Samstag, 22. Juni 2024

Anouk Aimée ✝


Françoise Dreyfus war vierzehn, als sie in dem Film La Maison sous la mer die Rolle eines Mädchens namens Anouk spielte. Sie behielt diesen Vornamen. Die nächste Namensänderung verdankte sie Jacques Prévert, der das Drehbuch von Les amants de Vérone extra für sie geschrieben hatte. Er schlug ihr den Namen Aimée, die Geliebte, vor: Aimée parce que tout le monde l'aime. Der Filmstar Anouk Aimée (hier mit Serge Reggiani) war geboren. 

Im Jahr davor hätte sie schon an der Seite von Arletty berühmt werden können, aber Marcel Carné, der den Klassiker Les Enfants du Paradis gedreht hatte, drehte La Fleur de l'âge nicht zu Ende. Bevor sie Anouk Aimée wurde und so aussah wie hier in La Dolce Vita, wählte sie im Krieg den Namen Françoise Durand. Der Name ihrer katholischen Mutter bewahrte sie vor dem Tragen des gelben Judensterns. Dass man mit dem Namen Dreyfus im französischen Filmgeschäft nichts werden kann, das wusste die Familie. Sie wussten auch, dass sie mit dem mittlerweile rehabilitierten Hauptmann Dreyfus nicht verwandt waren. Der lebte übrigens noch, als Anouk Aimée geboren wurde.

Anouk Aimée ist gerade im Alter von zweiundneunzig Jahren gestorben; in dem Alter starb auch Jean-Louis Trintignant, mit dem sie in Un homme et une femme zu sehen war. Den Film kennen wir alle, und wir lieben sie in diesem Film. Sie war als beste Schauspielerin für den Oscar nominiert, aber es blieb leider bei der Nominierung. Immerhin bekam sie für ihre Rolle 1967 den Golden Globe und 1968 den British Academy Film Award. Mit diesem Bild ist sie 1961 in dem Film Lola, das Mädchen aus dem Hafen von Jacques Demy zu sehen, wo sie in Spitzencorsage so wunderbar ✺C'est moi, c'est Lola singt. Der Film ist ein wenig untergegangen, erst später haben Kritiker erkannt, dass dieser Film auch zur Nouvelle Vague gehörte. Aber die Nouvelle Vague war an der schönen Anouk nicht interessiert. Dabei hätte sie hervorragend in die Filme von François Truffaut gepasst.


Vieles an Filmen vor Un homme et une femme haben wir vielleicht nicht gesehen, also Les Amants de Montparnasse, wo sie die Rolle der Jeanne Hébuterne spielt. Damals ist sie vierundzwanzig, aber zwei Jahre später ist sie ein wirklicher Star. Weltweit weg von einem Film wie Ich suche Dich, wo sie an der Seite von O.W. Fischer 1956 in einem deutsche Melodram mitspielte. Es gab Rezensionen, die grottenolmschlecht waren, aber O.W. Fischer hatte es etwas Nettes über sie zu sagen: Mademoiselle Aimée ist ein Wunder - strahlend schön und eine begnadete Künstlerin. 

Die Filmhistorikerin Ginette Vincendeau hat über Aimées Filme gesagt: they established her as an ethereal, sensitive and fragile beauty with a tendency to tragic destinies or restrained suffering. Wir brauchen uns nur das Photo im oberen Absatz anzuschauen und wissen, dass der Satz stimmt. Aber reicht eine sensitive and fragile beauty with a tendency to tragic destinies or restrained suffering aus, um einen schrottigen Film wie Der goldene Salamander zu retten? Das Filmplakat spricht doch Bände. Es ist ihr erster englischer Film, sie war achtzehn, sie wollte ins Filmgeschäft. Sie wird in ihrem Leben in siebzig Filmen zu sehen sein, viele dieser Filme sind leider wie Ich suche Dich und Der goldene Salamander.

Der schlechteste Film, in dem sie mitspielte, war wahrscheinlich Justine, der in Deutschland Alexandria - Treibhaus der Sünde hieß. Eine Literaturverfilmung nach Lawrence Durrells Justine aus seinem Alexandria Quartett, das sicher kaum verfilmbar war. Trotz Starbesetzung, zwei Regisseuren und der Anwesenheit des Autors bei den Dreharbeiten, ist an diesem Machwerk nichts zu retten, Anouk Aimée war todunglücklich bei den Dreharbeiten. 

