Mittwoch, 28. Februar 2018

Fremde Federn


Als ich wissenschaftliche Arbeiten zu schreiben begann, waren Fußnoten das A und O jeder Arbeit. Man musste möglichst viele Fußnoten in einer Arbeit unterbringen, das galt als wissenschaftlich.  Ohne dass ich damals Michel de Montaignes Bemerkungen über das Zitieren fremder Autoritäten gelesen hatte, fand ich diese Fußnotenschwemme albern. Je mehr ich schrieb und je älter ich wurde, desto zahlenmäßig geringer wurden die Fußnoten in meinen Texten. In seinem Buch Napoleon and his Marshals verzichtet ↠A.G. Macdonnel auf Fußnoten und Bibliographie und schreibt mit wunderbarer Frechheit: I am profoundly suspicious of almost all bibliographies. Nothing is easier than to hire someone to visit the British Museum and make a most impressive list of authorities, which will persuade the non-suspecting that the author is a monument of erudition and laboriousness. I propose, therefore, to confine myself to the simple statement that every single detail of this book has been taken from one or other work of history, reference, reminiscence, or biography. Ich habe das immer bewunderswert gefunden. Ich bin nicht der einzige, viele Autoren haben diese Sätze mit Vergnügen zitiert.

Die Wissenschaft, sie ist und bleibt, was einer ab vom andern schreibt. Die Fußnote ist der sichtbarste Ausdruck wissenschaftlicher Tätigkeit. Eine wissenschaftliche Abhandlung unterscheidet sich von banalen Schriften durch Fußnoten. Anzahl und Umfang der Fußnoten bestimmen ihren wissenschaftlichen Rang und Tiefgang, kann man in einem ↠Text lesen, der ein klein wenig satirisch ist. Man kann das schon dem Titel entnehmen, wo das Wort Pedinotalogie (versehen mit einem Copyright Zeichen) auftaucht. Das ist Küchenlatein für die Wissenschaft von der Fußnote. Wenn Sie etwas nicht Satirisches zur Fußnote lesen wollen, kann ich Anthony Grafton Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote empfehlen.

Manche Autoren zitierten nicht nur anerkannte Autoritäten als Beleg, sondern zitierten ständig eigene Arbeiten. Wofür ein Kritiker in der Zeitschrift LiLi in den siebziger Jahren die schöne Formulierung vom hartnäckigen Selbstzitat fand. Es gilt wissenschaftlich als nicht fein, ist aber keineswegs vom Aussterben bedroht. Dünnbrettbohrer, die sich als Autoritäten aufplustern, können auf das hartnäckige Selbstzitat nicht verzichten. Fußnoten sind eine Kunst, die man beherrschen muss. Sie sind auch eine gefährliche Sache. Der Herr ↠von und zu Guttenberg, der schamlos seinen eigenen Doktorvater beklaute, ohne das mit einer Fußnote zu belegen, beherrschte die Kunst der Fußnote nicht. Allerdings muss man sagen, dass sein Doktorvater Peter Häberle in seinen eigenen Schriften die Fußnoten in einer Art verwendete, wofür die Engländer die schöne Formulierung in a cavalier fashion haben. Kaum etwas stimmte, fanden seine Assistenten heraus. Und der Rest waren hartnäckige Selbstzitate. In Bayreuth reicht als Ausweis der Wissenschaftlichkeit offensichtlich ein CSU Parteibuch. Sie finden mehr zu der Plagiatsaffäre in den Posts ↠Plagiat und ↠Der wissenschaftliche Witz.

Zitate, die durch Fußnoten belegt sind, gehören zur Wissenschaft. Lassen Sie uns einmal in die Zeit der Renaissance zurückgehen, in das goldene Zeitalter des Zitats. Hatte man vorher die Bibel als alleinige Autorität zitiert, so zitiert man jetzt alles, was wir aus dem Lateinunterricht kennen. Ich möchte damit zu Michel de Montaigne kommen, der am 28. Februar 1533 geboren wurde. Er liebte Zitate. Aber er war auch sehr kritisch gegenüber Schriften voller Zitaten. Pasteten aus Gemeinplätzen hat er sie genannt. Und er warnt davor, dass vor lauter Zitieren berühmter Autoritäten der eigene Gedanke nicht sichtbar wird: Wir können wohl sagen, Cicero spricht das oder ienes, Plato hatte die Art, dieß sind des Aristoteles eigene Worte. Allein, was sagen dann wir für unsere eigene Person? Was thun wir? Was urtheilen wir? So viel könnte ein Papogey auch sagen. Ich weiß, dass ich das schon in ↠Unser Land zitiert habe, aber ich zitiere es gerne.

Michel de Montaigne kannte die Guttenbergs und Schavans dieser Welt: Einige ... führen ihren vorhabenden Satz (wie es den Gelehrten sehr leicht fällt) durch hier und da zusammengestoppelte alte Erfindungen aus. Allein, ernstlich begehen sie eine Unbilligkeit und Niederträchtigkeit, in soferne sie dieselben verbergen und sich anmaßen wollen, weil sie sich, ungeachtet sie selbst nichts eigenes haben, womit sie sich sehen lassen könnten, durch ein ganz und gar fremdes Gut hervor zu thun suchen. Nebst dem ist es aber auch eine große Thorheit, daß sie sich begnügen durch Betrügerey den Beyfall des unwissenden Pöbels zu erlangen, und gegentheils verständigen Leuten eine üble Meynung von sich beybringen, als die über dergleichen erborgter Schminke die Nase rümpfen, und deren Lobsprüche doch nur einzig und allein, von einigen Gewichte sind.

An anderer Stelle schreibt Montaigne: Eben so, wie einer von mir sagen könnte, ich hätte hier nur einen Haufen fremder Blumen gesammelt, und weiter nichts dazu beygetragen, als den Faden, sie zusammen zu binden. Ich finde das einen wunderbaren Satz, denn wenn ich ehrlich bin, tue ich letztlich in meinem Blog nichts anderes. Und ich mache zu dem Thema der Zitate bei Montaigne hier gerne eine ↠Fußnote, die auf einen sehr schönen Aufsatz zu dem Thema verweist. Der Autor beginnt mit einem Zitat vom David Lodge (den kennen Sie, weil Sie den Post ↠Universitätsromane gelesen haben): I respect a man who can recognize a quotation. It's dying art.

Ich hatte mir den Satz von Montaigne mit dem Haufen fremder Blumen  irgendwo notiert; ich notiere mir immer Sätze von Montaigne, finde aber diese Zettel nicht wieder. Doch der Satz begegnete mir in einem Weihnachtsgeschenk in englischer Fassung wieder: I have gathered a posy of other men's flowers and nothing but the thread that binds them is mine own. Der Autor des Buches The Enigma of Kidson über den legendären Geschichtslehrer aus Eton zitierte nicht nur diesen Satz von Montaigne, er wies auch noch auf eine Gedichtanthologie hin, die den Titel Other Men's Flowers hat. Das Buch erschien 1944 in einer für England dunklen Stunde, es fand sehr viele Leser. Es ist heute immer noch lieferbar.

Der Herausgeber von Other Men's Flowers war kein Dichter, kein Literaturprofessor. Er war ein englischer Feldmarschall, der gerade Vizekönig von Indien war. Alle Gedichte in seinem Buch konnte er auswendig. Er konnte Churchill nicht ausstehen, aber Churchill bekommt eines Tages den Literaturnobelpreis. Man hätte ihn lieber Archibald Wavell geben sollen, der nicht nur viele Gedichte auswendig konnte, sondern auch noch Gedichte schrieb. Eins hat er in seine Blütenlese aufgenommen. Damit wir einen Eindruck von unserem dichtenden Viscount bekommen, zitiere ich einmal das Sonett von ihm, das er 1943 schrieb. Da war er dreiundvierzig Jahre in der englischen Armee. Es ist sicher ein sehr persönliches Gedicht, das er als a little wayside dandelion of my own bezeichnete:

Dear Lady of the cherries, cool, serene,
Untroubled by the follies, strife and fears,
Clad in soft reds and blues and mantle green
Your memory has been with me all these years.

Long years of battle, bitterness and waste,
Dry years of sun and dust and eastern skies,
Hard years of ceaseless struggle, endless haste,
Fighting ‘gainst greed for power hate and lies.

Your red-gold hair, your slowly smiling face
For pride in your dear son, your king of kings,
Fruits of the kindly earth, and truth and grace,
Colour and light, and all warm lovely things –

For all that lovelieness, that warmth, that light,
Blessed Madonna, I go back to fight.

Wavells Dear Lady of the cherries ist das letzte Gedicht in Other Men's Flowers, ist eine Art Nachwort. So etwas fällt natürlich nicht unter den Begriff vom hartnäckigen Selbstzitat. Lord Wavell wollte auf Fußnoten verzichten, aber sein Verleger Jonathan Cape überredete ihn, Anmerkungen zu den Gedichten zu schreiben. Die manchmal sehr witzig ausfallen. Hier ist das, was er über T.S. Eliot gesagt hat: Much of the work of T.S. Eliot has obvious dignity and beauty, and is also a pleasure to read as long as one makes no effort to solve his cryptograms; but some of it seems deliberately ugly as well as cryptic. I look on him as one who has sinned against the light of poetry by wrapping his great talent in the napkin of obscurity. Eliot hat das hingenommen. Nach dem Tod von Wavell hat er gesagt: I do not pretend to be a judge of Wavell as a soldier ... What I do know from personal acquaintance with the man, is that he was a great man. This is not a term I use easily.

Zitate sind schön und gut, es kann nicht schaden, Georg Büchmanns Geflügelte Worte zur Hand zu haben. Montaigne gebraucht die Zitate immer wieder. Aber er will kein Papagei sein, es muss etwas Eigenes dazu kommen. Er versucht nicht, durch Betrügerey den Beyfall des unwissenden Pöbels zu erlangen. Er stellt dagegen: Ich, meines Theils, suche nichts weniger als das. Ich rede von den andern in keiner andern Absicht, als um desto mehr von mir selbst zu reden. Ist das nicht die Maxime aller Blogger?


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