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Donnerstag, 31. Januar 2019

Fontane.200


Viele Berühmtheiten haben in diesem Jahr ihren zweihundertsten Geburtstag, klicken Sie doch einmal den Post 1819 an. Den englischen Dichter Arthur Hugh Clough habe ich leider verpasst, wenn Sie etwas von ihm lesen wollen, dann kann ich Amours de Voyage unbedingt empfehlen. Theodor Fontane hat auch den zweihundertsten Geburtstag. Da gibt es schon ein reichhaltiges Programm. Da werden sie alle kommen, Bredow und Bülow, Itzenplitz, Katte und Cohn. Das Fontane Jahr in Brandenburg wird mit knapp 1,9 Millionen Euro vom Land unterstützt vom Bund kommt noch einmal eine Million. Man kann im Internet lesen, dass Fontane, wenn er heute schriebe, wahrscheinlich Blogger wäre. Ich dachte, man brauchte nichts mehr über ihn zu sagen, aber schon wieder gibt es ein neues Buch, Fontane: Ein Jahrhundert in Bewegung.

Wir waren ja eigentlich mit Helmuth Nürnberger zufrieden, der 1968 bei Rowohlt in der Reihe der Rowohlts Monographien den Fontane Band geschrieben hat, und der vor zwanzig Jahren als Summe seines Lebenswerks Fontanes Welt präsentierte. Das eben erwähnte neue Buch ist von einem Autor mit dem eindrucksvollen Namen Iwan-Michelangelo D’Aprile. Sein Titel ist noch eindrucksvoller, er ist an der Uni Potsdam Professur für Kulturen der Aufklärung. Wenn das nichts ist. Sie können hier eine Leseprobe lesen und bei Amazon einen Blick in sein Buch Fontane: Ein Jahrhundert in Bewegung werfen.

Der Friedhard hat mir mal das Buch Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat von Pierre Bayard geschenkt, und das werde ich heute tun: über ein Buch sprechen, das ich nicht gelesen habe. Iwan-Michelangelo D’Aprile löst den Autor von Effi Briest und Der Stechlin aus seinem preußisch-brandenburgischen Nahbereich und sucht Fontane inmitten der beschleunigten, zunehmend elektrifizierten und globalisierten Welt auf, in der er lebte. D’Apriles lebendige und kenntnisreiche Darstellung beleuchtet den großen Schriftsteller immer in Bezug auf die rasanten Entwicklungen des 19. Jahrhunderts und weitet sich so zum Epochenporträt des Zeitalters der Moderne, heißt es in einer Rezension. Dazu passt dieses Bild von Franz Skarbina, einem Maler, den Fontane sehr schätzte, sicher sehr schön.

So furchtbar neu ist die Sache mit der beschleunigten, zunehmend elektrifizierten und globalisierten Welt in der Literatur nicht. Gut, bei William Blake sind die Fabriken noch dark satanic mills, und bei Eichendorff wird in die Industrialisierung in das romantische Bild der Wälder eingebunden, wenn es heißt: Die Wälder rauschten durch die weite Stille, aus der Ferne hörte man nur den dumpfen Schlag eines Eisenhammers. Aber dass sich die Technik nicht nur in der Malerei des 19. Jahrhunderts (wie zum Beispiel in Menzels Eisenwalzwerk) findet, sondern auch überall in der Literatur, darauf ist die Literaturwissenschaft schon gekommen. Wir können die Frage auch auf den Vortrag von C.P. Snow über The two cultures reduzieren.

Es war der Hamburger Goetheforscher Karl Robert Mandelkow, der mit Orpheus und Maschine zum erstenmal etwas zum Thema Industrie, Technik und Literatur publizierte. Ein Jahrzehnt später kam Harro Segebergs Buch Literarische Technik-Bilder: Studien zum Verhältnis von Technik- und Literaturgeschichte im 19. und frühen 20. Jahrhundert heraus. Und 2005 erschien Philipp Franks Dissertation Theodor Fontane und die Technik. Woraus wir schließen können, dass nichts von dem Ansatz von Iwan-Michelangelo D’Aprile wirklich neu ist. Philipp Franks Stil ist etwas, das der Engländer pedestrian nennt, D’Aprile kann besser schreiben, aber sonst sind sie in der gleichen Spur.

Halten wir den Ball flach und kommen wir von dem Professur für Kulturen der Aufklärung und dem Fontane inmitten der beschleunigten, zunehmend elektrifizierten und globalisierten Welt zu dem, was man im Fontane Jahr lesen sollte. Effi Briest sollte man gelesen haben, das haben die meisten in der Schule gelesen, aber man versteht es im Alter besser. Den Stechlin muß man unbedingt lesen. Das Alterwerk, von dem Fontane sagte: Mein neuer dickleibiger Roman, dessen Sie so freundlich erwähnen, beschäftigt sich fast ausschließlich mit dieser Frage; Dynastie, Regierung, Adel, Armee, Gelehrtentum, alle sind ganz aufrichtig davon überzeugt, dass speziell wir Deutsche eine hohe Kultur repräsentieren; ich bestreite das. Und vielleicht lesen Sie noch Vor dem Sturm. Und wenn Sie eine gute Biographie lesen wollen, dann nehmen Sie einfach Helmuth Nürnbergers Fontanes Welt. Dann können Sie schon mitreden, wenn das Gespräch auf Fontane kommt. Und dann könnten Sie noch den großen Fontane Roman Ein weites Feld von Günter Grass lesen. Bis zu Fontanes Geburtstag am 30. Dezember könnten Sie damit fertig sein.

Freitag, 25. Januar 2019

Peter Bischoff ✝


Ich wusste, wer er war, als er mich eines Abends anrief, kannte ihn aber nicht persönlich. Das sollte sich in den nächsten Jahrzehnten ändern. Er äußerte damals seine Verwunderung darüber, dass ich in einer Publikation gesagt hatte, dass seine Interpretation von The Great Gatsby in ihrer Kürze das Beste sei, was man in deutscher Sprache lesen könne. Das tat man damals offensichtlich nicht: Wissenschaftler von einer anderen Uni zu loben. Die eigene wissenschaftliche 'Familie' loben, jederzeit, aber keine anderen. Die deutsche Anglistik hatte etwas von einem System der Inzucht an sich. Wir wurden schnell Freunde, unsere Telephongespräche nahmen über die Jahre eine epische Länge an. Als wir das letzte Mal telephonierten, konnte er kaum noch sprechen, der Krebs fraß ihn von innen auf. Nun ist Peter Bischoff gestorben, das ist sehr traurig.

