Samstag, 13. Juli 2024

Prinzenbad


Ich sehe durch einen Spalt und sehe: ihre roten Haare. Ich tippe: an die Tür und sie lehnt auf dem Tisch mit der Klebepresse und der Andere fickt sie von hinten und er ist immer noch klein und schmächtig und er trägt immer noch Lackschuhe und in seinen Haaren ist immer noch Pomade und sie sagt: das ist geil, und ich sehe ihnen zu und dann stehe ich auf und dann laufe ich leise über das Dach und dann schleiche ich - Vorgreifen, Stützen, Schwung und drei Stufen die Eisentreppe hinunter und dann gehe ich über den Hof und dann winkt die Frau im Foyer und dann winke ich nicht, wozu auch, und dann gehe ich durch die Einfahrt und dann bin ich in der Stadt. So hört der Roman Prinzenbad von Michael Wildenhain auf. Er hatte mit Sex angefangen, dann muss er auch mit Sex mit der kleinen Rothaarigen aufhören. Bei dem Sex auf der ersten Seite des Romans ist die kleine Rotharige allerdings nicht dabei. Weil der Text der ersten Seite gar nicht von Wildenhain stammt, der ist aus Samuel Becketts Molloy. Das wissen wir als Leser, weil es auf der letzten Seite des Romans einen Zitatnachweis gibt. Wir sind in der Postmoderne, da wird in Romanen gerne zitiert, aber dies war der erste Roman, den ich las, in dem die Zitate mit Seitenzahlen aufgelistet wurden. Eine ganze Seite kleingedruckt und pickepackevoll.

Reiner Brasch wird in dem Roman häufig zitiert, immer wieder. Und eine Autorin namens Jayne Anne Phillipps mit ihrem Buch Das himmlische Tier. Auch David Bowie und Jim Morrison, Bertolt Brecht und William Faulkner sind mit Zitaten in dem Roman. Aber auch Humphrey Bogart mit Ich schau dir in die Augen, Kleines. Wer hier nicht genannt wird, ist Louis-Ferdinand Céline, denn manches hier klingt ein wenig nach Célines Voyage au bout de la nuit. Bei Célines Tod sprach der Spiegel von Célines rüde, entfesselte, krakeelende, unflätige, wortgewaltige Trümmersprache voll Hohn, Haß und galligem Humor. Manchmal klingt Prinzenbad auch so.

Wir sind mit diesem Roman nicht in dem Prinzenbad auf der Prinzeninsel im Großen Plöner See, wo die Söhne des Kaisers das Schwimmen erlernt haben. Und wo Jil Sander wohnte. Wir sind in dem Sommerbad Kreuzberg, das an der Prinzenstrasse liegt und von den Berlinern auch Prinzenbad genannt wird. Mein Kreuzberg sah in den frühen sechziger Jahren ganz anders aus als das Kreuzberg von Wildenhain. Mit dem Roman Prinzenbad sind wir in der Berliner Hausbesetzerszene der achtziger Jahre. Deren Teil der Autor selbst gewesen ist. Jetzt ist er dreißig Jahre alt, macht sich als Schriftsteller selbstständig und schreibt diesen Roman. Im Berliner Rotbuch Verlag, wo sonst.

Die Cheflektorin vom Rotbuch Verlag Gabriele Dietze hatte Wildenhains ersten Roman zum beispiel k. angenommen, weil sie von der Sprache beeindruckt war: und k, schmeißt und fühlt sich gut, im kopf die bilder von brokdorf noch frisch, im bauch die Lust, ein fiebern, und eine ahnung von frühling, revolution, k, flankt über den zaun zum mittelstreifen, wannen, wannen, ein brett auf die straße. Ein müllcontainer, DIE STRASSEN KOMME ICH ENTLANGGEWEHT / VOM WEICHEN GLÜCKE GANZ BELAUBT, k rennt, rennt mit wenigen leuten [...] k, läuft, die Luft ist lachen. Sie hat später dazu geschrieben: Und doch scheine ich die Kladde bald zur Hand genommen zu haben. Kleinschreibung, stöhne ich, das ist so mühsam zu lesen. Impressionen in abgehackten Sätzen, keine narrative Grundlinie. Ich bin schon dabei das Manuskript für später, die Manuskriptablehnungstage, zur Seite zu legen, als ich auf die Zeilen stoße DIE STRASSEN KOMME ICH ENTLANG GEWEHT, VON WEICHEM GLÜCKE GANZ BELAUBT. Ich stutze. Das ist ja fast nicht zu glauben. Ein Hausbesetzer zitiert meinen Lieblingslyriker, den Expressionisten Ernst Blass. Den kennen eigentlich nur Eingeweihte und Germanisten. Dietze wird Prinzenbad, den Gedichtband Das Ticken der Steine und den Roman Die kalte Haut der Stadt lektorieren. Falls Sie den Expressionisten Ernst Blass kennenlernen wollen, Projekt Gutenberg hat hier seine Gedichte.

Oliver Tolmein hat im Deutschlandfunk über Prinzenbad gesagt Wildenhains Roman ist kein Touristenguide, er führt die Szene nicht vor, sondern schreibt aus ihr heraus. Der Deutschlandfunk hat 2018 zum sechzigsten Geburtstag ein langes Feature über Wildenhain gesendet. Prinzenbad ist ein schmutziger kleiner Roman, hundert Seiten lang. Aber er zeigt, welches Potential in dem Autor steckt. Irgendwie hat er etwas mit Karl Mickinns Altweibersommer und Gerd-Peter Eigners Roman Brandig zu tun. So schmutzig der Roman ist, enthält er doch viel Lyrisches. Auch ein wenig Expressionismus.

Wildenhain wird neben den vielen Romanen noch ein halbes Dutzend Gedichtbände veröffentlichen. Und viele Literaturpreise bekommen. Zu seinem sechzigsten Geburtstag hat er eine Art Festschrift von seinen Freunden bekommen. Gabriele Dietze war auch dabei. Ich habe mal mit ihr korresondiert, als sie beim Rotbuch Verlag eine Krimireihe etablierte. Sie hat dann eine Doktorarbeit geschrieben, die als Buch unter dem Titel Hardboiled Woman erschien. Kostet bei ebay 10€, Sie können das aber hier unentgeltlich lesen, wenn Sie den Titel anklicken. Ist kein gutes Buch. Ich habe ja zu den amerikanischen Hardboiled und Tough Guy Helden, den femme fatales und den Good-Bad Girls eine Menge geschrieben, lange bevor ich Blogger wurde. Aber mein Name taucht nirgends in ihrem Literaturverzeichnis oder in den Fußnoten auf. Da wollen wir mal hoffen, dass sie mit dem Edieren der Texte von Wildenhain etwas sorgfältiger gewesen ist.

Prinzenbad ist in gewisser Weise die Vorstudie für den Kreuzbergroman Die kalte Haut der Stadt (wenn Sie den Link anklicken, sind Sie mittendrin). Man kann die ersten drei Romane zum beispiel k., Prinzenbad und Die kalte Haut der Stadt als eine Kreuzberg Trilogie sehen. Von dem, was einmal war, ist der Autor inzwischen weit weg, wie man diesem Interview entnehmen kann. Prinzenbad war für mich vor Jahrzehnten ein Grabbelkastenfund. Ich wusste nichts über Wildenhain, und es gab kein Internet, in dem man alles fand, was man suchte. Aber als ich hier zu schreiben anfing, dachte ich mir, dass ich über diesen Roman schreiben müsste und legte ihn mir auf den Schreibtisch. Ich legte mit der Zeit noch andere Bücher drauf. Jetzt habe ich das Buch aus dem Stapel herausgezogen, jetzt ist es in meinem Blog. Trappatoni würde sagen: ich habe fertig. Das Buch kostet bei ebay vier Euro, es ist mehr wert.

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