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Dienstag, 28. November 2023

tüddelig im Kopf


Die Südsee, das bedeutete Walfang. Das wusste ich schon, als ich noch klein war. Immer wenn Opa am Sonntag das Heimatmuseum für die Besucher aufschloss, hatte ich schon eine Stunde mit dem Walfang verbracht. Jede Harpune im Saal angefasst. Alle Shrimshaw Objekte auch. Im Erdgeschoss war in einem kleinen Zimmer alles über den Afrikaforscher Gerhard Rohlfs, im Obergeschoss war alles über die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, weil die von Adolph Bermpohl aus unserem Ort gegründet worden war. Aber der große Saal des Erdgeschosses und das Treppenhaus waren ganz dem Walfang gewidmet. Schließlich hatten sich viele Kapitäne, die im 19. Jahrhundert ihr Vermögen mit dem Robbenschlag und dem Töten von Walen gemacht hatten, hier im Ort niedergelassen. Dies Bild von Carl Justus Fedeler zeigt Bremer Segelschiffe beim Walfang in der Südsee. Das Schiff in der Mitte ist die Europa der Reederei D.H. Wätjen. Das war einmal die größte deutsche Segelschiffsreederei. Wätjen verdiente mit seinen Schiffen so gut, dass er sich in Blumenthal ein Schloss bauen ließ. Als ich 1976 mit Dr Joachim Kruse die Melville Ausstellung in Schleswig machte, wunderte sich Kruse immer wieder, was ich alles über den Walfang wusste.

Es gab im Heimatmuseum auch Photos vom modernen Walfang. Modern heißt in diesem Fall: aus den dreißiger Jahren. Damals als Walter Rau aus Hilter und sein Konkurrent Fritz Hohmann aus Dissen (FriHoDi) ihre Fabrikschiffe zum Abschlachten von Walen auf die Weltmeere schickten. Auf Rau und Hohmann war Opa nicht so gut zu sprechen, aber das hatte damit etwas zu tun, dass er aus dieser Gegend kam und die Familien kannte. Dieses Bild vom Walfangschiff Walter Rau findet sich in dem Artikel Schlachthof auf hoher See des Bremer Weser Kurier.

Als Symbol für den historischen Walfang hatten wir am Utkiek an der Weser die Kiefer eines Blauwals stehen. Als die bröckelig und brüchig wurden, hat mein Freund Peter als Landeskonservator sie 1987 durch einen Bronzeabguss von der Bildhauerin Christa Baumgärtel ersetzen lassen. Manche Kapitäne hatten sich von ihren Reisen auch Walkiefer als Gartentor mitgebracht, aber die sind mit der Zeit alle verschwunden. Als der Afrikaforscher Gerhard Rohlfs nach Weimar gezogen war, schickten ihm die Vegesacker ein Paar Walkiefer nach, die er vor seiner Villa aufstellte. Es war klar, dass ich mit meinem Erfahrungen irgendwann Melvilles Moby-Dick lesen musste. Las ich zum erstenmal 1959 in dem Manesse Band mit der Übersetzung von Fritz Güttinger, der Jahre später mein Brieffreund wurde. 1962 war ich schon weiter, da las ich Billy Budd und White-Jacket, das weiß ich noch genau.

Als ich an der Uni war, habe ich natürlich Seminare über Herman Melville gemacht, über Moby-Dick und Benito Cereno. Und dann hatte ich die Idee, ausgehend von den Südseeerfahrungen von Herman Melville, ein Seminar über die Südsee in der amerikanischen Literatur zu machen. Ich las nicht nur Melvilles Typee und Omoo und alles, was er über die Südsee geschrieben hatte; ich las alles, was ich in die Hände bekam. Auf Richard Francis Burtons Buch Goa, and the Blue Mountains; or, six months of sick leave war ich durch einen Zufall gestoßen, weil das Buch gleichzeitig mit Melvilles Moby-Dick bei Melvilles Verleger Richard Bentley in London erschienen war.

Auch zufällig fand ich das Buch des Matrosen Heinrich Zimmermann, das Reise um die Welt mit Capitain Cook heißt. Ein Buch, das er eigentlich gar nicht hätte schreiben dürfen. Berichte über die Reise waren Captain Cook und den Wissenschaftlern wie Georg Forster und seinem Vater vorbehalten. Heinrich Zimmermanns Buch habe ich in der von Hans Bender herausgegeben Ausgabe des Insel Verlags gelesen. Der Link da oben führt zum Originaltext von 1781, wenn er funktioniert. Irgendwie kriegt die Staatsbibliothek Bamberg das mit dem Internet noch nicht so richtig hin. Forsters Reise um die Welt ist auch bei Insel erschienen, ist aber mit über tausend Seiten etwas dicker als Zimmermanns 161-seitiges Buch. Aber da ich gerade einmal dabei war, las ich auch noch Louis-Antoine de Bougainvilles Reise um die Welt: Durch die Inselwelt des Pazifik 1766-1769. Wir müssen immer bedenken, dass die Südsee nicht nur Walfängern aus Nantucket und Bremen, nicht nur Captain Cook und Captain Bligh gehörte, sondern auch den Franzosen. Den schönen Ausstellungskatalog  James Cook und die Entdeckung der Südsee gab es damals leider noch nicht. Das hätte mir viel Arbeit erspart.

Das ungewöhnlichste Buch, das ich in jenem Vierteljahr las, hieß Tyrannei und Herrschaft: Die Wurzeln von Individualismus, Despotismus und modernem Staat. Hawaii - Tahiti - Buganda, das bei Rowohlt erschienen war. Der Autor Eli Sagan hatte in Harvard studiert, aber er war kein Anthropologe oder Kultursoziologe wie Clifford Geertz oder mein Freund Peter Gutkind. Auf dem Gebiet der Kultursoziologie war Sagan Aitodidakt, Amateur. Sein eigentlicher Beruf war etwas ganz anderes, er war Chef der Konfektionsfirma The New York Girl Coat Company, die eine der größten Kleiderfirmen der USA war.

Es passte gut, dass ich in meiner Südsee Lesephase von meinem Freund Peter die Briefe von Robert James Fletcher (Isles of Illusion: Letters from the South Seas) geschenkt bekam. Und  durch Zufall fand ich den kuriosen kleinen Roman von Friedrich Wilhelm IV, Die Königin von Borneo. Ich war die ganzen Semesterferien mit dem Lesen beschäftigt, aber für die Uni konnte ich das alles leider nicht gebrauchen. Ich musste die Veranstaltungen eines erkrankten Kollegen übernehmen, mein Seminar fiel aus. Ich betrachtete das nicht als Verlust, ich hatte viel gelernt. Und Lesen ist nie ein Verlust. Und meine Bibliothek hatte sich um einen knappen Meter vergrössert.

An all das fühlte ich mich erinnert, als mir letztens ein polynesisches Wort begegnete, das ich nicht aus meiner Südseelektüre kannte, das auch nicht in Melvilles Omoo vorkommt. Es heißt Taravana, es hat offenbar mehrere Bedeutungen. Es kann ein Song des auf Tahiti lebenden Sängerns Ken Carlter sein; es kann ein Computerspiel sein, in dem es um Seeungeheuer geht. Aber eigentlich ist Taravana eine Taucherkrankheit, die die Einwohner der Tuamotu Inseln befällt, wenn sie dreißig Mal am Tag ohne Druckluft nach Perlen tauchen. Sie können hier auf einer Seite für medizinische Fachjournale alles über das Taravana Syndrom lesen, das in der Übersetzung verrückt hinfallen bedeutet. Diese Dekompensationskrankheit bei Apnoetauchern, bei der man die Kontrolle über den Körper verliert, ist vor sechzig Jahren zum erstenmal wissenschaftlich beobachtet worden. Bestenfalls ist man da etwas tüddelig im Kopf, aber es kann auch zum Tod führen.

Kaum war diese Taucherkrankheit in der Fachliteratur beschrieben, da tauchte sie als Modellname für eine Taucheruhr der Firma Nivada auf. Und dort hatte ich das Wort gefunden. Die Grenchener Uhrenfirma, die damals auch die ZentRa Savoy Uhren herstellte, war sehr erfindungsreich mit ihren Modellnamen. Da gab es die berühmte Antarctic, es gab eine Aquamatic, eine Depthmaster, eine Sea Diver, eine Aviator und eine Chronomaster. Eine Leonardo da Vinci hatten sie auch mal im Angebot (das Modell gab es auch als ZentRa). Eigentlich waren es immer die gleichen Uhren, die Uhrwerke von der ETA oder der ASSA hatten, sie hatten nur andere Namen. Die meisten dieser Namen wie Aviator oder Sea Diver findet man auch bei anderen Firmen, aber dieses Taravana Modell, das gab es nur bei Nivada. Die Firma Nivada baut heute, wie so viele in der Quarzkrise angeschlagenen Firmen, ihre Klassiker nach. Relaunch ist das Wort. Ich glaube aber nicht, dass die Taravana Taucheruhr bei den neuen Retro-Klassikern dabei ist, die ist einfach zu exzentrisch.

Mit Uhren hat die Südsee einiges zu tun. Die Eroberung und Kartographierung der Südsee geht einher mit der Entwicklung immer besserer und genauerer Marinechronometer. Bougainville hatte Uhren von Ferdinand Berthoud an Bord (Alexander von Humboldt wird einen Chronometer von dessen Neffen Louis Berthoud benutzen). Der Engländer John Harrison, der mit seiner H1 zum erstenmal in der Weltgeschichte eine genau gehende Uhr baute, entwickelte seine Uhren weiter, bis sie transportabel waren. Dies hier ist die Harrison H4. Sieht aus wie eine Taschenuhr, ist aber dreizehn Zentimeter groß und wiegt anderthalb Kilo. Der Uhrmacher Larcum Kendall stellte im Auftrag der Admiralität eine Kopie her, die Larcum Kendall K1, die Captain Cook benutzte. Er hat die Uhr als our trusty friend the Watch und our never-failing guide the Watch bezeichnet. Obgleich er zuerst Vorbehalte gegen die Uhr hatte, musste er doch anerkennen, dass sie so genau ging, dass er damit sozusagen auf den Millimeter genau navigieren konnte. Das Rule Britannia, Britannia rule the waves wird jetzt von den englischen Uhrmachern garantiert, die die Royal Navy an jeden Ort navigieren lassen, an den sie will. Larcum Kendall hat hier schon einen Post, und für Marinechronometer gibt es natürlich auch einen. Und in dem Post über Thor Heyerdahls KonTiki kommt auch eine Menge Südsee vor. Zu dem Longitude Problem, das die britische Admiralität und die britischen Uhrmacher energisch angehen, habe ich hier noch ein Video.  Und natürlich gibt es hier auch noch den Film Longitude aus dem Jahr 2000 für Sie.

Diese Taucheruhr der Firma Nivada fand ich beim Uhren-Surfen auf ebay. Ich war fasziniert von dieser potthässlichen Uhr. Auf der Rückseite der 39 x 42 mm großen Uhr sind Wellen zu sehen, eine kleine Insel mit drei Palmen und eine übergroße Sonne. Dies grüne Scheusal mit dem Modellnamen Taravana war einmal eine richtige Taucheruhr, 200 Meter wasserdicht (dafür sorgte der Conpensamatic Boden), mit verschraubter Krone und Taucherlünette. Als ich sie sah, musste ich sie unbedingt haben. 

So als Krönung meiner 70er Jahre Monster Sammlung. Ich habe die Uhr am letzten Wochenende bei ebay ersteigert, sie war gar nicht so teuer, wie ich befürchtet hatte. Jetzt hoffe ich nur, dass ich nicht diese Taravana Krankheit kriege und tüddelig im Kopf werde, wenn ich die Uhr am Arm habe. Die kam kam mit einem neuen Band auf Haifischleder, so etwas findet sich ja häufiger an Taucheruhren. Sie musste das Band abgeben,  weil die Dugena Watertrip das Band brauchte. Und weil ich ihr längst ein zeittypisches Stelux Band verpasst hatte. Jetzt sieht sie wirklich nach was aus.


Samstag, 25. November 2023

Evacuation Day


Heute vor zweihundertvierzig Jahren haben die letzten britischen Truppen New York verlassen. Der 1775 begonnene Unabhängigkeitskrieg war endgültig zuende. George Washington reitet im Triumph mit achthundert Soldaten in New York ein. Sie sahen wohl nicht so elegant aus wie auf diesem Gemälde. Eine Augenzeugin hat sich Jahre später erinnert: We had been accustomed for a long time to military display in all the finish and finery of garrison life; the troops just leaving us were as if equipped for show, and with their scarlet uniforms and burnished arms, made a brilliant display; the troops that marched in, on the contrary, were ill-clad and weather beaten, and made a forlorn appearance; but then they were our troops, and as I looked at them, and thought upon all they had done and suffered for us, my heart and my eyes were full, and I admired and gloried in them the more.

Der Evacuation Day hat hier bei Wikipedia einen sehr guten Artikel. Man hat den Tag lange gefeiert, aber heute ist es kein offizieller Festtag mehr. Doch in New York gibt es noch einige, die jedes Jahr an diesen Tag denken. Seit sechs Jahren gibt es sogar einen Straßennamen für das Ereignis. Es hat 1783 noch einige Tage gedauert, bis alle englischen Truppen von Manhattan aus an Bord der englischen Schiffe waren. Es gibt Schwierigkeiten, der Wind ist ungünstig, wie der englische Oberkommandierende Sir Guy Carleton in einem Brief an George Washington schreibt. Es sind nicht nur englische Truppen, die jetzt das Land verlassen, auch viele Loyalisten, die zu ihrem König halten, verlassen Amerika. 

Wenige Monate zuvor, am 3. September 1783, war der Frieden von Paris unterzeichnet worden, damit war der Krieg formal zuende. Der Maler Benjamin West hat die amerikanischen Diplomaten gemalt. Es sind von links nach rechts John Jay, John Adams, Benjamin Franklin, Henry Laurens und William Temple Franklin. Das ist der junge Mann ganz rechts. Er gehört nicht zu den Gründervätern, er begleitet nur seinen Opa Benjamin Franklin. Die Herren John Adams (der der zweite Präsident Amerikas wird) und Benjamin Franklin haben hier schon einen Post. Der vielleicht nicht so bekannte Henry Laurens, der einmal Präsident des Kontinentalkongresses war, hat hier auch schon einen Post. Das Bild ist von Benjamin West nicht zuende gemalt worden, rechts ist eine freie Fläche. Dort solten die englischen Diplomaten sitzen, aber David Hartley und Richard Oswald hatten sich geweigert, für Benjamin West Modell zu sitzen. Die Engländer sind schlechte Verlierer bis zum Schluss.

Die amerikanische Post hat zur 200-Jahrfeier des Vertrags von Paris diese Briefmarke herausgegeben, die das Gemälde von Benjamin West, das The Peacemakers heißen sollte, ein klein wenig verändert. Es zeigt John Jay, Benjamin Franklin, John Adams und den englischen Delegierten David Hartley. Das ist historisch korrekt, Laurens und der junge Franklin waren bei der Unterzeichnung nicht dabei. Die sind nur in der Phantasie von West dabei. Aber dennoch ist die Veränderung des Kunstwerks von West ein klein wenig lächerlich. Der Historiker Stanley Weintraub hat die Briefmarke a travesty of history and a mischievous misuse of West's canvas genannt.

Der Freiheitskrieg der Kolonien ist in diesem Blog immer wieder ein Thema gewesen. Das beginnt mit dem Post über die Schlacht von Saratoga, wo Sir John Burgoyne eine ganze Armee verliert. Und das endet mit den Posts der Anfang vom Ende und Chesapeake Bay. Daziwischen liegen die Posts die Berufsreise, Trenton, Weihnachten 1776Verratmiles gloriosusBattle of MonmouthCowpensNathanael Greene und Banastre Tarleton. Das ist Amerikas Geschichte in Kurzfassung.

Sonntag, 19. November 2023

Christian Friedrich Gille

Ich hätte das Buch etwas genauer lesen soll, dann wäre mir der Maler Christian Friedrich Gille nicht entgangen. Denn das Buch Die Malerei der Romantik in Dresden vom Dresdner Kustos der Gemäldesammlung des 19. Jahrhunderts Hans Joachim Neidhardt steht bei mir im Regal. Ich habe das Buch und den Autor schon in dem Post über den Maler Carl Julius von Leypold erwähnt. Auf Seite 191 kann man lesen: Von allen Schülern Dahls ist Christian Friedrich Gille der bedeutendste. Das hat der Maler zu seinen Lebzeiten nicht gewusst, das haben diejenigen, die seine Bilder kritisierten, nicht gewusst. Es hat lange gedauert, bis man diesen Satz hinschreiben konnte. Bis man lesen konnte, dass er von allen Dresdner Landschaftsmalern einer der wichtigsten ist. Dieses Bild von der Brühlschen Terrasse mit den Ausflugdampfern auf der Elbe ist aus seinem Spätwerk. Es gehört heute dem Niedersächsischen Landesmuseum Hannover. Wahrscheinlich hätte man es in Dresden gerne.

