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Samstag, 12. April 2025

und an der Hüfte Bananen

Heute vor fünfzig Jahren starb Josephine Baker in Paris. Wir kennen sie von Photos nackt oder halbnackt mit einem Bananenröckchen als Tänzerin, als Star des Pariser Revuetheaters. Aber es hat noch eine andere Josephine Baker gegeben. Eine Frau, die bei der Résistance war. Die einen Pilotenschein hatte, Leutnant in der Luftwaffe des Freien Frankreichs war und das Croix de Guerre erhielt. Und 1961 die Légion d'honneur. 1963 hatte sie Martin Luther King als einzige weibliche Rednerin beim Marsch auf Washington vor dem Lincoln Memorial eingeladen.

Das alles interessiert neuerdings nicht mehr, die ewigen Fragen, ob die Tänzerin lesbisch gewesen sei, haben jetzt eine modische neue Form bekommen, die heißt jetzt LGBTQ. Und mit der sexuellen und kulturellen Einordnung ihrer Lebens hat auch die englische Dichterin Patience Agbabi zu tun, mit sich selbst und mit ihrer Lyrik. Sie liebt das gesprochene Wort, das ihr über das Gedruckte geht. Wir können das gleich einmal ausprobieren. Ich habe hier ihr Gedicht Josephine Baker Finds Herself aus dem Jahre 2008:

She picked me up like a slow-burning fuse.
I was down that girls' club used to run in Brixton,
on acid for fuel. Lipstick lesbians,
techno so hardcore it's spewing out Audis.
She samples my heartbeat and mixes it with
vodka on the rocks. I'm her light-skinned, negative,
twenty-something, short black wavy-bobbed diva.
She purrs La Garçonne, fancy a drink? I say
Yes. She's crossing the Star Bar like it's a catwalk. So sleek!
A string of pearls, her flapper dress
studded with low-cut diamonds
through my skin, straight to my heart.
Twenties chic! She works
me up and down. I worship
the way she looks.

The way she looks
me up and down. I worship
twenties chic. She works
through my skin, straight to my heart
studded with low-cut diamonds.
A string of pearls her flapper dress.
Yes! She's crossing the Star Bar like it's a catwalk so sleek
she purrs, la garçonne! Fancy a drink? I say.
Twenty-something, short, Black, wavy-bobbed diva:
Vodka on the rocks, I'm her light-skinned negative.
She samples my heartbeat and mixes it with
techno so hardcore it's spewing out Audis
on acid for fuel. Lipstick Lesbians,
that girls' club used to run in Brixton
like a slow-burning fuse. I was down.
She picked me up.


Und hier ihren Vortrag mit dem Gedicht. Mit ihrem Vortrag bekommt das Gedicht über die Lipstock Lesbians in Brixton Showcharacter. Ich habe es noch einmal vorgelesen von Brandy Pearson. Sehr schön gelesen.

Freitag, 11. April 2025

Les Passantes


Es gab vor Tagen den französischen Film Der Maulwurf mit Lino Ventura im Fernsehen, der Film ist noch zwei Tage bei arte zu sehen. Bei mir kletterten die Zahlen des Posts Lino Ventura auf den ersten Platz der Top Ten der Statistik. Mein Gedicht heute hat auch etwas mit Lino Ventura zu tun. Er hat zwar keine Gedichte geschrieben, und es gibt auch wohl kaum Gedichte über ihn, aber ein Gedicht hat doch mit ihm zu tun. Bei der Fernsehshow Le grand échiquier am 31. Mai 1979 hatte er all seine Freunde eingeladen, und er wünschte sich von seinem Freund Georges Brassens, dass der für ihn das Lied Les Passantes sänge. 

Les Passantes ist ein frühes Gedicht von Antoine Pol (1888–1971). Über den Dichter weiß man nicht so furchtbar viel. Er war Hauptmann bei der Artillerie im Ersten Weltkrieg und präsentierte am Kriegsende seinen ersten Gedichtband Émotions poétiques. In dem auch das Gedicht Les Passantes stand, das Pol mit dreiundzwanzig Jahren geschrieben hatte. Antoine Pol führte ein bürgerliches Leben als Geschäftsmann, schrieb aber immer wieder Gedichte. Den Gedichtband Émotions poétiques hatte Brassens 1942 in einem Antiquariat gefunden, er wusste sofort, dass er diesen Text mit den belles passantes Que l’on n’a pas su retenir. singen wollte. 

Es hatte einige Zeit gedauert, bis er den lange vergessenen Dichter Pol (hier als eleganter Mann in den 1930er oder 1940er Jahren) ausfindig machen konnte, um ihn zu fragen, ob er das Gedicht vertonen und als Chanson singen dürfe. 1970 gelang ihm das, Pol bestätigte das im Dezember 1970 in einem Brief. Die beiden verabredeten sich auf einen Treffen in vier Wochen, aber zu dem Treffen kam es nicht. Eine Woche vor dem geplanten Treffen ist Antoine Pol im Alter von dreiundachtzig Jahren gestorben. Für Brassens war das die größte Enttäuschung seines Lebens. 1972 hat er das Lied dann zum ersten Mal gesungen: Ce poème des Passantes, c’est comme s’il me l’avait pris parce que c’est ce que j’ai vécu. Son regard admirable sur les femmes reste pour moi le plus grand poème de ma vie. Es ist ein wunderschönes Liebesgedicht über die Frauen, die vorübergehen und die man nicht festhalten kann:

Les Passantes

Je veux dédier ce poème
À toutes les femmes qu’on aime
Pendant quelques instants secrets,
À celles qu’on connaît à peine,
Qu’un destin différent entraîne
Et qu’on ne retrouve jamais.

À celle qu’on voit apparaître
Une seconde à la¹ fenêtre
Et qui, preste, s’évanouit,
Mais dont la svelte silhouette
Est si gracieuse et fluette
Qu’on en demeure épanoui.

À la compagne de voyage
Dont les yeux, charmant paysage,
Font paraître court le chemin ;
Qu’on est seul peut-être à comprendre,
Et qu’on laisse pourtant descendre
Sans avoir effleuré sa² main.

[ À la fine et souple valseuse
Qui vous sembla triste et nerveuse
Par une nuit de carnaval
Qui voulut rester inconnue
Et qui n’est jamais revenue
Tournoyer dans un autre bal ]

À celles qui sont déjà prises,
Et qui, vivant des heures grises
Près d’un être trop différent,
Vous ont, inutile folie,
Laissé voir la mélancolie
D’un avenir désespérant.

Chères images aperçues,
Espérances d’un jour déçues,
Vous serez dans l’oubli demain ;
Pour peu que le bonheur survienne,
Il est rare qu’on se souvienne
Des épisodes du chemin.

Mais si l’on a manqué sa vie,
On songe, avec un peu d’envie,
À tous ces bonheurs entrevus,
Aux cœurs qui doivent vous attendre,
Aux baisers qu’on n’osa pas prendre,
Aux yeux qu’on n’a jamais revus.

Alors, aux soirs de lassitude,
Tout en peuplant sa solitude
Des fantômes du souvenir,
On pleure les lèvres absentes
De toutes les belles passantes
Que l’on n’a pas su retenir.

Die vierte Strophe des Gedichts hat Brassens ausgelassen. Ich habe hier einen zweisprachigen Text. Und noch eine Cover Version von Iggy Pop. Und noch mehr Lino Ventura findet sich in La Bonne Année, Jean-Pierre Melville und Claude Lelouch

Donnerstag, 10. April 2025

nur einmal im Netz


Wenn ein Blogger bei der Google Suche auf Platz Eins der Ergebnisse landet, dann ist er ein klein wenig stolz. Wenn ein Blogger etwas Substantielles geschrieben hat, das nur einmal, und zwar bei ihm, im Netz steht, dann ist er auch ein wenig stolz. Ich kann heute ein Gedicht anbieten, dessen Text Sie im Internet nur bei mir finden. Nirgendwo sonst. Es heißt Die rabenfeder mit dem schmetterlingsflügel und wurde im August 1819 von Casimir Ulrich Boehlendorff mit der etwas seltsamen Orthographie geschrieben, die sich der Dichter im Spätwerk angewöhnt hatte. Der Dichter war einmal ein Freund Hölderlins gewesen. Heute vor zweihundert Jahren hat er mit der Pistole seinem Leben ein Ende gesetzt. Sein Freund Hölderlin hielt ihn schon lange für tot. Im Februar 1814 schrieb Ernst Zimmer an Johanna Christiana Gock: Er sagte zu mir, der Mann hat mir viele wohltaten in meiner Jugend erzeigt. Auch das Kleine Büchle von Böhlendorf hat ihn Sehr gefreudt. Er sagte, ach der gute ist früh gestorben, es war ein Kurländer, Ich habe Ihn in Homburg gekandt es war ein rechter guter Freund von mir. Wenn ich etwas von Boehlendorffs Gedicht bei Google eingebe, bekomme ich das Ergebnis: Diese Zeilen gehören zum Gedicht Wandrers Nachtlied von Johann Wolfgang von Goethe. Das hat die Künstliche Intelligenz von Google herausgefunden. Womit man wieder sehen kann, wie doof die KI ist. Mit Rabenfedern und Schmetterlingsflügeln kann sie nichts anfangen:


              Die rabenfeder mit dem
                 schmetterlingsflügel
an das todkranke söhnchen eines kurischen freundes

                       Aug. 1819


Siehe! was sendet der freund dem kranken Adonis, ein
briefchen,
Eine rabenfeder dazu mit dem schmetterlingsflügel:
'Psyche! entfliehe mir nicht! Zum Pfande sey mir des Sylfen
Bunter flügel, zum sinn'gen gedächtniss die feder des raben
Von dem dichter gesendet; er selber taucht in den honig
Diesen pfeil; von dem hauch entfaltete Psyche die Flügel.'

Boehlendorff war lange vergessen, bis ihn Johannes Bobrowski mit einer Erzählung (die es auch als Hörspiel gibt) aus der Versenkung geholt hat. Die Erzählung beginnt mit: Was weiß man von Boehlendorff? Und sie endet mit den Sätzen: Guter Mensch, dieser Herr Hofmeister da. Das sagen die Leute, die um das Grab stehn. Guter Mensch. Was noch? Das ist, womöglich, schon etwas, und, womöglich, ist es unnötig, mehr über Boehlendorff zu wissen

Mittwoch, 9. April 2025

Guano

Der Schriftsteller Victor von Scheffel war im 19. Jahrhundert ein berühmter Mann. Es gab zu seinen Lebzeiten schon einen Kult um ihn, darüber informiert uns das immer vorzügliche Goethezeitportal. Einen Scheffelbund gibt es in Karlsruhe immer noch, der ist mit beinahe siebentausend Mitgliedern die größte literarische Gesellschaft Deutschlands. Scheffel war an seinem Todestag, dem 9. April, auch schon zweimal in diesem Blog mit den Posts Trevi Brunnen und Fellini. Als er noch Student war, und noch nicht geadelt worden war, hat er in Heidelberg (das er mit Alt-Heidelberg, du feine bedichtete) studiert. 

