Donnerstag, 30. Juli 2015

Ingmar Bergman


Habt ihr geschweigt? fragte der Gastgeber der Party, als ich mit meiner Freundin aus dem Garten zur Party zurückkam. Offensichtlich war aus dem Film Das Schweigen schon ein neues Verb geworden. Wir hatten im dunklen Garten unter den riesigen Rhododendren nur geknutscht. Den Film von Ingmar Bergman hatte ich noch nicht gesehen. Wochen später, als ich mit meiner Freundin (die, blond wie sie war, glatt für eine Schwedin hätte durchgehen können) an der Kasse des Kinos in der Böttcherstraße zwei Karten für Das Schweigen verlangte, erfuhr ich, dass die Vorstellung ausverkauft war. Und für die nächsten Tage auch. Wir haben gelacht und sind in ein anderes Kino gegangen. Und haben Truffauts ➱Liebe mit Zwanzig gesehen, passte irgendwie auch.

Am Montag, dem 20. Juli 2015 hat ARTE seine Ingmar Bergman Reihe mit Fanny und Alexander begonnen, hinterher gab es noch Wilde Erdbeeren. Den habe ich auf DVD, wie die meisten Filme des Schweden. Irgendwie muss gerade eine Bergman Welle rollen, ich möchte das nicht verpasst haben. Der Post ➱Schweigen wird zur Zeit wie wild gelesen. ARTE hat seine Retrospektive, das Bergman Center hat eine Bergman Week, aber die haben sie wahrscheinlich in jedem Jahr. Was aber neu ist: Schweden gibt im Oktober eine 200 Kronen Note mit dem Bild Ingmar Bergmans heraus. Die anderen Prominenten auf dem neuen schwedischen Geld sind Astrid Lindgren, Evert Taube, ➱Greta Garbo, Birgit Nilsson und Dag Hammarskjöld.

Der erste Bergman Film, den ich sah, war Das siebente Siegel, den zeigte unser Schülerfilmclub. Ich weiß nicht, wer damals die Filme auswählte, aber wenn man im Schülerfilmclub war, hatte man die Chance, den Filmvorführer Schein zu machen. Mein Mitschüler Wuddel (der ➱hier einen Post hat) hat mich immer nach Bremen zur Landesbildstelle zu dem Lehrgang mitgeschleppt.

Später hat mich nie wieder jemand nach meinem Filmvorführer Schein gefragt, so richtig was fürs Leben war der Schein, wie so viele Scheine, auch nicht. Ich erinnere mich nicht mehr an alle Filme, die es im Filmclub zu sehen gab, aber ich weiß, dass der Schimmelreiter gezeigt wurde. Und Truffauts Sie küssten und sie schlugen ihn. Weil der Direx den so pädagogisch wertvoll fand. Wie der Tod eines Radfahrers mit Lucia Bosé auf die Liste gekommen ist, werde ich wohl nie erfahren. Aber den ➱Trenchcoat im Film fand ich toll. ➱Lucia Bosé auch.

Natürlich war die Aula der Schule mit dem harten Gestühl (das die Werft ➱Friedrich Lürssen gebaut und gestiftet hatte) und der kleinen Leinwand nicht das Elysium eines Cinéasten, aber es war manchmal besser als gar nichts. Das wirkliche Leben fand damals im Kino statt, das meistens nicht Kino sondern Filmkunsttheater hieß. In meinem Heimatort gab es drei Kinos, da sind die Kinos in Blumenthal oder Grohn gar nicht mitgezählt. In Bremen Stadt gab es in den fünfziger Jahren 28 Kinos, und 1957, als Das siebente Siegel und Wilde Erdbeeren ins Kino kamen, gingen mehr als zehn Millionen Bremer ins Kino. Nicht wegen Ingmar Bergman. So viele Besucher haben die Kinos in der Hansestadt nie wieder gehabt.

Man ging natürlich aus den unterschiedlichsten Gründen ins Kino. Also ich ging wegen der schönen Frauen (wie Ingrid Thulin oben und hier) und wegen der Mode ins Kino, das habe ich schon häufiger zugegeben. Solch einen Wendemantel wie ihn hier Victor Sjöström trägt, hatte ich damals auch. Leider sind diese Mäntel, die die Firma ➱Valstar zum Beispiel im Programm hatte, völlig aus der Mode gekommen.