Beinahe dreißig Jahre vorher, im September 1833, hat Gille dieses kleine Bild gemalt. Der kleine rote Fleck links unten ist eine Frau, die ihre Wäsche in der Weißeritz bei Plauen wäscht. Gerd Spitzer hat in seinem Buch Christian Friedrich Gille 1805-1899: Malerische Entdeckung der Natur dazu gesagt: In Dresden und seiner ländlichen Umgebung hat Gille fast siebeneinhalb Jahrzehnte gelebt und gearbeitet. Zumeist waren es die eher versteckten Winkel, die Vorstädte, die Dörfer nahe der Stadt, in denen der Künstler die Motive für sein malerisches Studium der Natur fand. An einem Frühherbstnachmittag im September 1833 beobachtete er in dem stillen Dorfe Plauen bei Dresden eine Wäscherin am baumbestandenen Ufer der Weißeritz und notierte dazu am Rande der Studie für sich exakt Ort und Stunde dieses optischen Erlebnisses – als sollte die Authentizität einer unmittelbaren Naturaufnahme dadurch Bekräftigung finden

Auch auf diesem Bild findet sich eine Datierung, den Tag (6. August 1831) hat der Maler unten in das Grün mit dem Pinselstiel in die noch frische Farbe geschrieben. Das genaue Festhalten des Augenblicks mit raschem Pinselstrich, Datierung und Ortsangabe, das finden wir schon bei John Constable. Und dann ist da noch der Franzose Pierre-Henri de Valenciennes, den Simone Schultze in ihrer Doktorarbeit den wahren Entdecker des auf der Leinwand festgehaltenen unmittelbaren Eindrucks der Natur genannt hat. Valenciennes hatte schon um 1780 erste Wolkenstudien gemalt. Flüchtige Skizzen, worin die Natur auf frischer That erhascht wird. Im Original heißt es in seinem Traktat über die Malerei saisir la Nature sur le fait, und das ist das ganze Geheimnis dieser Malerei. 

Gille wird Valenciennes und  Constable nicht gekannt haben, aber er macht dasselbe wie sie. Man kann diese kleinen Ölskizzen auf Papier ein Subgenre der Landschaftsmalerei nennen, aber es ist eine plein-air Malerei, die in vielem den Impressionismus vorwegnimmt. Das ist jetzt keine revolutionäre Aussage. Schon 1934 sagt Gustav Pauli (gerade von den Nazis aus dem Amt als Hamburger Kunsthallendirektor geworfen) über den Dresdner Maler: Gille, dessen Ölstudien zu den feinsten und frischesten ihrer Zeit gehören, in denen die Errungenschaften des Impressionismus vorweg genommen sind.

Das kleine bisschen Rot auf dem Weißeritz Bild muss sein, sonst würde das Bild nicht leben. Wilhelm Busch hat das gewusst, er hat häufig in seinen Bildern diesen roten Fleck. Gille hat den auf diesem wunderbaren Bild der Elbbrücke auch. Auf der Seite Kunstbeziehung kann man das Bild von der Wäscherin an der Weißeritz mit dem Originalrahmen sehen. Und es findet sich dort die Einordnung Frühimpressionismus. Das ist wichtig, es ist diese unsentimentale Darstellung der Landschaft, die nicht mehr symbolisch überhöht ist wie bei Caspar David Friedrich. Es ist diese neue Sicht, die wir auch in Carl Blechens Bild mit dem Blick aus seinem Fenster finden. Über das Theodor Fontane gesagt hat, dass er das Bild gern in seinem privatesten Raum gehabt hätte.

Diese Elblandschaft mit den Lößnitzbergen im Hintergrund aus dem Jahre 1870 bezeichnet das Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 1961 als den Höhpunkt des Schaffens von Gille. Es ist wie beinahe alle Bilder von Gille ein sehr kleines Bild, 29 x 39 Zentimeter, Öl auf Papier. Wir können das Realismus nennen. Oder auch Impressionismus. Das ist eine große Entwicklung von dem Weißeritz Bild. Das übrigens bei einer Dresdner Ausstellung im Jahre 1833 in die Nähe eines Bildes von Corot gehängt worden war. Wahrscheinlich kommt daher die Bezeichnung der deutsche Corot, die man in manchen Lexikonartikeln findet.

Wir müssen noch einmal auf diesen Herrn zurückkommen, den Sammler Johann Friedrich Lahmann, der 1906 von Bremen nach Dresden gezogen war. Er lebte bei der Familie seines gerade gestorbenen Bruders, kost- und logisfrei. Er war ein stiller zurückhaltener Mann, ein Gentleman. Immer freundlich. Irgendwann hatte er begonnen, Kunst zu sammeln. Und irgendwann entdeckt er das Werk von Christian Friedrich Gille, den die Kunstwelt schon längst vergessen hatte. Und kauft und kauft. Bei seinem Tod 1937 konnte man in einer Dresdner Zeitung lesen: In seltener Großzügigkeit und vorbildlichem Gemeinsinn hat der bekannte Dresdner Kunstsammler Johann Friedrich Lahmann, ein Bruder des berühmten Arztes und Begründers des Sanatoriums Dr. Lahmann auf dem Weißen Hirsch, testamentarisch die Dresdner Galerie und das Kupferstichkabinett sowie die Kunsthalle seiner Vaterstadt Bremen ermächtigt, aus den reichen Beständen seines in fast 40-jähriger Sammeltätigkeit zusammengebrachten Kunstbesitzes alles für die Öffentlichkeit Wichtige und den Museen Erwünschte auszuwählen. Der Gemäldegalerie sind mehr als 50 Bilder und Studien, dem Kupferstichkabinett fast 2.000 Handzeichnungen und Aquarelle aus allen Jahrhunderten zugefallen

Auch in Bremen ist man dankbar, erhält man doch 45 Gemälde, 639 Zeichnungen und 3.627 Blatt Druckgrafik. Die Heuernte von Wilhelm Busch ist auch dabei, da ist natürlich wieder ein kleiner roter Fleck drauf. Lahmann hatte auch Wilhelm Buschs Bilder gesammelt, wahrscheinlich war er einer der ersten, der das tat. 1995 gibt es für Lahmann in der Bremer Kunsthalle eine kleine Ausstellung, die zuvor in Dresden gewesen war. Für die Ausstellung hatte man aus den Beständen 140 Zeichnungen und vierzig Gemälde ausgewählt. 

Aus Lahmanns Sammlung werden in dem Katalog Die Kunsthalle Bremen und ihre Stifter. Bd. 1 dreiundsechzig Werke von Gille aufgelistet, die zum größten Teil in Bremen und Dresden sind. Das entspricht dem Testament, in dem er verfügt hatte, dass seine Sammlung zu möglichst gleichen Teilen nach Dresden und Bremen gehen sollte. Auch wenn er die letzte Hälfte seines Lebens in Dresden lebte, er hatte seine Heimatstadt nicht vergessen. Bremen hätte von ihm auch noch ein Gemälde von Caspar David Friedrich bekommen sollen, aber die drei Bilder von Friedrich, die Lahmann nach München geliehen hatte, sind 1931 beim Brand des Glaspalasts verbrannt.

Lahmann hatte Jura studiert, nicht Kunstgeschichte. Er war als dilettierender Liebhaber zur Kunst gekommen, so wie er vorher ein dilettierender Schriftsteller war. Er wird Sammler und sammelt, was ihm gefällt. Große Namen bedeuten ihm wenig. Mit dem Sammeln wird er zum Kenner und zum Forscher. Es ist genügend Geld in der Familie, und Kunst ist vor hundert Jahren noch billig zu bekommen. 

Jahrzehntelang hat er mit sicherem Verständnis und unermüdlich in seiner Sammelleidenschaft und ständig auf der Suche, in und außerhalb Dresdens, beim kleinsten Trödler und im unscheinbarsten Privathaus solchen Dingen nachgespürt, als nur ganz Wenige Liebe und Verstehen für diese anspruchslose feine Kunst hatten und eine Zeichnung von C.D. Friedrich gelegentlich noch fast umsonst zu haben war, hat der ehemalige Direktor der Dresdner Gemäldegalerie Hans Posse über Lahmann gesagt. Das Verhältnis des Sammlers zur Dresdner Gemäldegalerie war gut, Lahmann hatte der Galerie 1915 diesen Carl Gustav Carus geschenkt. Und Posse schuf in den zwanziger Jahren ein kleines Lahmann Kabinett im Museum, wo Lahmann seine Bilder ausstellen konnte.