Dort hörte er die Vorlesung Darstellung und Kritik des Hegelschen Sstems von Professor Röth. Eigentlich studierte Scheffel Jura, aber Eduard Maximilian Röth, der ein halbes Dutzend Sprachen sprach, war so berühmt, dass der junge Scheffel diese Vorlesung unbedingt besuchen musste. In dem Semester besuchte Scheffel auch die Erklärung von Dante's Inferno von Dr Emil Ruth  (an den drei ersten Wochentagen von 4-5 Uhr); es gab damals noch ein studium generale, man beschränkte sich nicht auf ein Fach. Als ich zu studieren begann, empfahlen die Rektoren der deutschen Universitäten den Erstsemestern, auch Lehrveranstaltungen außerhalb ihrer Fächer zu besuchen. Das studium generale war nicht nur ein leeres Schlagwort. So etwas ist heute undenkbar. Die Bachelor-Master Studiengänge haben Module und credit points und sind eine Verschulung und Verflachung der Universität. Ich bin froh, dass ich das nicht mehr zu erleben brauche.

Die Hegel Vorlesung von Professor Röth hat in der Dichtung Victor von Scheffels Spuren hinterlassen. Eine mindestens, die findet sich in dem Gedicht Guano, das neben viel Studentenliedern in dem Buch Gaudeamus: Lieder aus dem Engeren und Weiteren steht:

Ich weiß eine friedliche Stelle
Im schweigenden Ozean,
Kristallhell schäumet die Welle
Am Felsengestade hinan.
Im Hafen erblickst du kein Segel,
Keines Menschen Fußtritt am Strand;
Viel tausend reinliche Vögel
Hüten das einsame Land.

Sie sitzen in frommer Beschauung,
Kein einz'ger versäumt seine Pflicht,
Gesegnet ist ihre Verdauung
Und flüssig als wie ein Gedicht.
Die Vögel sind all' Philosophen,
Ihr oberster Grundsatz gebeut:
»Den Leib halt' allezeit offen
Und alles andre gedeiht.«

Was die Väter geräuschlos begonnen,
Die Enkel vollenden das Werk;
Geläutert von tropischen Sonnen,
Schon türmt es empor sich zum Berg.
Sie sehen im rosigsten Lichte
Die Zukunft und sprechen in Ruh':
»Wir bauen im Lauf der Geschichte
Noch den ganzen Ozean zu.«

Und die Anerkennung der Besten
Fehlt ihren Bestrebungen nicht,
Denn fern im schwäbischen Westen
Der Böblinger Repsbauer spricht:
»Gott segn' euch, ihr trefflichen Vögel,
An der fernen Guanoküst', –
Trotz meinem Landsmann, dem Hegel,
Schafft ihr den gediegensten Mist!«
 
Ich hätte ja etwas anderes aus Scheffels Gedichten nehmen können, aber dies gefiel mir ganz besonders, weil ich den Hegel überhaupt nicht mag. Das stand schon in meinem ersten Bloggerjahr in dem Post Hegel. Ich bin übrigens nicht der einzige, der Hegel nicht mag. Schopenhauer hat über ihn gesagt: Hegel, ein platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan, der, mit beispielloser Frechheit, Aberwitz und Unsinn zusammenschmierte, welche von seinen feilen Anhängern als unsterbliche Weisheit ausposaunt und von Dummköpfen richtig dafür genommen wurden, ... hat den intellektuellen Verderb einer ganzen gelehrten Generation zur Folge gehabt. Mein Post über Hegel im Jahre 2010 fand dreitausend Leser. Das ist aber gar nichts gegen den Post Philosophenwitze, der hat dreimal so viel.


Dienstag, 8. April 2025

Zölle


Letztens habe ich für Bücher aus England Zoll bezahlen müssen, aber der Händler hat mir das Geld zurückerstattet. Seit dem 1. Januar 2021 ist England kein Mitglied der EU-Zollunion mehr. Den Brexit bereuen sie jetzt schon jeden Tag. Im Augenblick ist jeden Tag von Zöllen die Rede, was mit Donald Trumps Zollkrieg gegen die ganze Welt zu tun hat. Was der Zoll ist, wusste ich schon, als ich klein war. Weil vor unserem Haus nämlich ein Verkehrsschild war, auf dem Zollgrenzgebiet stand. Das galt für die ganze Weserstraße, an jeder Straßenecke war so ein Schild. Mein Vater sagte mir, dass der Zoll jederzeit und ohne Grund unser Haus kontrollieren könnte. Aber unser Haus wurde nie von Zollbeamten durchsucht, auch nicht vom Zollfahnder Kressin. Die Verkehrsschilder sind nicht mehr da, die Zölle aber immer noch. In unserem Ort gibt es auch eine Zollstraße, die hatte ihren Namen schon ganz lange. Weil auf der anderen Seite der Zollstraße ein anderes Land anfing. Damals als Deutschland noch ein Flickenteppich von Kleinstaaten war. Und man für alles Zölle bezahlen musste, wie das in diesem Gedicht aufgelistet ist:

Schwefelhölzer, Fenchel, Bricken,
Kühe, Käse, Krapp, Papier,
Schinken, Scheeren, Stiefel, Wicken,
Wolle, Seife, Garn und Bier;

Pfefferkuchen, Lumpen, Trichter,
Nüsse, Tabak, Gläser, Flachs,
Leder, Salz, Schmalz, Puppen, Lichter,
Rettig, Rips, Raps, Schnaps, Lachs, Wachs!

Und ihr andern deutschen Sachen,
Tausend Dank sei euch gebracht!
Was kein Geist je konnte machen,
Ei, das habet ihr gemacht:

Denn ihr habt ein Band gewunden
Um das deutsche Vaterland,
Und die Herzen hat verbunden
Mehr als unser Bund dies Band.


