Doch genau in diesem Augenblick, der in den Bildern zur Darstellung gelangt ist, sind zugleich die letzten Sprachstücke, eher wohl Todesschreie dieser anderen Sprache aufgehoben: Auf den Gemälden und Standbildern indes recken die Drachen weiterhin die schon schwer angeschlagenen Köpfe, drehen sie sich, als hätten sie noch eine Chance zu entkommen, um nach den Mördern mit weit aufgesperrten Mäulern, die von Blut überströmen - roten klaffenden Wunden ähnlich, die nicht mehr heilen, sich nie wieder schließen werden – und schreien, brüllen, röcheln sie die Sprache der Körper und der Herzen in der den Bildern angestammten Stummheit. Erbarmen mit den Drachen, wann findet man das schon mal in der Literatur?
Meistens müssen Ritter zuerst einen Drachen erschlagen, um an die damsel in distress heranzukommen, die auf dem Bild von John Everett Millais für das viktorianische Publikum auch noch nett nackt ist. Ich weiß nicht, ob die Unterwäschenfirma Victoria's Secret etwas mit dem viktorianischen Schmuddelsex zu tun hat, könnte aber sein. Aber ich weiß, dass Raymond Chandler das Bild von Millais in seinen Roman The Big Sleep hineingeschrieben hat: The main hallway of the Sternwood place was two stories high. Over the entrance doors, which would have let in a troop of Indian elephants, there was a broad stained-glass panel showing a knight in dark armor rescuing a lady who was tied to a tree and didn’t have any clothes on but some very long and convenient hair. The knight had pushed the vizor of his helmet back to be sociable, and he was fiddling with the knots on the ropes that tied the lady to the tree and not getting anywhere. I stood there and thought that if I lived in the house, I would sooner or later have to climb up there and help him. He didn’t seem to be really trying.
Ritter, Drachen, damsels in distress, das ist seit der Arthurian Romance ein Dauerbrenner. Ich bleibe mal bei der Literatur, lasse alles weg, was da an Monstern im Fantasygenre über die Bildschirme kreucht und fleucht (lesen Sie mehr dazu in Fantasy). Wir haben genug an Rittern der Tafelrunde, haben genug damsels in distress, aber was ist mit den Drachen? In ↠Beowulf: The Monsters and the Critics hat J.R.R. Tolkien gesagt: one dragon, however hot, does not make a summer, or a host; and a man might well exchange for one good dragon what he would not sell for a wilderness. And dragons, real dragons, essential both to the machinery and idea of the poem or tale, are actually rare.
Der Text im ersten Absatz stammt aus dem Buch Der wunde Punkt im Alphabet von Anne Duden. Als mir das Buch im Antiquariat in die Hand fiel, habe ich mich gleich darin festgelesen. Das Buch war auch deshalb interessant, weil da noch ein Brief von Anne Duden an eine Freundin drin lag, mit der sie einmal beim Rotbuch Verlag zusammengearbeit hatte. Man kommt sich da beim Lesen ein wenig wie ein Voyeur vor. Wenn eine Dichterin über Drachen schreibt, sieht das natürlich etwas anders aus, als wenn sich Literaturwissenschaftler des Themas annehmen. Das haben sie schon getan, ich verweise da einmal auf das Buch Good Dragons are Rare: An Inquiry into Literary Dragons East and West.
Heute vor 480 Jahren ist der Maler Albrecht Altdorfer gestorben. Erstaunlicherweise hat er in diesem Blog noch keinen Post. In dem Post Albrecht Dürer habe ich geschrieben: Ich mag Albrecht Altdorfer, ich mag Adam Elsheimer, aber Dürer mit seiner kalten Schönheit bleibt mir fremd. Neben Grünewald oder auch nur neben Altdorfer erscheint er furchtbar trocken und arm. Es kommt hier zu Tage daß sein Verhältnis zur Farbe doch der natürlichen Wärme entbehrte, hat Heinrich Wölfflin gesagt.
Das Bild mit dem Heiligen Georg und dem Drachen, das in der Münchener Alten Pinakothek hängt, ist klitzeklein, 28 mal 22 Zentimeter. Aber man vergisst es nie, wenn man es einmal gesehen hat. Viel Wald, ein seltsamer Drache, der wie ein übergroßer Breitmaulfrosch aussieht. Ein Ritter, der sich nicht rührt. Schockstarre? Ein Ausblick auf blaue Berge, der vielleicht später in das Bild gemalt wurde.
Für Simon Schama war es in seinem Buch Landscape and Memory die deutsche Geschichte schlechthin: The story, we begin to understand as the leaves emit light onto yet more leaves, piling up and overlapping in densely embroidered frond-like panels, is the forest. This German wood is not “the setting”; it is the history itself. Nature and Memory ist ein Leseerlebnis, und das Kapitel über den deutschen Wald ist besonders schön: Religion and patriotism, antiquity and the future — all came together in the Teutonic romance of the woods.