Ingmar Bergman ist offensichtlich nicht aus der Mode gekommen: Each and every day, a Bergman film is screened somewhere in the world. A new Bergman play is staged every other week. Bergman’s books are re-published and translated into additional languages every year, just as original essays and articles are being written discussing his work. Despite our best efforts, we are unable to cover all Bergman-related news, but here we bring you the most important happenings, sagt die Ingmar Bergman Stiftung auf ihrer Homepage.

Das klang in Schweden nicht immer so nett. Man mochte den Theatermann Bergman. Den Filmemacher Bergman nicht, man mochte es nicht, dass er internationalen Erfolg hatte. Das Phänomen heißt den kungliga svenska avundsjukan, es ist schlichter Neid. Greta Garbo, Ingrid Bergman und Anita Ekberg sind Opfer dieses Hasses der Schweden geworden. Eigentlich ist es erstaunlich, dass Greta Garbo auf den 200 Kronen Schein gekommen ist. Ich verdanke dieses bezaubernde kleine Detail mit dem kungliga svenska avundsjukan Kersti French, die in dem gemeinsam mit ihrem Ehemann Philip French geschriebenen Buch Wild Strawberries (in der vorzüglichen Reihe der BFI Classics) auf dieses Phänomen eingeht.

In den sechziger Jahren wurde Bergman in England gefeiert. Aber nicht alle englischen und amerikanischen Kritiker mochten Ingmar Bergman in seinen Anfängen. Wenn ➱Woody Allen Jahrzehnte später Bergman recycelte, dann fanden die Kritiker das großartig, aber in den fünfziger Jahren stieß der Schwede auf viel Ressentiment. Nicht alles war so witzig geschrieben wie Dilys Powells Kritik zu Das siebente Siegel: Death playing chess on the sea-shore - it would be consoling to be able to say that the magniloquent symbols conceal something bogus as well as sentimental. But they don't; Mr. Bergman, I am sure, has a midnight, Arctic-winter sincerity; the violence of my dislike of his film is probably evidence of that. Did I say that The Seventh Seal was sobering? On me it has the impact of one of those spiked iron balls chained to a club, so popular in films about goodwill in the Middle Ages.

Dilys Powell (die ➱hier schon erwähnt wird) ist eine sehr vernünftige Frau, ich kann den Dilys Powell Reader nur empfehlen. Die Jungfrauenquelle begeisterte sie auch nicht so recht: When I first saw the film I thought it merely nauseous. At a second view I find it generally tedious, occasionally absurd, and always retrogradeNina Hibbin vom Daily Worker (die eines Tages ➱Goldfinger in Grund und Boden rezensieren sollte) war da noch böser: Bergman has converted a stark and simple medieval folk ballad into a complicated evocation of guilt and expiation, cluttered with symbolic mumbo-jumbo.

C.A. Lejeune, die Filmkritikerin des Observer von 1929 bis 1960 (ihre Kollegin Dilys Powell schrieb für die Sunday Times), mochte das Siebente Siegel auch nicht: The Seventh Seal is almost as mysterious as the Book from which it takes its title. It is often very dreadful, and sometimes very beautiful... its excruciating sadism has earned it an x certificate. Aber sie konnte dem Film Wilde Erdbeeren durchaus Positives abgewinnen:

In the past, Bergman's films have often been inclined to wrath; Wild Strawberries could have been a desperately sentimental film. It isn't. It could have been ragged and perplexing. It isn't. Magnificently but very quietly played, in the grand style, by Victor Sjostrom, the first of the great Swedish film directors, it mixes dream, memory and actuality so smoothly that one is only aware, at the end of it, of life as a continuing thing that touches, takes, releases and then passes on.

Wenn ich vorhin sagte, dass alle Kritiker Woody Allens Bergman Phase großartig fanden, dann stimmt das nicht ganz. John Simon (der einen PhD von Harvard hat) schrieb wunderbar bösartig im National ReviewWoody Allen has made his first serious film, Interiors, and its condition is worse than serious, it's grave to the point of disaster. Whether it makes you bite your lips in rage or roll over with helpless laughter, you will concede that there is not one real original character in it; that almost every line of dialogue is at best hackneyed, at worst, ludicrously stilted; and that virtually every shot is derived from some other filmmaker, usually Bergman or Antonioni. In fact, most of the film is taken over from Bergman in a misunderstood and mismanaged way, particularly from Cries and Whispers — one of Bergman's poorest films, but we can hardly expect anyone tasteless and foolish enough to make Interiors to know what to copy.

