Donnerstag, 17. Oktober 2024

Caspar David Friedrich (9)

Zwei Männer betrachten den aufgehenden Mond, der eine sichelförmige Scheibe ist. Wir können sie nur, wie so häufig bei Caspar David Friedrich, in einer Rückenansicht sehen. Wenn Sie den Link anklicken, landen Sie in einer 279-seitigen Dissertation zum Thema der Rückenfigur, die von einer Studentin aus Tokio geschrieben wurde. Die beiden Herren tragen eine mittelalterliche Kleidung, die am Anfang des 19. Jahrhundert in gewissen deutschen Kreisen, vornehmlich Künstlern und Studenten, ein Teil der Herrenmode geworden war. Was einmal in ganz Europa die sogenannte Werthertracht gewesen war, gelbe Reithosen und eine blaue Frackjacke, hat offenbar ausgedient. Wer fortschrittlich sein will, trägt jetzt angeblich die Altdeutsche Tracht. Der Dichter Karl Förster berichtet in seinen Lebenserinnerungen von einem Besuch in Friedrichs Atelier, wo dieser über das Bild Zwei Männer in Betrachtung des Mondes ironisch gesagt habe: Die machen demagogische Umtriebe.

1814 war Ernst Moritz Arndts Schrift Ueber Sitte, Mode und Kleidertracht erschienen, die von vielen Kritikern als die geistige Grundlage der altdeutschen Tracht gewertet wird. Nach Arndt sollte das Vorbild für eine deutsche Nationaltracht die Kleidung der Reformationszeit sein. Und wir finden da Sätze wie: den Hals befreit er von dem knechtischen Tuche und låsset den Hemdkragen über den kurzen Rockkragen auf die Schultern fallen. Das ist heute wieder modern, wo kaum noch jemand eine Krawatte trägt. Aber wie man auf einer Seite im Internet lesen kann, entstand ein Patchwork an Bekleidungselementen, die man auf Bildern von Dürer fand oder auch historischen Vorlagen nicht-deutschen Ursprungs entnahm. So entstammte die Halskrause der spanischen Renaissancemode.

Trachten hat es schon vor den Befreiungskriegen gegeben, es hat auch schon Festlegungen gegeben, wer was tragen darf: Nachdem ehrlich, ziemlich und billich, daß sich ein jeder, weß Würden oder Herkommen der sey, nach seinem Stand, Ehren und Vermögen trage, damit in jeglichem Stand unterschiedlich Erkäntüß seyn mög, so haben Wir Uns mit Churfürsten, Fürsten und Ständen nachfolgender Ordnung der Kleidung vereiniget und verglichen, die Wir auch bey Straff und Pön, darauff gesetzt, gänzlich gehalten haben wöllen. Diese Sätze finden sich 1530 in der Augsburger Kleiderordnung, aber an Kleiderordnungen will man sich nicht mehr halten. Man will nicht mehr aussehen wie die bürgerliche Gesellschaft des 18. Jahrhunderts auf diesem Bild. Die altdeutsche Tracht wird übrigens vornehmlich von Männern getragen, sagen uns Modehistoriker. Die Damen nehmen diese vestimentären Verunstaltungen nicht an und tragen lieber eine modifizierte Empiremode.

Wir haben in dieser Zeit schon Modejournale, in denen die altdeutsche Tracht auftaucht. Allerdings ziemlich spärlich. Auf diesen Bildern aus dem Journal des Luxus und der Moden ist sie noch nicht zu sehen. Die Zeit der Revolution ist auch eine Zeit der Revolution der Mode. Der deutsche Philosoph Christian Garve schreibt im Revolutionsjahr 1792 das Buch Über die Moden (ich habe dieses sehr kluge Buch hier im Volltext für Sie). Die Moden kommen und gehen, nichts hält sich wirklich lange. Und wir wissen auch, dass die Kleidung, die sich in Modebüchern und Modejournalen findet, nicht unbedingt auf der Straße getragen wird.

