Donnerstag, 10. Oktober 2024

Thaddäus Kosciuszko


Heute vor zweihundertdreißig Jahren hat der General Thaddeus Kosciusko die Schlacht von Maciejowice gegen die Russen verloren. Das wissen Sie natürlich, weil Sie 2010 den Post Maciejowice gelesen haben. In dem Jahr gab es noch einen zweiten Post zu dem polnischen Nationalhelden, der Benjamin Wests 'Thaddäus Kosciuszko' heißt. Den Post hat damals kaum jemand gelesen, aber der Post über die Schlacht von Maciejowice im Oktober hatte dann schon vierstellige Leserzahlen. Wie bin ich auf den Mann gekommen, dass ich, kaum bin ich im Internet, gleich zweimal über ihn schreibe? Ich hatte das Gefühl, man müsse ihnvor dem Vergessen bewahren.

Für den amerikanischen Quäker Benjamin West war der polnische Edelmann ein amerikanischer Held. Und das ist er sicherlich auch gewesen. Benjamin West, der inzwischen zum Lieblingsmaler von George III geworden war, wollte Kosciuszko unbedingt in dem Londoner Hotelzimmer malen, in dem der General sich von den Wunden erholte, die er in der Schlacht von Maciejowice erlitten hatte. Der russische Zar Paul hatte ihn im Gefängnis besucht, er hatte gewisse Sympathien für diesen Mann, der für sein Heimatland Polen kämpfte. 

Ein Land, das Preußen, Österreich und Russland immer wieder für sich beanspruchten. Erste, zweite, dritte polnische Teilung: kennen wir alle noch aus dem Geschichtsunterricht. Wenn der Zar Kosciusko nach dem Tod seiner gehassten Mutter Katharina die Freiheit schenkt, wünscht er sich von ihm, einmal die Uniform zu sehen, die der Mann, der König von Polen hätte werden können, im Freiheitskampf trug. Als er ein Heer von Bauern mit Sensen anführte. Kosciusko bringt ihm die Uniform, aber er trägt sie nicht. Er trägt die Uniform eines amerikanischen Brigadegenerals mit weißen Epauletten, die er ein Jahrzehnt früher getragen hatte.

Der russische Zar lässt ihn allerdings trotz aller Freundlichkeiten in London von seinem Botschafter, dem Grafen Semyon (Simon) Woronzow, bespitzeln. Wir haben den Grafen hier, gemalt von Thomas Lawrence. Offiziell erkundigt sich Woronzow natürlich nur nach der Gesundheit des polnischen Freiheitskämpfers. Aber man möchte in Russland schon gerne wissen, was er vorhat. Wird er nach Amerika gehen? Wird er die 48.000 Rubel bei der Londoner Bank abheben, die der Zar dort als Geschenk für ihn deponiert hat? Der Graf Woronzow, der eines Tages das Vertrauen seines Zaren verlieren wird, bleibt bis zu seinem Lebensende in England. Er ist ein Londoner geworden, der bei seinem Tod ein kleines Vermögen für das Armenhaus der Gemeinde hinterlässt. Es gibt in London eine Woronzow Road, nördlich vom Regent's Park (oder für Beatles Fans: in der Nähe der Abbey Road).

Kosciuszko war 1776 nach Amerika gekommen, weil er als Offizier in der polnischen Armee keine Zukunft hatte. Und die amerikanische Kontinentalarmee war ja auch dankbar für gut ausgebildete Offiziere aus Europa, vor allem, wenn die adlig sind. Wenn auch in manchen Fällen, wie bei dem Baron von Steuben und dem Baron de Kalb, die Adelstitel ein klein wenig fiktiv sind. Kosciuszko, der sich für die Schiffsreise nach Amerika achtzig Dukaten von seinem Schwager geliehen hatte, hat andere Qualitäten als Steuben und de Kalb, er ist ein Ingenieur. Er hatte die königliche Offiziersschule in Warschau und die Ecole Militaire in Paris besucht. Er kann Festungsanlagen und Brücken bauen. Solche Leute braucht man jetzt in Amerika, man macht ihn sofort zum Colonel und wird ihm im Laufe des Krieges in den Südstaaten auch kleinere militärische Einheiten anvertrauen. Er rechtfertigt das Vertrauen, das er von Benkamin Franklin und George Washington erhielt. Er wird die Befestigungen des Forts West Point so anlegen, dass die Engländer es nie einnehmen können. Da müssen sie schon darauf hoffen, dass der Verräter Benedict Arnold ihnen die Pläne verkauft. Dieses Denkmal erinnert in West Point heute noch an Kosciusko .

