Freitag, 8. Oktober 2010

Harro Harring


Dreiunddreißig - vierunddreißig!
Seid auf euren Kopf bedacht,
Wenn das Volk einst, grimm und beißig,
Der Geduld ein Ende macht!

Habt dem Volke viel versprochen,
Habt dem Volke viel gelobt,
Als Gefahr durch Sturm von außen
Euren morschen Thron umtobt.

Habt gelobt dem deutschen Volke
Freiheit, Unabhängigkeit:
Und der Welt zum Spott geworden
Seufzt das Volk seit jener Zeit!

Habt gelobt in Angst und Nöten
Alles, was dem Volk gehört,
Das für euch sein Blut vergossen
Und ihm habt ihr nichts gewährt.

Freies Wort und freie Rede,
Davor fürchtet ihr euch sehr,
Denn das Wort in solcher Fehde
Wäre schon Entscheidungswehr!

Seid des Meineids überwiesen
Und des schnöden Hochverrats -
Tretet frech das Volk mit Füßen,
Wähnt, ihr seid das All des Staats!

Doch ihr kennt am allerbesten
Eure Stellung - die Gefahr!
Wollt am Schweiß und Blut euch mästen,
Weil euch eure Zukunft klar!

Wißt gar wohl, ihr werdet fallen,
Warum braucht ihr noch Gewalt!
Wißt gar wohl, es wird euch allen
Der Verrat durch Blut bezahlt.

Darum zittert ihr so feige,
Habt zur Stütze nicht das Recht:
Zittert, daß sich rächend zeige
Ein erbittert deutsch’ Geschlecht!

Dreiunddreißig - vierunddreißig!
Seid auf euren Kopf bedacht,
Wenn das Volk einst, grimm und beißig,
Der Geduld ein Ende macht!


Mein Vater kam aus Nordfriesland nach Bremen, er kam aus der Gegend, wo auch Harro Harring herkam, und er war mit solchen Sätzen wie Lever duad as Slav, Wahr Di, Buer, de Gaar de kummt,  Rüm hart, klaar kimming, mit Harro Harring und Theodor Storm und der grauen Stadt am Meer aufgewachsen. Und so war Harro Paul Kasimir Harring für mich von klein auf ein Begriff, abgesehen davon, dass ich ihn später für einen Spinner hielt. Aber da er mir vorgestern im Zusammenhang mit dem Griechen-Müller wieder über den Weg lief, zitiere ich doch gerne einmal dies Gedicht von ihm. Es ist ja nun wirklich schade, dass es nicht mit einundzwanzig -  einunddzwanzig anfängt. Sonst könnte man es ja wunderschön für Stuttgart 21 brauchen. Aber was hier zitiert wird, ist die damalige Anzahl der deutschen Fürsten und Fürstentümer. Nicht die Paragraphen aus den Grundrechten des deutschen Volkes vom Dezember 1848, wo der Paragraph 34 lautet Jeder Unterthänigkeits- und Hörigkeitsverband hört für immer auf. War wenig später schon Makulatur.

Der deutsche Michel und seine Kappe, von der Jakobinermütze bis zur Schlafmütze. So erschienen 1848 im ersten Band des Eulenspiegel. Der erschien natürlich in Stuttgart, dort gab es ja auch ein Rumpfparlament, also, Revolution konnten die da schon in Stuttgart. Wahrscheinlich haben sie auch heute längst ihre eigenen Verseschmiede und brauchen den Harro Harring aus dem damals noch dänischen Nordfriesland gar nicht.

Eigentlich wollte er ja Maler werden und nicht Dichter, Freiheitskämpfer und Berufsrevolutionär. Er hat, wie Caspar David Friedrich, in Kopenhagen an der Akademie studiert. Aber im Gegensatz zu Friedrich wollte er von Anfang an Schlachtenmaler werden. Danach ist er im altdeutschen Gewand (das jetzt chic ist, besonders bei Revolutionären) nach Dresden gepilgert, um im Kreise um Caspar David Friedrich zu lernen. Dessen Freund Wilhelm von Kügelgen erwähnt ihn in seinen Lebenserinnerungen als den abenteuerlichen Nordfriesen Harro Harring. Er ist als Maler nicht so richtig berühmt geworden, aber vor Jahren sind aus seiner Zeit in Brasilien eine Vielzahl von bisher unbekannten Aquarellen aufgetaucht, in denen er sich gegen den Sklavenhandel wendet.

A political exile/ man of letters/ and painter/ who fought for freedom/ He was a Dane/ and a friend of Byron/ Garibaldi/ and Mazzini steht auf seinem Grabstein auf der Insel Jersey. Nachhause konnte er nicht mehr zurück. Oder er wollte es nicht, sein Gesuch an die dänische Regierung, ihn auf seinen Heimatboden zurückkehren zu lassen und sei es in ein Gefängnis, war von den Dänen nicht abgelehnt worden. Aber da war er schon sehr verwirrt und litt an Verfolgungswahn, was natürlich für jemanden, der beinahe alle Gefängnisse von Europa von innen kannte, verständlich ist. Er hat 1870 im Zustand geistiger Verwirrung Selbstmord begangen, indem er den Phosphor von hunderten von abgeschabten Streichhölzern aß. Karl Marx hat von Harring mit zynischem Spott ein bösartiges Portrait gezeichnet.

Niemand wurde durch die Verhältnisse in eine günstigere Lage gestellt, um sich zum Typus des Emigrationsagitators zu entwickeln, als unser Freund Harro Harring. Und in der Tat ist er das Urbild geworden, dem alle unsre großen Männer des Exils, alle die Arnolde, die Gustave, die Gottfriede, mit mehr oder weniger Bewußtsein und mit größerem oder geringerem Glück nacheifern und das sie, wenn keine ungünstigen Umstände dazwischenkommen, vielleicht erreichen, schwerlich aber übertreffen werden. Harro, der wie Cäsar seine Großtaten selbst beschrieben hat (London 1852), ist "auf der cimbrischen Halbinsel geboren und gehört jener hellsehenden nordfriesischen Rasse an, die schon durch den Dr. Clement hat beweisen lassen, daß alle großen Nationen der Welt von ihr abstammen. "Schon in früher Jugend" suchte er seine "Begeisterung für die Sache der Völker durch die Tat zu bewähren", indem er 1821 nach Griechenland ging. Man sieht, wie Freund Harro bereits früh den Beruf in sich ahnte, überall dabei zu sein, wo es irgendeine Konfusion gab. 

Ja, so sind die Emigranten unter sich, sind sich spinnefeind. Häme und Hass, dass sie eigentlich für die gleiche Sache kämpfen, gerät in den Hintergrund. Was ist mit der Solidarität? 1848 ist Harring nach beinahe dreißig Jahren Abwesenheit wieder in Schleswig-Holstein gewesen, wurde Redakteur der radikal-demokratischen Zeitung Das Volk in Rendsburg. Hat eine flammende Rede auf dem Marktplatz von Bredstedt gehalten und wollte eine freie Republik Nordfriesland ausrufen. Ist nichts draus geworden. Wie aus so vielen Dingen, die er angefangen hat. Wenn Sie hier mal hineinschauen, werden Sie sehen, dass dieses Leben Stoff für Romane und Verfilmungen bietet, mindestens Harro Harring I bis III.

