Dienstag, 9. Juli 2024

Centenaire

Der Schulrat war früh gekommen, der Examenskandidat war noch nicht da. Ich musste vor der Prüfung noch ein wenig Konversation machen. Das ist eine schöne Omega Seamaster, die Sie da am Arm haben, sagte ich. Ja, sagte er, Ich habe sie schon lange. Woher wissen Sie, dass das eine Seamaster ist? Ich sammle Uhren, sagte ich. Teures Hobby, sagte er. War es wirklich ein teures Hobby? Vor mehr als dreißig Jahren bekam man für zehn Mark schon etwas Schönes auf dem Flohmarkt, für einen Fuffi schon etwas Besseres. Teurer wurde es, als der Euro kam, weil die Flohmarkthändler alles im Verhältnis 1:1 umrubelten. Heute ist das Sammeln von Uhren wirklich zu einem teuren Hobby geworden. Ich höre auch langsam damit auf, diese Eterna habe ich mir gerade noch gegönnt. Sie sieht in Wirklichkeit viel besser als auf den Photos hier, eigentlich ist sie Fabrikneu. Jetzt habe ich ein Dutzend Uhren der Präzisionsuhrenfabrik aus Grenchen, die zwei Quarzuhren nicht mitgezählt. Mein Opa hatte sich vor hundertzwanzig Jahren eine silberne Eterna Taschenuhr gekauft, mein Vater hatte eine Eternamatic, Eterna lag für mich also ein wenig in der Familie.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Grenchen (Granges) anderthalbtausend Einwohner, das wird sich durch die Uhrenfabriken Eterna, ETA und ASSA (Adolph Schild SA) gewaltig ändern. Aber vorher ist das einzig Erwähnenswerte im Ort das Heilbad, das der Landwirt Josef Girard 1818 gegründet hat. Girard war ein liberaler Politiker, sein Sohn, der auch Josef Girard heißt, wird Arzt werden und als Kurarzt das Bad leiten. Das Wasser der Bachtelen Quelle scheint eine große Heilwirkung gehabt zu haben. Das Bachtelen-Bad wurde in den 1830er Jahren auch zu einem Zufluchtsort liberaler Emigranten wie Karl Mathy und Giuseppe Mazzini. Auch der Schriftsteller Gustav Freytag war einmal hier, er wird 1870 die Geschichte des Karl Mathy (hier im Volltext) schreiben.

Der Dr Josef Girard, der sich in den politischen Richtungskämpfen der Schweiz nach Abzug der Franzosen wie sein Vater auf die Seite der Liberalen schlägt, gründet 1852 mit seinem Bruder Euseb die erste Uhren- beziehungsweise Rohwerkfabrik in Grenchen, die Firma Girard Frères & Kunz. Diese Fabrik hat kein langes Leben, 1855 wird die Fabrik, die vieleicht hundert Arbeiter beschäftigte, wieder geschlossen. Ein Jahr später wagt Dr Girard einen zweiten Versuch und gründet zusammen mit dem Lehrer Urs Schild die Fabrique d'Ebauches, Finissages et Echappements Dr. Girard & Schild. Der 28-jährige Lehrer Urs Schild hatte bei seinem Vater Anton schon eine erste Ausbildung als Uhrmacher bekommen, denn 1851 hatte Anton Schild zusammen mit Josef Girard eine Lehrwerkstätte für Uhrmacher gegründet. Mit Zuschüssen der Gemeinde wurden die ersten Uhrmacherlehrlinge in Grenchen ausgebildet. 

Zehn Jahre nach der Gründung von Dr Girard & Schild lässt sich der Arzt von Urs Schild seine Anteile für 35.000 Franken ausbezahlen und kehrt in seinen Arztberuf zurück. Die Uhrenfabrik, die zuerst nur Rohwerke (blancs) herstellte und erst seit 1875 ganze Uhren baut, wird seit 1882 Eterna heißen. Das ist lateinisch und heißt ewig. Die Eterna wird über hundert Jahre im Familienbesitz bleiben, das ist nicht ewig, aber doch sehr lange. Schilds Bruder Adolph Schild, ein gelernter Uhrmacher, ist Technischer Direktor der Eterna, er wird schon in dem Post AS 5008 erwähnt. Im Streit mit dem Sohn seines Bruders verlässt er nach dem Tod von Urs Schild die Eterna und gründet mit Hilfe seiner Ehefrau Pauline Schild-Hugi seine eigene Rohwerkefabrik A. Schild & Cie, die nach dem Börsengang Adolph Schild SA heißen wird. 

