Samstag, 30. Oktober 2010

il miglior fabbro


Der amerikanische Dichter Ezra Pound wurde heute vor 125 Jahren geboren. il miglior fabbro hat T.S. Eliot ihn in der Widmung zu The Waste Land genannt und damit gezeigt, wie gebildet er ist. Denn dieses il miglior fabbro hatte Dante über Arnaut Daniel de Riberac gesagt, den Troubadour, den auch schon Petrarca gelobt hatte. Und den Ezra Pound zu Anfang des Jahrhunderts als den größten Dichter aller Zeiten gefeiert hatte. Nun sagt es Eliot über seinen Freund Ezra Pound. Wahrscheinlich will er sich damit bedanken, dass ihm Ezra Pound das ganze Gedicht überarbeitet und umgeschrieben hat.

Früher dichteten die Dichter um Mitternacht bei einer Flasche Rotwein, geküsst von der Muse. Und manchmal hockt bei ihnen auch ein Rabe auf einer Pallas Athenae Büste, der nevermore krächzt. Jetzt schreiben die Dichter mit der Schreibmaschine und schicken es einem Kollegen zum Korrigieren. Das ist der Beginn der modernen Lyrik. Schreibmaschine, Tippex und befreundete Dichter. Keine Musen mehr. Und keine Raben. Es ist ein wenig demoralisierend, wenn ich über einen meiner Lieblingsdichter Robert Lowell lesen muss, wie viele seiner Freunde in einen Gedichttext ihre Anmerkungen und Streichungen notiert haben, bis er damit fertig war. Ich weiß allerdings nicht, ob Pound auch andere an seine Gedichte gelassen hat. So wie ich ihn kenne, hat er das wahrscheinlich nicht zugelassen.

Ezra Pound begleitet mich schon länger als ein halbes Jahrhundert, und ich habe, bis auf seinen tendenziell faschistoiden Unsinn, den er im italienischen Rundfunk verbreitete, auch alles von ihm gelesen. Ich weiß heute nicht mal, wie ich auf ihn gestoßen bin. Wahrscheinlich war es in der Zeitschrift Perspectives, wo ich ihm begegnet bin. Das Beste, was in den fünfziger Jahren aus Amerika kam. Bei der ersten Nummer 1952 schrieb das Time Magazin so nett:

The idea of "Perspectives" was presented to the foundation by James Laughlin, 37,... founder and angel of the avant-garde book publishing house, New Directions. Laughlin will be publisher and straw boss of Perspectives, but "to avoid any taint of cultism," each issue will have a different editor. Such critics and writers as Lionel Trilling, R. P. Blackmur, Malcolm Cowley, Jacques Barzun, Harry Levin and Mortimer Adler have already agreed to sit in. The [Ford] foundation is setting aside $500,000 for Perspectives for the first three years, will print 30,000 copies of its first issue. 'Perspectives'' "pilot" issue is a handsome, 236-page slick-paper job with a full-color abstract design on the cover. Inside are reprints of articles by Selden Rodman, Meyer Schapiro, Thornton Wilder and others, poetry by Archibald MacLeish and Robert Lowell, and fiction by William Faulkner. The pilot issue, foundation officials explained, is not an exact standard by which to judge "Perspectives"; only about half the pilot articles will be in the first issue. Nevertheless, the pilot issue gave the whole project—unless substantially changed—the flavor of a "little magazine's" fragile view of American culture, blown up to Ford-plant size. Leider wurde dies Kulturprojekt des Kalten Krieges 1956 nach sechzehn Heften eingestellt, aber es hat mir das Beste der amerikanischen Kultur vermittelt. Von Singleton Copley bis Edward Hopper, von Flannery O'Connor bis William Faulkner, von Wallace Stevens bis Ezra Pound.

Auf den ersten Blick scheint es erstaunlich, dass Pound überhaupt im Heft 16 der Perspectives vorkommt, denn da ist er noch in der Irrenanstalt in Washington eingesperrt. Aber so erstaunlich ist das wiederum nicht, wenn man weiß, dass der Millionenerbe und Harvard Student James Laughlin, der die Perspectives herausgeben hat, Pound 1934 in Italien besucht hatte. Und Pound ihn überzeugt hatte, dass Laughlin mit seinem Vermögen die Kultur fördern und einen Verlag gründen müsse. Was Laughlin tut, New Directions heißt der Verlag. Laughlin hat Pound immer Boss genannt und ihn als At heart he is simply a hopeful-helpless reformer and liberator bezeichnet.

Die Irrenanstalt ist immerhin besser als der Eisenkäfig unter der gleißenden italienischen Sonne, in den ihn die Amerikaner im Sommer 1945 gesperrt haben. So eine Art privates Guantanamo nur für Ezra Pound. Da hat er die Pisan Cantos geschrieben. Hätte T.S. Eliot, immer so fein in seinen dunklen Anzügen, so etwas bei Wasser und Brot schreiben können? Man hat ihn 1958 freigelassen, sogar Ernest Hemingway hat sich für seine Freilassung eingesetzt, normalerweise setzt sich Ernest kaum für seine Freunde und Mitmenschen ein. Der Löwenjäger mit dem Minderwertigkeitskomplex versucht sonst ja eher, anderen zu schaden: Sherwood Anderson, F. Scott Fitzgerald, Gertrude Stein - die Liste ist lang. Aber diesmal hält er zu Ezra, dem er damals in Paris das Boxen beigebracht hat. Und der ihm das Schreiben beigebracht hat. So hat es Hemingway erzählt. Es kann sein, Pound besitzt etwas Pädagogisches, Didaktisches.

Pound ist ein außergewöhnlicher Lehrer. Ich bin bei ihm in die Schule gegangen. Ich habe sein ABC of Reading gelesen und jeden Satz ernstgenommen. Es ist nicht die schlechteste Methode, um die Geheimnisse der Dichtung zu ergründen. Und es enthält auch ein exzentrisches und idiosynkratisches Leseprogramm, dem man folgen kann. Ich bin Pound damals gefolgt, und ich habe es nicht bereut. Der Dichter eröffnet sein Bildungsprogramm mit einer Art Parabel, einer kleinen Anekdote über den berühmten Naturforscher Louis Agassiz:

The proper METHOD for studying poetry and good letters is the method of contemporary biologists, that is careful first-hand examination of the matter, and continual COMPARISON of one "slide" or specimen with another.
No man is equipped for modern thinking until he has understood the anecdote of Agassiz and the fish:
A post-graduate student equipped with honors and diplomas went to Agassiz to receive the final and finishing touches. The great man offered him a small fish and told him to describe it.
Post-Graduate Student: 'That's only a sunfish.'
Agassiz: 'I know that. Write a description of it.'
After a few minutes the student returned with the description of the Ichthus Heliodiplodokus, or whatever term is used to conceal the common sunfish from vulgar knowledge, family of Heliichtherinkus, etc., as found in textbooks of the subject.
Agassiz again told the student to describe the fish.
The student produced a four-page essay. Agassiz then told him to look at the fish. At the end of three weeks the fish was in an advanced state of decomposition, but the student knew something about it.
By this method science has arisen, not on the narrow edge of medieval logic suspended in a vacuum.


Ich weiß, dass der Literaturkritiker Robert Scholes in seinem Buch Textual Power einiges gegen diese Methode einzuwenden hat, aber für mich war Pounds ABC of Reading vor fünfzig Jahren eine aufgestossene Tür in eine neue Welt. Wir machten damals viele Türen auf, wobei wir nicht wussten, was uns dahinter erwartete. Was Schule und Elternhaus vermittelten, war ja schön und gut. Aber wir wussten, dass die Geheimnisse der wirklichen Welt (wie Frauen, Literatur, Jazz) hinter verschlossenen Türen warteten. Und es waren solche von Freunden zugeraunten Sätze wie Du solltest mal Juliette Gréco hören - wir sollten mal anfangen, Proust zu lesen - hör Dir doch mal diese Blues Platte an - die die Schlüssel für die verschlossenen Türen waren. Wir infizierten uns gegenseitig mit Geheimtipps: Jacques Prévert, Le grand Meaulnes, Glenn Gould, Jack Kerouac, Michelangelo Antonioni, William Faulkner, Ezra Pound. Und ich weiß noch heute, welchem meiner Freunde ich welchen Geheimtipp verdanke. Und ich bin für viele dieser Hinweise, für viele Buch- und Plattengeschenke bis zum heutigen Tag dankbar. Sie haben mein Leben bestimmt.

Ezra Pound beendet seine Vorrede zu ABC of Reading mit dem Hinweis, dass die Musik ihr Leben verliert, wenn sie sich zu weit vom Tanz entfernt. Und die Dichtung ihr Leben verliert, wenn sie sich zu weit von der Musik entfernt. Und dann sagt er Bach and Mozart are never too far from physical movement. Und schließt seine Einführung mit Horaz' Nunc est bibendum Nunc pede libero Pulsanda tellus. Ich wußte, was das heißt. Nicht weil ich im Lateinzweig der Schule war, sondern weil in Eichendorffs Die Freier Flitt das zu Schlender sagt: FLITT. Nunc est bibendum, nunc pede libero pulsanda tellus! – Aber du verstehst nichts von der klassischen Literatur, als bibendum. SCHLENDER. Was heißt das andere zu deutsch? Das spielte unsere Theatergruppe damals (die damals auch horribili dictu Laienspielschar hieß), und ich war Regieassistent und Souffleur. Ich kannte das Stück auswendig, inklusive bibendum. Ein Dichter wie Pound, der so tänzerisch erdverbunden war, musste einem ja sympathisch sein. In seinem Käfig damals in Pisa bewegte er sich zur Irritation der amerikanischen Wachen die ganze Zeit, tänzelte, spielte ein imaginäres Tennismatch. Nunc pede libero pulsanda tellus.

Ezra Pound ist ein Außenseiter in der Welt, ein politischer Narr, ein Querulant, der diese typische amerikanische Eigenheit besitzt, allein gegen alles zu sein und auf seine Rechte zu pochen. So wie Henry David Thoreau, aber auch so wie all die bescheuerten Spinner, die Amerika hervorbringt. All jene, die von Verschwörungstheorien leben. Die Men in Black sind da noch die harmlosesten. Ezra Pounds Verschwörung heißt usura, und er schreibt sie in seine Pisaner Gesänge. Wucher und Habsucht sind die Todsünden des Jahrhunderts. Eine kapitalistische Weltverschwörung (hinter der auch die Juden stehen) ist an allem Schuld, auch am Weltkrieg. Hätte er die Sache mit den Juden beiseite gelassen, wäre es vielleicht eine passable, wenn auch krude, Kapitalismuskritik geworden.

Ich würde das alles lieber weglassen, aber ich gebe doch ein Beispiel für seine home-spun Theorien mit einer Radiosendung aus dem Jahre 1942, in der er wie so häufig das gesamte Weltwährungssystem reformieren möchte: Well, as Lord Rothermere said: they are unteachable. I don't know how much more they reckon to drop before they get ready for physic. I have said on this radio before now that along about 1695 or 94 the Bank of England was put together, and in 1750 they shut down on the Pennsylvania colony money, and the system of lending paper money out to the farmers. And in 1776 the natural consequences of that dirty London policy of starvin' and cheatin' became, as they say, more apparent. And a year or two later Johnnie Adams said to the British commander: They were havin' a parley, sez John Adams. 'I don't care what capacity I am received in, receive me in any capacity you like except that of a British subject.' So the first large scale effect of the London cheatin', and money monopoly was the loss of American colonies. The Chinese have a method of countin' cycles of 80 years. I don't know that there is much in it, but it seems to work sometimes. Eighty years, from the bank to the American Revolution. About 80 years from startin' the American government to the great betrayal of 1863. Think it over. And from 63 to the present. OUR rise as a state, thru three or four major, but POSITIVE convulsions, like Jefferson's revolt against Hamilton's dirtiness, the Jackson-VanBuren war for the liberation of the American Treasury. Lincoln's sayin', 'give to this people the greatest blessin' they ever had, their own paper to pay their debt. 

Troubadoure aus dem Languedoc, chinesische Philosophie, japanische Haikus, die Erfindung der modernen Lyrik, all das. Und nun so was. Es ist ja in dem, was über Jefferson, Hamilton, Jackson, Van Buren und das amerikanische Währungssystem gesagt wird, ein Körnchen Wahrheit. Aber was ist aus dem Gleichnis mit Louis Agassiz und dem Fisch geworden in seinem Kopf? Stand nicht das genaue Beobachten am Anfang jeder wissenschaftlichen Beschäftigung? Das, was er über den Rundfunk erzählt (wenn Sie noch etwas mehr davon lesen wollen, klicken Sie hier), ähnelt streckenweise dem Unsinn, den dieser Thilo Sarrazin erzählt. Sarrazin ist allerdings daneben nicht wie Ezra Pound einer der bedeutendsten Dichter der Moderne.

Ezra Pound ist für Mussolini ein nützlicher Idiot, ein nonkonformistischer Amerikaner, der sein Land auf einem falschen Weg (und in einem falschen Krieg) sieht. Der in der Art religiöser Wanderprediger wie Hazel Motes in Flannery O'Connors Wise Blood seine eigene Botschaft predigt. Der Roosevelt für eine Art Teufel hält. Aber das tun in Amerika jetzt mehr als die Hälfte der Amerikaner - denen man nach 1945 keinen Hochverratsprozess macht. Eigentlich ist nichts von dem, was Pound sagt, wirklich neu. Er hat das alles schon vorher gesagt, in seinen Gedichten, in seinen Schriften. Seit dem Ersten Weltkrieg hat er sich damit beschäftigt. Hat gepredigt, dass Materialismus, Wuchertum und Kapitalismus jede Kultur töten. Und natürlich die Bereitwilligkeit der Amerikaner zur konformistischen Anpassung gegeißelt (in dem Punkte gibt man ihm gerne Recht). 1939, als seine Frau eine kleine Erbschaft gemacht hatte, ist er (immer noch der hopeful-helpless reformer and liberator) einmal nach Jahrzehnten nach Amerika zurückgekehrt, um dem Präsidenten seine Botschaft zu bringen. Er musste sich mit Roosevelts Stellvertreter begnügen, der später sagte, er habe nichts von dem verstanden, was ihm Pound sagen wollte. Aber er sagte auch: Pound schien mir ganz normal, als er mich besuchte. Ich war erstaunt, als ich später erfuhr, dass er für Mussolini Radioansprachen gehalten hat. Ich glaube nicht, dass er die Absicht hatte, den Vereinigten Staaten zu schaden. Aber ich meine schon, dass er auf einer ganz anderen Wirklichkeitsebene lebte als die meisten von uns.