Zu Weihnachten hatten wir noch E-Mails getauscht. Ich hatte ihm geschrieben, dass es mir zum ersten Mal gelungen sei, den Mitgliedsbeitrag für die Westerngesellschaft rechtzeitig zu überweisen. Die Gesellschaft war sein Baby, das er hätschelte und pflegte. Der amerikanische Westen und der Western war nichts Geringes, er ist ein Herzstück der amerikanischen Kultur. Auf der Homepage der Gesellschaft definierte die German Association for the Study of the Western, die seit 1993 Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften in Deutschland ist, ihren Forschungsgegenstand so:

Der Western ist die älteste eigenständige Gattung der Vereinigten Staaten. Als Roman, Short Story, Drama und Hollywood-Western präsentiert er in ständiger Variation Amerikas Gründungsmythos, indem er die Geburt einer Nation, deren Vergesellschaftung und Identitätsstiftung aus den gewaltsamen Wehen des Konflikts zwischen Zivilisation und Wildnis zwar in einem historisierenden Kontext stattfinden läßt, sich jedoch gleichzeitig implizit oder explizit mit zentralen amerikanischen Ideen und deren Wechselwirkung mit jeweils zeitgenössischen gesellschaftlichen Problemen befaßt. Der Western ist demnach Diskussionsforum der amerikanischen Staatsform im Spannungsfeld zwischen Demokratie, Meritokratie, Feudalismus und drohender Anarchie und gleichsam eine in typischen Varianten sich präsentierende Erzählung über die Gründung einer Nation im Westen, die im Begriff ist, sich zu etablieren und zu legitimieren. Der Schauplatz des Western ist an der frontier angesiedelt, dort wo durch die Kollision von Wildnis und Zivilisation, Anarchie und law and order, territorialem Feudalismus und demokratischer Staatsbildung Amerika sich stiftet, seinen Nationalcharakter formt und sein politisches sowie ethisches System einer ständigen Prüfung unterzieht. 

Eine eigene Zeitschrift besaß die Gesellschaft noch nicht, die Studies in the Western kamen einige Jahre später. Man begann erst einmal mit einem Newsletter, aber dann kamen die gelben Hefte von Studies in the Western, die immer inhaltsreicher wurden. Peter Bischoff warb eine Vielzahl von Beiträgern ein, auch mich. Es war mir eine Ehre, gleich im ersten Heft mit einem langen programmatischen Aufsatz zum Spätwestern zu erscheinen. Von da an war ich der Filmkritiker der Zeitschrift, schrieb aber auch über Cowboy Songs und Country & Western Musik. Als James Stewart starb, überredete er mich über Stewart zu schreiben. Das war eigentlich nicht so mein Ding, aber gegen Peter Bischoffs Überredungskunst war ich machtlos. Er besaß eine ungeheure Energie, die vita contemplativa war nichts für ihn, die vita activa schon. Ein intensives. leidenschaftliches Leben endet. Sein Engagement und Forschungsgeist zeichnet ihn  bis zuletzt aus, stand in der Todesanzeige. Besser kann man es nicht sagen.

Die Gründung der Gesellschaft, die Etablierung von Studies in the Western, in in wenigen Jahren ein großes Renommee erhielt, das waren schon Leistungen. Und dann war da noch das Archiv: Bücher, Filme, Tonaufnahmen. Und Originalplakate von Klaus Dill, dem König der Kinoplakate der sechziger Jahre. 1997 erschien von Bischoff herausgegeben eine Sammlung der Plakate von Klaus Dill in einer limitierten Auflage von 970 Exemplaren. 1998 war die Universität Münster noch stolz auf das Projekt, neun Jahre später warf man Bischoff hinaus (lesen Sie hier einen Bericht der Westfälischen Nachrichten). Das hat ihm sehr wehgetan, aber er machte weiter, auch wenn er vieles aus eigener Tasche bezahlte. Die Aktion der Uni war kleinlich und schäbig, woanders macht man aus geringeren Projekten einen Sonderforschungsbereich. Aber so sind Universitäten häufig, als Erwin Chargaff emeritiert wurde, ließ seine Uni am nächsten Tag die Schlösser zu seinem Labor auswechseln.

Peter Bischoff, der einen Magistertitel von der Brandeis Universität hatte und über Saul Bellows Romane promoviert hatte, besaß viele Freunde in Amerika. Die er nach Deutschland locken konnte. Manchmal bekamen wir in Kiel auch etwas davon ab. Joyce Roach brachte einen ganzen Hörsaal dazu, einen Cowboysong zu singen, sie wurde mit standing ovations verabschiedet. Und dann war da noch Sandy Marovitz, der seinen Vortrag über Ralph Waldo Emerson um eine Stunde überzog. Er schenkte mir zwei seiner Melville Bücher und einen quietschegelben Kugelschreiber von der Kent State University. Der liegt immer noch auf meinem Schreibtisch. Ich wollte ihm meinen letzten Melville Katalog von der Schleswiger Ausstellung schenken, aber den hatte er schon. Das Highlight von allen Veranstaltungen aber war Elmer Kelton bei der Tagung der Westerngesellschaft, dazu gibt es hier schon einen ausführlichen Post. Seinen Roman The Good Old Boys hat mir Elmer Kelton geschenkt, signiert. Da war ich für einen Augenblick einer der Good Old Boys.

Auf der Trauerkarte, die ich von Peter Bischoffs Familie geschickt bekam, standen die letzten Verse von Red Steagalls Gedicht The Code of the West hasn't Changed:

I'm sure that the years have reshuffled my cards,
And the hand that I play's rearranged.
But I'll die believin' we had a good time
And that the code of the West hasn't changed.

Das fand ich sehr schön und passend.

Montag, 21. Januar 2019

Arise, Dame Theresa


Heute muss sie liefern, da hilft nix. Ganz England wartet darauf, was Theresa May aus dem Hut zaubern wird. Wahrscheinlich kennt sie das kleine witzige Büchlein The Story of Brexit nicht. Bei Penguin in der Ladybird Reihe erschienen. Das hat mir gerade ein ehemaliger Student geschickt, der jetzt Professor in England ist. Was immer die Pastorentochter Theresa Mary sich ausdenkt, ihr Ende scheint nahe. Es gibt jetzt auch die Möglichkeit, dass ihr das Parlament die Macht aus der Hand nimmt. Und was macht man in England mit abgehalfterten Politikern? Sie werden heutzutage nicht mehr geköpft oder in den Tower geworfen, nein, man adelt sie. Der Cartoonist, den Sie alle schon aus diesem Blog kennen, hat sich da so seine Gedanken gemacht. Und präsentiert uns heute dies hier. Beachten Sie bitte die Cricket Symbolik.