Reglos verharrt der Ritter im wogenden gelbgrünen Laubmeer, als zweifle er an seinem Drachentöterverstand, schreibt Anita Albus (die hier einen Post hat) über das Bild. In ihrem Buch ↠Die Kunst der Künste: Erinnerungen an die Malerei hat sie ein schönes Kapitel über den Drachentöter im Laubmeer. Wo wir lesen können: Niemand vor und niemand nach Altdorfer hat die Drachenkampfepisode in einem Urwald dargestellt, und kein anderes Georgsbild zeigt eine Schrecklähmung des Ritters.
Unser Georg, der den Drachen tötet, hat eigentlich nichts mit dem Wald zu tun. Eigentlich ist er in Beirut. Arnold von Harff erzählt in seiner Pilgerfahrt: ... da hauste der König von Phönizien, auf dessen Tochter das Loos fiel, dass sie der Drache verschlingen sollte. Da ging sie von dem Schloss eine halbe wälsche Meile weit am Strande gegen Mitternacht an einen viereckigen steinernen Strunk, den erstieg sie mit einem Lamme, da er hoch über die Erde aufgemauert war, da oben des Drachen zu erwarten. Indem kommt der Ritter St. Georg geritten und frägt die Königin, warum sie so traurig allein stund. Sie antwortet: O edler Herr! fliehet bald von hinnen, hier kömmt ein böser Drache, der mich verschlingen wird und auch euch verderben könnte. Mit den Worten schlug St. Georg ein Kreuz und überwand den Drachen.
Ein bisschen mehr hätten wir uns bei der Beschreibung des Drachenkampfes schon gewünscht. Dieser Drache in Beirut fordert täglich seinen Tribut an Menschenfleisch. So wie die Pflanze in The Little Shop of Horrors, die ständig Feed me sagt. Wenn man dem Wunsch des Beiruter Drachens nicht nachkommt, droht er, die Stadt mit seinem Gifthauch zu verpesten. Es gibt da in der Gegend keine Drachen mehr, aber Gifthauch kennen sie da im Nachbarstaat schon.
In Altdorfers Heimat an der Donaus gab es keine Drachen, er wusste nicht, wie sie aussehen. Aber Wald gibt es da, wie Bäume aussehen, das weiß der Albrecht Altdorfer schon. Und doch malt er einen Laubwald mit Blättern, die anders aussehen als in der Wirklichkeit oder in einem Bestimmungsbuch von Joachim Camerarius. Am ehesten könnte man die Laubmauer mit den seltsamen Blättern mit zwei Seitentafeln eines Altars von Gerard David vergleichen. Die festumrissene Gestalt der Blätte und Bäume lässt Altdorfer kalt, was ihn entflammt, sind die Kaskaden des Lichts in den Turbulenzen des Laubmeeres, die der Wind erzeugt, schreibt Anita Albus.
Auf dieses Buch mit dem Titel Albrecht Altdorfer and the Origins of Landscape sollte ich zum Schluss noch hinweisen. Denn Altdorfer hat nicht nur den Laubwald mit dem putzigen Drachen gemalt, er hat für Deutschland auch die Landschaftsmalerei erfunden. Mit wilden Wäldern, man nennt die Maler der sogenannten Donauschule auch die wilden Maler von der Donau. Dass Altdorfer, zu dem ich hier noch einen kleinen ↠Film habe, etwas Besonders war, das war mir schon klar, als ich noch klein war. Ich war vielleicht sieben, als ich versuchte, all die Menschen zu zählen, die auf seiner Alexanderschlacht abgebildet sind. Ich habe mich immer wieder verzählt, aber es ist eine schöne Übung, um das Bild zu verstehen. Ich hätte auch die Blätter des Laubwaldes zählen können, der den Georg mit seiner schwarzen Rüstung umgibt, aber das habe ich lieber gelassen.In Altdorfers Heimat an der Donaus gab es keine Drachen, er wusste nicht, wie sie aussehen. Aber Wald gibt es da, wie Bäume aussehen, das weiß der Albrecht Altdorfer schon. Und doch malt er einen Laubwald mit Blättern, die anders aussehen als in der Wirklichkeit oder in einem Bestimmungsbuch von Joachim Camerarius. Am ehesten könnte man die Laubmauer mit den seltsamen Blättern mit zwei Seitentafeln eines Altars von Gerard David vergleichen. Die festumrissene Gestalt der Blätte und Bäume lässt Altdorfer kalt, was ihn entflammt, sind die Kaskaden des Lichts in den Turbulenzen des Laubmeeres, die der Wind erzeugt, schreibt Anita Albus.
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