Die deutsche Kritik zu Bergman wurde von moralischen und pseudo-theologischen Argumenten beherrscht, die beiden großen Kirchen hatten sehr viel zu Bergman zu sagen. Uwe Nettelbeck, einer unserer besten Filmkritiker (der ➱hier schon einen Post hat), hatte in seinem wunderbaren ➱Artikel Der Teufel liebt Nudistenfilmchen in der Zeit auch einiges zum katholischen Film-Dienst zu sagen. Ich sage dazu jetzt mal nicht mehr, weil ich schon viel von der deutschen Kritik in den Post ➱Schweigen hinein geschrieben habe. Das Bild hier ist aus dem Film Das Lächeln einer Sommernacht, Ingmar Bergmans erstem internationalen Erfolg.

Offensichtlich mochte Bergman Deutschland, auch wenn die Kritiker mit ihm in den fünfziger und sechziger Jahren nicht so nett umgegangen waren. Als er in Schweden der Steuerhinterziehung angeklagt wurde, ist er nach Deutschland gezogen. Da hat er beinahe nur noch Theater- und Operninszenierungen gemacht. Als er achtzig war, hat er gestanden, dass er in seiner Jugend Adolf Hitler und den Nationalsozialismus bewundert hat. Angeblich hat er bei Hitlers Tod geweint. Das kolportiert der schwedische Schauspieler Stellan Skarsgård, der sich nur ungern an die Zusammenarbeit mit Ingmar Bergman erinnert (hier sitzt er 1986 neben Bergman bei den Proben zu Ein Traumspiel). Er hat in einem Interview im Guardian gesagt: Bergman was hyper-intelligent but I never liked him as a person. He was not a good man. All directors are control freaks but he was extreme. He did things to people that were not kosher. He didn't destroy people to make them better actors: he destroyed them to utilise his power.

Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, hörte Bergman auf, an Hitler zu glauben. Und drehte seinen ersten Film. Victor Sjöström (hier neben der Tochter Bergmans), der als grand old man des schwedischen Films ein Jahrzehnt später die Hauptrolle in Wilde Erdbeeren spielte, war als Berater bei den Dreharbeiten: As if by chance, Victor Sjöström, began to turn up wherever I was. He grasped me firmly by the nape of my neck and walked me like that back and forth across the asphalted area outside the studio, mostly in silence, but suddenly he would say things that were simple and comprehensible: 

'You make your scenes too complicated. Neither you or Rossling can cope with those complications. Film the actor from the front; they like that and it's the best way. Don't keep arguing to everyone. They simply get angry and do a less good job. Don't turn everything into major issues; it'll suffocate the audience. A minor detail should be treated like a minor detail without necessarily having to look like one.' We walk around and around, back and forth across the asphalt, he holding onto the back of my neck and being down-to-earth, factual, and not angry with me, although I was being so unpleasant. 

In Frankreich, wo in den fünfziger Jahren jeder Filme besprach, der wenig später welche drehen würde, stand man Ingmar Bergman positiv gegenüber. So schrieb Truffaut über Einen Sommer langJe me souviens de mon émotion quand j’ai vu pour la première fois Jeux d’été (1951) d’Ingmar Bergman : un être parle de lui, de sa vie, et sa sincérité suffit à déclencher le mécanisme de notre propre rêverie. Es war ein Film, den Jean-Luc Godard als einen der schönsten Filme überhaupt bezeichnete. Es ist wohl der einzige Film Bergmans, der von der schwedischen Presse einhellig begrüßt wurde.

In dem langen Essay Bergmanorama, der im Juli 1958 in den Cahiers du cinéma erschien (und in deutscher Übersetzung in Frieda Grafes und Enno Patalas' Kleiner Filmkunstreihe) ließ Godard das Werk Bergmans aus den fünfziger Jahren Revue passieren. Manches tat er mit allenfalls Maupassant-Abklatsch ab, aber vieles des letzten großen Romantikers hatte vor seinen kritischen Augen Bestand. Godard hatte damals bisher nur Kurzfilme gedreht, auf Außer Atem musste man noch warten. Aber er hat das Auge für Stärken und Schwächen des Schweden.