Das Gedicht heißt Der deutsche Zollverein, es wurde von Hoffmann von Fallersleben nach der Gründung des Deutschen Zollvereins geschrieben. Jetzt konnte man Schwefelhölzer und Pfefferkuchen auf die andere Seite der Zollstraße bringen, ohne dafür Zoll zahlen zu müssen. Das Gedicht fand sich, mit einem Zitat aus der Ilias versehen ( τοῦ γὰρ χράτος ἐστὶ μέγιστον), 1840 in dem bei Hoffmann und Campe in Hamburg erschienenen Band Unpolitische Lieder. Seinem Verleger Julius Campe wird Hoffmann von Fallersleben im nächsten Jahr bei einem Strandspaziergang auf Helgoland ein Gedicht anbieten, das er gerade eben geschrieben hat. Es ist ein Trinklied. Vier Louisdor will er dafür haben, das Lied heißt Lied der Deutschen. Wir singen immer noch eine Strophe davon. Das Gedicht Der deutsche Zollverein kann man auch singen, das funktioniert nach der Melodie von Gott erhalte Franz den Kaiser, die auch die Basis für unsere Nationalhymne ist.
 
Und wie Zölle funktionieren, das zeigt uns dieser Cartoon von Bruce MacKinnon, der den Titel How Tarrifs Work hat. 











Montag, 7. April 2025

Michel de Beaupuy


Heute vor 255 Jahren wurde William Wordsworth geboren, er war schon häufig in meinem Blog. Er war in seiner Jugend lange in Frankreich. Vornehmlich, um Französisch zu lernen: Led thither chiefly by a personal wish / To speak the language more familiarly. Aber vielleicht eher, um nach einem kläglichen Examen in Cambridge seinen Onkeln zu entkommen, die ihn in einem ordentlichen Beruf oder einer Pfarrei sehen wollen. Schliesslich haben sie ihm das Studium bezahlt. Wordsworth wird seinen Frankreichaufenthalt 1805 in das autobiographische Gedicht  The Prelude hineinschreiben. Seine Liebesgeschichte mit Annette Vallon, aus der seine Tochter Caroline hervorgeht, steht allerdings nicht in dem Gedicht. Wordsworth hat seine Tochter zum ersten Mal gesehen, als sie neun Jahre alt war. Er hat aber ein ganzes Leben lang finanziell für sie gesorgt. Seine Begeisterung für das revolutionäre Frankreich wird in der Terrorherrschaft schnell abnehmen. Wenn er wieder in England ist, wird er das Gedicht I travelled among unknown men schreiben. Und auch das Gedicht über die Cricketspieler, das sich in dem Post Wordsworth findet.

Einen Franzosen, den man heute so gut wie vergessen hat, wird er jedoch in The Prelude im neunten Buch erwähnen:

Among that band of Officers was one,
Already hinted at of other mould—
A patriot, thence rejected by the rest,
And with an oriental loathing spurned,
As of a different caste. A meeker man
Than this lived never, nor a more benign,
Meek though enthusiastic. Injuries
Made him more gracious, and his nature then
Did breathe its sweetness out most sensibly,
As aromatic flowers on Alpine turf,
When foot hath crushed them. He through the events
Of that great change wandered in perfect faith,
As through a book, an old romance, or tale
Of Fairy, or some dream of actions wrought
Behind the summer clouds. By birth he ranked
With the most noble, but unto the poor
Among mankind he was in service bound,
As by some tie invisible, oaths professed
To a religious order. Man he loved
As man; and, to the mean and the obscure,
And all the homely in their homely works,
Transferred a courtesy which had no air
Of condescension; but did rather seem
A passion and a gallantry, like that
Which he, a soldier, in his idler day
Had paid to woman: somewhat vain he was,
Or seemed so, yet it was not vanity,
But fondness, and a kind of radiant joy
Diffused around him, while he was intent
On works of love or freedom, or revolved
Complacently the progress of a cause,
Whereof he was a part: yet this was meek
And placid, and took nothing from the man
That was delightful


Der adlige Soldat, der sich dem Volke und den Armen näher fühlt als der Aristokratie, heißt Armand-Michel Beauchartie de Beaupuy. Er ist ein entfernter →Verwandter von Montaigne und einer der wenigen französischen Aristokraten, der sich der Revolution verschrieben hat. Als Wordsworth ihn kennenlernt, ist er gerade Capitaine geworden, er wird es noch bis zum General bringen. Er wird bei der Belagerung von Mainz dabei sein, in vielen Gefechten mit Säbelhieben und Schusswunden verletzt werden Er wird 1796 im Schwarzwald im Höllental sterben. Sein Name findet sich auf dem Arc de Triomphe, es gibt Denkmäler und Monumente für ihn. Wordsworth wird Beaupuy noch ein zweites Mal in der Prelude erwähnen (wieder im Buch 9, zweihundert Zeilen weiter) : 

And when we chanced
One day to meet a hunger-bitten girl,
Who crept along fittingly her languid gait
Unto a heifer's motion, by a cord
Tied to her arm, and picking thus from the lane
Its sustenance, while the girl with pallid hands
Was busy knitting in a heartless mood
Of solitude, and at the sight my friend
In agitation said, "'Tis against that
That we are fighting," I with him believed
That a benignant spirit was abroad
Which might not be withstood, that poverty
Abject as this would in a little time
Be found no more, that we should see the earth
Unthwarted in her wish to recompense
The meek, the lowly, patient child of toil,
All institutes for ever blotted out
That legalised exclusion, empty pomp
Abolished, sensual state and cruel power,
Whether by edict of the one or few;
And finally, as sum and crown of all,
Should see the people having a strong hand
In framing their own laws; whence better days
To all mankind.