Samstag, 19. Januar 2019

Omega 30 T2


Das Kaliber 30T2 von Omega ist das meistgebaute Handaufzugswerk der Firma Omega, von 1939 bis 1963 wurden über drei Millionen Werke gebaut. Hier ein früher Chronometer aus den vierziger Jahren (erkenntlich an der Feinregulierung auf dem Unruhkloben), der noch eine bimetallische Kompensationsunruhe, aber schon eine Incabloc Stoßsicherung und eine Zentralsekunde besitzt. Das erkennt man an dem Zahnrad, das auf den Räderwerkkloben aufgesetzt ist.

Die ersten von Henri Kneuss 1939 entwickelten Werke mit einer  gebläuten Breguetspirale sahen noch so aus, die Rosévergoldung und die Stoßsicherung kamen erst ab 1943. Die Zahl 30 in dem Namen des Werks (1949 ging man zu dreistelligen Kalibernummern über) bedeutet, dass das Werk 30 Millimeter groß ist, T2 heißt transformation deuxième, die Weiterentwicklung des originalen Werks. Die Werkgröße von 30 mm war wichtig, weil man sich mit dem Werk dann an den Präzisionswettbewerben beteiligen konnte. Die Omega dann ab 1945 alle gewann. Rolex spielte bei diesen Wettbewerben keinerlei Rolle und zog sich schmollend aus den Wettbewerben zurück. Lediglich der Firma Zenith gelang es, annähernd an Omega heranzukommen.

1945 gewann eine von Alfred Jaccard (Bild) einregulierte Omega den ersten Platz am Genfer Observatorium. Und von da an war Omega der Spitzenplatz an den Observatorien von Genf, Neuchatel und Kew Teddington nicht mehr zu nehmen. Das 30T2 wurde zum erfolgreichsten Präzisionswerk der Welt. Was bei den Wettbewerben in einem kleinen Holzkasten eingereicht wurde, war allerdings keine in ein Gehäuse eingeschalte Serienuhr, das waren Chronometer, an denen ein Regleur ein halbes Jahr gesessen hatte. Aber auch die serienmäßigen Chronometer (30 T2 RG) und die nicht zertifizierten Uhren mit dem 30 T2 erreichen heute im täglichen Gebrauch noch Spitzenwerte.

Der erste Großauftrag für das neue Kaliber kam aus England. Die Royal Air Force bestellte große Mengen. Im Jahre 1943 machten die 11.000 Uhren, die die Engländer bestellten, mehr als die Hälfte des Umsatzes von Omega aus. Omega war nicht der einzige Lieferant der Engländer, die anderen Schweizer Firmen, die irgendjeman mal the dirty dozen getauft hat (lesen Sie hier alles zu dem Thema), waren Buren, Cyma, Eterna, Grana (Certina), Jaeger Le-Coultre, Lemania, Longines, IWC, Record, Timor und Vertex. Letztgenannte Firma war englisch, arbeitete mit Revue Thommen zusammen und vermittelte Schweizer Uhren an die englische Regierung.Viele der Firmen des dirty dozen erhielten in den fünfziger Jahren Anschlußaufträge, auch die amerikanische Firma Hamilton war dabei. Die Anschlußaufträge liefen unter der Markierungsnummer 6B. Ab dem Ende der sechziger Jahre wurden die Schweizer Uhren durch die englische Smiths W10 abgelöst. Die Uhr sah aus wie ihre Vorgänger, besaß aber nicht die Qualität von Omega oder IWC.

Alle Uhren hatten ein schwarzes Zifferblatt, auf dem der broad arrow (der Regierungseigentum markierte) zu sehen war. Das Zeichen fand sich auch auf (und in) dem Gehäuseboden. Außerdem waren alle Uhren mit w.w.w. (waterpropf wrist watch) markiert. Das Gehäuse hatte in vielen Fällen noch ein Innengehäuse aus Weicheisen, um das Werk gegen Magnetismus zu schützen. Die Uhren von Omega und IWC erfüllten leicht und locker die Kritierien einer Chronometerprüfung, die W10 Uhren von Smiths definitiv nicht mehr. Heute tragen die Piloten der RAF Quartzuhren.

In das neutrale Schweden wurden in den vierzigen Jahren Uhren mit dem 30T2 geliefert, die unter den Namen Suverän oder Officer verkauft wurden. Das waren aber keine Militäruhren. Deutschland wurde im Zweiten Weltkrieg von Omega nicht beliefert. Die Militäruhren für die Engländer besaßen keine Stoßsicherung. Das ist eine kleine Ironie der Geschichte, dass alle Uhren, die an das deutsche Heer geliefert wurden, eine Stoßsicherung hatten. Die Militäruhren der Siegermächte USA und England besaßen keine.

Hier noch einmal eine schwedische Souverän. Die Uhr war eine cash cow für die schwedische Regierung, die die Uhren direkt bei Omega in Biel gekauft hatte und sie jetzt im Lande verkaufte. Meine Omega mit dem 30 T2 stammt aus der Mitte der vierziger Jahre. Sie hat einen Durchmesser von 36 mm, zur damaligen Zeit schon ein richtiger Jumbo. Sie hat neun Uhrmacherzeichen im Boden, damals empfahlen die Firmen, eine Uhr alle zwei Jahre zur Fabrik einzuschicken. Heute ist das nicht mehr nötig, die neuen Öle halten zehn Jahre.

Eine echte Omega aus der Zeit der Battle of Britain zu bekommen, wird schwer werden. Es gibt zu viele Fälschungen. Eine davon besitze ich, eine Omega, an der alles echt ist. Bis auf die Gravur auf dem Boden. Der Pfeil des Königs ist zwar auf Boden und Zifferblatt, aber die 6B Nummer stimmt nicht. Und es ist auch kein 30 T2 drin. Dafür aber ein Luxuswerk aus der 600er Familie, 2 adjustments und eine Schwanenhalsfeinregulierung. Läuft chronometergenau. Ich erzähle niemandem, dass es eine Fälschung ist.

Mittwoch, 16. Januar 2019

Brexit ?