Bevor Kosciuszko West Point ausbaute, hatte er 1777 sein Meisterstück in der Schlacht von Saratoga geliefert, einer Schlacht, in der die Engländer unter dem Generalmajor John Burgoyne eine ganze Armee verlieren. Das ist ein Wendepunkt des Unabhängigkeitskrieges, und die Schlacht hat hier mit Saratoga schon einen langen Post. Die Schlacht, die aus zwei Einzelschlachten besteht (Freeman’s Farm und Bemis Heights), gewinnen die Amerikaner, weil der adlige Colonel aus Polen so geschickt die Festungsanlagen um Bemis Heights herum plaziert hatte. 

The great tacticians of the campaign were hills and forests, which a young Polish Engineer was skilful enough to select for my encampment, wird der General Horatio Gates eines Tages schreiben. Auf dem Bild, das John Trumbull eines Tages von der Kapitulation von John Burgoyne malen wird, ist Thaddeus Kosciusko nicht zu sehen. Aber Historiker sagen heute, dass sein Anteil am Sieg ebenso groß gewesen sei wie der der Generäle. Es sind immer die Generäle, die auf dem Pferd sitzen und einen Säbel in der Hand haben, die man bewundert. Über die Militäringenieure, die Befestigungen bauen, redet niemand. Die finden wir bestenfalls in Laurence Sternes Roman Tristram Shandy.

George Washingtons Freund, der General Nathanael Greene wird über Kosciuszko sagen: Colonel Kosciuszko belonged to the number of my most useful and dearest comrades in arms. I can liken to nothing his zeal in the public service, and in the solution of important problems nothing could have been more helpful than his judgment, vigilance and diligence. In the execution of my recommendations in every department of the service he was always eager, capable, in one word impervious against every temptation to ease, unwearied by any labour, fearless of every danger. He was greatly distinguished for his unexampled modesty and entire unconsciousness that he had done anything unusual. He never manifested desires or claims for himself, and never let any opportunity pass of calling attention to and recommending the merits of others. 

Es wird etwas dauern, bis der amerikanischen Kongress die Verdienste von Kosciuszko anerkennt. Erst auf das Drängen von George Washington macht man ihn zum Brigadegeneral und beschliesst: that the secretary at war transmit to Colonel Kosciuszko the brevet commission of brigadier-general, and signify to that officer, that Congress entertain a high sense of his long, faithful, and meritorious services. Und er wird Ehrenmitglied der Society of the Cincinnati, das zeigt dieser kleine goldene Orden, der an seinem Kragen hängt. Washington wird auch dafür sorgen, dass Kosciuszkos farbiger Adjutant Agrippa Hull eine lebenslange Rente erhält. Der Kongress gewährt dem Brigadegeneral für seine Dienste ein Guthaben von 12.280 Dollar mit einer jährlichen Auszahlung von 6 Prozent Zinsen. Und den Anspruch auf 500 Acres Land, falls er in den Vereinigten Staaten bleiben wolle. Das Bild hier ist ein kolorierter Stich von Frederick  Girsch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Bild heißt Die Helden der Revolution, Kosciuszko ist der fünfte von links. Immerhin zählt man ihn damals zu den Helden der amerikanischen Revolution. 