Und er betont auch die Wichtigkeit des Drehbuches für Bergmann, der später einen Teil seiner Drehbücher auch veröffentlichte. Der Suhrkamp Verlag brachte 1961 in seiner Reihe Spectaculum, in der sich normalerweise Theaterstücke fanden, einen Band Spectaculum: Texte moderner Filme heraus. Das war für die damalige Zeit ziemlich revolutionär, ➱Drehbücher gab es - außer bei L'Avant Scène - sonst gar nicht. In diesem Band waren Hiroshima, mon amour von Marguerite Duras, Senso von Luchino Visconti, Citizen Kane von Orson Welles, Wilde Erdbeeren von Ingmar Bergman, Die Nächte der Cabiria von Federico Fellini und Lola Montez von Max Ophüls. 1964 erschien das Drebuch von Wilde Edbeeren bei Suhrkamp in der Reihe edition suhrkamp.

Als ich damals zum ersten Mal Das siebente Siegel (Det sjunde inseglet) sah, war ich sehr beeindruckt. Heute nicht mehr so sehr. Wenn man klein ist und zum ersten Mal Kaspertheater sieht, ist man auch sehr beeindruckt. Und vieles bei Bergman war Kaspertheater, symbolic mumbo-jumbo. Es ist wohl kein Zufall, dass in Abend der Gaukler, Das Siebente Siegel und Das Schweigen Gaukler auftauchen. Das hat er mit Fellini gemein, der erstaunlicherweise in diesem Blog noch nie richtig gewürdigt worden ist. Ich weiß nicht, wie das kommt. Ich mag Fellini eigentlich viel lieber als Bergman.

Das beste bei Bergman sind die schönen Frauen, das schlechteste ist seine midnight, Arctic-winter sincerity. Und das unselige Erbe von Ibsen und Strindberg, das er mitschleppt und in die Filme bringt. Auf seine Ausflüge in Horror und Gewalt kann ich gerne verzichten, aber die Bilder aus Die Stunde des Wolfs bekommt man nicht wieder aus dem Kopf. Cinema Borealis, Ingmar Bergman and the Swedish Ethics hatte Vernon Young sein Buch über Bergman genannt. Wenn man auf der Seite der Ingmar Bergman Stiftung den Namen Vernon Young eingibt, kommt das Ergebnis Din sökning efter vernon young gav 0 träffar. Es ist ein Buch, das man da lieber nicht kennt.

Wenn ich Filme von Bergman empfehlen sollte, dann wären das neben den frühen sogenannten Sommerfilmen (Einen Sommer langDas Lächeln einer Sommernacht) nur die Filme Wilde Erdbeeren und Das Schweigen. Ich habe zwar viele Drehbücher und viele Bücher über Bergman, aber es lockt mich selten, einen seiner Filme in den DVD Spieler zu tun. Bei ➱Renoir, ➱Truffaut, Fellini und ➱Tavernier ist das ganz anders. Und bevor die Bergman Fans jetzt die Bedeutung des Regisseurs, der heute vor acht Jahren starb, übertreiben, sollten sie bedenken, dass Bergman auf dem neuen schwedischen Geld nicht mal halb so viel wert ist wie Birgit Nilsson.

Und für Bergman Hasser und Bergman Liebhaber habe ich noch eine kleine Geschichte zum Schluss: In der Folge The Maid in Splendour von ➱Inspector Barnaby gibt es einen wunderbaren kleinen Dialog. Der Sergeant Dan Scott ist gerade von Barnabys Tochter Cully zu einem Kinoabend eines Ingmar Bergman Film Festivals eingeladen worden: Tom Barnaby: Bergman, that's a bit heavy. Sergeant Scott: I don't know... what, Casablanca - I could watch that again. Tom Barnaby: [nonplussed] Casablanca? Dan Scott: [unabashed] Yeah. Ingrid Bergman's in Casablanca, isn't she? [Tom Barnaby's look of confusion turns into a smile]. Was Sergeant Scott nicht weiß: ihm steht noch Das Siebente Siegel bevor.

Lesen Sie auch: ➱Schwedinnen, ➱Schweigen


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen