Vor hundertvierzig Jahren ist der dänische Maler Vilhelm Marstrand gestorben. Das hier ist ein Portrait, das sein Kollege Christen Købke gemalt hat, so gut wie Købke ist Marstrand aber nicht annähernd (irgendwie finde ich das bei der Wikipedia ein wenig armselig, dass Købke nur einen Artikel von einem Dutzend Zeilen hat). Aber dennoch zählt man Marstrand mit zu dem, was englischsprachige Kunsthistoriker so schön das Golden Age of Danish Painting nennen. Also alles nach Christoffer Eckersberg, ohne den geht in der dänischen Malerei des 19. Jahrhunderts nichts. Auch Marstrand hat bei ihm gelernt.
Marstrand ist (wie Eckersberg und Købke) in Italien gewesen, aber das italienische Licht hat bei ihm wenig Spuren auf der Leinwand hinterlassen. Lediglich auf seinen Genreszenen aus dem ➱Süden kommt helleres Licht ins Bild. Marstrand malte nach seiner Rückkehr schreckliche Historienbilder. Die Landschaftsmalerei interessierte ihn nicht. Aber mit diesen Bildern, wie hier dem König Christian IV in der Seeschlacht auf der ➱Kolberger Heide, wurde er berühmt. Da steht nun der König an Bord seines Schlachtschiffes Trefoldigheden - ved højen mast i røg og damp, wie die dänische Nationalhymne sagt. Das Auge verbunden, so will man Helden sehen. Das blutige Taschentuch ist noch in einer Vitrine im Schloss Rosenborg zu sehen. Das Blut wird jede Woche nachgefärbt, hat mir eine Dänin spitzbübisch versichert. Das Wandbild in der Domkirche von Roskilde ist auch noch dekorativ in die Architektur eingebettet.
Jahrhunderte lang war über dem Grab des König nur eine weiße Wand, jetzt gibt es ein patriotisches Bild von dem Barockherrscher. Und nicht nur eins, ganz Dänemark malt jetzt den König Christian. Auf einem zeitgenössischen Gemälde, das um 1606 in England gemalt wurde, sieht er so aus. Da hat er gerade seine Schwester Anne besucht, die James I von England geheiratet hatte. Ich habe dieses Bild schon einmal in dem Post über den englischen Architekten ➱Inigo Jones erwähnt.
Die Skizze für das Roskilder Gemälde hatte Marstrand schon zwanzig Jahre zuvor angefertigt, für große Bilder braucht man etwas länger. Sein Wandbild und das ➱Denkmal für Christian IV in Oslo sind der Höhepunkt eines Christian Kults, der im 19. Jahrhundert eingesetzt hat. Das Dänemark zwischen der Bombardierung von Kopenhagen und dem Deutsch-Dänischen Krieg ist auf der Suche nach einem Nationalhelden. Da holt man sich jenen Dänenkönig, der länger als all seine Nachfolger regiert hatte. Und alle dänischen Künstler tragen etwas dazu bei, auch Eckersberg hat ihn gemalt. Das dramatischste Bild stammt von Nicolai Abildgaard, aber davon gibt es leider keine Abbildung im Netz - die dänischen Maler sind da sowieso leider etwas unterrepräsentiert.
Das charmanteste Bild von Marstrand ist dieses Gruppenbild der Familie Waagepetersen (1836) im Staatsmuseum Kopenhagen. Es erhielt im Jahre 1837 nach der Ausstellung im Schloss Charlottenborg eine enthusiastische Besprechung in der Zeitung Dansk Kunstblad. Man lobt die Natürlichkeit der Kinder: Man ist sofort hingerissen vom Humor und der Brillanz, mit der uns der Künstler ein wahres Bild vom fröhlichen Alltagsleben im glücklichen Familienkreise gibt. Und die Darstellung der Familie erscheint als ein Symbol großbürgerlicher dänischer Stabilität. Das jüngste Kind wird von einem Kindermädchen gehalten, das nach seiner Kleidung zu urteilen vom Lande kommt. Das städtische Proletariat findet keine Beschäftigung in den Häusern der feinen Kopenhagener Familien. Der Hausherr selbst ist auf dem Bild nicht zu sehen, er hat zu tun. Muss sein Vermögen vermehren.