Lahmann war kein Millionär, man könnte ihn wohlsituiert nennen. Sein Vater, der auch in der Bremer Bürgerschaft sitzt, wird in vielen Lexika als Reepschläger bezeichnet. Das hat jetzt nichts mit der Hamburger Reeperbahn zu tun, obgleich die auch mal eine Reepschlägerbahn gewesen ist. Lahmann Senior, der seinem Sohn eines Tagen ein wenig widerwillig das Geld für die schönen Künste und den Start seiner Sammlerkarriere gibt, war Besitzer einer Tauwerkfabrik. Und Schifftaue bedeuten für die Hafenstadt Bremen viel. In meinem Heimatort Vegesack gab es in meiner Jugend noch zwei Tauwerkbetriebe. Der eine war 1824 vom Kapitän Georg Gleistein begründet wurde, der zweite war die Grohner Tauwerkfabrik. In der Grohner Tauwerk war übrigens Jürgen Trittins Vater der Direktor.

Diese Baumstudie ist bei einer Auktion für 8.350 Euro verkauft worden. Und dabei war es nicht mal sicher, dass es ein Werk Gilles war. Soviel Geld hat Gille niemals gehabt, er ist arm gestorben. Dass sie bettelarm sterben, das liest man häufig über Maler. Rembrandt stand vor dem Ruin. John Singleton Copley, der immer gut verdiente, hinterließ nur Schulden. Die sein Sohn, inzwischen Lord Lyndhurst und Lord Chancellor von England, beglich. Van Gogh war arm, aber neuere Forschungen sagen uns, dass er arm sein wollte. Und zitieren den Satz: Ich sage Dir, ich wähle bewusst den Hundeweg, ich bleibe Hund, ich werde arm, ich werde Maler, ich will Mensch bleiben – in der Natur.

Dieses Bild, das auch aus der Sammlung Lahmann kommt, ist eins der frühen Landschaftsbilder aus den 1830er Jahren. Da hat sich Gille noch nicht der Landschaftsmalerei zugewandt, da verdient er sich sein Geld mit Auftragskunst als Lithograph und Kupferstecher. Es war gut für ihn, dass er zuerst Landschaftskupferstecherei bei Johann Gottfried Abraham Frenzel studiert hatte, bevor er Johan Christian Clausen Dahls Atelierschüler wurde. Die Lithographien nach beliebten Blättern von Adolph Schrödter bringen ein wenig Geld, seine Tierstücke auch. Dass eines Tages sechs Blätter seiner Rinderstudien für 25.620 Euro verkauft werden, das hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können.

Lahmanns Sammlung geht nach seinem Tod nach Dresden und Bremen, zu möglichst gleichen Teilen. Was übrigbleibt wird in zwei Auktionen in dem Auktionshaus Rudolph Lepke versteigert, auch das hatte Lahmann testamentarisch festgelegt. Die waren im 19. Jahrhundert dank der Protektion von Wilhelm von Bode berühmt geworden, jetzt machen sie manchmal Fehler. Caspar David Friedrichs Kreidefelsen haben sie für einen Blechen gehalten. Die Auktionen zerstreuen den Rest der Sammlung quer durch die Welt. Hannover sichert sich das Bild der Brühlschen Terrassen, aber diese Wasserstudie landet im Metropolitan Museum in New York.

Alles, was man über Christian Friedrich Gille weiß, steht in dem Buch von Gerd Spitzer,  Christian Friedrich Gille 1805-1899 - Malerische Entdeckung der Natur, das auch der Katalog einer Ausstellung des Auktionshauses Grisebach ist. Die Basis dieses Buches war schon 1994 erschienen, war damals aber nicht so opulent ausgestattet (140 Farb- und 41 S/W-Abbildungen). Das Buch war zu der Dresdner Gille Ausstellung erschienen, die 1995 nach Bremen wanderte. Alles steht allerdings auch nicht in dem schönen Buch aus dem Jahre 2018. Ob die Qualmwolke bei dem Elbebild von einem Dampfer oder einem Feuer auf der kleinen Elbinsel kommt, das weiß Spitzer auch nicht. Ich finde es immer beruhigend, wenn Experten nicht alles wissen.

John Constable hat seine Wolkenskizzen niemals verkauft. Christian Friedrich Gille hat seine Ölskizzen das ganze Leben aufbewahrt, hat sie gehütet wie einen Schatz. Als er fünfundachtzig ist, möchte er sie der Galerie verkaufen, er möchte für seine fünfhundert Bilder fünftausend Mark haben. Man ist nicht daran interessiert.

Dienstag, 14. November 2023

200 Jahre Bremer Kunstverein


Heute vor zweihundert Jahren wurde der Bremer Kunstverein auf Initiative des Senators Hieronymus Klugkist gegründet. Und zu diesem Geburtstag möchte ich dem Verein als Butenbremer herzlich gratulieren. Die Gründungsmitglieder waren Senatoren, Kaufleute, Ärzte und Rechtsanwälte, die bürgerliche Oberschicht der Hansestadt. Viele von ihnen sammelten selbst Kunst, vielleicht nicht in dem großen Stil wie die Hamburger Gustav Christian Schwabe oder Sir John Henry von Schroder. Aber sie hatten den Wunsch, den Sinn für das Schöne zu verbreiten und auszubilden. Er beschränkt sich dabei auf die bildende Kunst. Ein Jahr nach der Gründung stand im Paragraph 4 der geänderten Satzung: Der Verein wird bemüht seyn, allmählich Kunstsachen zu sammeln und diese Sammlung zugänglich zu machen. Im Paragraph 5 wurde festgehalten: Die Kunstsammlung des Vereins ist im Ganzen unveräusserlich. Falls der Verein sich auflösen sollte, würde die Sammlung an die Stadt Bremen fallen. Aber der Verein hat sich nie aufgelöst, die Bremer Kunsthalle ist das einzige deutsche Kunstmuseum mit einer Sammlung, die über sieben Jahrhunderte reicht, das in privater Trägerschaft ist. 

Der Herr hier in seiner bescheidenen Wohnung gehört nicht zur High Society der Gründer des Kunstvereins. Auch nicht zu den Millionären, die Mitglieder des Vereins sind und von Zeit zu Zeit mal mit dem Geld aushelfen. Wie Fidi Lürsssen, den ich seit den Kindertagen kenne. Dies ist der Maler, Kunstsammler und Kunsthändler Arnold Blome, dem die Bremer Kunsthalle viel verdankt. Nicht so viel wie dem Gründungsmitglied Klugkisst, der seine private Sammlung der Kunsthalle schenkt, aber es war doch einiges. Die Kunsthalle hat Arnold Blome 2014 eine Ausstellung gewidmet. Es sind ja nicht nur das Directorium des Vereins und die Honoratioren des Gründungsjahres, denen die Kunsthalle alles verdankt. Es sind im Laufe der Zeit auch viele andere Stifter wie eben dieser Arnold Blome.

Und dann ist da noch Johann Friedrich Lahmann, ein dilettierender Schriftsteller: Auf See und Land schwebt holde Schönheit her Und badet jauchzend in der lauen Luft, In Füllesättigung schweigt die Begehr Der Wunsch zerrinnt in all dem Glanz und Duft. Zeitgenössische Kritiker sagten wohlmeinend dazu: Schon um des guten Zweckes willen ist der Dichtung eine freundliche Aufnahme zu wünschen , da der Verfasser den Ertrag dem Kaiser-Friedrich-Denkmal auf dem Schlachtfelde von Wörth bestimmt hat. Lahmann gibt das Dichten auf, zieht zu seinem Bruder nach Dresden und beginnt zu sammeln.

Aus seiner riesigen Sammlung besitzt die Kunsthalle Christian Friedrich Gilles Bild Die roten Häuser (1840). Gille war ein Schüler von Johan Christian Clausen Dahl. der in diesem Blog schon lange einen Post hat. Seine Schüler Knud Baade und Carl Julius von Leypold haben auch Posts, nur der arme Gille nicht. Dabei hätte dieser spätromantische Landschaftsmaler einen Post verdient. Uber ihn sagt die Deutsche Biographie: Lange hat man ihn nur als Schüler Dahls sehen wollen, doch zeigt er sich in seinen Studien als unsentimentaler, nüchterner Naturbetrachter. Viele Züge der Beobachtung des Unscheinbaren, Wirklichen machen die Kunst des reifen Gille zu einem konsequenten Landschaftsrealismus. Seine Tat ist die Entdeckung der Landschaft ohne Beschönigung und ohne Affekte. Lahmann hatte das Werk des in Armut gestorbenen Gille als erster für sich entdeckt und gesammelt. 1995 gab es für Lahmann eine kleine Ausstellung mit einem Katalog, der die Überschrift Die Kunsthalle Bremen und ihre Stifter. Bd. 1 hatte. 