Es ist ja ein Fest für die Karikaturisten, Gerald Scarfe, von dem diesem Cartoon stammt, scheint nichts anderes mehr zu tun zu haben, als Theresa May in absurden Situatationen zu zeichnen. The House has spoken and the government will listen, hat May nach der Niederlage gesagt. Hoffentlich hört sie gut zu. In seinem Gedicht The English Flag sprach Rudyard Kipling von den Engländern, die sich selbst genug sind und nicht auf andere Nationen hören. Das scheint eine verbreitete englische Krankheit zu sein. Sein Gedicht The English Flag datiert aus dem Jahre 1891, hat sich etwas geändert?

Bei jeder Last night of the Proms singen tausende am Schluß William Blakes Jerusalem:

And did those feet in ancient time,
Walk upon England's mountains green:
And was the holy Lamb of God,
On England's pleasant pastures seen!

And did the Countenance Divine,
Shine forth upon our clouded hills?
And was Jerusalem builded here,
Among these dark Satanic Mills?

Bring me my Bow of burning gold;
Bring me my Arrows of desire:
Bring me my Spear: O clouds unfold!
Bring me my Chariot of fire!

I will not cease from Mental Fight,
Nor shall my Sword sleep in my hand:
Till we have built Jerusalem,
In England's green and pleasant Land.

England als neues Jerusalem, die Liebe zu England wird hier religiös begründet. Wenn Blake von den dark Satanic Mills spricht, dann meint er die Fabriken, die jetzt in der Industrial Revolution in ganz England entstehen. Aber denen verdankt England seine Größe. Und die Engländer werden im 19. Jahrhundert in der Lage sein, den Reichtum aus der Industrialisierung und den Glauben an Gott miteinander zu verbinden. Theodor Fontane formuliert das wunderbar, wenn er schreibt: Sie sind drüben schrecklich runtergekommen, weil der Kult vor dem Goldenen Kalbe beständig wächst; lauter Jobber und die vornehme Welt obenan. Und dabei so heuchlerisch; sie sagen ›Christus‹ und meinen Kattun. Ein Jobber ist damals etwas anderes als heute, es ist ein Börsenspekulant.

In Shakespeares Richard II hält John of Gaunt eine flammende Rede, in der er die Schönheit England preist:

This royal throne of kings, this sceptred isle,
This earth of Majesty, this seat of Mars,
This other Eden, demi-paradise;
This fortress built by Nature for herself,
Against infection and the hand of war,
This happy breed of men, this little world,
This precious stone set in the silver sea,
Which serves it in the office of a wall,
Or as a moat defensive to a house,
Against the envy of less happier lands;
This blessed plot, this earth, this realm, this England ...

Doch etwas stört das idyllische Bild, das er da gezeichnet hat:

This land of such dear souls, this dear dear land,
Dear for her reputation through the world,
Is now leased out – I die pronouncing it –
Like to a tenement or a pelting farm.
England, bound in with the triumphant sea,
Whose rocky shore beats back the envious siege
Of watery Neptune, is now bound in with shame,
With inky blots and rotten parchment bonds.
That England that was wont to conquer others
Hath made a shameful conquest of itself.

Es ist die Regierung, die das schöne England zugrunde richtet. Für John of Gaunt ist das Richard II, heute ist das Theresa May.

Aus John of Gaunts this sceptred isle wird bei dem Cartoonisten Mel Calman im Jahre 1973 This pestered Isle. Das kleine gelbe Buch steht noch bei mir noch immer im Regal. Achten Sie mal auf dem Titelbild auf das englische Pfund, das links unten im Wasser versinkt. Englische Cartoonisten scheinen eine prophetische Gabe zu haben. Ich möchte zum Schluß etwas zitieren, was schon recht alt ist: We judge the inhabitants of other European nations, it is said, from our own insular point of view, are very unjust, admire the wrong men, and adore or detest equally without foundation. In contrast with these shifting, confused, and ill- informed judgments, we are asked to compare, greatly to the disadvantage of our more democratic times, the steady purpose and definite aims of England when it was under the rule of a governing class, and was the soul of the coalition against Napoleon. Das stammt nicht etwa aus der Diskussion der letzten Wochen. Das stand 1874 im Saturday Review.

Lesen Sie auch: Engländer

Dienstag, 15. Januar 2019

Wolf von Niebelschütz


Lies mal Wolf von Niebelschütz, sagte mein Freund Peter. Wir flüsterten uns immer die Geheimtips der Literatur zu. Ich verdanke ihm viel. Bis heute. Er hat mir auch Der schwarze Herr Bahßetub geschenkt, was mich sofort zu einem Albert Vigoleis Thelen Fan machte. Das erste, das ich von Wolf von Niebelschütz las, war Der blaue Kammerherr. Die beiden Bände der Suhrkamp Ausgabe von 1949 haben mich vor einem halben Jahrhundert zwei Mark gekostet. Für knapp tausend Seiten Lesevergnügen war das ein guter Preis. Der Feldwebel Wolf von Niebelschütz hatte diese Verherrlichung des Barockzeitalters im Krieg in Frankreich geschrieben, eine Flucht aus der Wirklichkeit. Die Sehnsucht nach dem irdischen Paradies ist so alt wie die Dichtung, und sie kann immer wieder zu ihrem Gegenstande werden. Ein einziges Mal ist das in der Nachkriegsliteratur geschehen, im ›Blauen Kammerherren‹ des deutschen Dichters Wolf v. Niebelschütz, einem Roman, der die gesamte Elendsliteratur durch seine Schönheit, Poesie und Kunstfertigkeit überragt; der die Welt verklärt statt sie zu trüben, der skeptisch und ironisch ist, statt tiefernst, voller Handlung statt voller Reflexion und traditionsgesättigt statt traditionsarm. […] Seinen Menschen ist das Leben eine große Commedia dell’arte – auch der Roman ist es. Er ist eine leuchtende Verklärung des Barock, schrieb Walter Boehlich. Als der galante Roman 1949 (im selben Jahr wie Arno Schmidts Leviathan) erschien, passte er schlecht in die deutsche Nachkriegsliteratur. Das Werk von Wolf von Niebelschütz passte nie irgendwohin.

Das nächste, was ich von ihm las, war das Langgedicht (130 Seiten lang) im Blankvers mit dem schönen schönen Titel Auch ich in Arkadien. Es ist der Bericht über eine Italienreise zur Tiepolo Ausstellung im Jahre, die Niebelschütz im Jahre 1951 mit seiner Frau gemacht hat. Das Buch hat lange gebraucht, bis es das Licht der Welt erblickt hat. Erst 1987 wurde es im Haffmanns Verlag veröffentlicht, da war Wolf von Niebelschütz schon lange tot. Das wunderbare Buch, das jedem Italienreisenden dringend ans Herz gelegt sei, hat hier allerdings schon einen Post.

In Como anzukommen, ist ein Traum -
Des Bahnhofs wegen: ach, welch süßer Bahnhof!
Welches süßes modernistisches Gebilde!
Flach apfelsinengelb dahingelagert,
Die sonnverglühten Ziegel weißgefugt,
Chromblinkende Metall-Applikationen,
Ein Zauberspiel aus Mauerwerk und Glas,
Majolika, Glyzinien, buntem Kiese;
Darunter tief das Königsblau des Sees;
Im nahen Hintergrund, in Weiß und Ocker
Mit Hunderten von Villen übertupft,
Mit nacktem Felsenaufbruch übersprenkelt,
Das satte Grün des Bergwalds von Brunate;
Und oben, fleckenlos aquarelliert,
Ultramarin in Idealverdünnung.
Sehr schwer zu malen, unwahrscheinlich leuchtend:
Akardiens Himmel - den beschreib ich nicht.


Ich hatte es vor Jahr zu Weihnachten der Astrid geschenkt, weil sie damals nach Italien reisen wollte. Die war natürlich schon mehrfach in Italien, weil sie eine Kunsthistorikerin ist. Aber dieses Italien, das wird sie noch nicht kennen. Wenn ich oben Tiepolo erwähnt habe, fällt mir dazu immer - ob ich es will oder nicht - der Professor Tintelnot ein, bei dem immer Tiepolo, Tizian und Tintoretto in der Vorlesung vorkamen. Ich hatte ihn im Verdacht, dass er nur Künstler behandelte, die wie er mit den Buchstaben Ti anfingen. Aber ich kann mich über mein Studium der Kunstgeschichte nicht beschweren, das habe ich wohl schon geschrieben, als ich über Professor Wolfgang J. Müller schrieb. Drei Professoren und achtundzwanzig Studenten, so etwas wird es nie wieder geben. Auch wenn ich gegenüber Tiepolo, Tizian und Tintoretto ein wenig allergisch bin.

Historisches Wissen in einen Roman gepackt, so kommt es mir vor. die Sätze sind ellenlang und gelegentlich verlor ich anfangs den Faden. Der Schreibstil / Ausdruck steht dem Erzählten irgendwie im Weg. Schade, schreibt ein Leser über Die Kinder der Finsternis bei lovelybooks. Dabei ist der Schreibstil das Großartige an diesem Fantasy Roman aus der Provence im 12. Jahrhundert. Ich gebe einmal eine kleine Probe vom Anfang des RomansEs lag ein Bischof tot in einer Mur am Zederngebirge fünf Stunden schon unter strömenden Wolkenbrüchen. Die Mur war hinabgemalmt mit ihm und seinen Karren und seinen Maultieren und seiner Geliebten, unter ihm fort, über ihn hin, als schmettere das Erdreich ihn in den Schlund der Hölle, kurz vor Anbruch der Nacht. Fünf Stunden donnerten die Gießbäche, Felsen und Schuttlawinen; die Bergflanke bebte. Fünf Stunden kauerte die Geliebte neben dem Gehaßten, unverletzt, naß bis zur Haut, frierend, obwohl es warm war. Fünf Stunden schrien und keilten hufoben die Mulis und rüttelten durch das verknäulte Geschirr den Wagenkasten, der ohne Räder hintüber auf dem Steinmeer saß, bedeckt von grauenvoller Dunkelheit. In der sechsten hob sich die Regenbank, der Mond jagte hinter finsteren Schleiern und bestrahlte im Winkel den weich lehnenden Leichnam, dessen Blicke erglitzerten, loschen, glitzerten. Sein höhnisch zudringliches Schillern steigerte die Angst der Verlassenen. Aus Angst, er sei nur betäubt gewesen, wagte sie nicht, ihm die Lider zu schließen; aus Angst vor den Muren wagte sie keine Flucht. Zwanzig Klafter tiefer gischtete der Wildfluß, Ziel aller Wächten und Tobel. Wohin flüchten? zu wem? Niemandem konnte sie begegnen, der nicht Böses vorhatte, niemand in der Mauretanischen Mark öffnete nachts ein Haus, die Nächte waren von Raubkatzen durchschlichen. Nicht einmal wehren konnnte sie sich: Dom Firmians Schwertgurt, beim Fallen hinausgeschleudert, ruhte unter Klötzen begraben am Grunde der Schlüfte. Auch beten konnte sie nicht mehr, hatte der Bischof doch alles Fromme in ihr zunichte gemacht.

Das ist doch mal etwas zum Lesen.

Sonntag, 13. Januar 2019

Tristesse


Ein Leser schrieb mir unlängst, dass in manchen meiner Texte immer ein Unterton von Traurigkeit mitschwingt. Das kann sein, ich nehme an, dass das in den autobiographischen Texten stärker zu spüren ist, als in der anderen. Nicht, dass ich darauf anlegte wie die Dichter des Barock, die nur von der Zerbrechlichkeit der Welt und der Vergänglichkeit der Schönheit sprechen. Die Tristesse, von der ich rede, überkommt einen immer zuerst im November: whenever it is a damp, drizzly November in my soul. Das sagt Melvilles Ishmael gleich im ersten Kapitel von Moby-Dick. Ishmael sucht die Weite des Meeres als Flucht aus der seelischen Ödnis. Aber vielleicht ist das auch eine Gefahr: Mais la tristesse en moi monte comme la mer. Den November verbindet auch Gottfried Benn mit der Tristesse, wenn er in der letzten Strophe seines Gedichts Tristesse schreibt:

Und dann November, Einsamkeit, 
Tristesse, Grab oder Stock, der den Gelähmten trägt -
die Himmel segnen nicht, nur die Zypresse
der Trauerbaum, steht groß und unbewegt

Das französische Wort tristesse schleicht sich im 18. Jahrhundert in die  deutsche Sprache ein. Doch was im Zeitalter der Empfindsamkeit vielleicht noch ein echtes Gefühl war, verkommt immer mehr zu einer Mode. Wie in Bonjour Tristesse oder Tristesse Royal. Die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts hat ihre Quellen in der französischen Literatur. Das würde ich so nicht sagen, aber ich habe das letztens Sandra Richter, die neue Direktorin des Marbacher Literaturarchivs, in einem Interview sagen hören. Man kann für den französischen Einfluss sicher Beispiele finden, unser großer Friedrich hatte seinen Voltaire, Louis Philippe war Tanzlehrer in Friedrichstadt. Aber was ist mit der grünen Insel? Die denken noch nicht an den Brexit, die haben jetzt Könige aus Hannover. Und sie haben Exportartikel: die englische Herrenmode, die schottische Philosophie und den englischen Roman. Die Engländer gelten gemeinhin als gefühlskalt, ein Satz wie Montaignes erster Satz aus seinem Essay De la TristesseJe suis des plus exempts de cette passion, et ne l'ayme ny l'estime : quoy que le monde ayt entrepris, comme à prix faict, de l'honorer de faveur particulière. Ils en habillent la sagesse, la vertu, la conscience. Sot et vilain ornement, scheint für sie formuliert worden zu sein.

Der englische Roman kommt gleich nach seinem Beginn in vielen Formen daher. Eine davon ist die sentimental novel (manchmal auch novel of sensibility genannt), ein Romantitel wie The Man of Feeling ist geradezu ein Programm. Das sentimental findet sich auch in Romantiteln wie A Sentimental Journey Through France and Italy von Laurence Sterne, Johann Christoph Bode hat das Buch als Yoriks empfindsame Reise ins Deutsche übersetzt. Das Wort empfindsam war neu im Deutschen. Wörter verändern mit der Zeit ihren Sinn, das Lehnwort tristesse behält im Gegensatz zur Saudade seinen Sinn nicht. Es bedeutet eher eine Langeweile, die Melancholie ist dahin. Aber die Wörter mögen ihre Bedeutung verlieren, die tristesse in uns bleibt.

Adieu tristesse,
Bonjour tristesse.
Tu es inscrite dans les lignes du plafond.
Tu es inscrite dans les yeux que j'aime
Tu n'es pas tout à fait la misère,
Car les lèvres les plus pauvres te dénoncent
Par un sourire.
Bonjour tristesse.
Amour des corps aimables.
Puissance de l'amour
Dont l'amabilité surgit
Comme un monstre sans corps.
Tête désappointée.
Tristesse, beau visage.


Donnerstag, 10. Januar 2019

Datenklau


Dass es in der ewigen Nacht der virtuellen Welt Datenklau gibt, das wusste man. Das Netz lädt ja geradezu dazu ein. Dass das aber außer Hackern und Geheimdiensten auch schon zwanzigjährige Schüler können und alle Sicherheitssysteme austricksen, das ist neu. Ich zähle nicht zu den Politikern und Prominenten, die jetzt durch das Doxing einen Schaden haben. Von mir sind keine Daten geklaut worden, das ist beruhigend. Alles, was man über den seit neun Jahren schreibenden Blogger Jay wissen kann, steht hier. Wieviele Leser ich im Januar 2010 hatte, weiß ich nicht, Google zählt mich erst seit Ende Juli 2010.

Vorgestern hatte ich schon zum Frühstück 1.341 Leser, eine schöne Zahl. Mitternacht waren es über zweitausend. Viele der Leser hatten den Post Borgward angeklickt, weil es im Fernsehen einen Film über die Bremer Automarke gegeben hatte (Sie können den Film hier noch einmal sehen). Und danach hier lesen, dass J.D. Salinger, die Greta Garbo der amerikanischen Literatur, auch mal einen Borgward gefahren hat. Alle Posts in meinem Blog sind noch da, bis zurück zum Januar 2010.

Ich betone das, weil auch manches aus dem Internet verschwindet. Bei vielem ist es nicht schade drum. Manchmal ist das auch eine kleine Katastrophe. Der im Herbst 2017 verstorbene Hans Fander hatte eine Seite im Internet, auf der er seine Geschichten erzählte. Wunderbare Geschichten, er war ein geborener Erzähler. Die sind jetzt alle verschwunden. Die Familie konnte sich nicht auf die Fortführung der Seite einigen, seine Lebensgefährtin Gerlinde (hier neben ihm auf dem Photo) hatte nichts zu sagen. In meinem Blog lebt Hans Fander weiter, da wird nichts gelöscht. Mir redet niemand drein. Ich habe nach Jahren herausgefunden, dass ich meinen ganzen Blog, alle 2.282 Posts, sichern kann. Mache ich jetzt jede Woche. Damit Sie immer alles lesen können.

P.S. Und man kann auch alles von Hans Fander noch lesen. Mich hat gerade ein Leser angerufen, um mir zu sagen, dass es an anderer Stelle noch diese Seite gibt. Alle Erzählungen sind noch da.

Dienstag, 8. Januar 2019

Bauarbeiten


Ich schreibe jetzt unsere Geschichte auf, sagte ich ihr am Telephon. Da musst Du Dich aber beeilen, sagte sie. Beeilen, weshalb? Weil wir schon so alt sind? Theodor Fontane war fünfundsiebzig, als er
den autobiographischen Roman Meine Kinderjahre und Effi Briest schrieb. Aber es ist richtig: die Zeit eilt im Sauseschritte, ich sollte mich beeilen. Meine Freundin weiß nicht, wieviel an Autobiographischem ich schon geschrieben habe, sie liest meinen Blog nicht. Die Sache mit unsere Geschichte ist doppeldeutig. Woran ich schreibe, ist zwar eine Geschichte von ihr und mir, aber es ist auch die Geschichte unserer Generation. Kriegskinder, dann das Wirtschaftswunder, dann 1968 und die wilden siebziger Jahre. Für meine Heimatstadt ist es erst einmal eine Zeit der Zerstörung und der amerikanischen Besatzung, aber für uns sind es dann auch echte amerikanische Jeans und AFN.

Die autobiographischen Erinnerungen waren von Anfang an in meinem Blog. Ich war gerade mal zwei Tage in der schönen neuen Welt der Blogosphäre, als ich schrieb: Vor einem halben Jahrhundert bin ich in der Nacht mit dem Fährschiff von Kopenhagen nach Bornholm gefahren. Es war eine schöne Sommernacht, die kleine Meerjungfrau hatte bestimmt ihren Platz auf dem kleinen Felsen an der Langen Linie verlassen und ist uns nachgeschwommen. Irgendwann in der Nacht hat ein dänisches Mädchen auf dem Oberdeck ein Lied gesungen, das klang wunderschön. Ich habe es nie vergessen. Aber jetzt, wo ich im Alter angefangen habe, meine Lebensselbstbeschreibung (vulgo Autobiographie) zu schreiben, fehlt mir der Titel des Liedes. Ich weiß nur noch, dass Wald darin vorkam. Und Einsamkeit.