Beaupuy und Wordsworth waren schnell  Freunde geworden. Beaupuy brachte Wordsworth Französisch bei, und die beiden machten in Orléans lange, oft tagelange, Spaziergänge an der Loire. Und diskutierten über Freiheit, Gerechtigkeit und die Menschenrechte:

Oft in solitude
With him did I discourse about the end
Of civil government, and its wisest forms;
Of ancient loyalty, and chartered rights,
Custom and habit, novelty and change;
Of self-respect, and virtue in the few
For patrimonial honour set apart,
And ignorance in the labouring multitude.
For he, to all intolerance indisposed,
Balanced these contemplations in his mind;

Bei einer dieser Wanderungen haben sie das arme halb verhungerte Mädchen am Straßenrand gesehen. C'est contre ça que nous luttons maintenant, hat Beaupuy gesagt. Wordsworth nimmt es als and at the sight my friend In agitation said, 'Tis against that That we are fighting' in sein Gedicht auf. Alles, woran er jetzt glaubt, hat er von Beaupuy. Der Wordsworth Spezialist Stephen Gill hat geschrieben, dass Beaupuy the fullest tribute paid to anyone in 'The Prelude' bekommt. Mehr Zeilen als Wordsworths geliebte Schwester Dorothy oder sein Dichterkollege Coleridge. Wenn man eine Ausgabe von The Prelude hat, die keinen Kommentar und keine Anmerkungen hat, wird man nie wissen, wer dieser Mann war, dem Wordsworth hier ein Denkmal gesetzt hat.

Noch mehr Wordsworth in den Posts: Narzissen, Hofanzug, TouristenWordsworth, Reynolds, Ostern, Hofdichter: Gott schütze die Königin

Sonntag, 6. April 2025

Danton


Am 6. April 1793 hat der Nationalkonvent in Frankreich den Wohlfahrtsausschuss eingerichtet. Den Vorsitz erhielt Georges Danton. Als ich das im Tageblatt der Wikipedia las, fiel mir zuerst Georg Büchners  Dantons Tod ein. In seiner Komödie Besucher läßt Botho Strauß seine Hauptfigur Karl Joseph sagen: In Bremen vierundsechzig oder fünfundsechzig — ich gastierte im Danton— da hatten wir einen jungen Kollegen, der ist eines Abends, also es war schon Viertel eins. Dantons Tod, eine Viecherei, kein Bus fuhr mehr, da ist er plötzlich zur Rampe gelaufen, mitten im Text, und fragt ins Publikum hinunter, ob ihn jemand nach der Vorstellung mit nach Lesum nehmen kann. Dort hat er nämlich gewohnt

Ich nehme an, dass Botho Strauß diese Stelle extra für seinen Hauptdarsteller Will Quadflieg geschrieben hat, denn der hatte sein Landhaus im Kirchspiel Lesum. Der kleine Ort ist jetzt also in der deutschen Literatur, aber da ist er schon länger. Das wissen Sie, wenn Sie den Post Sommer in Lesmona gelesen haben. Diese kleine Geschichte fällt mir bei Dantons Tod, den ich als Jugendlicher mit begeistertem Mitempfinden las, immer wieder ein. Georg Büchner hat schon lange einen Post in diesem Blog. In dem auch steht, dass ich bei der Aufführung von  Leonce und Lena durch unsere Theatergruppe (neben meiner kleinen Rolle als Staatsrat) Regieassistent und Souffleur war. Große Teile des Textes habe ich immer noch drauf. Und da ich mal ein großer Andrzej Wajda Fan war, habe ich den Film Danton hier für Sie. Der basiert aber nicht auf Büchners Theaterstück.

Ich habe mich gefragt, ob Büchner Gedichte geschrieben hat, das wusste ich nicht. Offenbar gibt es ein paar Gedichte, wie dieses aus dem Jahre 1828, das Die Nacht heißt:

Niedersinkt des Tages goldner Wagen,
Und die Stille Nacht schwebt leis’ herauf,
Stillt mit sanfter Hand des Herzens Klagen,
Bringt uns Ruh’ im schweren Lebenslauf.

Ruhe gießt sie in das Herz des Müden,
Der ermattet auf der Pilgerbahn,
Bringt ihm wieder seinen stillen Frieden,
Den des Schicksals rauhe Hand ihm nahm.

Ruhig schlummernd liegen alle Wesen,
Feiernd schließet sich das Heiligthum,
Tiefe Stille herrscht im weiten Reiche,
Alles schweigt im öden Kreis’ herum.

Und der Mond schwebt hoch am klaren Aether,
Gießt sein sanftes Silberlicht herab;
Und die Sternlein funkeln in der Ferne,
Schau’n herab auf Leben und auf Grab.

Willkommen Mond, willkommen sanfter Bote
Der Ruhe in dem rauhen Erdenthal,
Verkündiger von Gottes Lieb’ und Gnade,
Des Schirmers in Gefahr und Mühesal.

Willkommen Sterne, seid gegrüßt ihr Zeugen
Der Allmacht Gottes, der die Welten lenkt,
Der unter allen Myriaden Wesen
Auch meiner voll von Lieb’ und Gnade denkt.

Ja heil’ger Gott, du bist der Herr der Welten,
Du hast den Sonnenball emporgethürmt,
Hast den Planeten ihre Bahn bezeichnet,
Du bist es, der das All mit Allmacht schirmt.

Unendlicher, den keine Räume fassen,
Erhabener, den Keines Geist begreift,
Allgütiger, den alle Welten preisen,
Erbarmender, der Sündern Gnade beut!

Erlöse gnädig uns von allem Uebel,
Vergieb uns liebend jede Missethat,
Laß wandeln uns auf deines Sohnes Wegen,
Und siegen über Tod und über Grab.