Wenige Jahre zuvor hatte sich der reiche und kunstsinnige Weinhändler Waagepetersen von Wilhelm Bendz (auch ein Schüler von Eckersberg) malen lassen, ein Vergleich dieser beiden Bilder zeigt, dass es den Waagepeters inzwischen noch besser geht. Wenn wir von dem Türrahmen auf dem Bild von Marstrand auf die Höhe der Zimmer schliessen, hat man inzwischen ein neues Haus bezogen (auch der Ausschnitt von Marstrands Bild von der musikalischen ➱Abendgesellschaft bei den Waagepeters zeigt sehr große Räume). Aber das Dansk Kunstblad hat schon Recht, es ist ein reizendes Bild. Es hat sogar Erwähnung in dem Buch von Mario Praz Conversation Pieces gefunden.
Conversation Piece ist ein kunsthistorischer Fachausdruck für ein informelles Gruppenbild (ich glaube der deutsche Ausdruck Konversationsstück wird sich niemals durchsetzen. Mario Praz ist Professor für Englische Literatur in Rom gewesen, und er hat als Fachgelehrter eine Publikationsliste, die in die tausende von Titeln geht. Er hat auch eine Vielzahl englischer und amerikanischer Schriftsteller, über die er geschrieben hat, persönlich gekannt. Sein Buch The Romantic Agony (Liebe, Tod und Teufel: Die schwarze Romantik) ist zu einem Klassiker der Literaturwissenschaft geworden.
Und es gibt noch einen zweiten Mario Praz, den Kunstsammler, der in einem italienischen Palazzo wohnt (man lese dazu das autobiographische The House of Life) und der alles über Möbel von Empire und Regency weiß. Das Buch Conversation Pieces ist eine Übersetzung eines italienischen Titels für die Pennsylania University Press, und es ist absolut einmalig. Niemals zuvor hat es eine kunsthistorische Betrachtung des Gruppenportraits von solcher Bandbreite gegeben. Über 380 Bildbeispiele aus der Welt der Bourgeoisie präsentiert Mario Praz, viele davon selbst professionellen Kunsthistorikern unbekannt. Diese Bilderwelt der Aristokratie und des Bürgertums, mit Kindern, mit Frauen, Musikinstrumenten, Pferden und Hunden hat sich von den Anfängen dieser Gattung, der sacre conversazione, ein wenig entfernt. Aber dies ist eines der schönsten (und auch amüsantesten) Werke zur Geschichte der europäischen (und amerikanischen) Kunst. Als Beispiel für ein dänisches conversation piece musste ich hier mal eben das schöne Bild von Constantin Hansen abbilden, das dänische Künstler in Italien zeigt. Vilhelm Marstrand ist der Herr links auf dem Balkon.
Das Golden Age of Danish Painting ist natürlich auch ein goldenes Zeitalter des dänischen Bürgertums. Ein Bildtyp, der früher einmal nur für den Adel in Frage kam, ist jetzt fest in der Hand des Bürgertums. Wie auf diesem Bild von Martinus Rørbye (auf dem Bild von Hansen links unten neben Marstrand auf dem Boden sitzend), das den königlichen Leibchirurgen Andreas Christian Fenger zeigt. Mit Gattin, Tochter und Papageienkäfig.
Sie könnten jetzt natürlich sagen, dass die Sache mit dem conversation piece (hier noch ein schönes Bild von Wilhelm Bendz) im goldenen Zeitalter der dänischen Malerei so neu nicht ist, dass es das im Holland des 17. Jahrhunderts schon einmal gegeben hat. Und Sie haben natürlich Recht. Das Rijksmuseum Amsterdam und das Statens Museum for Kunst Kopenhagen haben 2001 mit ihren Ausstellungen und dem Katalog Two Golden Ages interessante Paralellen aufgezeigt. Interessant ist vielleicht etwas zu wenig, ich könnte ja spannend sagen, aber das Modewort hat in diesem Blog Hausverbot.