Bevor ich den Blog begann, schrieb ich an meiner Lebensselbstbeschreibung. Nach einem Jahr hatte ich knapp fünfhundert Seiten geschrieben. Ich hatte einen Plan, was alles in den Text hinein sollte.  Einen Bauplan für das memoria Gebäude. Pläne sind erst einmal immer gut. Ob was daraus wird, zeigt sich beim Schreiben. Ein Kapitel, das noch fehlte, waren Strände vom Schönebecker Sand, dem Paradies unserer Jugend, bis zum gleißend weißen Sand von Dueodde. Das Kapitel wäre leicht zu schreiben, denn Sandstrände waren schon häufig in diesem Blog erwähnt worden. Natürlich werden die Strände mit hübschen langbeinigen Frauen besiedelt, und die kleine Schlampe unten aus dem Ort, die mit sechzehn mit einem gehäkelten Bikini aus grüner Wolle zum Schönebecker Sand kam, die werde ich natürlich auch nicht vergessen. Nein, das Kapitel war easy, deshalb habe ich erst einmal liegenlassen.

Mehr Arbeit wird das Kapitel über Villen und Landgüter bereiten. Das Schloss der Lahusens kommt da natürlich hinein, die Villa von Arnold Duckwitz auch. Und dann sind da noch diese ganzen pseudogotischen Schlösser (wie hier das Schloss in Wätjens Park), die sich reiche Bremer im 19. Jahrhundert bauen lassen. Die Hamburger sind da anders, Kaufleute und Bankiers wie Georg Friedrich Baur, Jenisch und Godeffroy setzen auf kühlen weißen Klassizismus, die Bremer auf Scheußlichkeiten des Gothic Revival.

Eines dieser Bauwerke steht vor den Toren Bremens in Leuchtenburg. Ein Bremer Kaufmann, der mit einer Engländerin verheiratet war, hat ein Jahrhundert nach Strawberry Hill hier Lowther Castle nachgebaut (na ja, nicht das ganze Schloss Lowther Castle, sondern nur einen Seitenflügel). Riesiger Park drumherum. Später hat er es an einen gewissen George Albrecht verkauft, der eine Tochter des Barons Knoop geheirate hatte. Sein Enkel Ernst Albrecht wuchs hier auf. War mal Ministerpräsident von Niedersachsen (und ist der Vater von Ursula von der Leyen). Später hat die Familie es verkauft, es diente dann der Lufthansa als Pilotenschule, heute ist es ein Hotel. Natürlich ist der Park nicht mehr so herrlich vergammelt wie in meiner Jugend, das Haus sah damals so aus, als ob alle Edgar Wallace Filme da drin gedreht worden seien.

Vieles von der einstigen Pracht steht nicht mehr. Das Schloss, das sich der Baron Knoop hat bauen lassen, ist nur noch auf einem Gemälde und alten Photographien zu sehen. Die Villa Lesmona, Heimat von Marga Berck, die den bittersüßen Briefroman Sommer in Lesmona schrieb, ist 1980 ausgebrannt (und zum Teil restauriert). Verschwunden ist auch das im neugotischen Tudorstil von dem Bremer Architekten Heinrich Müller für Christian Heinrich Wätjen gebaute Schloss. Peter hat mir damals gezeigt, wie man da hineinkommt. War alles streng verboten. Heute ist Wätjens Park öffentlich zugänglich, aber die scheußlich-schönen Bauten sind nicht mehr da.

Natürlich gibt es auch Landgüter, deren Besitzer nicht dem englischen Gothic Revival Kult verfallen waren. Nicht jeder ist ein Fürst Pückler. Als ich den Post zu dem deutschen Aufklärer Helfrich Peter Sturz schrieb, hatte ich erwähnt, dass er auf dem Landgut eines Bremer Freundes gestorben ist. Das Gut Landruhe gibt es heute noch, mein Freund Peter weiß mehr darüber als ich. Nachdem er den Post zu Sturz gelesen hatte, schickte er mir Tage später ein Buch über das Gut und seine Besitzer. Das war der Abschlussbericht zu den Restaurierungsarbeiten, die er für das Landesamt für Denkmalschutz geleitet hatte. Privatdruck, nie im Buchhandel.

Ich bin der Architekt des Gebäudes meiner Erinnerungen, ich stehe vor dem Haus und habe meinen Plan in der Hand. Die Rhetorik von Antike und Renaissance stellte sich, wie Frances Yates in the Art of Memory gezeigt hat, ein Haus vor, in dem man bestimmte Teile einer Rede unterbrachte. Soweit sind wir noch nicht, das Haus der Erinnerung ist noch nicht fertig, ich weiß noch nicht, was in welches Stockwerk kommt. In den letzten neun Jahren habe ich immer wieder kleine Teile meines Manuskripts in diesem Blog untergebracht. Auch das Fundament, das erste Kapitel, das den Titel Das schwarze Heft hat. Wenn Sie diese autobiographischen Fragmente lesen wollen (und das wollen offensichtlich ganz viele Leser), dann finden Sie die als Links auf dieser Seite.

Samstag, 5. Januar 2019

'round mighnight


Ich habe mich noch nicht umgezogen, der englische Schlafanzug liegt noch neben mir. Ich trage das, was ich im Haus immer trage: ein italienisches Luxushemd, Chinos und ein Sweatshirt. Das Zimmer ist dunkel, ich habe das Licht gelöscht. Ich höre Radio, NDR Kultur. Der Sender beschreibt seine nächtliche Sendung so: Klassik trifft Neo Classical, Weltmusik, Pop, Jazz oder Electronica. Bei NDR Kultur Neo begleiten wir Sie montags bis freitags von 22.35 Uhr bis Mitternacht mit einem grenzenlosen Musikmix durch die letzten Stunden des Tages. Vielfältig, handverlesen und kunstvoll collagiert. 

Es gibt da vor Mitternacht immer etwas zu entdecken. Gestern war es Rosemary Standley. Klang ein wenig wie die Madeleine Peyroux CD, die Gabi mir mal geschenkt hat. Sie sang den signature song von Leonard Cohen, aber ihr Bird on the Wire klang ganz anders als bei Leonard Cohen. Am besten, Sie hören hier in der Dunkelheit der Nacht einmal hinein.

Freitag, 4. Januar 2019

Spezimatik


Uhren aus Glashütte hatten einen guten Ruf. Auf jeden Fall vor hundert Jahren. Aber nach dem Ersten Weltkrieg sah es in Glashütte traurig aus, beinahe alle Betriebe drohten in der Weltwirtschaftskrise unterzugehen. Dem von den Banken eigesetzten Dr Ernst Kurtz gelingt es, das Firmengeflecht neu zu ordnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird er zuerst in Schwäbisch-Gmünd und dann in Ganderkesee (lesen Sie hier mehr) das erste deutsche Armbanduhrenwerk mit einer Breguetspirale zu bauen. Zu dieser Zeit existiert die berühmte Firma Lange noch und baut das Kaliber 28. Steine in Chatons und Glashütter Sonnenschliff auf dem Sperrrad, aber keine Stoßsicherung und keine Glucydurunruhe. Man hat keine Devisen, um diese Dinge in der Schweiz zu kaufen.

Kurz danach heißt alles GUB (Glashütter Uhrenbetriebe), und man baut das Kaliber 60 (das den Kalibern Kurtz 25 und UMF 2 in Brücken- und Platinenform ähnelt). Es gab das Werk mit und ohne Stoßsicherung. Das ist sicher noch Qualität, verglichen mit dem, was noch kommen wird. Und damit meine ich das zweite Automatikwerk der GUB, das den Namen Spezimatic bekommen wird.

Die Kaliber 74 und 75 sind sehr schlicht, man könnte auch sagen: sehr scheußlich. Das Werk war nicht das erste Automatikwerk aus Glashütte. Ab 1958 gab es schon das auf dem Rotor als Automat bezeichnete Kaliber 67. Ebenso scheußlich wie die Spezimatic. Das Werk hatte zuerst eine Incabloc Stoßsicherung, danach bekam es eine hauseigene Stoßsicherung. Auch der Name auf dem Zifferblatt veränderte sich, aus GUB wurde Glashütte.

Man muss die Uhr mögen, 3,5 cm im Quadrat, vergoldet. 14 Karat Golddouble steht auf dem Stahlboden. Made in Germany steht da auch noch. Dass sie wasserdicht ist, steht da auch. Das wurde mit einfachen, aber effektiven, Mitteln erreicht: das dicke Plexiglas hat einen Armierungsring, und Krone und Boden haben eine Gummidichtung. Auf dem Zifferblatt findet sich noch der Modellname Bison, eine Sonderedition der Spezimatik, die als unkaputtbar galt. Ich habe meine Spezimatik seit Silvester am Arm, das Erstaunliche ist, dass sie nach mehr als einem halben Jahrhundert sehr genau geht. Meine hat mich mal zehn Mark gekostet, heute muss man für dieses Modell schon richtiges Geld auf den Tisch legen.

Das Standardwerk zu den Armbanduhren aus Glashütte bleibt Kurt Herkner Glashütter Armbanduhren Band 2. Im Internet findet sich zu dem Thema Glashütte hier eine ganz vorzügliche Seite.

Mittwoch, 2. Januar 2019

Jahresbeginn


Ich schaue mir den Film C'etait un rendez-vous von Claude Lelouch jede Woche einmal an, es ist auch ein wenig Nostalgie dabei, weil es mich an die Nacht in Paris im Jahre 1959 erinnert. Den Film hatte mir Astrid vor Jahren mit der Musik von Snow Patrol geschickt, der hat aber nicht die Originallänge. Wenn Sie jetzt rasant in das neue Jahr kommen wollen, dann setzen Sie sich zu Claude Lelouch ins Auto und fahren mit ihm morgens um fünf durch Paris. Er wird danach keinen Führerschein mehr haben, Sie dürfen Ihren natürlich behalten. Klicken Sie hier.

Wenn Sie aber langsamer in das neue Jahr kommen wollen, dann lesen Sie das wunderbare Gedicht Meine Seele hat es eilig von Ricardo Gondim (das auch Mario de Andrade zugeschrieben wird), das mir Gerlinde Kammholz gestern zugeschickt hat:

Ich zählte meine Jahre und entdeckte,
dass mir weniger Lebenszeit bleibt als die, die ich bereits durchlebte.

Ich fühlte mich wie jenes Kind, das eine Packung Süßigkeiten gewann:
Die ersten aß es mit Vergnügen, doch als es merkte,
dass nur noch wenig übrig waren, begann es sie wirklich zu genießen.

Ich habe keine Zeit mehr für unendliche Konferenzen,
wo man Statuten, Normen, Verfahren und interne Vorschriften diskutiert,
wissend, dass nichts erreicht wird.
Ich habe keine Zeit mehr, absurde Menschen zu ertragen,
die ungeachtet ihres Alters nicht gewachsen sind.

Ich habe keine Zeit mehr,
mit Mittelmäßigkeiten zu kämpfen.

Ich will nicht in Meetings sein, wo aufgeblähte Egos aufmarschieren.
Ich vertrage keine Manipulierer und Opportunisten.
Mich stören die Neider, die versuchen, Fähigere in Verruf zu bringen,
um sich ihrer Stellen, Talente und Erfolge zu bemächtigen.
Die Menschen, die keine Inhalte diskutieren, sondern nur die Titel.

Meine Zeit ist zu knapp, um Überschriften zu diskutieren.
Ich will das Wesentliche, denn meine Seele hat es eilig.

Ohne viele Süßigkeiten in der Packung…

Ich möchte neben Menschen leben, die sehr menschlich sind.
Die über Fehler lachen können.
Die sich auf ihre Erfolge nichts einbilden.
Die sich nicht vorzeitig berufen fühlen.
Die nicht vor ihrer Verantwortung fliehen.
Die die menschliche Würde verteidigen.
Und die nur an der Seite der Wahrheit und Rechtschaffenheit gehen möchten.

Das Wesentliche ist das, was das Leben lohnenswert macht.

Ich möchte mich mit Menschen umgeben, die das Herz anderer zu berühren wissen.
Menschen, denen die harten Stöße des Lebens beibrachten,
zu wachsen mit sanften Berührungen der Seele.

Ja…ich habe es eilig…um mit der Intensität zu leben, die nur die Reife geben kann.
Ich versuche, keine Süßigkeiten mehr zu verschwenden, die mir noch bleiben.

Ich bin sicher, dass sie köstlicher sein werden als die,
die ich bereits gegessen habe.

Mein Ziel ist es, das Ende zufrieden zu erreichen-
in Frieden mit mir, meinen Liebsten und meinem Gewissen.

Wir haben zwei Leben und das zweite beginnt,
wenn du merkst, dass du nur eines hast.