Der zweite Band über die Stifter erschien zehn Jahre später, der hatte das Ehepaar Johann Georg und Adele Wolde zum Thema. Die Tochter des Baron Knoop, die Max Liebermann portraitierte, ist hier schon erwähnt. Der dritte Band über die Stifter der Kunsthalle war Friedrich Wilhelm Oelze, dem Freund und Förderer von Gottfried Benn gewidmet. Von ihm hat die Kunsthalle das Johannisfeuer in Loctudy des Malers Maurice Denis bekommen. Einen vierten Band scheint es in dieser Reihe nicht gegeben zu haben.

Meine Eltern besaßen zwar dicke repräentive Kunstbände, aber die waren in den Bücherschränken, deren Glastüren abgeschlossen waren. Die Kunstbände meines Opas waren das, an das ich immer heran konnte. Und sie sind zusammen mit der Bremer Kunsthalle für mich eine Schule des Sehens gewesen. Wenn ich auch Rilkes Satz hier in diesem Hause wird mancher sehend für ein ganzes Leben unterschreiben würde, würde ich allerdings nicht so weit gehen zu sagen: Hier wachsen Menschen, hier in diesem Haus wird mancher sehend für ein ganzes Leben, der sich als Blinder durchs Gedränge wand; und hier ist Kirche, hier wird Gott gegeben, und wo Du stehst, da ist geweihtes Land! Das dichtet Rilke in seinem Prolog zur Einweihung der Kunsthalle am 15. Februar 1902. Rilke ist kein Bremer, er muss so übertreiben. Er passte da auch nicht wirklich hin.

Schreibt auf jeden Fall die Gattin des Kunsthallendirektors Gustav Pauli: Es mag vielleicht verwundern, dass Rainer Maria Rilke aus dem nahen Worpswede nicht mit in unsern Kreis trat. Er hatte zur Eröffnung der Kunsthalle den Weihespruch voll schöner Gedanken geschrieben, er war mehrmals bei uns zuhause in der Parkallee zu Gast gewesen, damals noch mit seiner Frau Clara [...]. Nein, Rilke, so sehr wir ihn damals schon verehrten und von seinem Genie überzeugt waren, hätte in unsere Leseabende nicht gepasst. Wir kennen Magdalena Pauli besser unter ihrem Künstlernamen Marga Berck, denn wir Bremer haben natürlich alle ihr Buch Sommer in Lesmona gelesen.

Der Ehemann der Autorin soll selbstverständlich hier auch ein Bild bekommen (es ist ein Ausschnitt aus dem Bild von Max Slevogt). Die Bremer Kunsthalle gehörte früher als fester Bestandteil zu meinem Leben. In dem Augenblick, in dem ich mit Bahn oder Trolleybus ganz allein nach Bremen fahren durfte, war ich in der Kunsthalle. Allein, oder mit Peter (der wie ich Kunstgeschichte studieren würde) oder Uwe (der Kunstprofessor werden würde). Wir guckten uns die Bilder so genau an, dass uns die Aufseher mit ihren grünen Jacken schon argwöhnisch betrachteten. Später war ich mit Freundinnen in der Kunsthalle, denen ich mit Kennermiene all die schlauen Sachen erzählte, die ich von Peter oder Uwe hatte. In diesen Dingen bin ich gut, weil ich eine copycat bin.

Jahre später habe ich im Kupferstichkabinett ein Volontariat gemacht. Und dabei immer gehofft, dass mich Günter Busch, den ich mit Uwe bei Vorträgen so häufig geärgert hatte, nicht wiedererkennt. Denn der Direktor der Kunsthalle, immer korrekt mit grauem Anzug, weißem Hemd und silbergrauen Schlips, war für uns damals ein Reizobjekt. Ich habe ihn schon mehrfach im Blog erwähnt, aber nie wirklich etwas Böses gegen ihn gesagt. Kann und will ich auch nicht tun, er hat die Kunsthalle beinahe vierzig Jahre lang souverän geleitet. Den kleinen Arm der Seine bei Chatou von Maurice de Vlaminck, den Busch 1949 kaufte, bilde ich hier deshalb ab, weil ich ihn mehrfach in Öl kopiert habe. Ist nicht so schwer.

Für die dreißig Jahre nach Günter Busch brauchte man drei Direktoren. Deren Konterfeis sind alle im Internet, wie das des jetzigen Direktors Christoph Grunenberg, der hier in schöner Pose auftritt, selbstbewußt und ein wenig abwartend. Was wird die Zukunft für die Kunsthalle bringen? Wird man ihm so viel Geld bewilligen wie bei der Tate in Liverpool? Noch mehr Photos im Internet als Grunenberg hat Wulf Herzogenrath (der meistens eine Schleife trug, was früher viele Kunsthistoriker taten), und der nicht davor zurückschreckte, sich mit Yoko Ono ablichten zu lassen.

Von Günter Busch gibt es im Internet so gut wie kein Bild. Auf diesem Photo sitzt er ganz links. Als der Sohn eines Bremer Wollkaufmanns ein junger Student der Kunstgeschichte war (er wollte eigentlich Kunstlehrer werden), hatte ihm der Kunsthallendirektor Emil Waldmann geraten: Wissen Sie, in diesem Beruf darf man nicht zu klug sein wollen - ja, besser ist man ein bißchen dumm! 1945 holte Waldmann den Siebenundzwanzigjährigen als Kustos an die Kunsthalle. Er wurde der Nachfolger von Wilken von Alten, der 1944 bei einem Bombenangriff umgekommenen war.

Als kommissarischen Direktor ernannte die amerikanische Militärverwaltung Rudolf Alexander Schröder (dessen Schwestern einst in dem Festspiel, in dem Rilkes Verse deklamiert wurden, mitgespielt hatten). Man hatte ihn auch wegen seines diplomatischen Geschicks gewählt. Wie der Senator Hermann Apelt (der selbst zweimal Vorsitzender des Kunstvereins war) sagte: Schröder ist der Regenschirm für Busch bei schlechtem amerikanischem Wetter. Die Kunsthalle konnte ihren Betrieb noch nicht wieder aufnehmen. Die Amerikaner, die das Rathaus und die Vegesacker Strandlust zu Bierhallen gemacht hatten, machten die Kunsthalle zu einem Amerika Haus. 1950 legte Schröder sein Amt nieder und wurde zum Ehrenvorsitzen des Kunstvereins gewählt. Günter Busch wurde Direktor der Kunsthalle, er blieb es bis 1985. Er war nach Gustav Pauli und Emil Waldmann der dritte Bremer in diesem Amt.

Das ist einmalig, dass eine Stadt für beinahe ein Jahrhundert Söhne der Vaterstadt als Direktoren eines Kunstmuseums hat. Buschs großes Verdienst ist es, dass er die Kunsthalle nach den schweren Verlusten des Zweiten Weltkriegs wieder aufgebaut hat. An seinem fünfzigsten Geburtstag im März 1967 ehrte ihn die Hansestadt mit der Senatsmedaille für Kunst und Wissenschaft. Dies ist ein Selbstportrait des Malers Rudolf Tewes, der auch zum Kreis von Marga Bercks Goldener Wolke gehörte. Er wird eines Tages den Direktor Emil Waldmann portraitieren, der als erster Bilder von ihm für die Kunsthalle erworben hatte.

Günter Busch war ein seriöser Kunsthistoriker, aber er machte auch Fehler. Dass der Jan Lievens, den der Bankier Johann H. Harjes (dessen Bank am Place Vendôme John Pierpont Morgan eines Tages kaufen wird) 1911 der Kunsthalle geschenkt hatte, kein Rembrandt war, das hat er nie wahrhaben wollen. Ich habe das schon in den Posts Rembrandt und die Bremer Rembrandts erwähnt. Zu seiner Zeit gab es dieses Schild nicht, da war hier ein goldfarbenes Messingtäfelchen, auf dem Rembrandt stand.

Mit Rembrandt hatte er kein Glück. Denn der 1959 dank einer Sonderzuwendung der Freien Hansestadt Bremen gekaufte Rembrandt ist wohl auch nicht echt. Wird heute in dem Katalog der Gemälde der Kunsthalle, den Corinna Höper 1990 erstellte, als Umkreis des Rembrandt bezeichnet. Ich fand ihn damals toll, der junge Herr sieht ja auch sehr elegant aus. Aber mein Freund Peter hatte schon Anfang der sechziger Jahre seine Zweifel. Das Gutachten, auf das man sich beim Kauf stützte, kam von Kurt Bauch, und dessen Ruf als die Rembrandt Kapazität war in den fünfziger Jahren im Schwinden begriffen. Seine NSDAP Zugehörigkeit kam ans Licht, und eine Vielzahl von Gefälligkeitsgutachten kratzte seinen Ruf an. Dennoch könnte es einen Rest von echtem Rembrandt geben. So glaubt Werner Sumowski, Autor des Standardwerks über die Rembrandtschüler, dass unter der Vielzahl der Übermalungen bei diesem Bild vielleicht doch die Ruine eines echten Rembrandts liegt. Es ist mir ehrlich gesagt egal, mir gefällt das Bild. Ich würde es auch nehmen, wenn die es mal nicht mehr haben wollen.