Doch so nett die Welt auf den Bildern des dänischen Biedermeier aussieht, es gibt auch Zeitgenossen, die an das Something is rotten in the state of Denmark glauben. Wie zum Beispiel dieser ➱Sören Kierkegaard. Dies Bild haben Sie bestimmt schon einmal gesehen. Wüssten Sie, von wem es gezeichnet wurde? Es ist wahrscheinlich das berühmteste Bild von Vilhelm Marstrand. Angeblich hat er es gezeichnet, als er von ➱Kierkegaards Tod hörte, aber das stimmt wohl nicht. Auf den Bildern des dänischen goldenen Zeitalters ist alles so schrecklich ordentlich und aufgeräumt, selbst in den Märchen von Hans Christian Andersen gibt es mehr soziale Konflikte. Gibt es nichts hinter dieser Oberfläche? Für Kierkegaard schon: Das Äußere hat daher zwar Bedeutung für uns, aber nicht als Ausdruck des Innern, sondern nur als telegraphische Nachricht, daß in der Tiefe drunten sich etwas verbirgt. Wenn man ein Angesicht lange und aufmerksam betrachtet, so entdeckt man zuweilen gleichsam ein zweites Angesicht innerhalb desjenigen, das man eigentlich sieht. Dieses ist gewöhnlich ein untrügliches Zeichen, daß die Seele einen Emigranten in sich birgt, welcher sich von der Außenwelt zurückgezogen hat, um über einen verborgenen Schatz zu wachen.
Mehr skandinavische Malerei in diesem Blog: ➱Dänische Kunst, ➱Skagen, ➱Nordlichter, ➱Anders Zorn, ➱Carl Larsson, ➱Nicolai Abildgaard.
Das charmanteste Bild von Marstrand ist dieses Gruppenbild der Familie Waagepetersen (1836) im Staatsmuseum Kopenhagen. Es erhielt im Jahre 1837 nach der Ausstellung im Schloss Charlottenborg eine enthusiastische Besprechung in der Zeitung Dansk Kunstblad. Man lobt die Natürlichkeit der Kinder: Man ist sofort hingerissen vom Humor und der Brillanz, mit der uns der Künstler ein wahres Bild vom fröhlichen Alltagsleben im glücklichen Familienkreise gibt. Und die Darstellung der Familie erscheint als ein Symbol großbürgerlicher dänischer Stabilität. Das jüngste Kind wird von einem Kindermädchen gehalten, das nach seiner Kleidung zu urteilen vom Lande kommt. Das städtische Proletariat findet keine Beschäftigung in den Häusern der feinen Kopenhagener Familien. Der Hausherr selbst ist auf dem Bild nicht zu sehen, er hat zu tun. Muss sein Vermögen vermehren.
Wenige Jahre zuvor hatte sich der reiche und kunstsinnige Weinhändler Waagepetersen von Wilhelm Bendz (auch ein Schüler von Eckersberg) malen lassen, ein Vergleich dieser beiden Bilder zeigt, dass es den Waagepeters inzwischen noch besser geht. Wenn wir von dem Türrahmen auf dem Bild von Marstrand auf die Höhe der Zimmer schliessen, hat man inzwischen ein neues Haus bezogen (auch der Ausschnitt von Marstrands Bild von der musikalischen ➱Abendgesellschaft bei den Waagepeters zeigt sehr große Räume). Aber das Dansk Kunstblad hat schon Recht, es ist ein reizendes Bild. Es hat sogar Erwähnung in dem Buch von Mario Praz Conversation Pieces gefunden.
Conversation Piece ist ein kunsthistorischer Fachausdruck für ein informelles Gruppenbild (ich glaube der deutsche Ausdruck Konversationsstück wird sich niemals durchsetzen. Mario Praz ist Professor für Englische Literatur in Rom gewesen, und er hat als Fachgelehrter eine Publikationsliste, die in die tausende von Titeln geht. Er hat auch eine Vielzahl englischer und amerikanischer Schriftsteller, über die er geschrieben hat, persönlich gekannt. Sein Buch The Romantic Agony (Liebe, Tod und Teufel: Die schwarze Romantik) ist zu einem Klassiker der Literaturwissenschaft geworden.