Dirk Bogarde, der sie schon als Siebzehnjährige kannte (weil sie beide bei Rank unter Vertrag waren), beschreibt sie bei den Dreharbeiten von Justine als wan and sad for most of the time, since she had suddenly realised, too late, that her decision to accept Justine had most probably been, for one reason or another, a serious error of judgement on her part and was now feeling abandoned. Für ihn bleibt von den Dreharbeiten ein Bild haften: a tiny figure sobbing in the back of a Rolls. Die katastrophalen Dreharbeiten haben auch ein Gutes für Anouk, sie lernt Albert Finney, den sie 1970 heiratet. Es war ihre vierte Ehe. Sie blieb mit ihm fünf Jahre in London, in denen sie keinen Film drehte, sie drängelte sich nicht mehr nach Rollen. Dann lernte sie bei einer Party den elf Jahre jüngeren Ryan O'Neill kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick, sie hatte zwischen ihren Ehen immer wieder Affären. Und zwischen Ehe und Affären lagen auch lange Zeiten der Depression. Dirk Bogarde sagt noch etwas Interessantes über die Frau, die bei ihm häufig Gast in seinem Landsitz Bendrose war und topless in seinem Swimming Pool schwamm: She is never so happy as when she is miserable between love affairs. Finney zog ins Dorchester Hotel, Anuk Aimée in die Schickeria Gegend Knightsbridge. Die Ehe wurde 1978 geschieden. Wir kennen Albert Finney aus Tom Jones oder an der Seite von Audrey Hepburn in Two for the Road. Und an der Seite von Julia Roberts in Erin Brockovich.

Für Federico Fellini war Anouk die beste Schauspielerin der Welt, als er ihr eine Rolle neben Marcello Mastroianni in La Dolce Vita anbot. Bei den Dreharbeiten war Federico Fellini längst klar, dass er die beiden auch in dem nächsten Film Achteinhalb wieder haben wollte. Mehr oder weniger in den Film gerutscht war Christa Päffgen aus Köln, allerdings nicht unter diesem Namen. Sie nannte sich jetzt Nico (sie hat hier natürlich schon einen Post). War blond, kalt wie Eis. Sie sah aus, als wäre sie am Bug eines Wikingerschiffs über den Atlantik gekommen, hat Andy Warhol, in dessen Band Velvet Underground sie sang, über sie gesagt. 

Nico war jetzt eine Ikone der Popkultur (hier ist sie mit Marcello Mastroianni zu sehen). Während der Dreharbeiten zu La Dolce Vita sagt Anouk Aimée zu Nico: Es ist eigenartig, daß Sie den Namen Nico tragen. Mein Ehemann hieß so. Wir sind jetzt geschieden. Er war Grieche und unterhielt in Paris einen Nachtclub. Das ist der Augenblick, in dem Nico mucksmäuschenstill ist. Denn sie kennt diesen Nico. Der war der Lover von dem Photographen, der sie entdeckte und ihr den Namen seines Ex-Lovers gab. Und eine Affäre hatte sie auch mit dem griechischen Nico. Das klingt jetzt wie eine Szene aus einer schlimmen Schmonzette à la Rosamunde Pilcher, aber solche Drehbücher schreibt das Leben manchmal.  

Claude Lelouch, ein Spätling der Nouvelle Vague, macht das wieder gut, was seine Kollegen verpasst haben. Er holt sie aus dem internationalen Filmgeschäft wieder in den französischen Film zurück und gibt ihr nach Un homme et une femme (1966) auch im Alter noch schöne Rollen. In Filmen wie Si c'était à refaire (1976), Un homme et une femme: Vingt ans déjà (1986), Hommes, femmes: mode d'emploi (1996), Ces amours-là. (2010) und ✺ Les Plus Belles Années d'une vie (2019). Der letzte Film war auch ihr letzter Auftritt vor der Kamera.

Hommes, femmes: mode d'emploi mochte ich sehr, ich habe den Film schon in den Posts Michel Piccoli und Maja Maranow erwähnt. Es ist, wenn man so will, wieder die gleiche Geschichte, die Lelouch in seinem Kino der Gefühle und Emotionen erzählt. Das hat er selbst gesagt, dass er in seinen Filmen nur eine einzige Geschichte erzählt, die aber fünfunddreißigmal. Anouk Aimée a changé ma vie, hat Lelouch nach ihrem Tod gesagt. Und er sagte auch: Elle a été ma compagne de route, mon amie de toujours. Wir werden Anouk Aimée, die Vielgeliebte, nicht vergessen, es gibt ja DVDs. Und ich habe für Sie heute in voller Länge: Lola, das Mädchen aus dem HafenUn homme et une femme und hommes, femmes: mode d'emploi 

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