Sonntag, 18. Februar 2024

Caspar David Friedrich (3)

Hier in Kopenhagen hat Caspar David Friedrich drei Jahre studiert. Das Bild von Knud Baade zeigt uns die Kopenhagener Akademie. Hier studieren die angehenden Maler gerade antike Plastiken, um zu lernen, wie man Menschen malt. Es werden auch Kurse mit einem lebenden Modell angeboten; da ist Nicolai Abildgaard (der auch der Lehrer von Philipp Otto Runge war) einer von Friedrichs Lehrern gewesen. Irgendwie muss Friedrich diesen Teil des Studiums geschwänzt haben, er kann keine Menschen malen, so wie das Knud Baade hier kann. Nicht wirklich.

Wir haben eine Zeichnung, die uns den Norweger Baade (der Schüler von Christian Clausen Dahl war) an der Staffelei zeigt. Die Bleistiftzeichnung ist von Caspar David Friedrich, sie zeigt all seine Schwächen auf, die er als Zeichner hat, wenn es um Menschen geht. Was ist das bloß für ein Rücken? Und mit dem rechten Arm stimmt auch irgendetwas nicht. Baade steht steif wie ein Denkmal da, es ist keine Bewegung in der Figur. Was der norwegische Maler auf die Leinwand bringt, das hängt heute in der Kieler Kunsthalle (wegen Umbau für fünf Jahre geschlossen). Es war ein Geschenk des Kunstvereins an die verdiente Kuratorin Lilli Martius. Mir gehört eine kleine Wolke rechts oben auf dem Bild Einfahrt ins Naerøtal, da ich damals auch einiges gespendet habe.

Noch einmal eine Rückenansicht eines Künstlers. In der Art und Weise, wie hier Tischbein unseren Goethe in Rom gezeichnet hat, hätte Caspar David Friedrich einen Menschen nicht zeichnen können. Tischbeins Goethe lebt, Friedrichs Baade nicht. Und auch Friedrichs Frau am Fenster ist nicht so lebendig wie Tischbeins Goethe. Ich zitiere dazu einmal Kristina Reymann-Schneider aus ihrem Beitrag in Deutschlandfunk Kultur: Caspar David Friedrich hat sich mit seiner Landschaftsmalerei einen Platz in der Kunstgeschichte erobert. Einige seiner Bilder kennen selbst Menschen, die sich sonst eher wenig für Kunst interessieren. Doch der große deutsche Romantiker hatte eine Schwäche: Figuren. Während er detailliert Steine oder Felsformationen und Bäume bis in die kleinsten Verästelungen zeichnen konnte, tat er sich mit der Abbildung von Menschen schwer. Die Proportionen stimmen nicht, der Kopf ist zu klein, die Gliedmaße sind zu lang. So ist es kein Zufall, dass die Figuren bei ihm oft in der Rückenansicht zu sehen sind, nur ganz klein dargestellt oder am Rande platziert werden. Die Natur spielt unzweifelhaft die Hauptrolle in Caspar David Friedrichs Bildern. Kunsthistoriker würden das etwas anders sagen, aber wir lassen das mal so stehen.

Gut, das hat es immer gegeben, dass Maler irgendetwas nicht wirklich konnten. Was Rubens nicht kann, malt ihm sein Freund Brueghel. Lucas van Uden malt für viele berühmte Kollegen den Landschaftshintergrund. Pferde zu malen, war nicht die Stärke von Joshua Reynolds, da half ihm George Stubbs manchmal aus. Liebermann konnte keine Kühe malen, das machte sein Freund Thomas Herbst für ihn, der wahrscheinlich der beste Kuhmaler des Impressionismus war. Wir sehen ihn hier beim Studium von Kühen. Mit Frack und Zylinder.

Ich habe in dem Post Caspar David Friedrich 2010 geschrieben, dass ich das Bild vom Wanderer über dem Nebelmeer, als ich es zum ersten Mal sah, für eine Fälschung hielt. Es war frisch restauriert, überrestauriert, der Lack glänzte wie frischgemalt. Man war stolz, dass man nach langen Verhandlungen (und der Zahlung von 600.000 Mark) das Bild endlich besaß. Jetzt präsentierte man es. Nicht in der Sammlung, es war im Treppenhaus aufgestellt. Man musste an dem Wanderer vorbei, wenn man in die Galerie wollte. Das Bild hat eine einfache, überschaubare Konstruktion. Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund. Und doch hat das Ganze etwas Rätselhaftes, das sich nicht lösen lässt. Ein scheinbar unüberwindbares Hindernis, das unverhältnismäßig große Ausmaße annehmen kann, sagt László F. Földényi. Ich weiß nicht, ob Ihnen dieser Name etwas sagt.

László F. Földényi, der vielleicht wichtigste europäisches Essayist, war schon zweimal in diesem Blog. Zuerst 2011 in dem Post Melancholie, ein Gebiet in dem ich mich dank einer manisch-depressiven Erkrankung auskenne. Das zweite Mal beherrschte den László F. Földényi mit seinem Buch Heinrich von Kleist: Im Netz der Wörter den Kleist Post. Was ist das für ein Buch! Die ganze Welt von Heinrich von Kleist in knapp hundert Lexikonartikeln, die alle kleine in sich geschlossene Essays sind. Ausgehend von Wörtern in Kleists Werk, alphabetisch geordnet von Ach bis Zufall, mit Querverweisen auf andere Essays. So, dass man in diesem Buch zick und zack, hin und her liest. Und das soll auch so sein, sagt der Autor in seinem Vorwort: Ein schonendes Buch. Es verschont den Leser, erspart ihm die Mühe des Auslesens. Es befreit ihn von der Last, so zu tun als ob... Mein drittes Buch von Földényi war Caspar David Friedrich: Die Nachtseite der Malerei, ich habe das Buch schon in dem Post Nebelmeer erwähnt. Das Buch ist zur Zeit vergriffen, soll aber im Mai als Paperback für 12 Euro wieder auf dem Markt sein.

