir sehen uns an,
wir sagen uns Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir schlafen wie Wein in den Muscheln,
wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.
Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der
Straße:
es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.
Es ist Zeit.
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