Als Busch 1984 das 634-seitige Buch Die Kunsthalle Bremen in vier Jahrzehnten:  Eine hanseatische Bürgerinitiative von 1945 - 1984 veröffentlichte, nahm man ihm das übel, weil es wenig an hanseatischer Zurückhaltung zeigte. Er hätte auch Norman Mailers Titel Advertisement for Myself draufschreiben können. Damals war man es noch nicht gewöhnt, dass Kunsthallendirektoren Selbstdarsteller sind, in Bremen auf jeden Fall nicht. Zu dem Unmut, der sich in den Jahren häufte, kamen zweifelhafte Finanzierungen von Ankäufen, die sogar einmal in einem Untersuchungsausschuss des Senats gipfelten. Wenn es ums Geld geht, ist man in der Hansestadt sehr empfindlich.

Man muss natürlich dazu sagen, dass die Bremer Kultursenatoren der Kunsthalle nicht immer unbedingt wohlgesonnen waren. Wir hatten in Schleswig-Holstein auch einmal ein seltsames Exemplar der Gattung Kultusminister (der Post Wende zählt immer noch zu meinen Bestsellern), aber in Bremen gab es schon eine erstaunliche Menagerie. Vom Schlosser Willy Dehnkamp bis zum Werder Manager Willy Lemke. Mittendrin Moritz Thape, der die Ära von Kurt Hübner beendete.

Davon abgesehen gab es für Busch natürlich große Erfolge. Ein unfreiwilliger Erfolg war sein Auftritt als Sachverständiger in einem der skandalösesten Prozesse, den die Bremer Justiz geführt hat, Loriot hätte das nicht besser machen können. Sie können hier in dem Post Heinrich Hannover alles darüber lesen. Doch zurück zur Museumsgeschichte. Die Delacroix Ausstellung von 1964 war ein Höhepunkt einer Vielzahl von interessanten Ausstellungen. Bremen konnte sie zu einem großen Teil aus eigenen Beständen gestalten, wer außer Paris konnte das?

Von der Ausstellungseröffnung habe ich noch immer diesen eleganten Herrn (und das war nicht der französische Botschafter Roland de Margerie, der die Ausstellung eröffnete) im Kopf, der zu seinem grauen Flanellanzug ein rot-weiß gestreiftes Hemd mit weißem Kragen trug. Wo kriegte man vor sechzig Jahren so etwas her? Die schöne Wilhelm Busch Ausstellung von 1974 habe ich hier schon erwähnt. Sicherlich zu Recht feierte Günter Busch auch den Ankauf des Bildes des Bertrand Barère de Vieuzac oben (das hat hier schon einen Post). Unter die Amtszeit von Busch fiel auch die Vollendung der zwei Kataloge der Gemälde des 19. und 20. Jahrhunderts in der Kunsthalle Bremen von Gerhard Gerkens und Ursula Heiderich.

Zuvor gab es nur Emil Waldmanns Katalog der Kunsthalle Bremen von 1939, der natürlich längst nicht mehr auf dem neuesten Stand war. Das kleine Pappbändchen Museum-Heute aus dem Jahre 1948 habe ich hier schon erwähnt. Waldmanns Katalog war eine für die Nationalsozialisten gesäuberte Fassung gewesen, es fehlten darin zum Beispiel sämtliche Bilder von Liebermann und die Arbeiten von Utrillo und Bonnard, die im Depot lagerten. Nachdem im Sommer 1937 Werke von Heckel, Kirchner, Pechstein, Barlach, Klee und Becker-Modersohn beschlagnahmt wurden, hatte Waldmann gelernt, Bilder zu verbergen. Beckmanns Stillleben mit Kirschwasserflasche überlebte, weil Waldmann den Nazis zugesichert hatte, es nicht öffentlich auszustellen.

Günter Busch ist in vielen Schriften ein blendender Stilist gewesen. Ein Buch wie Das Gesicht: Aufsätze zur Kunst gibt davon Zeugnis. Er schreibt allgemeinverständlich, aber er biedert sich nicht an. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er mit Yoko Ono aufgetreten wäre. Er pflegte seine Kontakte zum Kapital und den Mäzenen eher im Stillen. Wenn er sich photographieren ließ, dann nur mit Bundespräsidenten und Bundeskanzlern. Zum 65. Geburtstag schickte ihm der Bundeskanzler Helmut Schmidt, dem er einstmals die Paula Becker-Modersohn Ausstellung gezeigt hatte, ein Telegramm mit Glückwünschen. Auch wenn seine Liebhabereien wie Zeichnungen oder Paula Becker-Modersohn (von der er dreizehn Bilder in seiner Amtszeit kaufte) keineswegs die meinen waren, für vieles bin ich Busch dankbar. Für die Ausstellung und den Katalog Zurück zur Natur im Jahre 1977 mit dem 500-seitigen Katalog und die Eugène Boudin Ausstellung 1979 könnte ich ihn knutschen. Und ihm alles verzeihen, was ich jemals gegen ihn hatte.

Die Kunsthalle Bremen ist wie die Kunsthalle in Hamburg und die Kunsthalle Kiel im 19. Jahrhundert aus einem Kunstverein heraus entstanden. Die frühe Phase dieser Museen ist nicht von einem systematischen Aufbau einer Sammlung bestimmt, sondern von den Geschmacksinteressen der begüterten Privatsammler. Die Paulis und Lichtwarks, die den Geschmack der Mitglieder des Kunstvereins formen, sind noch nicht geboren. Der Bremer Kunstverein bezieht 1849 ein eigenes Gebäude. Es ist die erste von einem privaten Verein finanzierte Kunsthalle in Deutschland. Voller Stolz konnte man sagen: Nicht die Munifizenz eines Fürsten, nicht das Decret einer öffentlichen Behörde hat es errichtet, nein, unsere jährlichen fünf Thaler haben es gebaut und mit Stolz setzen wir hinzu: Bremen's erhöhte Bildung hat es in's Dasein gerufen. Den Grund und Boden hatte man billig bekommen, vorher war hier der städtische Schuttabladeplatz.

Gegenüber war die Ostertorswache, wo die Giftmörderin Gesche Gottfried einsaß (lesen Sie hier mehr dazu). Heute heißt das Gebäude Wilhelm Wagenfeld Haus, und ist mächtig aufgerüscht worden. Hamburg hatte seinen Kunstverein schon früher, das imposante Gebäude aber erst zwanzig Jahre nach den Bremern. Zur Eröffnungsfeier schreibt der Arzt Dr Nikolaus Meyer ein langes Gedicht, das ich jetzt nicht abtippe, aber ich sollte erwähnen, dass er nicht Irgendjemand ist. Er ist ein Freund Goethes und wird bis zu dessen Tod mit ihm korrespondieren.

In ganz Amerika gibt es zu dieser Zeit erst ein einziges Kunstmuseum, das Wadsworth Atheneum (Bild) in Hartford, Connecticut, der Stadt von Mark Twain und Samuel Colt. Die großen amerikanischen Museen werden erst zum Ende des Jahrhunderts entstehen, wenn die robber barons des Gilded Age ihre Millionen in die Museen pumpen. Zu Amerika gibt es in dieser Anfangsphase der Bremer Kunsthalle eine kuriose Verbindung.

Bremen kauft nämlich von Emanuel Leutze das Bild Washington Crosses the Delaware, das heute eine nationale Ikone der USA ist. Das 1850 gemalte Bild wurde im gleichen Jahr durch ein Feuer im Atelier schwer beschädigt, von Leutze restauriert und der Colonia Feuerversicherung überlassen, die es im Gürzenich in Köln ausstellt. Es gewinnt in Berlin 1852 eine Goldmedaille und wird 1863 von den Bremern gekauft. 1942 fällt es einem englischen Bombenangriff zum Opfer. Sie können alles darüber in den Posts Emanuel Leutze und Washington Crosses the Delaware lesen.

Man beginnt nach dem Bau der Kunsthalle 1849 erst einmal mit Schenkungen und Vermächtnissen. Mit dem Geschmack des Großbürgertums dieser Zeit. Man sammelt im 19. Jahrhundert auch viel Graphik, das können die Kunstvereine in Bremen und Hamburg gar nicht alles ausstellen. Der Kaufmann Johann Heinrich Albers, der sein Geld in London mit dem Indigohandel gemacht hat (man nennt ihn auch den englischen Albers), vermacht der Bremer Kunsthalle 15.000 graphische Blätter.

Hieronymus Klugkist vermacht ihr die gesamte Druckgraphik, drei Gemälde Altdorfers Geburt Christi ist eines davon. Und 47 Zeichnungen und Aquarelle von Dürer. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Zeichnungen und Aquarelle wie die obige Ansicht von Nürnberg unauffindbar verschwunden. Seit dem Jahre 2000 ist manches wieder zurückgekehrt (lesen Sie hier mehr zu Dürers Aquarellen). Was Werner Haftmann in der Zeit 1949 in seinem Nachruf auf ermordete Bilder beklagte, scheint noch ein versöhnliches Ende zu nehmen. Hofft man seit Jahrzenten. Dennoch bleiben die Verluste Bremens im Krieg, wie Günter Busch 1948 in Museum-Heute ausführt, die größten Verluste aller Kunstmuseen Deutschlands. Busch hatte wenig Geld für Neuankäufe, er wollte die Sammlungsschwerpunkte ausbauen, Konzentration und Verzicht war die Devise: Indessen zeigte sich bei genauerer Betrachtung, daß das Verbliebene und in Glücksfällen Zurückgekehrte von solchem Gewicht, von derartigem künstlerischen Rang war, daß es wieder mit den neueren und neuesten Bereichen der Galerie verknüpft werden wollte. 

Das 19. Jahrhundert hindurch hat man noch keinen Direktor der Kunsthalle, diese Funktion wird von Kunsthändlern wahrgenommen, und die Kunsthalle dient auch mehrmals im Jahr als Platz für Verkaufausstellungen. Sie war auch nur während dieser Verkaufsausstellungen für die Öffentlichkeit zugänglich. Rudolf Alexander Schröder bezeichnete die Kunsthalle als eine gehobene Kunsthandlung. Man kaufte aus Nachlässen Bilder an, um sie wieder zu verkaufen (Einzelverkäufe läßt der Paragraph 5 der Satzung ja zu). Das alles wird sich mit Dr Gustav Pauli ändern, und die Bremer können dankbar sein, dass sie sie ihn zu diesem Zeitpunkt haben. Das gleiche gilt für die Hamburger, was wäre sie ohne Lichtwark geworden? Oder Berlin ohne Wilhelm von Bode?

Wenn man die Reisebriefe von Lichtwark liest, die Lebenserinnerungen von Pauli oder Mein Leben von Wilhelm von Bode, dann erscheinen die Leistungen von manchen zeitgenössischen Kunsthallendirektoren zwergenhaft klein. Die Bremer sind aber ihrem neuen Direktor nicht unbedingt dankbar, Lichtwark wird in Hamburg ähnliche Erfahrungen machen. Dass der junge Direktor 50.000 Reichsmark für den Monet oben ausgibt, das sieht man nicht so gerne. Aber, ich muss das wiederholen, es ist nicht das Geld des Staates, bis heute ist Bremen die einzige Kunsthalle dieser Art, die in privater Trägerschaft ist.

Pauli hat bei seinem Amtsantritt das Glück, dass gerade eine neue Kunsthalle gebaut wird. Und etwas Geld in der Kasse des Kunstvereins ist. Im Vorjahr war der Kaufmann Eugen Kulenkamp gestorben, der 300.000 Reichsmark zum Bau von Arbeiterwohnungen hinterlassen wird. Aber auch 300.000 Mark für die Kunsthalle, zur Anschaffung von Ölgemälden hervorragender Künstler. Das ist für den jungen Direktor eine carte blanche. Er wird sie für die Moderne um 1900 nutzen. Aber musste es unbedingt dieser Van Gogh sein? Das provoziert den sogenannten Bremer Künstlerstreit, in dem sich auch der Bremer Kitschkönig Arthur Fitger (der natürlich hier einen Post hat, so etwas lasse ich nicht aus) zu Wort meldet.

Pauli profitiert bei Neuaufbau der Sammlung auch von der Schenkung von H.H. Meyer (in Bremen nur äitsch-äitsch Meyer ausgesprochen, wir sind da schon sehr weltläufig), der nach seinem Tod eine Sammlung von 100.000 graphischen Blättern hinterläßt. Pauli hat für seine Ankaufspolitik eine gewisse Rückendeckung in der Gesellschaft, sein Vater ist der Bürgermeister von Bremen. Und Pauli weiß die Millionärssöhne Heymel und Schröder und den ganzen Kreis der Goldenen Wolke hinter sich. Er protegiert auch die Worpsweder, die man als Bremer Malerkolonie vor den Toren der Stadt empfindet. Immerhin kommen mit Overbeck und Vogeler ja auch zwei der Künstler aus Bremen.

Hamburg hat Ähnliches, Lichtwark fördert junge Maler, die sich im Hamburgischen Künstlerclub von 1897 zusammenschließen. Aus irgendeinem Grund sind die Worpsweder bekannter geblieben, Paula Becker-Modersohn kennt jeder. Wer kennt noch Thomas Herbst, der so bezaubernde impressionistische Kühe malt? Den finde ich viel interessanter. Als ich meinen kleinen Post über ihn geschrieben hatte, bekam ich Post von einem Verlag, der anfragte, ob ich nicht ein Buch über Herbst schreiben wollte. Wollte ich nicht, war aber nett. Dieses Bild ist natürlich kein Thomas Herbst, das ist Charles Daubignys Landschaft bei Pontoise, 1955 von Günter Busch erworben; ein Bild, bei dem ich nie weiß, ob ich es großartig oder scheußlich finden soll. Hängt von meiner Laune ab. Beauty is in the eye of the beholder.

Dies Bild finde ich immer scheußlich, aber was hilft's? Der Post über Arnold Böcklin wird gelesen und gelesen, ich fasse es nicht. Gustav Pauli geht 1914 als Nachfolger Lichtwarks zur Hamburger Kunsthalle, wahrscheinlich hat er die Albernheiten satt, die sein Ankauf eines Van Gogh 1911 verursacht hat. Er wird Lichtwarks Werk auch im kunstpädagogischen Bereich fortsetzen. Ansätze dazu gab es schon in Bremen, zum Beispiel Lichtbildervorträge für Arbeiter. In diesem Punkt setzen Lichtwark und Pauli etwas um, was schon John Ruskin gefordert hat.

Pauli kann in Hamburg auch mit der Universität zusammenarbeiten, so etwas haben die Bremer nicht. Er wird als Gastprofessor in Harvard lehren, einer der wenigen deutschen Kunsthistoriker neben Adolph Goldschmidt, der schon vor 1933 in Amerika ist. Er wird mit Aby Warburg und Erwin Panofsky befreundet sein und beide 1936 in seinen Erinnerungen aus sieben Jahrzehnten hervorheben (er wird auch die Totenrede für Warburg halten). 1936 hatten die Nazis Gustav Pauli schon zwangspensioniert (das Pensionsalter hatte er allerdings schon erreicht). Die Bibliothek von Aby Warburg ist schon in London und Panofsky ist in Princeton. Das sind Verluste für Hamburg. Für Deutschland.

Der Nachfolger von Pauli heißt Emil Waldmann, hier ist er von Rudolf Tewes zusammen mit dem Bildnis des Dogen Francesco Donato von Jacopo Tintoretto gemalt. Das heute verschollene Bild war damals eine denkwürdige Erwerbung für die Bremer Kunsthalle. Waldmann kommt wie Pauli aus Bremen, er war schon unter Pauli Direktorialassistent, danach Direktor des Dresdener Kupferstichkabinetts. Waldmann ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit mit weitreichenden Interessen (sogar die amerikanischen Museen werden ihn interessieren). Er ist auch ein hervorragender Kunstschriftsteller. Und mit Beharrlichkeit, seltenem Mut und diplomatischem Geschick rettet er die von ihm ständig vergrößerte Sammlung durch die Zeit des Nationalsozialismus. Sein Nachfolger Günter Busch wird ihm in der Bremischen Biographie ein würdiges Denkmal setzen. Eine längere Würdigung von Peter H. Feist findet sich in Metzlers Kunsthistoriker Lexikon.

Neuerdings versucht man ihn in die Nähe der Nazis zu rücken. Da hat sich der 1963 in Bremen geborene Kai Artinger besonders hervorgetan. Kai Artinger ist ein Hansdampf in allen Gassen. Er hat über das Eichhörnchen in der Kunst geschrieben (uns reicht da völlig das schöne Bild von John Singleton Copley) und verfasst Krimis, die im Museum spielen. Die natürlich niemals an The Hound in the Left-Hand Corner von dem Engländer Giles Waterfield heranreichen. Im Augenblick diskutiert man in Bremen sein Buch Die Kunsthalle Bremen im Dritten Reich: Eine historische Aufarbeitung, was aber nichts als eine aufgerüschte zwanzig Jahre alte Magisterarbeit ist. Es kann nicht das letzte Wort sein. Die Papageienallee in Wannsee hat Günter Busch gekauft, aber es ist das Verdienst von Waldmann, dass er alle anderen Liebermanns über das sogenannte Dritte Reich gerettet hat.