In einem halben Jahrhundert ist Grenchen aus einem Bauerndorf, das einmal die Zufluchtsstätte liberaler europäischer Emigranten war, mit drei Uhrenfabriken (Eterna, ETA und ASSA) zu einem Zentrum der Uhrenfabrikation der Schweiz geworden. Dazu hat natürlich auch beigetragen, dass die Eisenbahn von Solothurn nach Biel seit 1858 auch in Grenchen hielt. Eine Poststelle hatte Grenchen gerade bekommen, als Girard und Schild ihre Fabrik eröffneten, aber zwanzig Jahre später war die Straße zu Schilds Fabrik immer noch nicht gepflastert. Fortschritt bedeutete in der Schweiz damals, dass alles etwas länger dauert. Aber einen kleinen Flugplatz wird die Stadt 1931 doch noch bekommen, dafür sorgt Adolf Schild-Behnisch, der Sohn von Adolph Schild.

1956 kann der Enkel des Gründers Dr Rudolf Schild-Comtesse auf hundert Jahre Eterna zurückblicken. Man tut das mit einer großen Feier und einem neuen Uhrenmodell, der Eterna Centenaire. Aber Dr Schild wird in seiner Festrede auch sagen, dass es trotz aller Erfolge der Eterna, für die Schweizer Uhrenindustrie schwere Zeiten geben wird. Meine alte Centenaire sieht nicht so schön aus wie diese Uhr hier, das Zifferblatt ist bräunlich geworden. Es steht auch nicht Centenaire auf dem Zifferblatt, nur 21 Jewels. Denn das war neu, einundzwanzig Steine hatten die Automatikwerke der Firma bisher nicht gehabt. Die gab es nur in den neuen Kalibern 1427, 1428 und 1429, die eine Werkhöhe von 4,5 mm hatten. Mit denen wurde die Uhr damals die flachste Automatikuhr der Schweiz. Das Werk hatte einen glatten Glucydur Unruhreif (keine Schräubchen mehr an der Unruhe) und ein bewegliches Spiralklötzchen (damit kann man eine Asymmetrie des Ganges korrigieren). Es ist 13 Pariser Linien (beinahe drei Zentimeter) groß und hat mit 11,5 mm eine relativ große Unruhe. Das Werk hat bei Vollaufzug eine Gangreserve von 48 Stunden. Nach einem halben Jahrhundert sind diese Werke immer noch state-of-the-art.

Es ist auch das erfolgreichste Automatikwerk der Schweiz, denn es ist die Basis für alle Automatikwerke der ETA gewesen. In jedem ETA 2824-2 (auch in den Tudor Uhren von Rolex) steckt heute noch ein wenig von dem Centenaire Werk. Die Centenaire wurde damals mit Prominenten beworben, da finden sich in Anzeigen dann solche Sätze: Grosse Künstler wissen, dass die Uhr ihre Persönlichkeit widerspiegelt. Die Wahl Yehudi Menuhins, des grossen Violin-Virtuosen, fiel auf Eterna Matic 'Centenaire', die allein seine hohe Forderung nach äussertster Präzision und ausgeprägtem Stil erfüllt. Bei der goldenen Uhr von Yehudi Menuhin (die damals 465 Mark und mehr kostete) stand das Centenaire auf dem Zifferblatt, bei meiner steht es nur in schöner Schreibschrift auf dem Gehäuseboden. Mit einem großen C mit Kringelchen dran.

Bei meiner neuesten Eterna steht noch das Wort Chronometer auf dem Zifferblatt, denn die Firma Eterna stellte auch Uhren her, die eine Chronometerzertifikat besaßen. Man schrieb aber nur Chronometer auf das Zifferblatt, nicht officially certified, wie Omega und Rolex das taten. 1955 konnte man in dem Magazin DU lesen: Eterna gehört zu den 'Grossen Drei'. Die offizielle Statistik erwähnt Eterna unter den drei größten Chronometer-Produzenten der Schweiz. Damals war Eterna hinter Omega und Rolex auf Platz drei der Chronometerproduzenten. Allerdings nicht mehr lange, denn die Zahlen von Eterna Chronometern waren doch eher klein. Von 1938 bis 1975 hat es nur 36.000 geprüfte Chronometer gegeben, so viele Chronometer bauen sowohl Omega als auch Rolex 1958 in einem einzigen Jahr. Ob mein neuer Eterna Chronometer so genau gehen wird wie im Jahr seiner Herstellung 1960, das weiß ich noch nicht. Aber nach vierzehn Tagen kann ich sagen, dass die Uhr in den sieben Tagen einer Woche knapp dreißig Sekunden zu schnell geht. Dafür könnte sie auch noch heute ein Zetifikat bekommen.

