Carolus-Duran ist im Gegensatz zu seinem Schüler nicht unbedingt der Maler für die ganz große Welt, er will die Dargestellten nicht schöner machen, als sie sind. Schliesslich ist er ein Maler des Realismus. Wenn Damen ganz wunderschön sein wollen, dann gehen sie zu Franz-Xaver Winterhalter. Diese junge Dame, die sich Alice de Lancey nennt, geht zu Carolus-Duran. Sie heisst nicht Alice de Lancey, und sie ist auch keine Comtesse. Sie war eine Julia Tahl aus Baltimore. Heiratete einen Mr Eardley-Wilmot, mit dem sie (und mit großer Dienerschaft, wie die Passagierliste des Dampfers verrät) nach London zieht. Die Ehe war aber schnell wieder geschieden. Aber wenn man mit fünfundzwanzig Paris erobern will, wird ja wohl eine kleine Namensänderung erlaubt sein. Das Ergebnis der Sitzungen beim Maler war 1877 im Pariser Salon zu sehen, da war sie la dame au coussin rouge. Es ist eine detailverliebte Malerei, von der Blume im Haar bis zu den goldenen Absätzen der Schuhe. Das Bild ist sicher für die Damenmode der Zeit sehr interessant, sonst für wenig.
Kunsthistoriker haben auf die Nähe des Bildes zu dem Bild hingewiesen, das François Boucher 1743 von seiner Ehefrau gemalt hat. Man kann da einige Übereinstimmungen finden, zum Beispiel bei den Schuhen, aber es ist doch ein ganz anderes Bild. Boucher malt seine Ehefrau (die auch vor der Ehe sein Modell war), Carolus-Duran malt eine Dame von zweifelhaftem Ruf. Als er sie malt, ist sie gerade die Maitresse des Barons →Antoine d'Ezpeleta, den er auch malen wird. Er malt auch den →Hund der Dame, der Chinois heißt (steht so auf dem Bild). Wenige Jahre später wird unsere Alice eine Affäre mit dem Bankier →Nissim De Camondo haben, den sie durch den Pressezaren Arthur Meyer kennengelernt hatte. Die Liaison ist ebenso wie das Bild von 1877 ein Pariser Skandal. Alice hatte sich, von welchem Geld auch immer, einen kleinen Landsitz in Louveciennes gekauft, der einstmals Madame du Barry gehörte. Edmond de Goncourt schrieb dazu gehässig: l'intérieur ironique de Louveciennes, où vécut Mme du Barry et où vit aujourd'hui Mme de Lancey et où le banquier Camondo remplace Louis XV.
Wenn wir beim ersten Betrachten des Bildes den Eindruck hatten, dass das alles ein wenig ordinär und nuttig ist, dann hatten wir recht. Lesen Sie mehr zu den Damen im Paris des 19. Jahrhunderts in les grandes horizontales und Demimonde. Das 1,57 x 2,11 Meter große Bild hängt heute im Petit Palais, Alice de Lancey hatte es in ihrem Testament 1913 dem Museum vermacht. Ich weiß immer noch nicht, ob sie wirklich so gemalt werden wollte, wie Carolus-Duran das getan hat. Kritiker sagten über das Bild, dass es einen Höhepunkt der Geschmacklosigkeit darstelle. Carolus-Duran kann ja →Frauen auch anders malen, wie hier Léocadie Bogaslawa Zelewska, die Gattin des Journalisten Henry Fouquier. Sie war eine der schönsten Frauen von Paris, Carolus-Duran hat sie →mehrfach portraitiert. Vielleicht wollte der Maler mit dem Bild der Mademoiselle de Lancey auch so einen kleinen netten Skandal haben, weil so etwas gut für das Geschäft ist.
Das war bei seinem Schüler John Singer Sargent nicht anders, sein Skandal mit dem Bild der →Madame X war noch einige Dimensonen größer. Sargent und sein schwedischer Kollege Anders Zorn müssen die Millionärgattinnen des Gilded Age und des französischen Kaiserreichs malen, das ist ihr Geschäft. All diese Damen, die in den Posts Orchideen und dem Post Une fillette d’un blond roux erscheinen, wollten ja mal von Gesellschaftsmalern gemalt werden. Anders Zorn lässt sich einen roten Anzug schneidern und kauft sich einen Rolls-Royce. Und malt, zuück im Schweden, pralle nackte Schwedinnen beim Mittsommerfest. Carolus-Duran malt auch Frauen, die wir nicht kennen, wie diese rothaarige Dame hier. Ebenso wie das Bild la dame au coussin rouge und das Bild von der polnischen Gattin Fouquiers, ist es 1876 entstanden. Aber es lebt heute noch. Das Zuckerpüppchen mit dem coussin rouge wirkt dagegen ziemlich leblos.
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