Die bürgerliche Herrenkleidung im frühen 19. Jahrhundert sieht so aus, wie sie der Däne Constantin Hansen auf dem Bild festgehalten hat, das er von seinen Künstlerfreunden in Rom gemalt hat. Wir nehmen den auf dem Boden sitzenden Martinus Rørbye mit seiner orientalischen Verkleidung einmal aus; der Rest der Herren trägt Zylinder, eine Art Frack und lange Hosen. Die Reithosen, die für den Dandy Beau Brummell noch Pflicht waren, hat man inzwischen aufgegeben.

Das hier vorne links ist der Maler Carl Philipp Fohr. Er hat seinen Hund bei sich, mit dem ist er über die Alpen nach Rom gewandert. Die Herren auf der rechten Seite des Bildes tragen die Mode der Zeit, Fräcke und Zylinder wie auf dem Bild von Constantin Hansen. Nur Fohr ist ohne Zylinder, er trägt solch eine altdeutsche Tracht. Diese Tracht war zu Hause bei den Heidelberger Studenten sehr chic. Wenige Jahre zuvor hatten sich die Heidelberger Studenten noch nach der Mode der französischen Feinde gekleidet, worüber sich der österreichische Feldmarschall Graf von Sztarray im Jahre 1800 bei der Universität Heidelberg beschwerte. Die Moden wechseln jetzt schnell. Carl Philipp Fohr bringt die neue Mode nach Italien. Der Kronprinz von Bayern, der Fohr in Rom kennenlernt, übernimmt diese neue Mode. Ohne zu wissen, daß er damit die Tracht der studentischen Revolutionäre hoffähig machte (sein Sohn Max wird die Lederhosen hoffähig machen). 

Aber Ludwig trägt auch griechische Tracht, weil er die Griechen bewundert und dem Land Baiern ein griechisches Ypsilon verpasst. Sein Sohn Otto wird griechischer König werden. Der wird dann nicht wie sein Bruder Lederhosen tragen, sondern in griechischer Nationaltracht auftreten. Auch Lord Byron wird griechische Tracht tragen, wir sind in der Zeit des Philhellenismus, wo ein Dichter wie Wilhelm Müller so etwas Romantisches wie Die schöne Müllerin schreibt, andererseits aber die Griechen bewundert. Da geht in diesen Jahren modisch viel durcheinander.

Ob Caspar David Friedrich selbst ein Anhänger dieser Mode der Studenten und Künstler gewesen ist, ist von den Portraits her schwer zu entscheiden. Der schwarze Mantel, den er auf dem mittleren Bild trägt, könnte so etwas wie eine altdeutsche Tracht sein. Es könnte aber auch einfach nur der schwarze Mantel gewesen sein, den Friedrich bei der Beerdigung seines Vaters im November 1809 getragen hat. Am linken Arm trägt Friedrich einen Trauerflor. Einige Interpreten haben diese Binde auch als ein geheimes Zeichen des antinapoleonischen Kampfes verstanden. Man sollte allerdings bedenken, dass im Jahre 1810, als dieses Bild entstand, die altdeutsche Tracht noch keinerlei Konjunktur hatte. Das Bild, das lange als ein Selbstportrait galt, hat die Malerin Caroline Bardua gemalt. Friedrich trägt diesen Mantel auch auf einem gezeichneten Selbstportrait, das Carl Gustav Carus besessen hat. Man kann aus diesen Bildern kaum eine politische Gesinnung ableiten. Es gibt eine Theorie, dass ihm die volle Professur in Dresden wegen seiner politischen Einstellung verweigert wurde. Beweisen kann man das aber nicht.

Auf diesem Portrait von Georg Friedrich Kersting aus dem Jahre 1811 trägt der Maler eine bequeme Hausjacke, lange Hosen und Pantoffeln, hier ist keine altdeutsche Tracht zu sehen. Es wird häufig argumentiert, dass die altdeutsche Tracht eine politische Gegenbewegung gegen die Franzosen gewesen sei. Aber das Paris, in dem die Sansculotten und das Militär den Ton angeben, ist keine Stadt der Mode mehr. Und als Friedrich 1819 die erste Fassung des Bildes Zwei Männer in Betrachtung des Mondes malt, ist Napoleon längst besiegt, da braucht man keine revolutionäre Kluft mehr. Das Argument, dass Friedrich mit dem Bild gegen die Karlsbader Beschlüsse von 1819, die die Gesinnungstracht verbieten, protestiert, funktioniert auch nicht so richtig. Friedrich hatte das Bild mit Zeichnungen viel früher als 1819 begonnen.

