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Dienstag, 28. Juni 2022

The Way by Swann’s


Ich lese gerade ein Buch, das ich kenne. Ich habe es schon mehrmals gelesen, sogar in verschiedenen Übersetzungen. Ich besitze auch den ersten Band im französischen Original, den habe ich aber in die zweite Reihe gestellt. Jetzt lese ich das Buch wieder in einer Übersetzung, aber es ist diesmal eine englische Übersetzung. Darauf war ich noch nie gekommen, dass man die ➽Recherche a la temps perdu auch in einer englischen Übersetzung lesen konnte. Es gibt einen vielzitierten Satz, dass man philosophische und andere schwere Texte, die man kaum versteht, in der englischen Übersetzung leichter lesen könne. Es ist ein Satz, der immer mal wieder für das Werk von Karl Marx und Sigmund Freud gebraucht wurde. Nie für das Werk von Hegel oder Heidegger, da versagt auch die Common Sense Struktur der englischen Sprache.

Proust und Englisch, das ist so eine Sache. Seine Mutter beherrschte die englische Sprache, er kaum. Aber er bewundert die Engländer und den englischen Stil. Er trägt Schlipse und Querbinder von der englischen Firma Liberty's (er hat sie in allen Farben) und kauft seine Schuhe in dem Luxusgeschäft Old England am Boulevard des Capucines (das Geschäft gibt es leider seit zehn Jahren nicht mehr). Schwarze geknöpfte Lackstiefel, Halbstiefel natürlich. Nichts anderes. Sie können ihn mit solchen Schuhen in dem Post Morning Coat sehen. Seine Anzüge und seine Morning Coats kommen von der Firma Carnaval de Venise in der Rue Halevy, die haben einen englischen Schneider, der kommt zu Proust ins Haus.

Alles über Prousts Anglophilie kann man bei Professor Daniel Karlin in dem hochinteressanten Buch Proust's English (Oxford University Press 2005) lesen. Und wenn Proust auch kaum Englisch kann, liebt er doch die englische Literatur, das hat er selbst gesagt: C’est curieux que dans tous les genres les plus différents, de George Eliot à Hardy, de Stevenson à Emerson, il n’y a pas de littérature qui ait sur moi un pouvoir comparable à la littérature anglaise et américaine. L’Allemagne, l’Italie, bien souvent la France me laissent indifférent. Mais deux pages du 'Moulin sur la Floss' me font pleurer. Er liest das alles natürlich in Übersetzungen, zum Übersetzer seines eigenen Werkes hätte er nicht getaugt. Obgleich er sich daranmacht, einen Text des vom ihm verehrten John Ruskin zu übersetzen. Lesen Sie dazu mehr in dem Post Notre Dame d'Amiens.

Im Jahre 1919 offerierte der schwerverletzt aus dem Krieg zurückgekommene Captain C. K. Scott Moncrieff dem Constable Verlag eine Übersetzung von Prousts Roman Du côté de chez Swann, der gerade neu überarbeitet bei Gallimard erschienen ist. Bei dem Verlag Gallimard sollte Proust für den kurzen Rest seines Lebens bleiben. Der Constable Verlag teilte Scott Moncrieff, der gerade eine Übersetzung des Rolandsliedes und Stendhals Kartause von Parma beeendet hatte, mit, sie hätten noch niemals etwas von diesem Herrn Prévost gehört. Sie konnten nicht einmal den Namen Proust richtig schreiben. Immerhin kannten sie Herman Melville, denn sie hatten gerade mit der Herausgabe seiner Werke begonnen. Scott Moncrieff ließ sich davon nicht einschüchtern und übersetzte den ersten Band der Recherche. Als er den fertig hatte, ließ er sich als Captain der King’s Own Scottish Borderers malen.

Das Buch hat Proust einen Monat vor seinem Tod noch bekommen. Proust, despite his shaky acquaintance with the half-learned and half- forgotten English language, was relieved a little as he struggled through his own copy by the beauty he dimly perceived, schreibt George Duncan Painter in seiner Proust Biographie. Der Titel des ersten Bands Swann's Way gefiel Proust nicht, der bei Shakespeare entlehnte Titel Remembrance of Things Past auch nicht, aber er bedankte sich brieflich (in englischer Sprache) beim Übersetzer. Proust hatte seit dem Dezember 1921 gewusst, dsss die englische Übersetzung im Entstehen war, Gaston Gallimard hatte ihn informiert. Scott Moncrieff wird bis zu seinem Tod im Jahre 1930 beinahe die ganze Recherche übersetzt haben. 