Földényi hat 2021 noch ein zweites Buch über Friedrich geschrieben, das Der Maler und der Wanderer heißt. Und den etwas irritierenden Untertitel Caspar David Friedrichs Urkino hat. Caspar David Friedrich und Kino? Wir wissen, dass Walt Disney in den dreißiger Jahren in Deutschland alle Bücher über Friedrich aufkaufte. Und sie seinen Zeichnern vorlegte. Und deshalb läuft Bambi zu Beginn des Films durch die Fichtenwälder des Elbsandsteingebirges, das Caspar David Friedrich auf Gemälden wie 'Felsenschlucht' oder 'Morgennebel im Gebirge' verewigt hat. Aber Földényi ist nicht auf Bambi aus, er will mit seinem Buch zeigen, dass Der Wanderer über dem Nebelmeer das Kino avant la lettre ist. Urkino. Ich fasse die Unzahl seiner geistvollen Gedanken jetzt nicht in Kürze zusammen, Sie sollten das Buch schon lesen. Mehr ist über das Bild Wanderer über dem Nebelmeer wohl nicht geschrieben worden.

Caspar David Friedrich hat die Rückenfigur nicht erfunden. Sie war als Staffage oder Repoussoir im Vordergrund schon immer in der Malerei. Auch in Vermeers Bild Die Malkunst sehen wir den Maler nur in der Rückansicht. Eigentlich sind die Rückenfiguren in der Malerei Nebenfiguren. Bei Friedrich wird der Herr, der sich aus einer vornehmen Abendgesellschaft ins Elbsandsteingebirge verirrt hat, zur Hauptsache des Bildes. Das wird in Variationen von Malern immer wieder gemacht. Wie 1890 bei Fritz von Uhde oder 1925 bei Salvator Dali. Am besten gefällt mir zum Thema Frau am Fenster dieses Bild

Der neue Hamburger Katalog Caspar David Friedrich – Kunst für eine neue Zeit enthält ein Kapitel Zu Friedrichs Rückenfiguren von Markus Bertsch, der auch einer der Kuratoren der Hamburger Ausstellung ist. Man kann (Google Books sei Dank) große Teile des Katalogs  hier lesen. Friedrich nimmt die ein wenig aus der Mode gekommene Rückenfigur wieder auf, sie wird bei ihm zu einer Art Markenzeichen. Und bei den Wanderern, die den Mond betrachten, bei Mann und Frau bei der Betrachtung des Mondes fällt es uns kaum auf, dass er eigentlich keine Menschen malen kann.

In Johann Christian Reinharts Bild des Tibers (1808) haben wir auch eine Rückenfigur, aber sie beherrscht das Bild nicht, wie Friedrichs Wanderer in seinem elegant geschneiderten Bratenrock das Bild beherrscht. Mit dem auf Felsen stehenden Wanderer, der vielleicht ein Portrait von Goethe ist, kommen wir als Betrachter in das Bild hinein. Sagt uns die Rezeptionsästhetik. Dazu sollten Sie jetzt einmal den Artikel Rezeptionsästhetik – Der Betrachter ist im Bild lesen, dann sind sie im Bild.

Földényi schreibt ein ganzes Buch über den Wanderer, über Perspektiven, über Figuren im Bild. Über das Sehen im Nebel. Und am Ende resümiert er über den Wanderer: Man kann viel über ihn sagen, kann über das, was er sieht und wie er sieht, sogar ein Buch mit dem Titel ‚Der Maler und der Wanderer‘ schreiben. Seinem Ich nahezukommen, vermag man dennoch nicht. 

Földényi erwähnt in seinem Buch den ehemaligen Kieler Kunsthallendirektor Jens Christian Jensen nicht, der 1974 in seinem Buch beim DuMont Verlag über den Wanderer über dem Nebelmeer sagte, das Bild muss als künstlerisch misslungen angesehen werden. Er ist nicht der Einzige, der das Bild als nicht so großartig empfindet. Jensens Buch Caspar David Friedrich - Leben und Werk kann man antiquarisch noch sehr, sehr preisgünstig erwerben. Es ist nach einem halben Jahrhundert immer noch eine sehr gute Einführung.

Wie sieht ein Wanderer aus? So wie dieser Herr hier würden wir sagen. Auf keinen Fall wie der unbekannte Mann auf Caspar David Friedrichs Bild. Dieses Bild eines Wanderers ist ein halbes Jahrhundert nach Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer entstanden. Hier hat Iwan Nikolajewitsch Kramskoi seinen Malerkollegen Iwan Schischkin als Wanderer gemalt. Und das ist Schischkin im doppelten Sinn, denn beide Maler gehören zu einer Künstlerbewegung, die Peredwischniki heißt. Was auf Deutsch Wanderer bedeutet. Wir sollten uns nicht zu sehr an dem Wanderer des Bildtitels von Friedrich festbeißen, den Titel hat das Bild erst um 1950 bekommen, vorher war es ein namenloses Bild.

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