Und es gibt noch einen zweiten Mario Praz, den Kunstsammler, der in einem italienischen Palazzo wohnt (man lese dazu das autobiographische The House of Life) und der alles über Möbel von Empire und Regency weiß. Das Buch Conversation Pieces ist eine Übersetzung eines italienischen Titels für die Pennsylania University Press, und es ist absolut einmalig. Niemals zuvor hat es eine kunsthistorische Betrachtung des Gruppenportraits von solcher Bandbreite gegeben. Über 380 Bildbeispiele aus der Welt der Bourgeoisie präsentiert Mario Praz, viele davon selbst professionellen Kunsthistorikern unbekannt. Diese Bilderwelt der Aristokratie und des Bürgertums, mit Kindern, mit Frauen, Musikinstrumenten, Pferden und Hunden hat sich von den Anfängen dieser Gattung, der sacre conversazione, ein wenig entfernt. Aber dies ist eines der schönsten (und auch amüsantesten) Werke zur Geschichte der europäischen (und amerikanischen) Kunst. Als Beispiel für ein dänisches conversation piece musste ich hier mal eben das schöne Bild von Constantin Hansen abbilden, das dänische Künstler in Italien zeigt. Vilhelm Marstrand ist der Herr links auf dem Balkon.
Das Golden Age of Danish Painting ist natürlich auch ein goldenes Zeitalter des dänischen Bürgertums. Ein Bildtyp, der früher einmal nur für den Adel in Frage kam, ist jetzt fest in der Hand des Bürgertums. Wie auf diesem Bild von Martinus Rørbye (auf dem Bild von Hansen links unten neben Marstrand auf dem Boden sitzend), das den königlichen Leibchirurgen Andreas Christian Fenger zeigt. Mit Gattin, Tochter und Papageienkäfig.
Sie könnten jetzt natürlich sagen, dass die Sache mit dem conversation piece (hier noch ein schönes Bild von Wilhelm Bendz) im goldenen Zeitalter der dänischen Malerei so neu nicht ist, dass es das im Holland des 17. Jahrhunderts schon einmal gegeben hat. Und Sie haben natürlich Recht. Das Rijksmuseum Amsterdam und das Statens Museum for Kunst Kopenhagen haben 2001 mit ihren Ausstellungen und dem Katalog Two Golden Ages interessante Paralellen aufgezeigt. Interessant ist vielleicht etwas zu wenig, ich könnte ja spannend sagen, aber das Modewort hat in diesem Blog Hausverbot.
Doch so nett die Welt auf den Bildern des dänischen Biedermeier aussieht, es gibt auch Zeitgenossen, die an das Something is rotten in the state of Denmark glauben. Wie zum Beispiel dieser ➱Sören Kierkegaard. Dies Bild haben Sie bestimmt schon einmal gesehen. Wüssten Sie, von wem es gezeichnet wurde? Es ist wahrscheinlich das berühmteste Bild von Vilhelm Marstrand. Angeblich hat er es gezeichnet, als er von ➱Kierkegaards Tod hörte, aber das stimmt wohl nicht. Auf den Bildern des dänischen goldenen Zeitalters ist alles so schrecklich ordentlich und aufgeräumt, selbst in den Märchen von Hans Christian Andersen gibt es mehr soziale Konflikte. Gibt es nichts hinter dieser Oberfläche? Für Kierkegaard schon: Das Äußere hat daher zwar Bedeutung für uns, aber nicht als Ausdruck des Innern, sondern nur als telegraphische Nachricht, daß in der Tiefe drunten sich etwas verbirgt. Wenn man ein Angesicht lange und aufmerksam betrachtet, so entdeckt man zuweilen gleichsam ein zweites Angesicht innerhalb desjenigen, das man eigentlich sieht. Dieses ist gewöhnlich ein untrügliches Zeichen, daß die Seele einen Emigranten in sich birgt, welcher sich von der Außenwelt zurückgezogen hat, um über einen verborgenen Schatz zu wachen.
Mehr skandinavische Malerei in diesem Blog: ➱Dänische Kunst, ➱Skagen, ➱Nordlichter, ➱Anders Zorn, ➱Carl Larsson, ➱Nicolai Abildgaard.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen