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Dienstag, 29. Oktober 2024

Bronzeplastik


Am Sonntag, 27. Oktober 2024, enthüllte Oberbürgermeisterin Petra Broistedt eine Bronze zu Ehren von Chanson-Sängerin Barbara, die vor genau 60 Jahren ihr Chanson 'Göttingen' komponierte. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Göttinger Literaturherbstes im Vorfeld des Konzerts 'Nachtblau. Hommage an Barbara' im Deutschen Theater (DT) statt. Anwesend waren unter anderem Barbaras Neffe Bernard Serf, die Künstlerin der Bronze Ulrike Visser, Honorarkonsul Dr. Reinhard Spieler in Vertretung des französischen Botschafters François Marie Delattre sowie Staatssekretär Professor Joachim Schachtner in Vertretung des niedersächsischen Ministers für Wissenschaft und Kultur Falko Mohrs.

So kann man es im Internet lesen. Als ich das am Sonntagabend erfuhr, dachte ich mir, ich hole mir ein Bild der Statue aus dem Netz und plaziere das in meinem Post über Barbara. Aber im ganzen Internet gab es kein Bild von der Bronzeplastik. Wenn man Barbara und Statue eingibt, dann bekommt man natürlich die Heilige Barbara, das war mir klar. Wenn man Göttingen dazu schreibt, dann bekommt man die Statue vom Gänseliesel. Aber nicht die Bronze der französischen Sängerin. Das Internet wird überschätzt. Für diejenigen Leser, die vor fünf Jahren verpasst haben sollten, dass es hier einen Barbara Post gab, stelle ich den heute noch einmal ein. Und wenn endlich ein Bild von der Göttinger Barbara Bronze im Internet auftaucht, dann räumt das Gänseliesel hier seinen Platz. 

Die CDs, die Gabi mir geschenkt hat, waren immer etwas besonderes. Das fing mit einer CD von Triosence an, das war eine Raubkopie, aber ich gewöhnte mich so schnell an diese Musik, dass ich mir die anderen CDs nachkaufen musste. Dann bekam ich von ihr Madeleine Peyroux, über die musste ich gleich schreiben. Und zu Weihnachten gab es von Barbara Dis, quand reviendras-tu?. Mit der Sängerin konnte ich etwas anfangen, weil ich seit fünfzig Jahren eine LP von ihr habe. Die war in der Schallplattenedition des legendären Magazins Twen erschienen.

Die französische Sängerin Barbara war 1964 zum erstenmal in Deutschland aufgetreten. Ich fahre also im Juli nach Göttingen und ärgere mich bereits, dass ich die Einladung angenommen habe, schrieb sie in ihren Memoiren. Die Tochter einer jüdischen Familie, die mit Glück die deutsche Besatzung überlebt hatte. Es war nicht leicht für sie ins Land der boches zu kommen. Das galt ebenso für Juliette Gréco, die ich 1962 in Berlin erlebte. Sie war als Kind von der Gestapo verhaftet worden, ihre Mutter und Schwester überlebten das KZ Ravensbrück. Aber jetzt in den Sixties kommen beide Sängerinnen nach Deutschland.

Der Göttinger Regisseur Hans-Gunther Klein (hier rechts im Bild) hatte Barbara in Paris überredet, nach Göttingen zu kommen. Doch als sie kam, ging alles schief. Sie wollte einen Konzertflügel haben, nicht dieses braune Turnhallenklavier, das auf der Bühne stand. Aber eine alte Dame in der Nachbarschaft stellt ihren Flügel zur Verfügung, Studenten schleppen das Piano ins Theater. Das Konzert beginnt mit zweistündiger Verspätung und wird ein Riesenerfolg.

Tage später schreibt Barbara die erste Version ihres Lieds À Göttingen, à GöttingenAm letzten Mittag meines Aufenthaltes kritzelte ich ‚Göttingen‘ im kleinen Garten, der an das Theater grenzte, nieder. Am letzten Abend habe ich den Text zu einer unfertigen Melodie vorgelesen und gesungen, wobei ich mich dafür entschuldigte. In Paris habe ich dieses Chanson fertiggestellt. Ich verdanke dieses Chanson also der Beharrlichkeit Gunther Kleins, zehn Studenten, einer mitfühlenden alten Dame, den kleinen blonden Kindern Göttingens, einem tiefen Verlangen nach Aussöhnung, aber nicht nach Vergessen.

In den letzten Zeilen des Chansons heißt es:

O faites que jamais ne revienne
le temps du sang et de la haine,
car il y a des gens que j’aime
à Göttingen, à Göttingen.

Lasst diese Zeit nie wiederkehren
und nie mehr Hass die Welt zerstören:
Es wohnen Menschen, die ich liebe,
in Göttingen, in Göttingen.

Für den jungen Gerhard Schröder, der in Göttingen studierte, wird das Lied zu einer Hymne der deutsch-französischen Aussöhnung. Ein Jahr nach dem Élysée Vertrag wird der Vertrag mit Leben erfüllt. Nicht von den Politikern, sondern von einer französischen Chansonsängerin. Jetzt haben wir den Vertrag von Aachen, aber Frau Merkel kann kein Französisch. Olaf Scholz auch nicht, aber er bekam 2014 das Amt des Bevollmächtigten für die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit. Sacre bleu. Die Zeiten, in denen Richard von Weizsäcker in Paris eine Rede in französischer Sprache halten konnte, sind lange vorbei. Unsere Politiker können kein Französisch, Martin Schulz ist da eine rühmenswerte Ausnahme.

Juliette Gréco sang, was Jacques Prévert schrieb, Barbara schrieb ihre Lieder selbst. Sie hat sie auch auf deutsch gesungen. Man hat Barbara nie vergessen. In Deutschland vielleicht, in Frankreich nicht. 2017 hat Alexandre Tharaud ihre Lieder mit vielen Sängern und Sängerinnen neu aufgenommen. Und im selben Jahr hat Gérard Depardieu Barbaras Lieder gesungen, À Göttingen war auch dabei.

Das hier habe ich von Freunden bekommen, ist bisher nicht im Internet, aber jetzt:




Sonntag, 27. Oktober 2024

Nebenfiguren


Den Film, den arte letztens sendete, hatte ich schon gesehen, aber ich guckte ihn mir trotzdem an. Weil man einen Film von François Truffaut aus dem Antoine Doinel Zyklus immer wieder sehen kann. Zuerst hatte ich Geraubte Küsse (Baisers Volés) im Kino gesehen, das ist schon ein halbes Jahrhundert her. Aber ich habe den Film, wie beinahe alle Filme von Truffaut, auch auf DVD, ich könnte ihn jeden Abend sehen. Wenn man einen Film schon oft gesehen hat, dann achtet man auf kleine Details und sieht plötzlich Dinge, die man zuvor nicht gesehen hat. Und man hat auch mal Zeit, in die Küche zu gehen, um sich ein Bier zu holen. Als ich zurückkam, sah ich diese Frau hier. Und da fragte ich mich, warum ich diese schöne Frau bisher nicht bemerkt hatte.

Ich meine nicht Delphine Seyrig oder Claude Jade, die hier auf dem Filmphoto sind und die Hauptdarstellerinnen sind. Die sind schon lange in dem Blog. Delphine Seyrig ist in den Posts Henri Langlois, Bilabonne du so süß, Banjo, Don Siegel und Alain Resnais. Claude Jade, in die sich Truffaut sofort verliebte, kommt in dem Post Fanny Ardant und dem Nachruf auf Michel Piccoli vor. Und ich habe für Claude Jade Verehrer hier noch eine schöneSeite mit allen Filmphotos aus Geraubte Küsse.

Die Frau, die ich meine, arbeitet im Detektivbüro Blady. Sie heißt im Film Madame Catherine. Im wirklichen Leben heißt sie Catherine Lutz. Google präsentiert im Internet ein völlig falsches Photo von ihr. Die Frau, die ihrem Namen zugeordnet wird, ist niemand anders als Anouk Aimée in dem Film Lola, das Mädchen aus dem Hafen. In dem Film spielt Catherine Lutz auch mit, und da sieht sie so aus. Ich habe hier achtundachtzig Photos aus dem Film, da ist sie mehrfach zu sehen.

Im selben Jahr, in dem sie in Lola, das Mädchen aus dem Hafen zu sehen ist, dreht sie ihren ersten Film mit Truffaut: Schießen Sie auf den Pianisten. Google präsentiert uns auch hier wieder das Bild von Anouk Aimée, wenn im Internet einmal etwas falsch ist, dann bleibt das auch falsch. Da spielt sie Mammy, die Ehefrau des Barbesitzers Plyne. Sie ist in der ersten und der letzten Szene zu sehen und natürlich mitten drin auch noch. Drei französische Filme, drei Nebenrollen. Wenn Sie sie sehen wollen, habe ich hier 94 Bilder, auf Bild 27 und Bild 80 ist sie zu sehen. Und sie sieht nie wie Anouk Aimée aus, das muss sich Google mal sagen lassen.

Was wäre gewesen, wenn sie einmal eine Hauptrolle bekommen hätte? Sie muss kurz nach Geraubte Küsse gestorben sein, denn in einem Interview beklagt Truffaut 1970 ihren Tod. Das tut er auch in einem Brief an Charles Aznavour, wenn er sagt, dass beinahe alle Schauspieler aus Schießen Sie auf den Pianisten schon tot sind. Dass ich die siebenhundertseitige Ausgabe seiner Briefe besitze, habe ich schon in dem Post François Truffaut gesagt. Ich habe auch die Drehbücher aus dem Regal geholt, aber mehr konnte ich über Catherine Lutz nicht finden. Hier ist sie noch einmal im weißen Bademantel mit frisch gewaschenen Haaren.

Truffaut hatte Aznavour kennengelernt, als der Filmkritiker Truffaut gerade zum Regisseur geworden war. Und durch seinen Film Sie küßten und sie schlugen ihn ein bisschen berühmt geworden war. Er wollte einen Dokumentarfilm über Aznavour drehen, aber daraus wurde nichts. Weil Truffaut den Roman Down There des Amerikaners David Goodis gelesen hatte und Aznavour ihm als die perfekte Verkörperung des Romanhelden vorkam. Truffaut liebte die amerikanischen Romane der serie noir- Romane von Cornell Woolrich hat er mehrfach verfilmt, zum Beispiel Waltz into Darkness mit Deneuve und Belmondo. Oder The Bride Wore Black mit Jeanne Moreau. ✺Schießen Sie auf den Pianisten war Truffauts Hommage auf den amerikanischen Gangsterfilm: Ich wollte die Poesie der Schwarzen Serie nachempfinden. ... Die 'Série noire' bestand aus populären amerikanischen Kriminalromanen; Gallimard kaufte die französischen Rechte und veröffentlichte sie in der Sammlung 'Série noire' ... Natürlich war ich nicht der erste, der auf die Idee kam, diese Romane zu verfilmen. ... Von der Poesie, die man in den Büchern spürte, blieb auf der Leinwand nie etwas übrig. Ich fragte mich, woran das lag, und als meine Antwort auf diese Filme habe ich 'Tirez sur le pianiste' gedreht.

Geraubte Küsse mit der Detektivin Madame Catherine, über die ich nicht mehr herausfinden konnte als was hier steht, ist noch eine Woche bei arte zu sehen. Danach können Sie den Film hier sehen.

Samstag, 19. Oktober 2024

Caspar David Friedrich (10)


Immer wenn ich ausländische Gastprofessoren betüddeln musste, ging ich mit ihren nicht in die Kunsthalle. Ich ging mit ihnen in die Gemäldegalerie der Stiftung Pommern im Rantzaubau des Kieler Schlosses, die die größte Sammlung romantischer deutscher Malerei hatte. Und ich führte sie vor dieses Bild: Neubrandenburg im Morgennebel. Das machte schon Eindruck auf Engländer und Amerikaner. Besonders wenn man ihnen der versicherte, dass dies eins der wichtigsten Gemälde von dem großen Maler Caspar David Friedrich sei. Ein Hauptwerk der Romantik. 

Und dass ich ihnen im Nebenraum noch einen zweiten Caspar David Friedrich zeigen könnte, eine Felsenschlucht im Harz. Und dass dieses schöne große Bild seines Bruders Christian wahrscheinlich nicht von seiner Hand sei, die Gelehrten stritten sich. Der Dr Helmut Börsch-Supan lehnte die Zuschreibung ab und brachte den Namen von Gerhard von Kügelgen ins Spiel. Der Professor Werner Sumowski hielt es aber für überlegenswert, dass es eventuell doch ein echter Caspar David Friedrich sein könne. Dann wäre dies Bild das einzige Ölportrait, das Friedrich gemalt hätte.

Da das Interesse der Ausländer an dieser Stelle etwas erlahmte, fügte ich noch hinzu, dass es hier auch einen van Gogh gäbe. Die drei (oder zwei) Caspar David Friedrichs interessierten die auswärtigen Gäste erstaunlich wenig, doch der kleine van Gogh interessierte sie sehr. Bei uns wäre Panzerglas davor, hier hängt das einfach so an der Wand, wunderte sich ein Professor aus New York. Panzerglas gab es damals im Kieler Schloss nicht, es war sowieso in Museen selten. Heute ist Glas ja wegen dieser sogenannten Klimaaktivisten eine nützliche Sache. Das erste Mal, dass ich Panzerglas in einer Kunsthalle sah, war 1969 in der Hamburger Kunsthalle bei der Meister Francke Ausstellung. Da hatte das Metropolitan Museum sein Exemplar der Belles Heures of Jean de France, Duc de Berry der Brüder Limburg ausgeliehen, bei einem solchen Schatz verstand man schon, dass das hinter dickem Panzerglas war. Die 50 x 60 Zentimeter große Allee bei Arles von Van Gogh hängt heute im Pommerschen Landesmuseum in Greifswald. Ohne Panzerglas.

Wenn Amerikaner nichts von der Kunst der deutschen Romantik wissen, dann muss man bedenken, dass die Deutschen auch wenig von der Kunst der Romantik in Amerika kennen. Das Buch Die Maler der Romantik in Amerika von Friedrich Markus Huebner und Victoria Pearce Delgado aus dem Jahre 1953 ist lange vergriffen (ist aber antiquarisch noch zu finden). Den ersten Eindruck von der amerikanischen Malerei des 19. Jahrhunderts konnte man 1976 bei der Ausstellung The Hudson and the Rhine in Düsseldorf bekommen. Weil dort an der Düsseldorfer Akademie beinahe alle Maler der Hudson River School studiert hatten. Auch Emanuel Leutze, der damals den Katalog zierte. 

Die größte Schau amerikanischer Malerei des 18. und 19. Jahrhunderts folgte zwölf Jahre später mit der Berliner Ausstellung Bilder aus der Neuen Welt. Ich empfahl diese Ausstellung unserem amerikanischen Gastprofessor, der bei seiner Rückkehr aus Berlin sagte: Gee, Jay, I didn't know we had all that art. Die Kataloge der Ausstellungen The Hudson and the Rhine und Bilder aus der Neuen Welt kann man antiquarisch noch finden. Ebenso den Katalog der Gemälde der Stiftung Pommen von 1982. Das sind Bücher, die den Kauf lohnen.

Wenn Amerika eine neue Präsidentin oder einen neuen Präsidenten hat, dann kommt die deutsche Romantik auch nach New York. Im Metropolitan Museum of Art gibt es vom 8. Februar bis zum 11. Mai 2025 eine ganz große Caspar David Friedrich Ausstellung mit dem Titel The Soul of Nature. Zum ersten Mal werden dann auch die fünf Werke von Friedrich, die in amerikanischem Besitz sein sollen, zusammen zu sehen sein. 1990 hatte das Metropolitan Museum unter dem Titel The Romantic Vision of Caspar David Friedrich schon eine Caspar David Friedrich Ausstellung gezeigt, damals waren die Bilder aus russischem Besitz gekommen. Das wäre heute kaum noch möglich. Ich habe den Katalog dieser Ausstellung hier im Volltext. Das Buch ist unter dem Titel Caspar David Friedrich: Gemälde und Zeichnungen aus russischen Sammlungen 1992 bei Schirmer/Mosel erschienen.