Seine Übersetzung bleibt, bis sie 1981 von Terence Kilmartin auf der Basis der Pléiade Edition von 1954 revidiert wurde, die englische Standardausgabe des Werkes. Wenn Sie wollen, können Sie sie ➽hier lesen. Die schottische Schriftstellerin Jean Findlay hat mit Chasing Lost Time vor sieben Jahren eine hervoragende Biographie von Scott Moncrieff vorgelegt. Sie ist die Urgroßnichte des Übersetzers und konnte auf bisher unbekannte familiäre Unterlagen zurückgreifen. Sie hatte in Edinburgh Romanistik studiert und wollte eine Dissertation über Prousts Recherche schreiben, aber ihr Onkel riet ihr ab: it killed Proust to write it, it killed CK to translate it; it'll probably kill you to read it ... Sie gab Proust auf und schrieb über Balzac. Aber dann kam sie doch auf Proust zurück und schrieb die Biographie von CK, der niemand anderer als Charles Kenneth Scott Moncrieff ist.

Ich komme auf das Thema, da ich letztens das im ersten Absatz abgebildete Buch The 14-Minute Marcel Proust für 2,47 € bei ebay gekauft hatte und dort alles über die verschiedenen englischen Proust Übersetzungen lesen konnte. Sie brauchen sich das Büchlein nicht zu kaufen, es steht alles in diesem Blog des Autors, der uns die verschiedenen Übersetzungen und Übersetzungsversuche der einzelnen Bücher der Recherche präsentiert. Das brachte mich dazu, den von den Kritikern gelobten ersten Band der neuen Penguin Ausgabe in der Übersetzung von Lydia Davis zu kaufen, die jetzt The Way by Swann’s heißt. Vladimir Nabokov hatte vorgeschlagen, man solle das Buch The Walk by Swann’s House nennen. Das ist etwas anderes als Scott Moncrieffs Swann's Way. Ich kannte den Text, von dem ich verschiedene deutsche Übersetzungen gelesen habe. Das französische Original mehr oder weniger auch.

Ich begann zu lesen und konnte nicht aufhören. Unglaublich. Wie klar und verständlich alles war. Die Schriftstellerin Lydia Davis, die einmal mit Paul Auster verheiratet war, hatte schon dreißig Jahre aus dem Französischen übersetzt (unter anderem Flauberts Madame Bovary), als sie der Penguin Verlag fragte, ob sie an einer neuen Proust Übersetzung teilnehmen wollte. Nach einigem Nachdenken wollte sie. Sie können hier im Yale Review alles lesen, was sie zu ihrer Übersetzung des Werkes, über das Henry James schrieb: inconceivable boredom associated with the most extreme ecstasy which it is possible to imagine, zu sagen hat. Diese Übersetzung zu lesen war mehr ecstasy als boredom. Aber, alle schönen Dinge haben ein Aber, ich weiß nicht, wie der Rest von In Search of Lost Time aussieht. Lydia Davis hat leider nur den ersten Band übersetzt. 

Der Herausgeber der Penguin Ausgabe Christopher Prendergast, der gerade das Buch Living and Dying with Marcel Proust veröffentlicht hat, hat für seine Wahl etliche Gründe, ohne zu sagen, dass sich niemand auf der Welt finden würde, der die ganze Recherche mit dem Anspruch übersetzte, besser zu sein als Scott Moncrieff. James Alter kritisierte die Edition im Times Literary Supplement sicherlich zu Recht: Anyone reading through the seven volumes in French comes to sense a unifying Proustian sensibility in the prose even as it shifts gear according to the exigencies of the particular narrative moment. Prendergast's assertion to the contrary looks suspiciously like an excuse for having made no editorial effort to bring the sundry volumes into full stylistic consonance with each other, and this inaction in certain ways compromises the project as a wholeAlain de Botton, dem wir das schöne Buch How Proust Can Change Your Life verdanken, verteidigte dagegen das Penguin Projekt in der Times: For a start, Prendergast has picked on a distinguished range of translators, so that even if one ends up with a favourite (mine was James Grieve, who did Volume 2), there’s never a sense of an awkward shift as one moves from book to book. Und dann kommt der Satz: It is Proust’s voice that one follows; the translators remain self-effacing handmaidens, their task helped by a general editor who has taken care to impose a uniformity of names and other details. Man könnte diesen Satz negativ umformulieren: Proust ist so gut, dass man ihn überall erkennt, egal wie schlecht die Übersetzungen sind. Im Internet ist eine sehr gute Magisterarbeit von Camille Gippa zu lesen, in der Sie alles über die Rezeption der Übersetzungen finden.