Als ABC of Reading 1934 erscheint, ist Ezra Pound gerade in der Phase, dass er als Repräsentant einer Ein-Mann-Universität die Welt zur Kultur und zur Literatur bekehren will. Das ABC of Reading ist die Studienordnung dafür. James Laughlin wird sein erster Student und gründet New Directions. Ein zweiter Student wird Robert Lowell sein, der Pound aus Harvard schreibt All my life I have been eccentric according to normal standards. Ja, da haben sich zwei exzentrische Seelen gefunden. Ein Vierteljahrhundert später schreibe ich mich an dieser Universität ein und habe das ABC of Reading unter dem Kopfkissen. Die Kurse mit der Wirtschaftsverschwörung, die von Professor Pound auch angeboten wurden, habe ich geschwänzt. Es war für mein Fernstudium an der Ezra Pound Universität damals sehr förderlich, dass beim Arche Verlag in Zürich Jahr für Jahr ein Band Ezra Pound erschien, zweisprachig, herausgegeben und übersetzt von Eva Hesse. Der lag nur wenige Tage im Schaufenster der Buchhandlung Conrad Claus Otto, dann gehörte er auch schon mir. Ich weiß nicht, was aus Pound in Deutschland geworden wäre, wenn er Eva Hesse nicht gehabt hätte.

Pounds (und Eliots) Dichtung ist erstaunlicherweise leicht zu parodieren, eine der bösesten Pound Imitationen ist von Robert Lowell (er hat sie übrigens umgehend an Pound geschickt) und heißt Adolf Hitler von Linz (Siegfried):

Hitler Adolfus? Shall I weigh him?
Expende Hannibalem: quot libros in Duce summo
Invenies? Crepat ingens Sejanus.
The lungs of Luther burn. You might say
He laid his cards on the table face-up, and called the hands.
Short suits, short suits: a ten year Marathon talker
For ten years talking the State on his talking tongue
To plum-pudding. For what?
For six million Jews?
The salt of the earth has burned like flax
To dirt in the craw of the lime-pits in Auschwitz.
Ach, das schrecklichsten UnMensch in diesem unmenschlicher Welt!
Vielleicht. Vielleicht? Das schrecklichsten!
He was. You were. Du! Du! Believing in Germany
Enough to break the Prussian spine.
Or the stiff neck of Europe?
Chiropractor, I went to jail
In my own country to save those German cities
You smashed like racks of clay pigeons,
Gyring through colored glass balls on Christmas trees
And Manchesters of Chicago Gothic - broken windows!
And my gorge stuck in my bowels
When they sent me down the Hudson, through neat Connecticut,
Through an alchemist's autumn, and hand-cuffed to two-bit
Porto Ricans for Danbury, for my place of correction.
You nothing, whom we might have called Lucifer,
If only you had lasted un poco -
una cosa picciola, animula blandula, believing in Italy,
Like no other German, no, not the Duce
Dragged for four hours by his bootstraps
Down the Uffizi a Firenze
By this thick Linz dumkopf cracked on the paint of Florence,
By a Barbarous Induperator, a German tourist,
Federigo Secondo, Manfredi, Winkelman,
By Freud!
Six million...Ma basta, un poco...
May the bastard rest in peace,
May the burn-out dust rest.

Robert Lowell, der sich zuerst freiwillig zur Navy melden wollte, hatte nachdem er von der Bombardierung Hamburgs erfuhr, Präsident Roosevelt einen Brief geschrieben (ähnlich wie Vogeler im Ersten Weltkrieg dem Kaiser einen Brief schreibt), der mit den Worten endet: With the greatest reluctance, with every wish that I may be proved in error, and after long deliberation on my responsibilities to myself, my country and my ancestors who played responsible parts in it is making, I have come to the conclusion that I cannot honorably participate in a war whose prosecution, as far as I can judge, constitutes a betrayal of my country. Man sperrt ihn ein (In my own country to save those German cities), es gibt keine Kommunikation zwischen den Künstlern und den Mächtigen. Was wäre gewesen, wenn Roosevelt auf Pound und Lowell gehört hätte?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen