Donnerstag, 24. November 2016

Digressions, incontestably, are the sunshine


Digressions, incontestably, are the sunshine;—they are the life, the soul of reading;—take them out of this book for instance,—you might as well take the book along with them... Das sind Worte, die als Untertitel für meinen Blog stehen könnten. Ich liebe diese Digressionen. Und sie als Leser haben sich längst daran gewöhnt und folgen den mäandernden Gedanken dieses Bloggers. Das Zitat stammt natürlich von dem Meister der Abschweifung, dem unnachahmlichen Laurence Sterne, der heute Geburtstag hat. Von ihm habe ich noch ein anderes Zitat, das sich jeder Blogger an den Schreibtisch kleben sollte, so wie Herman Melville an seinen Schreibtisch einen ➱Zettel geklebt hatte, auf dem stand: Keep true to the Dreams of thy Youth. Das Zitat von Sterne ist ganz kurz: I begin with writing the first sentence—and trusting to Almighty God for the second.

Die englischen Autoren, die im 18. Jahrhundert den Roman erfinden, haben viel Zeit. Ihre Leser auch. Und so neigen die auktorialen Erzähler des Romans zu Digressionen. Wer heute über sein Mobiltelephon Kurzbotschaften versendet, neigt nicht zu Digressionen. Die wunderbaren Nebensächlichkeiten, die den Erzähler nie dazu kommen lassen, zur eigentlichen Handlung zurückzukehren, haben mit dem 18. Jahrhundert nicht aufgehört. Ich kann da nur die Lektüre des Romans Der schwarze Herr Bahßetup von ➱Albert Vigoleis Thelen empfehlen.

Schon der erste Band von The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman hatte den englischen Landpfarrer zur europäischen Berühmtheit gemacht. Nicht unbedingt überall in ➱England. ➱Dr Johnson urteilte: Nothing Odd Will Do Long. 'Tristram Shandy' Did Not Last. Horace Walpole fand die Digressionen furchtbar und verdammte das Werk: At present, nothing is talked of, nothing admired, but what I cannot help calling a very insipid and tedious performance: it is a kind of novel, called ' The Life and Opinions of Tristram Shandy' the great humour of which consists in the whole narration always going backwards. I can conceive a man saying that it would be droll to write a book in that manner, but have no notion of his persevering in executing it. It makes one smile two or three times at the beginning, but in recompense makes one yawn for two hours. Der damals angesehene Professor Professor Richard Farmer warnte die Studenten des Emmanuel College in Cambridge: You young men seem very fond of this Tristram Shandy; but mark my words, and remember what I say to you; however much it may be talked about at present, yet depend upon it, in the course of twenty years, should any one wish to refer to the book in question, he will be obliged to go to an antiquary for it.

Wie man sich doch täuschen kann, Tristram Shandy, diese cock and bull story, wird noch immer gelesen. Wer kennt noch Professor Farmer? Der Roman ist - wie beinahe alle englischen Romane aus dieser Zeit - schon früh ins Deutsche übersetzt worden. Es hat seit 1769 eine Vielzahl von deutschen Übersetzungen gegeben. Eine Übersetzung hätten wir alle sicher gerne gelesen, nämlich die des Mannes, der 1825 an den Verleger Brockhaus schreibt:

Da ich sehe daß Sie eine Sammlung Uebersetzungen klassischer Romane des Auslandes veranstalten, würde ich mit vielem Vergnügen die des unsterblichen Tristram Shandy von Sterne übernehmen. Es ist eines von den Büchern, die ich immer wieder lese. Es giebt zwar eine deutsche Uebersetzung, ich denke von Bode, die gut seyn soll, ich kenne sie nicht: allein die Sprache ist wohl nicht mehr die heutige, und man macht jetzt größere Ansprüche. In jedem Fall würde ich ganz unabhängig davon und sehr con amore übersetzen, um den ganzen Eindruck und Geist des köstlichen Originals lebendig wiederzugeben, und da ich der englischen Sprache, die ich jung in England erlernte, fast so mächtig als meiner eigenen bin, so darf ich hoffen etwas sehr vollkommenes zu Stande zu bringen.

Brockhaus vertröstete den Mann auf die ferne Zukunft, er wolle erst einmal warten, wie die neue Reihe einschlägt. Das Verhältnis zu dem Mann, der der englischen Sprache ... fast so mächtig als meiner eigenen war, war sowieso nicht das beste. Denn wenige Jahre zuvor hatte der ihm geschrieben: Ich habe nicht des Honorars wegen geschrieben, wie die Unbedeutsamkeit desselben von selbst beweist; sondern um ein lange durchdachtes und mühsam ausgearbeitetes Werk, die Frucht vieler Jahre, ja eigentlich meines ganzen Lebens, durch den Druck zur Aufbewahrung und Mitteilung zu bringen. Woraus folgt, daß Sie nicht etwa mich anzusehen und zu behandeln haben wie Ihre Konversationslexikons-Autoren und ähnliche schlechte Skribler, mit denen ich gar nichts gemein habe als den zufälligen Gebrauch von Tinte und Feder. Das Werk, um das es in diesem Brief geht, ist Die Welt als Wille und Vorstellung. Und der Mann, der so gerne con amore den Tristram Shandy übersetzt hätte, ist natürlich niemand anderer als Arthur Schopenhauer.

Ich weiß nicht, ob die neue Übersetzung des Romans von Michael Walter wirklich so viel besser ist als die erste Übersetzung von Johann Joachim Christoph Bode. Ich könnte da die alte Manesse Ausgabe mit einem Vorwort von ➱Fritz Güttinger empfehlen, zumal dort die Bodesche Übersetzung von Ilse Leisi-Gugler (deren Gatte schon in den Posts ➱Michael Drayton und ➱Gisela von Stoltzenberg auftaucht) leicht überarbeitet worden ist. Wenn Sie den Roman in der Originalsprache lesen wollen, dann sollten Sie die von Joan und Melvyn New edierte Florida Edition, die es als Penguin Paperback gibt, benutzen. Auf keinen Fall sollten Sie die Graphic Novel von Martin Rowson lesen (ein Weihnachtsgeschenk, für das ich jemanden immer noch hasse). Und nehmen Sie sich Zeit. Denken Sie an den Satz, der gestern hier stand: Reading novels needs almost as much talent as writing them.


Laurence Sterne hat hier schon zwei Posts: Laurence Sterne und Trismegistus. Die glücklicherweise häufig angeklickt werden. Und dann wird der Autor noch erwähnt in den Posts: 18th century: Grand Tour, Nachtfahrt, SoFi, Friedrich Theodor Vischer, Gräber

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