Man merkt, Gedichte sind nicht sein Ding. Und dennoch ist viel Dichtkunst in Büchner. Er schreibt sie eine seine Theaterstücke hinein. Wie in diesen Monolog des Leonce, das ist doch reine Poesie: Ein sonderbares Ding um die Liebe. Man liegt ein Jahr lang schlafwachend zu Bette, und an einem schönen Morgen wacht man auf, trinkt ein Glas Wasser, zieht seine Kleider an und fährt sich mit der Hand über die Stirn und besinnt sich und besinnt sich. – Mein Gott, wieviel Weiber hat man nöthig, um die Scala der Liebe auf und ab zu singen? Kaum daß Eine einen Ton ausfüllt. Warum ist der Dunst über unsrer Erde ein Prisma, das den weißen Gluthstrahl der Liebe in einen Regenbogen bricht? In welcher Bouteille steckt denn der Wein, an dem ich mich heute betrinken soll? Bringe ich es nicht einmal mehr so weit? Ich sitze wie unter einer Luftpumpe. Die Luft so scharf und dünn, daß mich friert, als sollte ich in Nankinghosen Schlittschuh laufen. – Meine Herren, meine Herren, wißt ihr auch, was Caligula und Nero waren? Ich weiß es. Komm Leonce, halte mir einen Monolog, ich will zuhören. Mein Leben gähnt mich an, wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus. Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal, einige verwelkte Rosen und zerknitterte Bänder auf dem Boden, geborstene Violinen in der Ecke, die letzten Tänzer haben die Masken abgenommen und sehen mit todmüden Augen einander an. Ich stülpe mich jeden Tag vier und zwanzigmal herum, wie einen Handschuh. O ich kenne mich, ich weiß was ich in einer Viertelstunde, was ich in acht Tagen, was ich in einem Jahre denken und träumen werde. Gott, was habe ich denn verbrochen, daß du mich, wie einen Schulbuben, meine Lection so oft hersagen läßt? 


Samstag, 5. April 2025

Westwind


Ich wollte heute eigentlich nichts schreiben, aber an Edward Young, der heute vor 260 Jahren starb, komme ich nicht vorbei. Weil der mit seinen Night Thoughts ein Buch geschrieben hatte, das ganz Europa las. James Boswell hat es als a mass of the grandest and richest poetry that human genius has ever produced bezeichnet. Edward Young hatte 2011 hier schon den Post Night Thoughts, der mit den Sätzen endet: Mit Youngs Nachtgedanken und dem ganzen Komplex der Graveyard Poetry haben die Engländer schon wieder etwas Neues, das geradezu epidemisch auf ganz Europa wirkt. Melancholie und Mondschein (noch nicht Mandolinen und Mondschein), elegische Trauer, Gräber und Ruinen. Im 18. Jahrhundert kommt beinahe alles aus Großbritannien. Von den Möbeln (Sheraton, Hepplewhite, Chippendale) bis zur Philosophie (Burkes Ästhetik und die schottischen Aufklärer). Auch auf dem Kontinent kaufen sich Gentlemen eine englische Uhr und kleiden sich englisch wie Goethes Werther. Und lesen englische Romane. Und lesen natürlich den Doktor der Theologie Edward Young. We take no note of time But from its loss.

Der letzte Satz war ein Zitat aus den Night Thoughts, die in dem Post Nachtgedanken hier ein zweites Mal auftauchen. Diese elegische Dichtung will ich Ihnen an diesem sonnigen Frühlingsmorgen nicht zumuten. Stattdessen gibt es das kleine Gedicht The wind from the West, das nicht zu  the grandest and richest poetry zählt, aber irgendwie nett ist:

Blow high, blow low,
O wind from the West;
You come from the country
I love the best.

O say have the lilies
Yet lifted their heads
Above the lake-water
That ripples and spreads?

Do the little sedges
Still shake with delight,
And whisper together
All through the night?

Have the mountains the purple
I used to love,
And peace about them,
Around and above?

Ich kann zu dem Gedicht noch eine Vertonung von Peter Warlock anbieten. Und morgen gibt es hier nichts. Oder was ganz anderes.

Freitag, 4. April 2025

verständiglich und deutlich


Heute vor fünfhundert Jahren wurde Ambrosius Lobwasser im sächsichen Schneeberg geboren, ein humanistischer deutscher Schriftsteller und Übersetzer. Sein Hauptwerk aus dem Jahre 1573 ist Der Psalter des Königlichen Propheten Davids. In deutsche Reime verständiglich und deutlich gebracht. Es ist eine Übersetzung der Psalme, die nicht auf dem hebräischen Urtext oder der Übersetzung Martin Luthers basierte, sondern auf dem Genfer Psalter (Psautier de Genève) den man auch den Hugenottenpsalter nannte. Man kann den Unterschied zu Luther an einem Beispiel sehr schön sehen. Bei Luther heißt es im Psalm 130:

Ich harre des Herrn, 
meine Seele harret,
und ich hoffe auf sein Wort. 
Meine Seele wartet auf den Herrn 
von einer Morgenwache bis zur andern.

Das klingt in Lobwassers Übersetzung etwas anders:

Mein Hoffnung ich tu stellen auf Gott, den höchsten Hort. 
Ich hoff von ganzer Seelen auf sein göttliches Wort. 
Mein Seel auf Gott vertrauet, auf ihn stets wart und sicht,
gleich wie ein Wächter schauet, ob schier der Tag anbricht.

Alles ist gereimt und singbar, dafür war Lobwassers verständigliche und deutliche Übersetzung des Hugenottenpsalters da. Sein Buch hatte hundert Auflagen und hielt sich bis ins 18. Jahrhundert. Auch im reformierten Bremen, aber dann fand es der Senat nicht mehr modern genug. Und die neue Übersetzung von Matthias Jorissen setzte sich durch. Der Eintrag zu Lobwasser in der Deutschen Biographie hat Erich Trunz geschrieben, der schon 1928 über Lobwasser im Euphorion schrieb und 1932 seine Doktorarbeit über Lobwasser einreichte. Dazu zitiere ich einmal aus dem Post so zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten einige Sätze: Die deutsche Barockforschung begann für die Germanistik mit dem berühmten Seminar von Julius Petersen im Wintersemester 1927/1928, aus dem eine ganze Generation von Germanisten hervorgegangen ist. Leute wie Wolfgang Kayser, Hans Pyritz, Richard Alewyn, Benno von Wiese und Erich Trunz. Mein erstes Barockseminar war in den sechziger Jahren das Proseminar Das europäische Drama und Theater des Barock bei dem Hamburger Theaterwissenschaftler Dr Diedrich Diederichsen. Der war auch der Leiter der 1940 gegründeten Theatersammlung, die zu dem Lehrstuhl für Germanistik in Hamburg gehörte. Es hatten sich in dem Sommer nur wenige Studenten (es waren höchstens zwanzig) in sein Seminar verirrt, was sicher ein Fehler war, denn es war ein hervorragendes Seminar.

Falls Ihnen der Sinn nach lange vergangener deutscher Dichtung stehen sollte, dann lesen Sie doch den schönen Post Hugo von Montfort, Der adlige Minnesänger ist heute vor 602 Jahren gestorben. Aber seine Lyrik ist immer noch lebendig. 

Donnerstag, 3. April 2025

Goethe übt noch

Heute vor 212 Jahren starb Friederike Elisabeth Brion, die in ihrer Jugend eine Liebschaft mit dem jungen Goethe gehabt hat. Diese vielleicht heftige, aber doch wohl platonische und kurze Affäre ist in die Literatur gewandert. Sie können dazu mehr, oder beinahe alles, in dem Post Friederike lesen. Die erste Begegnung mit der Pfarrerstochter, die er nach kurzer Zeit schnöde verlassen wird, hat er in Dichtung und Wahrheit beschrieben:

In diesem Augenblick trat sie wirklich in die Türe; und da ging fürwahr an diesem ländlichen Himmel ein allerliebster Stern auf. Ein kurzes weißes rundes Röckchen, nicht länger als dass die nettesten Füßchen bis an die Knöchel sichtbar blieben; ein knappes Mieder und eine schwarze Schürze – so stand sie auf der Grenze zwischen Bäuerin und Städterin. Schlank und leicht, als wenn sie nichts an sich zu tragen hätte, schritt sie und beinahe schien für die gewaltigen blonde Zöpfe des niedlichen Köpfchens der Hals zu zart. Aus heiteren blauen Augen blickte sie sehr deutlich umher, und das artige Stumpfnäschen forschte so frei in die Luft, als wenn es in der Welt keine Sorge geben könnte; der Strohhut hing ihr am Arm, und so hatte ich das Vergnügen, sie beim ersten Blick auf einmal in ihrer ganzen Anmut und Lieblichkeit zu sehen und zu erkennen.

Vielleicht war es so, auf jeden Fall schreibt er ihr Briefe: Liebe neue Freundin, ich zweifle nicht, Sie so zu nennen. Denn wenn ich mich anders nur ein klein wenig auf die Augen verstehe, so fand mein Aug’ im ersten Blick die Hoffnung zu dieser Freundschaft in Ihrem, und für unsere Herzen wollt’ ich schwören. Sie, zärtlich und gut, wie ich sie kenne – sollten Sie mir, da ich sie so lieb habe, nicht wieder ein bisschen günstig sein? Nach den Briefen geht er zu Gedichten über. Nicht alles, das er für die blonde Friedrike schreibt, ist großartig. Dies hier ist wahrlich keine Erlebnislyrik, das ist einfach nur konventionell:

Kleine Blumen, kleine Blätter
Streuen mir mit leichter Hand
Gute junge Frühlingsgötter
Tandlend auf ein luftig Band.

Zephyr, nimm's auf deine Flügel,
Schling's um meiner Liebsten Kleid;
Und dann tritt sie für den Spiegel
Mit zufriedener Munterkeit.

Sieht mit Rosen sich umgeben,
Sie wie eine Rose jung.
Einen Kuß, geliebtes Leben!
Und ich bin belohnt genu(n)g.

Schicksal, segne diese Triebe,
Laß mich ihr und laß sie mein,
Laß das Leben unsrer Liebe
Doch kein Rosenleben sein!

Mädchen, das wie ich empfindet,
Reich mir deine liebe Hand!
Und das Band, das uns verbindet,
Sei kein schwaches Rosenband!

Der große Goethe ist nicht immer groß. Es ist ein sehr schwaches Rosenband, das da geknüpft wurde, es hält gerade mal ein Jahr. Es waren peinliche Tage, als ich ihr die Hand noch vom Pferde reichte, standen ihr die Tränen in den Augen, und mir war sehr übel zu Mute, können wir in Dichtung und Wahrheit lesen. Er schreibt ihr aus Frankfurt einen Abschiedsbrief. Vier Jahre später verlobt er sich in Frankfurt mit der Bankierstochter Lili Schönemann, aber das ist auch nach einem Jahr zu Ende. Doch an seinem Lebensende wird er seinem Freund Friedrich Soret sagen: Lili war die erste, die ich tief und wahrhaft liebte, und vielleicht war sie auch die letzte. Da ist keine Rede mehr von der armen Friedrike.


Am 3. April gab es hier im Blog schon mehrere Dichter, die da einen Geburtstag oder Todestag hatten. Das waren Bodo von Hodenberg, der sich in dem Post Fruchtbringende Gesellschaft findet, George Herbert und Otto Graf von Loeben. Das sind Posts, die vielleicht lesenswerter sind als das heutige Goethe Gedicht.

Mittwoch, 2. April 2025

Comment te dire adieu


Serge Gainsbourg, der heute Geburtstag hat, war schon vor zwei Jahren am zweiten April mit einem Chanson in dem Post l'océan de l'oubli. Das schöne Lied wurde auch schon in dem Post Verzierungen zitiert. Und Gainsbourg selbst ist natürlich auch schon in dem Blog, zum Beispiele ind den Posts souvenirs et regrets und Jane Birkin ✝. Mein Chanson heute heißt Je suis venu te dire que je m'en vais, es handelt von der Liebe und vom Ende der Liebe. So etwas können die Franzosen ja ganz wunderbar:

Je suis venu te dire que je m'en vais
Et tes larmes n'y pourront rien changer 
Comme dit si bien Verlaine au vent mauvais
Je suis venu te dire que je m'en vais
Tu t'souviens des jours anciens et tu pleures
Tu suffoques, tu blêmis à présent qu'a sonné l'heure
Des adieux à jamais
Je suis au regret
De te dire que je m'en vais
Oui, je t'aimais, oui, mais

Je suis venu te dire que je m'en vais
Tes sanglots longs n'y pourront rien changer
Comme dit si bien Verlaine au vent mauvais
Je suis venu te dire que je m'en vais
Tu t'souviens des jours heureux et tu pleures
Tu sanglotes, tu gémis à présent qu'a sonné l'heure
Des adieux à jamais
Oui, je suis au regret
De te dire que je m'en vais
Car tu m'en as trop fait
Je suis venu te dire que je m'en vais

Je suis venu te dir'que je m'en vais
et tes larmes n'y pourront rien changer
comm'dit si bien Verlaine "au vent mauvais"
je suis venu te dir'que je m'en vais

Tu t'souviens des jours anciens et tu pleures
tu suffoques, tu blémis à présent qu'a sonné l'heure
des adieux à jamais
oui je suis au regret
de te dir'que je m'en vais
oui je t'aimais, oui, mais
je suis venu te dir'que je m'en vais
tes sanglots longs n'y pourront rien changer
comm'dit si bien Verlaine "au vent mauvais"
je suis venu d'te dir'que je m'en vais

Tu t'souviens des jours heureux et tu pleures
tu sanglotes, tu gémis à présent qu'a sonné l'heure
des adieux à jamais
oui je suis au regret
de te dir'que je m'en vais
car tu m'en as trop fait

Je suis venu te dir'que je m'en vais
et tes larmes n'y pourront rien changer
comm'dit si bien Verlaine "au vent mauvais"
je suis venu d'te dir'que je m'en vais

Tu t'souviens des jours anciens et tu pleures
tu suffoques, tu blémis à présent qu'a sonné l'heure
des adieux à jamais
oui je suis au regret
de te dir'que je m'en vais
oui je t'aimais, oui, mais

Je suis venu te dir'que je m'en vais
tes sanglots longs n'y pourront rien changer
comm'dit si bien Verlaine "au vent mauvais"
je suis venu d'te dir'que je m'en vais

Tu t'souviens des jours heureux et tu pleures
tu sanglotes, tu gémis à présent qu'a sonné l'heure
des adieux à jamais
oui je suis au regret
de te dir'que je m'en vais
car tu m'en as trop fait...


Gainsbourg zitiert Paul Verlaine in seinem Chanson. Der vent mauvais findet sich in Verlaines Chanson d’automne. Einem Gedicht, bei dem sich auch Jacques Prévert bedient hat, denn manches von Verlaine findet sich in Les feuilles mortes wieder. Gainsbourg, der mit Jane Birkin zusammenlebte, als er diesen Text schrieb, hat ihn wahrscheinlich für seine zweite Frau Françoise-Antoinette Pancrazzi geschrieben, mit der er zwei Kinder hatte. Die schöne Frau hat erstaunlicherweise keinen Eintrag bei Wikipedia. Aber sie wird immer in diesem Lied sein, auch wenn da steht: tu m'en as trop fait... Immer tun die Frauen den Männern etwas an. Bei Charles Aznavour steht in seinem Chanson Sur ma vie als letzte Zeile auch so etwas: tout le mal que tu m'as faitSerge Gainsbourg hat das Chanson, das 1973 als 45er Single erschien, immer wieder gesungen (und das Comment te dire adieu des heutigen Post-Titels, das Françoise Hardy singt, das hat er auch geschrieben).✺Jane Birkin hat Je suis venu te dire que je m'en vais ein Jahr nach Gainsbourgs Tod sehr schön mit ihrem Sprechgesang vorgetragen. Das Internet ist voll von Cover Versionen. ✺Marianne Faithfull sollte man nicht anklicken, diese ✺Fernsehshow auch nicht.

Aber interessant fand ich Alliye, die laut Spotify vier Alben auf dem Markt hat und man dort erfährt: Multilingual music artist, singer, songwriter and music producer from the state of Maranhão (northeast of Brazil), Alliye began her artistic activities in Paris, France in 2006. Currently residing in the capital of São Paulo, Alliye faces the challenges of producing her musical projects autonomously, making use of streaming services to launch her songs, and also creating French versions of Brazilian hits. Bei ihr bekommt Je suis venu te dire que je m'en vais einen südamerikanischen Touch. Ist noch nicht ganz A beleza que não é só minha, aber doch schon ein bisschen.


Dienstag, 1. April 2025

April


Da ist er, der Monat April. Sie kennen das schon, wenn Sie diesen Blog lesen, es gibt den ganzen Monat Gedichte. Das erste kommt von der amerikanischen Dichterin Edna St. Vincent Millay. Thomas Hardy hat über sie gesagt, dass Amerika zwei Attraktionen hätte. Das eine seien die Wolkenkratzer, das andere die Gedichte von Edna St. Vincent Millay. Das Gedicht Spring, das heute hier steht, ist nicht unbedingt repräsentativ für ihre Dichtkunst. Aber es ist sehr witzig, und der Monat April kommt auch drin vor.

To what purpose, April, do you return again?
Beauty is not enough.
You can no longer quiet me with redness
Of little leaves opening stickily.
I know what I know. (5)
The sun is hot on my neck as I observe
The spikes of the crocus.
The smell of the earth is good.
It is apparent that there is no death.
But what does that signify? (10)
Not only under ground are the brains of men
Eaten by maggots.
Life in itself
Is nothing,
An empty cup, a flight of uncarpeted stairs. (15)
It is not enough that yearly, down this hill,
April
Comes like an idiot babbling and strewing flowers.

Auf der Seite von Hans-Peter Kraus findet sich eine deutsche Übersetzung, aber die werden Sie nicht brauchen.