Eterna warb nicht nur mit Yehudi Menuhin, Brigitte Bardot und Gina Lollobrigida, man warb auch 1956 mit dem Uhrmacher Hans Koller, der seit fünfzig Jahren für die Fabrik arbeitete. Eigentlich hätten sie mit ihrem Chefkonstrukteur Heinrich Stamm, firmenintern nur Daniel Düsentrieb genannt, werben sollen. Denn der hatte 1948 die Eternamatic erfunden. Eine Automatikuhr, bei der der Rotor in einem Kugellager mit fünf winzig kleinen Kugeln gelagert wird (30.000 von ihnen würden in einen Fingerhut passen). Die fünf Kugeln werden zum Markenzeichen von Eterna. Beinahe 95 Prozent aller Schweizer Automatikuhren, die heute gebaut werden, das muss ich noch einmal wiederholen, basieren auf dem Eterna Automatikwerk von Heinrich Stamm.  

Das hier ist Rudolf Schild-Comtesse mit seinen Söhnen. Claude, der die Solothurner Zeitung liest, wird der letzte aus der Familie bei der der Eterna sein.Bettina Hahnloser, die Enkelin von Dr Rudolf Schild, hat ein sehr informatives Buch über ihren Großvater geschrieben: Der Uhrenpatron und das Ende einer Ära: Rudolf Schild-Comtesse, Eterna und ETA und die schweizerische Uhrenindustrie. Das Buch, das 2015 im Verlag der Neuen Zürcher Zeitung erschien, ist noch lieferbar. 

Obwohl die Eterna Quarzuhren baut (und 1980 sogar die flachste Quarzuhr der Welt), beginnt sie, in der Quarzkrise unterzugehen. Wie so viele Schweizer Firmen. Um nicht Konkurs anmelden zu müssen, schliesst man sich mit der Société suisse pour l’industrie horlogère zusammen. Dann wird die Eterna von der SMH (die heute Swatch Group heißt) aufgekauft. Dann kaufte der Schweizer Industrielle Franz Wassmer mit seiner Portland Cement Werk Gruppe, die schon de Sede und Charles Jourdan besaß, die Firma. Dann kam der Designer Ferdinand Alexander Porsche. Und Eterna muss bauen, was der Designer erfindet. Eine englische Zeitung schrieb über den schwarzen Porsche Design Chronographen (hier rechts im Bild), dass man das hässliche Teil bestenfalls zu einer Beerdigung tragen könne. Aber es gibt immer noch Sammler dafür. Ich würde das Teil nicht für geschenkt nehmen. Meine Eterna Uhren sind aus der Zeit von 1937 bis 1969, als Eterna die Concept 80 Linie kreierte. Was danach kam, war für mich nicht mehr so interessant. Heute gehört die Eterna der chinesischen Unternehmensgruppe China Haidian, an die die Familie Porsche das Unternehmen 2011 verkaufte. Die waren nach dem Tod von F.A. Porsche heilfroh, dass sie die Firma endlich loswurden.

Das hier ist die neueste Eterna, die ich besitze. Sie hat noch die fünf Eternamatic Kügelchen auf dem Zifferblatt, obgleich sie gar kein Automatikwerk mehr hat. Es ist eine Quarzuhr, klein und elegant. Das auf dem Photo gelbliche Zifferblatt, das so aussieht wie meine Centenaire, ist in Wirklichkeit blendend silberweiß. Es gibt für Eterna Sammler leider kein gutes Buch in der Art der Bücher, die Marco Richon für Omega geschrieben hat (Omega Saga und Omega: Reise durch die Zeit). Das schnell zusammengeschusterte 247-seitige Buch Eterna: Pioniere der Uhrmacherkunst aus dem Jahr 2006 ist die 120 Euro nicht wert, die es antiquarisch kostet. Das Beste daran ist der opulente Bildteil, den Christian Pfeiffer-Belli und Urs Schild aus dem Firmenarchiv und aus Werbeanzeigen zusammengetragen haben. Es gibt allerdings eine wirklich exzellente Eterna Seite von Gerhard Schmidt im Internet. Das Buch Omega: Reise durch die Zeit von Marco Richon ist kaum noch zu bekommen, man nennt es inzwischen die Omega Bibel, und es kostet viele hundert Euro. Es wäre schön, wenn es irgendwann auch mal eine Art Eterna Bibel geben würde.

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