Es erschließt sich nicht auf den ersten Blick, weshalb im Zeitalter der Eisenbahn die Kleidung von Albrecht Dürer modern sein soll. Aber es wird immer wieder argumentiert, dass man in den Freiheitskriegen dem französischen Geist und der welschen Mode etwas Nationales entgegensetzen wollte. Selbst wenn man von Napoleons Truppen überrollt worden war, oder mit ihm paktierte. Was der junge Hoffmann von Fallersleben hier auf dem Bild im Jahre 1819 trägt, mit Hosen, die wie Jeans aussehen, soll auch eine altdeutsche Tracht sein. Jahre später ist er gegen diese Mode und wird in seinem Gedicht Dunkelmannstracht schreiben:

Unsre Freuden, unsre Leiden
Wollen wir in Schwarz nur kleiden;
Schwarz ist Anstand überall
Bei dem Grab und auf dem Ball.

Tragt die Nacht nicht am Gewande,
Jagt sie lieber aus dem Lande!
Finsternis und Traurigkeit
Herrscht genug in unsrer Zeit.

Nach dem Sprichwort unsrer Alten
Sollet ihr auf Farbe halten.
Kleidet euch in Sonnenschein!
Nacht stellt sich von selber ein.

Manche Maler malen die Mode der Zeit in ihre Bilder, das können wir bei den englischen Malern des 18. Jahrhundert sehen. Dazu gibt es hier schon den langen Post 18th century: Fashion. Caspar David Friedrichs französischer Zeitgenosse Louis-Léopold Boilly zeigt uns auf seinen Bildern, was man in Paris trägt. Davon hat Caspar David Friedrichs Werk nichts, so etwas will er nicht malen, so etwas kann er auch nicht malen. Das Bild, das er von seinem Kollegen Knud Baade malt, zeigt seine malerischen Defizite auf, ein Modejournal würde ihn kaum als Zeichner nehmen.

Ein Wesenszug der Romantik ist, dass sie uns zurückwirft in eine andere Zeit, dass sie mit der Industriellen Revolution nichts zu tun haben will. Maler malen mittelalterliche Motive, wie hier Carl Philipp Fohr mit seinem verirrten Ritter im Wald. Schriftsteller schreiben Ritterromane, und die Architekten kehren zur Gotik zurück. 

Und so könnten wir natürlich auch annehmen, dass die beiden Herren im Mondlicht von Caspar David Friedrich nicht im 19. Jahrhundert leben, sondern dass dies eine Szene aus dem Mittelalter ist. Aber die Interpretation des Bildes zielt heute auf die demagogischen Umtriebe, wie Friedrich das ironisch nannte. So liest der Kunsthistoriker Werner Busch das Bild. Sie können seine schöne Interpretation hier lesen. Davon will Helmut Börsch-Supan, dessen Interpretation des Bildes Sie hier auch lesen können, nichts wissen. Für ihn ist das mal wieder alles rein christliche Symbolik.

Aber der Berufsrevolutionär Harro Harring, der Friedrich kannte und einmal in Dresden bei Johan Christian Clausen Dahl studiert hatte, hat das Bild (das da links hängt und klitzeklein ist) als Aufruf zur Revolution verstanden. Er schreibt es 1828 in seinen Roman Rhongar Jarr hinein: Was seit Jahrhunderten Fremd war, tritt wieder ans Tageslicht; der Deutsche hat sich einen Rock machen lassen, wie ihn die Väter trugen, und schreitet in diesem Rock einer Zukunft entgegen – die so herrlich vor ihm ausgebreitet liegt, geschmückt mit allen Segnungen des Friedens, reich an Verheißungen und reich an stolzen Hoffnungen! ... Geheimnisvoll rauscht es in den deutschen Eichen von wundersamen Dingen, von einer kräftigen Zeit ... 'Der Morgen graut!' das Licht der Freiheit dämmert, und es regt sich der Geist, der da gesunken lag, gebeugt unter dem Joche der Knechtschaft ... Es ist der Wind, der durch die Kronen der Eichen dahinfährt.

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