Dies hier ist Wulf Herzogenrath, nach Siegfried Salzmann der zweite Nicht-Bremer als Kunsthallendirektor. Er betonte aber bei seiner Bewerbung seine bremischen Wurzeln: sein Urururgroßvater habe schon 1850 im Schünemann Verlag Kunstveröffentlichungen herausgebracht und er sei ein Großneffe zweiten Grades von Paula Becker Modersohn. Ich weiß jetzt nicht, ob das ironisch gemeint war. Als er das Amt übernahm, war der Kunstverein gerade aus seinen Millionenschulden herausgekommen, für deren Begleichung über hundert Kunstwerke verkauft werden mussten. Einzelverkäufe läßt der Paragraph 5 der Satzung des Vereins zu, nur die gesamte Sammlung darf nicht veräußert werden..

In die Amtszeit Herzogenraths fiel auch eine beinahe dreijährige Schließung, weil man links und rechts einen Lego Klotz an das Museum baute. Jetzt ist man modern. Unter anderem bekam der Direktor ein 40 Quadratmeter großes Dienstzimmer (seine Vorzimmerdame eins in der gleichen Größe). Aber die Kunsthalle, über deren Eingang Den schönen Künsten geweiht steht, war jetzt nicht mehr dieselbe. Hatte nicht mehr den Charme vom Fin de Siècle. Jetzt will man partout en vogue sein, will Blockbuster Ausstellungen machen wie die ganz Großen. 

Es zieht mich nichts mehr dahin. Früher war es meine Kunsthalle, ich kannte jedes Bild und zu vielen Bildern die Geschichte. Manchmal ging ich nur wegen des kleinen Heimbachs in die Kunsthalle. Es geht mir da ein wenig wie Alan Bennett mit dem Museum in seiner Heimatstadt Leeds. Er hat darüber einmal den wunderbaren Film Portrait or Bust gedreht. Kann man hier sehen, kann man aber auch als DVD kaufen, ist in dem Riesenpacken Alan Bennett at the BBC mit dabei.

Gut, ich bin jemand von gestern. Ich habe noch immer dieses kleine Erlebnis im Kopf, wo ich in den fünfziger Jahren Rembrandts Nachtwache zum erstenmal sah. Da hörte ich einen elegant gekleideten Herrn zu seinem Begleiter sagen: Das ist mir hier zu voll, lass uns nach Den Haag fahren und ins Mauritshuis gehen. Dabei war da nur ein Dutzend Leute in dem Saal. Ich fand die Bemerkung damals sehr cool. Ich weiß, dass solche Zeiten nicht wiederkehren werden. Aber muss sich die Kunsthalte an die sogenannten sozialen Medien heranschmeissen? Dass sie einen Blog haben, das ist völlig in Ordnung, der YouTube-Kanal auch. Aber muss eine Kunsthalle wirklich bei Facebook, Instagram und tiktok sein?

Zum Entsetzen des Vorstands des Kunstvereins schaffte Herzogenrath diesen Video-Synthesizer von Nam June Paik (dem Vater der Video Skulptur) an. Der Künstler kommentierte sein Kunstwerk so: Dies wird uns ermöglichen, die TV-Bildschirm-Leinwand so präzise wie Leonardo, so frei wie Picasso, so farbenfroh wie Renoir, so profund wie Mondrian, so gewalttätig wie Pollock und so lyrisch wie Jasper Johns zu gestalten. Toll. Ich kann dem nun leider überhaupt nichts abgewinnen. Das habe ich schon in dem Post Marcel Duchamp deutlich gemacht. Wenn ich solche Installationen sehe, habe ich immer diese destruktive Regung, zur Wand zu gehen und den Stecker herauszuziehen.

Neben einer solchen Madonna macht sich der Video Synthezizer auch sehr gut. Wer aber sollte in der Notzeit unserer Tage den Kunstbesitz, soweit er gerettet wurde, das, was uns aus den großen Zeiten der Kunst geblieben, zusammenhalten und bewahren, wenn es nicht unsere öffentlichen Sammlungen wären? Und welche Zeit wäre bedürftiger gewesen als die unsere, sich den Zugang offen zu halten zum Überzeitlichen, jede Möglichkeit zu wahren, sich aus der Welt des Alltags in eine reinere und höhere Welt zu flüchten. Schreibt im November 1948 Hermann Apelt in einer kleinen Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum der Kunsthalle. Wenn ich dem Alltag entfliehen will, will ich Bilder an der Wand sehen. Wenn ich flackernde Bilder auf Fernsehschirmen sehen will, gehe ich zum MediaMarkt.

Während der Umbauten schickte man die Bremer Sammlung portioniert durch Deutschland. So konnte man in Kiel den grässlichen Abenteurer von Böcklin sehen und auch den Mandolinenspieler von Feuerbach (der hier schon einen Post hat), die größten Scheußlichkeiten der Sammlung. Hieß dann Noble Gäste. Meisterwerke der Kunsthalle Bremen in der Kunsthalle zu Kiel. Jens Christian Jensen hätte die bestimmt nicht genommen; aber seit der weg ist, ist Kiel für andere Kunsthallen nur zweite und dritte Wahl, wenn es um Leihgaben geht. Hamburg hatte sich natürlich das Mohnfeld von Van Gogh (für das Pauli damals 30.000 Goldmark bezahlt hatte), Pisarro, Manet und Monet, Toulouse-Lautrec und Rodin herausgepickt.

Kann man die Kunsthalle heute einem Besucher der Hansestadt empfehlen? Ich weiß es nicht. Worpswede ja, das Becker-Modersohn Museum in der Böttcherstraße auch. Und an der Stelle muss ich noch einmal sagen, dass mein Freund Peter als Landeskonservator in der Böttcherstraße, in die sich von hinten Hotels und Kommerz hineinfrassen, gerettet hat, was zu retten war. Sonst könnte man den Himmelssaal im Haus Atlantis heute vielleicht nicht mehr sehen. Das Focke Museum ist unbedingt zu empfehlen. Für moderne Kunst die Weserburg. Aber die Kunsthalle? Eher würde ich nach Oldenburg fahren, die haben ein Schloss und sehr schöne Museen. Leider ist das schöne Stadtmuseum zur Zeit wegen Umbau geschlossen.

Heute hat der Kunstverein mit Nicole Lamotte zum erstenmal in seiner Geschichte eine Frau als Vorsitzende. Das ist auch richtig, denn Frauen sind der größte Teil der zehntausend Mitglieder des Vereins. Meine Eltern waren Mitglieder im Bremer Kunstverein, und obgleich ich zu vielen Veranstaltungen und zu jeder Ausstellungseröffnung ging, war ich nie Mitglied. Ich habe es meinen Eltern erst spät gestanden, dass ich in Hambzrg Mitglied der Freunde der Kunsthalle geworden war. Das hatte Vorteile, die Hamburger hatten die besseren Ausstellungen. Ausstellungen wie die großartige Meister Francke Ausstellung, die Caspar David Friedrich Ausstellung und die mehrjährige Ausstellungsreihe Kunst um 1800, die Werner Hofmann organisiert hatte, so etwas hatten die Bremer nicht. 

Die Ausstellung, mit der Bremen sein Jubiläum jetzt feiert, heißt Geburtstaggäste: Monet bis Van Gogh. Kunden der Bremer Sparkasse haben zu drei Terminen freien Eintritt und dürfen noch einen Freund oder eine Freundin mitbringen. Die Sparkasse weist mit dieser Aktion darauf hin, dass sie die Kunsthalle immer finanziell gefördert hat. Wenn man einst stolz auf die jährlichen fünf Thaler war, ganz allein hat der Kunstverein in zweihundert Jahren nicht alle Ankäufe und Umbauten tragen können. Das war früher leichter, als Gustav Pauli als Vorsitzenden des Vereins den Millionär Carl Schütte (den Bruder des Petroleumkönigs) neben sich wusste. Dessen Marmorbüste ziert immer noch die Kunsthalle.

Wenn Sie ein Buch zum Kunstverein und zur Kunsthalle suchen, dann kann ich Kunsthalle Bremen: Museumsführer (Deutscher Kunstverlag), herausgegeben von Anne Buschhoff unbedingt empfehlen. Kann man noch preiswert finden.