Beinahe alles, was in Deutschland in fünf verschiedenen Ausstellungen in diesem Jahr zu sehen war, soll nach Amerika wandern. Man wagt nicht, sich vorzustellen, wie hoch die Versicherungssumme für die fünfundsiebzig Caspar David Friedrich Gemälde sein wird. Einen großen Teil der Kosten der Ausstellung trägt die Art Mentor Foundation Lucerne Stiftung. Und ein amerikanischer Millionär, der einmal Amerikas Botschafter in Österreich war. Wahrscheinlich hat den der Direktor des Metropolitan dazu überredet, denn der ist auch Österreicher. Der bedeutendste Maler der deutschen Romantik, Caspar David Friedrich, lässt unser Naturverständnis als eine spirituelle und emotionale Landschaft erstrahlen. Diese erste große Retrospektive des beliebtesten deutschen Malers in den Vereinigten Staaten ist eine Feier zu Ehren seines 250. Geburtstags in diesem Jahr, hat Max Hollein gesagt. Ob Friedrich der →beliebteste deutsche Maler ist, das weiß ich nicht. Das Bild von →Neubrandenburg, das ich damals meinen amerikanischen Gästen anpries, wandert auch nach New York. Wahrscheinlich wird es dann mehr Aufmerksamkeit bekommen als bei meinen Führungen im Rantzaubau.

Donnerstag, 17. Oktober 2024

Caspar David Friedrich (9)

Zwei Männer betrachten den aufgehenden Mond, der eine sichelförmige Scheibe ist. Wir können sie nur, wie so häufig bei Caspar David Friedrich, in einer Rückenansicht sehen. Wenn Sie den Link anklicken, landen Sie in einer 279-seitigen Dissertation zum Thema der Rückenfigur, die von einer Studentin aus Tokio geschrieben wurde. Die beiden Herren tragen eine mittelalterliche Kleidung, die am Anfang des 19. Jahrhundert in gewissen deutschen Kreisen, vornehmlich Künstlern und Studenten, ein Teil der Herrenmode geworden war. Was einmal in ganz Europa die sogenannte Werthertracht gewesen war, gelbe Reithosen und eine blaue Frackjacke, hat offenbar ausgedient. Wer fortschrittlich sein will, trägt jetzt angeblich die Altdeutsche Tracht. Der Dichter Karl Förster berichtet in seinen Lebenserinnerungen von einem Besuch in Friedrichs Atelier, wo dieser über das Bild Zwei Männer in Betrachtung des Mondes ironisch gesagt habe: Die machen demagogische Umtriebe.

1814 war Ernst Moritz Arndts Schrift Ueber Sitte, Mode und Kleidertracht erschienen, die von vielen Kritikern als die geistige Grundlage der altdeutschen Tracht gewertet wird. Nach Arndt sollte das Vorbild für eine deutsche Nationaltracht die Kleidung der Reformationszeit sein. Und wir finden da Sätze wie: den Hals befreit er von dem knechtischen Tuche und låsset den Hemdkragen über den kurzen Rockkragen auf die Schultern fallen. Das ist heute wieder modern, wo kaum noch jemand eine Krawatte trägt. Aber wie man auf einer Seite im Internet lesen kann, entstand ein Patchwork an Bekleidungselementen, die man auf Bildern von Dürer fand oder auch historischen Vorlagen nicht-deutschen Ursprungs entnahm. So entstammte die Halskrause der spanischen Renaissancemode.

Trachten hat es schon vor den Befreiungskriegen gegeben, es hat auch schon Festlegungen gegeben, wer was tragen darf: Nachdem ehrlich, ziemlich und billich, daß sich ein jeder, weß Würden oder Herkommen der sey, nach seinem Stand, Ehren und Vermögen trage, damit in jeglichem Stand unterschiedlich Erkäntüß seyn mög, so haben Wir Uns mit Churfürsten, Fürsten und Ständen nachfolgender Ordnung der Kleidung vereiniget und verglichen, die Wir auch bey Straff und Pön, darauff gesetzt, gänzlich gehalten haben wöllen. Diese Sätze finden sich 1530 in der Augsburger Kleiderordnung, aber an Kleiderordnungen will man sich nicht mehr halten. Man will nicht mehr aussehen wie die bürgerliche Gesellschaft des 18. Jahrhunderts auf diesem Bild. Die altdeutsche Tracht wird übrigens vornehmlich von Männern getragen, sagen uns Modehistoriker. Die Damen nehmen diese vestimentären Verunstaltungen nicht an und tragen lieber eine modifizierte Empiremode.

Wir haben in dieser Zeit schon Modejournale, in denen die altdeutsche Tracht auftaucht. Allerdings ziemlich spärlich. Auf diesen Bildern aus dem Journal des Luxus und der Moden ist sie noch nicht zu sehen. Die Zeit der Revolution ist auch eine Zeit der Revolution der Mode. Der deutsche Philosoph Christian Garve schreibt im Revolutionsjahr 1792 das Buch Über die Moden (ich habe dieses sehr kluge Buch hier im Volltext für Sie). Die Moden kommen und gehen, nichts hält sich wirklich lange. Und wir wissen auch, dass die Kleidung, die sich in Modebüchern und Modejournalen findet, nicht unbedingt auf der Straße getragen wird.

Die bürgerliche Herrenkleidung im frühen 19. Jahrhundert sieht so aus, wie sie der Däne Constantin Hansen auf dem Bild festgehalten hat, das er von seinen Künstlerfreunden in Rom gemalt hat. Wir nehmen den auf dem Boden sitzenden Martinus Rørbye mit seiner orientalischen Verkleidung einmal aus; der Rest der Herren trägt Zylinder, eine Art Frack und lange Hosen. Die Reithosen, die für den Dandy Beau Brummell noch Pflicht waren, hat man inzwischen aufgegeben.

Das hier vorne links ist der Maler Carl Philipp Fohr. Er hat seinen Hund bei sich, mit dem ist er über die Alpen nach Rom gewandert. Die Herren auf der rechten Seite des Bildes tragen die Mode der Zeit, Fräcke und Zylinder wie auf dem Bild von Constantin Hansen. Nur Fohr ist ohne Zylinder, er trägt solch eine altdeutsche Tracht. Diese Tracht war zu Hause bei den Heidelberger Studenten sehr chic. Wenige Jahre zuvor hatten sich die Heidelberger Studenten noch nach der Mode der französischen Feinde gekleidet, worüber sich der österreichische Feldmarschall Graf von Sztarray im Jahre 1800 bei der Universität Heidelberg beschwerte. Die Moden wechseln jetzt schnell. Carl Philipp Fohr bringt die neue Mode nach Italien. Der Kronprinz von Bayern, der Fohr in Rom kennenlernt, übernimmt diese neue Mode. Ohne zu wissen, daß er damit die Tracht der studentischen Revolutionäre hoffähig machte (sein Sohn Max wird die Lederhosen hoffähig machen). 

Aber Ludwig trägt auch griechische Tracht, weil er die Griechen bewundert und dem Land Baiern ein griechisches Ypsilon verpasst. Sein Sohn Otto wird griechischer König werden. Der wird dann nicht wie sein Bruder Lederhosen tragen, sondern in griechischer Nationaltracht auftreten. Auch Lord Byron wird griechische Tracht tragen, wir sind in der Zeit des Philhellenismus, wo ein Dichter wie Wilhelm Müller so etwas Romantisches wie Die schöne Müllerin schreibt, andererseits aber die Griechen bewundert. Da geht in diesen Jahren modisch viel durcheinander.

Ob Caspar David Friedrich selbst ein Anhänger dieser Mode der Studenten und Künstler gewesen ist, ist von den Portraits her schwer zu entscheiden. Der schwarze Mantel, den er auf dem mittleren Bild trägt, könnte so etwas wie eine altdeutsche Tracht sein. Es könnte aber auch einfach nur der schwarze Mantel gewesen sein, den Friedrich bei der Beerdigung seines Vaters im November 1809 getragen hat. Am linken Arm trägt Friedrich einen Trauerflor. Einige Interpreten haben diese Binde auch als ein geheimes Zeichen des antinapoleonischen Kampfes verstanden. Man sollte allerdings bedenken, dass im Jahre 1810, als dieses Bild entstand, die altdeutsche Tracht noch keinerlei Konjunktur hatte. Das Bild, das lange als ein Selbstportrait galt, hat die Malerin Caroline Bardua gemalt. Friedrich trägt diesen Mantel auch auf einem gezeichneten Selbstportrait, das Carl Gustav Carus besessen hat. Man kann aus diesen Bildern kaum eine politische Gesinnung ableiten. Es gibt eine Theorie, dass ihm die volle Professur in Dresden wegen seiner politischen Einstellung verweigert wurde. Beweisen kann man das aber nicht.

Auf diesem Portrait von Georg Friedrich Kersting aus dem Jahre 1811 trägt der Maler eine bequeme Hausjacke, lange Hosen und Pantoffeln, hier ist keine altdeutsche Tracht zu sehen. Es wird häufig argumentiert, dass die altdeutsche Tracht eine politische Gegenbewegung gegen die Franzosen gewesen sei. Aber das Paris, in dem die Sansculotten und das Militär den Ton angeben, ist keine Stadt der Mode mehr. Und als Friedrich 1819 die erste Fassung des Bildes Zwei Männer in Betrachtung des Mondes malt, ist Napoleon längst besiegt, da braucht man keine revolutionäre Kluft mehr. Das Argument, dass Friedrich mit dem Bild gegen die Karlsbader Beschlüsse von 1819, die die Gesinnungstracht verbieten, protestiert, funktioniert auch nicht so richtig. Friedrich hatte das Bild mit Zeichnungen viel früher als 1819 begonnen.

Es erschließt sich nicht auf den ersten Blick, weshalb im Zeitalter der Eisenbahn die Kleidung von Albrecht Dürer modern sein soll. Aber es wird immer wieder argumentiert, dass man in den Freiheitskriegen dem französischen Geist und der welschen Mode etwas Nationales entgegensetzen wollte. Selbst wenn man von Napoleons Truppen überrollt worden war, oder mit ihm paktierte. Was der junge Hoffmann von Fallersleben hier auf dem Bild im Jahre 1819 trägt, mit Hosen, die wie Jeans aussehen, soll auch eine altdeutsche Tracht sein. Jahre später ist er gegen diese Mode und wird in seinem Gedicht Dunkelmannstracht schreiben:

Unsre Freuden, unsre Leiden
Wollen wir in Schwarz nur kleiden;
Schwarz ist Anstand überall
Bei dem Grab und auf dem Ball.

Tragt die Nacht nicht am Gewande,
Jagt sie lieber aus dem Lande!
Finsternis und Traurigkeit
Herrscht genug in unsrer Zeit.

Nach dem Sprichwort unsrer Alten
Sollet ihr auf Farbe halten.
Kleidet euch in Sonnenschein!
Nacht stellt sich von selber ein.

Manche Maler malen die Mode der Zeit in ihre Bilder, das können wir bei den englischen Malern des 18. Jahrhundert sehen. Dazu gibt es hier schon den langen Post 18th century: Fashion. Caspar David Friedrichs französischer Zeitgenosse Louis-Léopold Boilly zeigt uns auf seinen Bildern, was man in Paris trägt. Davon hat Caspar David Friedrichs Werk nichts, so etwas will er nicht malen, so etwas kann er auch nicht malen. Das Bild, das er von seinem Kollegen Knud Baade malt, zeigt seine malerischen Defizite auf, ein Modejournal würde ihn kaum als Zeichner nehmen.

Ein Wesenszug der Romantik ist, dass sie uns zurückwirft in eine andere Zeit, dass sie mit der Industriellen Revolution nichts zu tun haben will. Maler malen mittelalterliche Motive, wie hier Carl Philipp Fohr mit seinem verirrten Ritter im Wald. Schriftsteller schreiben Ritterromane, und die Architekten kehren zur Gotik zurück. 

Und so könnten wir natürlich auch annehmen, dass die beiden Herren im Mondlicht von Caspar David Friedrich nicht im 19. Jahrhundert leben, sondern dass dies eine Szene aus dem Mittelalter ist. Aber die Interpretation des Bildes zielt heute auf die demagogischen Umtriebe, wie Friedrich das ironisch nannte. So liest der Kunsthistoriker Werner Busch das Bild. Sie können seine schöne Interpretation hier lesen. Davon will Helmut Börsch-Supan, dessen Interpretation des Bildes Sie hier auch lesen können, nichts wissen. Für ihn ist das mal wieder alles rein christliche Symbolik.

Aber der Berufsrevolutionär Harro Harring, der Friedrich kannte und einmal in Dresden bei Johan Christian Clausen Dahl studiert hatte, hat das Bild (das da links hängt und klitzeklein ist) als Aufruf zur Revolution verstanden. Er schreibt es 1828 in seinen Roman Rhongar Jarr hinein: Was seit Jahrhunderten Fremd war, tritt wieder ans Tageslicht; der Deutsche hat sich einen Rock machen lassen, wie ihn die Väter trugen, und schreitet in diesem Rock einer Zukunft entgegen – die so herrlich vor ihm ausgebreitet liegt, geschmückt mit allen Segnungen des Friedens, reich an Verheißungen und reich an stolzen Hoffnungen! ... Geheimnisvoll rauscht es in den deutschen Eichen von wundersamen Dingen, von einer kräftigen Zeit ... 'Der Morgen graut!' das Licht der Freiheit dämmert, und es regt sich der Geist, der da gesunken lag, gebeugt unter dem Joche der Knechtschaft ... Es ist der Wind, der durch die Kronen der Eichen dahinfährt.

Dienstag, 15. Oktober 2024

Caspar David Friedrich (8)


Eine Dame am Meer, einem Boot zuwinkend. Eine →Rückenfigur, sieht ein bisschen nach Caspar David Friedrich aus. Im Internet können wir lesen: Das Kunstwerk 'Dame am Strand' ist ein Gemälde, das zwischen 1830 und 1840 entstand. Das Kunstwerk, mit einer Breite von 0,295 Metern und einer Höhe von 0,21 Metern, befindet sich derzeit im Nationalmuseum in Stockholm, Schweden. Der Schöpfer dieses Werkes ist leider unbekannt

Wir bekommen auf der Seite auch noch eine Interpretation des Gemäldes: Das Gemälde zeigt eine einsame Frau, die auf einem großen Felsen an einem menschenleeren Strand thront. Die Frau, gekleidet in ein dunkles Gewand, hält ein weißes Tuch hoch, das im Wind weht. Das Meer um sie herum ist aufgewühlt, in Aufruhr versetzt von einem unsichtbaren Sturm. Ein einzelnes Segelboot kämpft in der Ferne gegen die Elemente und unterstreicht die Weite und Kraft der Natur. Der Himmel darüber ist eine turbulente Mischung aus dunklen und hellen Wolken, die das Drama erahnen lassen, das sich unten abspielt.

Wir könnten uns damit abfinden, wenn auf der Seite nicht noch stehen würde: Diese Beschreibung wurde von einem KI-Sprachmodell generiert und kann Ungenauigkeiten enthalten. Sie sollte als Interpretation und nicht als Analyse eines maßgeblichen menschlichen Experten betrachtet werden. Bitte prüfen Sie kritische Details an anderer Stelle. Hier wird uns wieder einmal vor Augen geführt, welchen Unsinn die sogenannte Künstliche Intelligenz anrichten kann. 

Die Interpretation, die eine große Dramatik in dem Bild sieht, ist natürlich völliger Quatsch. Die Dame auf dem Felsen sitzt da eher leger. Das Bild könnte ein Komplementärbild zu dem 1818 enstandenen Bild einer Frau am Strand von Rügen sein. Ist das Winken mit dem Tuch ein Abschiedswinken, so wie die kreolischen Schönheiten mit ihren foulards winkten, oder ist es nur ein Gruß für einen Vorbeisegelnden? Wir wissen es nicht, das Bild gibt an Details zu wenig her. Man wünschte sich, dass der Photograph, der das Bild einst ablichtete, einen Film mit weniger Körnigkeit verwendet hätte.

Wenn Sie im Stockholmer Nationalmuseum fragen, wo denn das Bild mit der Dame am Meer hängt und ob das wirklich ein Caspar David Friedrich ist, wird man Sie etwas seltsam angucken. Die haben das Bild nämlich gar nicht, haben auch kein Bild von Caspar David Friedrich. Auch Kopenhagen, wo er studierte, hat kein Bild von ihm. Nur im Nationalmuseum Oslo hängen zwei Bilder von ihm, eins ist diese Ansicht von Greifswald. Das Osloer Museum besitzt auch das vollständig erhaltene Skizzenbuch von 1807.

Aber wo ist das Bild, von dem wir diese Schwarzweiß Photographie haben? Wir werden es nie zu sehen bekommen, es ist am 6. Juni 1931 beim Brand des Münchner Glaspalastes verbrannt. Wie acht andere Ölgemälde von Friedrich. Manche der Bilder hatten dem Sammler Johann Friedrich Lahmann gehört, der die Bilder testamentarisch für die Kunsthalle Bremen und die Dresdner Galerie vorgesehen hatte.

Das Photo des Bildes, das im Internet kursiert, findet sich in dem Buch Verlorene Meisterwerke Deutscher Romantiker, das Georg Jacob Wolf zusammen mit der Glaspalast Künstlerhilfe München 1931 bei F. Bruckmann herausgegeben hatte. Das Bild hier zeigt die zweite Auflage von 1932 mit einem Gemälde von Philipp Otto Runge auf dem Cover. Man kann das Buch antiquarisch noch finden, mein Exemplar hat mich 2,75 € gekostet. Das verbrannte Bild hatte dem Herzoglichen Museum Gotha gehört, die es für die Münchener Ausstellung ausgeliehen hatten. Offenbar fanden sie das Bild Kreuz im Gebirge zu wichtig, um es 1931 nach München auszuleihen.

Das hier ist keine nachträglich kolorierte Photographie des Gemäldes, das ist ein Kunstwerk.  Slawomir Elsner hatte für eine Dresdner Galerie die neun verbrannten Bilder Friedrichs künstlerisch nachempfunden. Ich frage mich nur, warum niemand auf die Idee kommt, mit Hilfe der Artificial Intelligence aus dem Photo einen richtigen Caspar David Friedrich zu machen. Das müsste doch gehen, alte Filme kann man ja auch restaurieren. Ich hätte die winkende Dame gerne in bunt.

Sonntag, 13. Oktober 2024

Caspar David Friedrich (7)


Die Holländer hatten im 17. Jahrhundert die Landschaftsmalerei perfektioniert, den Horizont tief gelegt und viel Himmel gemalt. Im 18. Jahrhundert war die Landschaftsmalerei ein wenig in Vergessenheit geraten. Für Sir Joshua Reynolds war die Landschaftsmalerei kein Thema. Gainsborough möchte am liebsten Landschaften malen, aber er verdient sein Geld mit Portraits. John Constable möchte nur Landschaften und Himmel malen, aber er hat Schwierigkeiten, seine Bilder zu verkaufen. Caspar David Friedrich malt Landschaften, er kann nichts anderes. Wenn er Personen malen muss, sind es Rückenansichten. 

In dem ersten wichtigen Buch über die Geschichte der Landschaftsmalerei  Landscape into Art hat Kenneth Clark 1948 nur wenige Zeilen für Friedrich übrig: For Friedrich, for all the intensity of his imagination, worked in the frigid technique of his times, which could hardly inspire a school of modern painting. In seiner weltberühmten Serie Civilisation erwähnt er Friedrich einmal, in seinem Buch The Romantic Rebellion: Romantic Versus Classic Art auch einmal. Das ist alles. Wir mögen das als unfair empfinden, aber es ist etwas daran. Friedrichs Zeitgenosse Carl Blechen nimmt den Impressionismus vorweg, Friedrich nimmt nichts vorweg. Er begründet keine Schule, niemand wird ihm folgen. Der Maler Friedrich, für den Goethe kein gutes Wort übrig hatte, war nach seinem Tod schnell vergessen.

Ein Jahr Feiern zum 250. Geburtstag des Malers, viele Ausstellungen, viele Bücher. Alte Bücher wurden wieder aufgelegt, neue geschrieben. Florian Illies hat mit Zauber der Stille wahrscheinlich einen Bestseller geschrieben. Nicht wieder aufgelegt wurde das Buch Caspar David Friedrich Studien von Werner Sumowski, das Helmut Börsch-Supan 1970 als die wichtigste Arbeit, die bisher über Caspar David Friedrich erschienen ist, bezeichnete. Auch eine Neuauflage verdient hätte der Katalog der Hamburger Kunsthalle aus dem Jahre 1974. Den hatte ich das ganze Jahr über zur Hand, wenn ich über Caspar David Friedrich schrieb. Man kann den Katalog für zehn Euro bei ebay finden, das fünfzig Jahre alte Werk ist in keinem Punkt überholt. Von der kunsthistorischen Qualität ist er dem Hamburger Katalog von 2024 überlegen.

Das Beste, das dem Werk Caspar David Friedrichs passierte, war dass Karl Wilhelm Jähnig unter schwierigsten Bedingungen einen Katalog  der Gemälde, Druckgraphik und bildmäßigen Zeichnungen erstellte. Das Schlimmste, das dem Werk Caspar David Friedrichs zustieß, war dass Helmut Börsch-Supan den überarbeitet. Der Kunstkritiker der New York Times John Russell vernichtete Börsch-Supan in seiner Besprechung: But it is quite another thing to take Friedrich, as Dr. Börsch‐Supan does, and interpret every single one of his images in terms of a tight, unvarying formula. Friedrich may well have had the life to come continually in mind, and it may even be that many of his imaginings were structured by the contrast between that life and our own one. But it is quite implausible that an art as limited in its reverberations as Dr. Börsch‐Supan suggests would exert so lasting and so intense a thraldom upon us. Alles in Friedrichs Bildern, vom kleinsten Grashalm und fliegendem Piepmatz wird für Börsch-Supan zu einem christlichen Symbol. Dieses symbol hunting ist schon ein wenig pathologisch.

Im Dresdner Kunstblatt war wenige Tage nach Friedrichs Tod ein anonymer Nachruf zu lesen: ... Sein Leben war ein langes Unglück. Die Erinnerung an seinen Bruder, der ertrank, als er ihn beim Schlittschuhlaufen retten wollte, warf einen tiefen Schatten über sein ganzes Leben, da er sich als Ursache dieses Todes betrachtete. Er floh seine Heimat (Greifswald), kam hierher (Dresden) ohne Unterstützung und ernährte sich anfänglich durch Kolorieren schlechter Dresdener Prospekte für einen Bilderhändler, bis er allmählich durch seine Landschaften in Ruf kam. Seine Werke wurden nun geschätzt und gesucht, und er hätte mit den Seinen sorgenfrei leben können, wenn er nicht bis zum Übermaß gegen Dürftige wohltätig gewesen und oft auch gemißbraucht worden wäre. Im kräftigsten Alter fing er plötzlich an zu kränkeln, und war schon seit vielen Jahren untätig aus Schwäche des Körpers. Noch in den letzten Tagen seines Lebens erhielt er durch den russischen Thronfolger eine Unterstützung, die ihn für ein Jahr wenigstens aller Sorgen überhob, die er aber leider nicht selbst mehr genießen konnte.

Friedrichs Freund Carl Gustav Carus schreibt in seinen Lebenserinnerungen: Einen Freund, aber allerdings einen bereits längere Zeit mir halb Toten, nahm dieser Mai nun auch hinweg: meinen alten Friedrich! Er hatte so viele Kirchhöfe gemalt – er muss sich ganz heimisch dort vorgekommen sein! Carus war der Meinung, dass der Nachruf des Kunstblatts ein wenig mickrig ausgefallen war. Er veröffentlicht im Kunstblatt in zwei Heften einen längeren Nachruf mit dem Titel Friedrich der Landschaftsmaler, in dem er Friedrich als einen Erneuerer der deutschen Landschaftsmalerei sieht, die zur bloßen Prospektmalerei verkommen war. Das ist ein Thema, in dem Carus zuhause ist, denn er hatte 1831 seine Neun Briefe über Landschaftsmalerei veröffentlicht.

Hier soll diese Einleitung nur auf eins uns hier zunächst Liegende  aufmerksam machen, nämlich, dass in der Landschaftsmalerei namentlich Friedrich es war, welcher mit einem durchaus tiefsinnigen und energischen Geiste und auf absolut originale Weise in den Wust des Alltäglichen, Prosaischen, Abgestandenen hineingriff, und, indem er ihm mit einer herben Melancholie niederschlug, aus dessen Mitte eine eigentümlich neue, leuchtende poetische Richtung hervorhob. Wir wollen damit keineswegs die Art seiner Auffassung der Landschaftskunst als die allein wahre und noch weniger als die allein zu verfolgende hervorheben, aber wer sich jenen früheren nachbetenden, trivialen Zustand dieser Kunst vergegenwärtigen will und noch vergegenwärtigen kann, der wird fühlen, dass das Auftauchen einer solchen neuen urgeistigen Richtung, wie sie Friedrich erschien, auf jedes empfängliche Gemüt durchaus anregend, ja erschütternd einwirken musste. […] Friedrich ist nun tot, schon mehrere Jahre war durch die Folge eines Schlagflusses seine geistige und künstlerische Tätigkeit gelähmt, allein noch fanden sich auf der Dresdner Kunstausstellung 1840 einige und besonders eines seiner letzten Bilder, welche beweisen, mit wie seltener und eisenfester Eigentümlichkeit er bis in seine letzten Lebensjahre dieselbe tief melancholische und immer geistig lebendige Romantik der Poesie in seinen Werken walten ließ. 

Als Carus diesen Aufsatz in Buchform veröffentlichte, fügte er ihm alles bei, was Caspar David Friedrich über die Landschaftsmalerei gesagt hatte. Beginnend mit dem Satz: Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht. Sonst werden seine Bilder den Spanischen Wänden gleichen, hinter denen man nur Kranke und Tote erwartet.