Die abschließende Bewertung in der Marx/Engels Ausgabe sieht natürlich etwas anders aus, als Harring sein eigenes Leben gesehen hat: Hiermit beschließen wir die Abenteuer unsres demagogischen Hidalgo aus der söderjylländischen Mancha. In Griechenland wie in Brasilien, an der Weichsel wie am La Plata, in Schleswig-Holstein wie in New York, in London wie in der Schweiz: Vertreter bald des Jungen Europa, bald der südamerikanischen "Humanidad", bald Maler, bald Nachtwächter und Lohnbedienter, bald Hausierer mit eignen Schriften; heute unter Wasserpolacken, morgen unter Gauchos, übermorgen unter Schiffskapitänen; verkannt, verlassen, ignoriert, überall aber irrender Ritter der Freiheit, der eine gründliche Verachtung gegen den gemeinen bürgerlichen Erwerb hat - bleibt sich unser Held zu allen Zeiten, in allen Ländern und unter allen Umständen gleich an Konfusion, an zu prätentiöser Zudringlichkeit, an Glauben an sich selbst und wird aller Welt zum Trotz von sich sagen, schreiben und drucken, daß er seit 1831 das Haupttriebrad der Weltgeschichte war.

Wie auch immer (eine schöne Formel für einen abrupten Übergang), es ist ein Leben voller Ideale gewesen, und seine kleine Schrift Worte eines Menschen enthält eine Vielzahl von Sätzen, die heute eigentlich selbstverständlich sein sollten, aber doch schon wieder revolutionär sind. Gustav Heinemann hat die deutschen Historiker einmal aufgefordert, sich mit den längst entschwundenen Streitern für eine freiheitliche und soziale deutsche Republik  zu beschäftigen. Denn Nur durch die Aneignung des lange vernachlässigten, unterschlagenen und unbeachteten demokratischen Erbes kann die deutsche Geschichtsforschung neue, zukunftsweisende Perspektiven eröffnen und in wissenschaftliches Neuland vorstoßen, das es zu entdecken lohnt.

Wenn Harro Harring dem Bürger Marx auch als Poseur und Salonrevoluzzer erscheint, er lebt und schreibt für eine Idee. Wenn auch die Serenaden und Phantasien eines friesischen Sängers keine große Literatur sind, eingängig sind viele Verse (siehe das Beispiel dreiunddreißig - vierunddreißig oben) schon, manches klingt ein wenig nach dem frühen Fontane. Aber Heinemann (den man in Deutschland auch schon vergessen hat) hatte schon Recht, der deutsche Vormärz und die 48er Revolution bleiben eigentlich noch ein weißer Fleck auf der Landkarte. Und man muss es dem Friesen Harro Harring lassen, der auf dem Hambacher Fest zurückgewiesen wurde, weil er kein Deutscher ist, dass er voller Ideale und voller Ideen ist. Von wem können wir das heute noch sagen?

In einer Zeit, wo ein Herr Mappus demonstriert, dass von Siemens nichts Gutes kommen kann, wo ein Herr Dr. Scheuerl (der ja gerade das Hamburger Gymnasium gerettet hat) die Firma Kik juristisch vertritt, und die Gattin eines Wirtschaftskriminellen für Kik Reklame macht, und die Bild Zeitung plötzlich gegen den Bundespräsidenten hetzt, ein Bundestrainer ein Verdienstkreuz dafür erhält, dass er sich in der K-Frage nicht festlegen mag, und ein Mann namens Sarrazin uns beweist, dass man mit gesammelten Stammtischsprüchen genauso viel Geld machen kann wie Dieter Bohlen (mit dem die KiK Reklamefigur ja mal verheiratet war) - in einer solchen Zeit fehlen uns irgendwie die Heinrich Heines und Harro Harrings. Ich schliesse das mal, da ich nicht noch ein langes Harro Harring Gedicht abtippen will, mit den Worten Hyperions an Bellarmin: O ihr Genossen meiner Zeit! fragt eure Ärzte nicht und nicht die Priester, wenn ihr innerlich vergeht! Ihr habt den Glauben an alles Grosse verloren; so müsst, so müsst ihr hin, wenn dieser Glaube nicht wiederkehrt, wie ein Komet aus fremden Himmeln.

Und ich hätte zum Schluss (leider nur auf Englisch) einen wunderbaren Bericht aus einer juristischen Zeitung über Kleinstaaterei des Denkens, einen Prozess von friesisch-europäischer Dimension, in dem es um ein Harro Harrings Denkmal ging. Was hätte er zu all dem gesagt?

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