Freitag, 13. November 2020

madness


Das hier kann es heute nicht mehr geben, 1984 (man fühlt sich ein bisschen an George Orwells 1984 erinnert) war das allerdings möglich. Da sagten 1.189 amerikanische Psychiater in der Zeitschrift Fact, dass Barry Goldwater ein klein bisschen plemplem sei. Per Ferndiagnose wurde ihm Paranoia, Narzissmus und eine schwere Persönlichkeitsstörung attestiert. Das würden heute bestimmt mindestens 1.1.89 amerikanische Psychiater über Donald Trump sagen, aber das verbietet leider jetzt die sogenannte Goldwater Rule. Ist irgendwie schade. Als ich in den Nachrichten hörte, dass Trump sich vorzeitig zum Wahlsieger ausgerufen hatte, und als ich las, was er bei Twitter so schrieb, war meine erste Assoziation der Refrain eines Schlagers aus den sechziger Jahren: 

And they're coming to take me away ha-haaa
They're coming to take me away ho-ho hee-hee ha-haaa    
To the funny farm
Where life is beautiful all the time
And I'll be happy to see those nice young men
In their clean white coats
And they're coming to take me away ha-haaa

Der Gedanke ist nicht so abwegig, so schrieb zum Beispiel Florian Harms gerade bei T-Online: Falls der Patient Donald John Trump seinen Feldzug gegen die Demokratie fortsetzt und sich weigert, das Weiße Haus zu verlassen, ist es spätestens am 20. Januar Zeit, den Krankenwagen zu rufen. Die Pfleger sollten für alle Fälle eine Zwangsjacke mitbringen. Da kann man nur mit Thomas von Kempen sagen: O quam cito transit gloria mundi!

Als Donald Trump im letzten Jahr verkündete: I am the chosen one, druckte die Financial Times diesen Cartoon von Jeremy Banks, der seit 1989 für das Blatt arbeitet. Wir mögen über diese Variante des Oval Office schmunzeln, aber die Frage bleibt: was ist mit einem Präsidenten, der offenbar seine fünf Sinne nicht mehr beisammen hat?O! let me be not mad, not mad, sweet heaven; Keep me in temper; I would not be mad! sagt der König Lear in Shakespeares Tragödie schon im ersten Akt. Wir wissen, wie die Sache ausgeht. Spätestens im dritten Akt.

Das elisabethanische Theater (und die jakobäische Rachetragödie) bemühen immer wieder die Themen melancholy, madness und insanity. Trump ist den Elisabethanern ähnlich. Wenn er sagt: I'm the only thing standing between the American dream and total anarchy, madness and chaos, dann erinnert das ein wenig an Hamlets Sätze The time is out of joint. O cursèd spite, That I was ever born to set it right! Aber im Gegensatz zu Trump ist Hamlet nicht wahnsinnig, er spielt nur den Wahnsinnigen: I am but mad north-north-west. When the wind is southerly, I know a hawk from a handsaw, sagt er den Schauspielern. Wenn man einen Habicht von einem Reiher unterscheiden kann, ist man nicht verrückt. Polonius ahnt das, wenn er sagt: Though this be madness, yet there is method in 't

Aber gibt es auch eine Methode in Trumps wirrem Agieren? Der Pulitzer Preisträger David K. Shipler sah das in seinem Artikel The Method to Trump’s Madness. Alle Nachrichten als Fake News zu deklarieren, die Presse als enemy of the American people zu bezeichnen, alle gesellschaftlichen Werte auszuhöhlen, das hat nach David Shipler System: The wheels of pluralistic democracy are greased by consensus, goodwill, common respect for facts, shared beliefs in institutional legitimacy, and the civil balance of competing interests. Donald Trump has found that his narrowest interest in growing and preserving his power are best served by eroding these principles. He is not doing so as erratically as his tweets suggest. Watch him. He is progressing step by deliberate step. Shipler hätte seinen Artikel auch Highway to Hell überschreiben können.

Das bringt mich wieder zur Pop Musik und zu dem Magazin Rolling Stone. Das hatte nämlich vor drei Jahren dieses schöne Titelbild und den Leitartikel The Madness of Donald Trump von Matt Taibbi. Der Artikel, der ähnlich klingt wie Raibbis Buch Insane Clown President, ist ganz hervorragend, Taibbi schreibt ein wenig wie Hunter S. Thompson oder Tom Wolfe, die ja auch mal für den Rolling Stone arbeiteten. Das Titelbild von Victor Juhasz gefällt mir sehr. Trump ähnelt ein bisschen einem brüllenden Löwen, aber Löwen haben natürlich kein Handy in der Hand, sie können nicht twittern. Da steht er nun auf dem Dach. Was wird er jetzt tun? Da Rolling Stone etwas mit Pop Musik zu tun hat, fiel mir als erstes das Ende von Marianne Faithfulls The Ballad of Lucy Jordan ein:

The evening sun touched gently on
The eyes of Lucy Jordan
On the rooftop where she climbed
When all the laughter grew too loud
And she bowed and curtsied to the man
Who reached and offered her his hand
And he led her down to the long white car 
that waited past the crowd

Und ich dachte mir: warte nur Donald, noch magst Du triumphieren, aber am Ende holt Dich der Mann mit dem großen weißen Auto. Der Gedanke hat etwas Tröstliches.

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