Dienstag, 15. November 2016
Der Herr Kortüm
Der Herr Kortüm ist ein Roman von Kurt Kluge. Wenn Sie wollen, können Sie den Roman über einen kauzigen Sonderling, Sohn eines großen Hamburger Weltkaufmanns, ➱hier lesen. Über diesen Herrn Kortüm heißt es im Roman: Es war ihm ein Genuß, der Welt, die fortwährend Böses log, einmal das Gute vorzulügen. Er wollte dem Schönen eine Gasse schlagen durch die Wirklichkeit. Der zum Dorfwirt gewordene Friedrich Joachim Kortüm hat viele phantastische Ideen und manchmal wunderbare Weisheiten. Wie zum Beispiel: Humor ist metamorphorisierte Tragik. Aber davon soll hier heute nicht die Rede sein. Hier ist heute die Rede von dem Herrn Bernd Kortüm. Das ist ein Hamburger Reeder (aber kein Sohn eines großen Hamburger Weltkaufmanns), der sich gerne in der Tradition des Hamburger Patriziats sieht. Das Einzige, das ihn mit dem Romanhelden von Kurt Kluge verbindet, wäre der Satz: Schulden hat er so viel wie Tannenzapfen im Walde hängen.
Bernd Kortüm besitzt kein Gasthaus, das Schottenhof heißt, wie der Herr Kortüm, er besitzt ein adeliges Gut in Schleswig Holstein. Nicht so groß wie ➱Schierensee, das dem garnichtsdazubezahlt Fielmann gehört, aber immerhin. Kortüms Reederei ist eigentlich pleite, doch, wie es bei Hölderlin heißt: Wo aber Gefahr ist, wächst Das Rettende auch. Denn just in diesem Augenblick erlässt ihm seine Bank die Schulden. Es handelt sich hierbei nicht um die paar Millionen Steuerschulden, die der ➱singende Augenarzt aus Kiel hat. Hier handelt es sich um Schulden von 547 Millionen Euro. Ein bedingter Forderungsverzicht der Bank. Einzelheiten werden nicht mitgeteilt, weil eine Vertraulichkeitserklärung besteht. Die großzügige Bank steht - beiläufig gesagt - auch vor der Pleite, sie soll verkauft oder abgewickelt werden. Da ist es in der Endphase ja egal, wo so'ne halbe Milliarde bleibt. Es ist ja nicht das Geld der Manager, es ist das Geld der Steuerzahler.
Die leicht kriminelle Bank heißt HSH Nordbank, und sie hatte mal einen Manager, der gemeinhin Dr No hieß. Der war natürlich nicht der Dr No aus dem ➱James Bond Film, aber als Kinderschreck zu Halloween kann man ihn bestimmt noch gebrauchen. Da sind wir nun in der Welt die fortwährend Böses log. Die Länder Schleswig-Holstein und Hamburg mussten Milliarden aufbringen, um ihre Bank zu retten, nachdem Dr No sie durch Spekulationsgeschäfte an den Rand der Pleite gebracht hatte. Das mathematische Genie erhielt aber bei seiner Entlassung eine Abfindung von vier Millionen Euro. Wo nimmt unsereins die Heiterkeit her, wenn es schief geht? Aus der Erinnerung - Es lernt sich! Das steht in Der Herr Kortüm. Aber Dr No muss wieder vor Gericht, hat der Bundesgerichtshof vor vier Wochen gesagt. Im Beirat der HSH Nordbank war übrigens elf Jahre lang auch der Herr Kortüm. Nicht der Kauz von Kurt Kluge, sondern der Hamburger Reeder. Der Weg zur Hölle ist mit guten Bekannten gepflastert, steht in Der Herr Kortüm. Spätestens hier bekommt die Sache mit dem Schuldenerlass ein kleines G'schmäckle.
Hier wird ein Schiff irgendwo in Asien abgewrackt. Herr Kortüm sieht ein Bild wie dieses gerne: Im Moment ist noch jedes Schiff, das im Hochofen landet, ein gutes Schiff, hat er gesagt. Er hat mehr als fünfzig Containerschiffe (angeblich waren es mal hundert), die er verchartert, jedes Schiff weniger auf See hebt seine Chancen, mit seinen Schiffen Geld zu machen. Und so lebt das Geschäft von billigen Seelenverkäufern, meist in Korea gebaut. Alle ausgeflaggt, damit man keinen deutschen Kapitän bezahlen muss und der Germanische Lloyd die Sicherheit nicht kontrollieren kann. Obgleich Kortüm damit prahlt, dass seine Schiffe zurückgeflaggt seien, zeigen nur acht seiner Schiffe die deutsche Flagge. Da bekommt der Satz O wie schön ist Panama von ➱Janosch doch gleich eine andere Bedeutung.
Dieses Bild zeigt nicht das adelige Gut des Herrn Kortüm. Das Bild zeigt, wie es unter Deck der Luxusyacht Alithia aussieht, aletheia heißt im Griechischen die Wahrheit, das ist ein Schiffsname, der zu Herrn Kortüm passt. Das Boot ist bei ➱Abeking und Rasmussen gebaut worden. Die bauen heute ja keine Ruderboote mit Notbesegelung mehr wie unser ➱F47. Oder das Boot für die Pringsheims, mit dem Thomas Mann gerudert ist. Die bauen heute nur noch für Scheichs und andere Millionäre.
Die vierzig Meter lange Alithia (fünf Meter kürzer als die ➱Aiglon von Gloria von Thurn und Taxis), deren Mast höher ist als der der ➱Gorch Fock, hat sich der Herr Kortüm nämlich gerade für ein paar Millionen gekauft, nachdem man ihm die 547 Millionen Euro Schulden erlassen hat. Man gönnt sich ja sonst nichts. Die Frage des Spiegel, ob das nicht unanständig sei, bezeichnete der Herr Kortüm als unsinnig. Wenn früher ein Hamburger Kaufmann fallierte und danach auf dem Rathausmarkt mit einer dicken Zigarre gesehen wurde, dann war er gesellschaftlich erledigt. Steht irgendwo bei ➱Ascan Klée Gobert in seinen wunderbaren Geschichten von den feinen Hamburgern um die Jahrhundertwende 1900. Aber diese feine Gesellschaft gibt es nicht mehr, es gibt nur noch die Raffkes und Betrüger.
Ich zitiere zum Schluss noch einmal Ascan Klée Gobert, dessen Großvater Mitbesitzer der Sloman Reederei gewesen war und der selbst Kaufmann war. Er hat in Kindheit im Zwielicht den Untergang der Hamburger Patrizier (für die Bremer gilt das natürlich auch) mit erstaunlicher Klarheit beschrieben: Der kaufmännische Beruf, ohne seinen Wert herabsetzen zu wollen, tötet die Seele durch seine ständige Forderung, Vorteil und Nachteil, Saat und Ernte, Krieg und Frieden allein nach dem Geldwert zu berechnen. Das ist die Erklärung, warum die Großväter, denen man zwar buchmäßig eine überaus materielle Lebensführung nachweisen kann, nichts übrig hatten, um durch politische 'Anlagen', gar durch eine Weltanschauung, die Zukunft der Enkel wahrhaftig von hoher Warte zu sichern. Der Hanseatengeist versäumte es, das Fundament, von dem er die Welt übersah, zu einer Wohnung auszubauen, in deren Stuben Arbeit, Geist, Kultur und Lebensfreude gleichmäßig verteilt und gemessen werden konnten. Darum ist es unrichtig, die auf höchstens drei Generationen beschränkte Haltbarkeit hanseatischer Vermögen der Degeneration der Enkel allein zuzuschreiben. Von den Vätern wurde - parallel dem anonymen Kapitalismus - die Initiative zugunsten der soliden Tradition ausgeschaltet, womöglich noch den Söhnen, denen man jede freie Berufswahl ohne Erörterung versagt hatte, jeder fortschrittliche Gedanke als unehrlich verwehrt. Der entschwundene Begriff des Patriziats, der engen Verflechtung von gewerblicher Regsamkeit und stadtväterlicher Regierung, wurde den Nachkommen als Schablone aufgepreßt, so daß sie dastanden wie Frühaufsteher, die mit der Zeit nichts anzufangen wissen.
Von den Nonnenmachers und Kortüms gibt es viel zu viele auf der Welt, aber es gibt leider nicht mehr den Herrn Friedrich Joachim Kortüm, dem es ein Genuß war, der Welt die fortwährend Böses log, einmal das Gute vorzulügen.
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