1797 wird er Amerika wieder besuchen, man feiert ihn wie einen Nationalhelden. George Washington wird ihm schreiben: I beg you to be assured that no one has a higher respect and veneration for your character than I have; or one who more singularly wished during your arduous struggle in the cause of liberty and your country, that it might be crowned with Success. But the ways of Providence are inscrutable, and Mortals must submit. I pray you to believe, that at all times, and under any circumstances, it would make me happy to see you at my last retreat. Das Haus in Philadelphia, in dem Kosciuszko wohnte, ist heute ein Nationaldenkmal. Er wird seinen Lebensabend in Paris und der Schweiz verbringen. Aber zuvor hat der Mann, der die Worte Freiheit, Integrität und Unabhängigkeit auf seinem Wappenschild hatte, noch etwas Erstaunliches getan. Er setzt mit seinem Freund Thomas Jefferson sein Testament auf. Von den 12.280 Dollar (und den Zinsen) sollen Farbige freigekauft werden. Seinen polnischen Leibeigenen hatte er schon vorher die Freiheit gegeben. He is as pure a son of liberty, as I have ever known, and of that liberty which is to go to all, and not to the few or the rich alone, hat Jefferson über ihn gesagt. 

Einen Monat vor seinem Tod 1817 hat Thaddeus Kosciuszko seinem Freund Jefferson einen Brief geschrieben und hat ihn an das Testament erinnert. In dem man lesen kann: Thaddeus Kosciuszko being just in my departure from America do hereby declare and direct that should I make no other testamentary disposition of my property in the United States I hereby authorise my friend Thomas Jefferson to employ the whole thereof in purchasing Negroes from among his own or any others and giving them liberty in my name, in giving them an education in trades or otherwise and in having them instructed for their new condition in the duties of morality which may make them good neighbours, good fathers or mothers, husbands or wives and in their duties as citizens teaching them to be defenders of their liberty and Country and of the good order of society and in whatsoever may make them happy and useful and I make the said Thomas Jefferson my executor of this. Aber Jefferson hat das nicht hingekriegt, er bat aus Altersschwäche und Überarbeitung den Federal Court, einen anderen Testamentsvollstrecker zu bestellen. Dann landete das Ganze vor dem Supreme Court, der das Testament für nichtig erklärte, weil es angeblich noch andere Testamente gäbe. Der Brief von 1817 wird nicht berücksichtigt. In Sachen Sklaverei werden die amerikanischen Gerichte sehr unterschiedliche Urteile sprechen. Bis der Supreme Court im Fall Dred Scott versus Sandford ein katastrophales Urteil fällt. Es wird beinahe hundert Jahre dauern, bis Earl Warren ein neues Kapitel der amerikanischen Rechtsgeschichte schreiben wird.

Aber die 12.800 Dollar sind nicht verloren, sie werden einem guten Zweck zugeführt. Bei Booker T. Washington können wir 1911 lesen: Seven years after his death, a school (for former) slaves, known as the Kosciuszko School, was established in Newark, New Jersey. The sum left for the benefit of this school amounted to thirteen thousand dollars. The Polish patriot is buried in the cathedral at Cracow, which is the Westminster Abbey of Poland, and is filled with memorials of the honored names of that country. Kosciuszko lies in a vault beneath the marble floor of the cathedral. As I looked upon his tomb I thought how small the world is after all, and how curiously interwoven are the interests that bind people together. Here I was in this strange land, farther from my home than I ever expected to be in my life, and yet I was paying my respects to a man whom the members of my race owed one of the first permanent schools for them in the United States. When I visited the tomb of Kosciuszko I placed a rose on it in the name of my race.

Monica Mary Gardner, die als Schriftstellerin eine interessante Karriere hat, hat 1920 die Biographie →Kościuszko A Biography veröffentlicht. Sie ist hier im Internet lesbar, ist auch immer wieder neu aufgelegt worden, zuletzt 2022. Aber ein richtig gutes Buch über Kosciuszko gibt es meines Wissens nicht. Auch dies Buch des amerikanischen Journalisten Alex Storozynski The Peasant Prince: Thaddeus Kosciuszko and the Age of Revolution ist eher ein Roman als eine solide Biographie. Sie können aber hier den einstündigen Dokumentarfilm Kosciuszko: A Man Before His Time von Storozynski anschauen. Ist besser als nix. 

Die 48.000 Rubel hat Thaddeus Kosciuszko übrigens in London nie abgeholt, er wollte vom russischen Zaren nichts geschenkt bekommen.

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