Der zweite Band der Penguin Ausgabe wurde von dem Australier James Grieve übersetzt, der viel freier als Davis an den Text herangeht. Er bekam die schlechtesten Rezensionen, die einzige Ausnahme war die von Alain de Botton. Grieve hatte schon zwanzig Jahre zuvor einen Band aus der Recherche übersetzt. Das war ein Wagnis gewesen, das wusste Grieve. Und er hat hat seiner Übersetzung ein Zitat vorangestellt, das aus der Übersetzung von Montaignes Werken durch Charles Cotton stammte: My Design in attempting this Translation, was to present my Country with a true Copy of a very brave Original; How far I have succeeded in that Design is left to every one to judge; and I expect to be the more gently censured, for having my self so modest an Opinion of my own Performance, as to confess that the Author has suffered by me, as well as the former Translator; though I hope, and dare affirm, that the misinterpretations I shall be found guilty of, are neither so numerous, nor so gross. I cannot discern my own Errours, it were unpardonable in me if I could, and did not mend them; but I can see his (except when we are both mistaken) and those I have corrected; but am not so ill natur’d as to shew where. Was Charles Cotton hier 1685 formuliert, sollte jeder Übersetzer vor sein Werk schreiben. Grieve hatte Swann's Way (hier im ➽Volltext) den Satz vorangestellt: This new Proust in English I dedicate to all those who once read him in the belief that he was abstruse; and to those who, in the same belief, never read him.

Lydia Davis ist mit ihrer Übersetzung Scott Moncrieffs Übersetzung verpflichtet, das hat sie in Interviews und Leserbriefen gesagt, das hat sie im Vorwort der Penguin Ausgabe geschrieben. Es plagte sie bei ihrer Arbeit eine Frage: Another early question that haunted me was whether a new translation was needed at all. Scott Moncrieffs Übersetzung ist von Terence Kilmartin überarbeitet worden, diese Revision war eigentlich mehr oder weniger eine Neuübersetzung. Und diese neue Version war von D.J. Enright auf der Basis der Pléiade Edition von 1984 noch einmal überarbeitet worden, warum eine neue Übersetzung? Enright hatte den Titel des Werks von Remembrance of Things Past geändert, das Werk heißt jetzt In Search of Lost Time. Das hätte Proust gefallen, der an Scott Moncrieffs Titel Anstoß genommen hatte.

Der Leser hat heute die Wahl, was er kaufen will. Es gibt nach hundert Jahren Scott Moncrieffs Übersetzung immer noch. Antiquarisch oder neu von der Yale University Press. Herausgegeben und kommentiert von William C. Carter. Das liest sich in der Verlagswerbung so: Esteemed Proust scholar William C. Carter celebrates the publication centennial of Swann's Way with a new, more accurate and illuminating edition of the first volume of In Search of Lost Time. Carter corrects previous translating missteps to bring readers closer to Proust's intentions while also providing enlightening notes to clarify biographical, historical, and social contexts. Presented in a reader-friendly format alongside the text, these annotations will enrich and deepen the experience of Proust's novel, immersing readers in the world of an unsurpassed literary genius. Für Harold Bloom, der immer für eine schräge Meinung gut ist, war Carter Proust's definitive biographer, ich fand Carters Biographie furchtbar langweilig, kein Vergleich mit Tadié.

Aber ich sollte auch etwas Nettes über Professor Carter sagen, ich brauche ihn noch für den Schluss. Zum einen, dass er der Ko-Produzent des Films Marcel Proust: A Writer's Life ist, den Sie hier sehen können. Zum anderen, weil er ein Buch über Shelby Foote herausgegeben hat. Der Schriftsteller und Historiker, der eins der besten Geschichtswerke über den amerikanischen Bürgerkrieg geschrieben hat, ist hier schon häufig erwähnt worden. Aber was hat er mit Marcel Proust zu tun? In dem Film über Proust sagt er, dass Proust the man who hung the moon in my mind gewesen sei. Zu seinem siebzehnten Geburtstag hat er ein Exemplar von Remembrance of Things Past bekommen und das Buch immer wieder gelesen. What I got from Proust is the handling of multiple plots, the infinite compassion for all kinds of scoundrels - just a whole way of looking at the world... Proust called style 'a quality of vision.' He gave me that. Und in dem von Carter herausgegeben Band sagt Foote in einem Interview, dass er ohne die Kenntnis von Homers Ilias und Prousts Remembrance of Things Past niemals die drei Bände von The Civil War: A Narrative hätte schreiben können. Ein Werk, das im Übrigen genau so lang ist, wie Prousts Recherche.

Und Shelby Foote hat noch etwas anderes, etwas ganz Erstaunliches, gesagt. Immer, wenn er ein Buch fertig hätte, würde er A la recherche du temps perdu lesen: I’ve always given myself a reward when I finish something and the reward I give myself is always the same thing. I read 'A la recherche du temps perdu'. That’s my big prize. C’est mon grand prix. I think I’ve read it nine times, now. It’s like a two-month vacation because it takes that long to read Proust. I like it better than going to Palm Beach.



Samstag, 25. Juni 2022

Blogger


Bloggen kann jeder, hat F.C. Delius gesagt. Ja und nein, es gibt erhebliche qualitative Unterschiede zwischen den Blogs. Von denen es sicher Millionen gibt, in Deutschland sollen es mindestens 200.000 sein. Mein Webster aus dem Jahre 1993 kennt das Wort Blogger nicht, vor dreizehn Jahren wusste ich nicht, was das ist. Jetzt gehöre auch ich zu dieser flüchtigen, unübersichtlichen  Welt. Wenn man bei ebay in der Suchfunktion das Wort Blogger eingibt, landet man bei der Damenmode. Wenn Sie wissen wollen, wie der neueste Blogger-Style aussieht, klicken Sie diese Seite an. Da kann man lesen: Ein goldenes Cropped Top und einen süßen Blumenrock – mehr braucht es nicht für ein luftig-leichtes Sommer-Outfit. Blogger-Ikone Chiara Ferragni kombiniert dazu noch goldene Samt-Sandalen und eine süße Prada-Tasche. Und das Internet belehrt uns dazu: Einfach ein Wickelkleid in einer Knallfarbe überwerfen und goldene Riemchensandalen – fertig ist der elegante Blogger-Style. Wir lassen die süße Prada-Tasche und den Blogger-Style des Sommers mal beiseite und wenden uns dem Wort Blogger zu.

Das Oxford English Dictionary definiert das Wort, das seit den neunziger Jahren gebräuchlich ist (im Duden seit 2006), als: A frequently updated website, typically run by a single person and consisting of personal observations arranged in chronological order, excerpts from other sources, hyperlinks to other sites, etc.; an online journal or diary. Das Internet ist voll von Artikeln über Blogger. Gibt man das Wort ein, serviert einem Google 724.000.000 Einträge. Gibt man das Wort Gott ein, sind es nur 202.000.000. Die absolute beste Definition des Bloggers findet sich nicht in den traditionellen Wörterbüchern, die findet sich in dem Urban Dictionary, einem Slangwörterbuch, das seit 1999 online ist. Und da steht:

Term used to describe anyone with enough time or narcissism to document every tedious bit of minutia filling their uneventful lives. Possibly the most annoying thing about bloggers is the sense of self-importance they get after even the most modest of publicity. Sometimes it takes as little as a referral on a more popular blogger's website to set the lesser blogger's ego into orbit. usually occurs after a person purchases or attains access to a computer but before they learn anything about writing.

DeepL, die beste Übersetzungsmaschine im Netz, übersetzt uns das als:

Ein Begriff, der jeden beschreibt, der genug Zeit oder Narzissmus hat, um jede langweilige Kleinigkeit seines ereignislosen Lebens zu dokumentieren. Das vielleicht Ärgerlichste an Bloggern ist das Gefühl der Selbstherrlichkeit, das sie selbst bei der bescheidensten Publicity entwickeln. Manchmal reicht schon eine Empfehlung auf der Website eines bekannteren Bloggers aus, um das Ego des weniger bekannten Bloggers in die Höhe zu treiben. Das passiert in der Regel, nachdem eine Person einen Computer gekauft oder Zugang zu einem Computer erhalten hat, aber bevor sie etwas über das Schreiben lernt.

Das ist schön bösartig, aber mehr braucht man über Blogger nicht zu sagen.

Mittwoch, 22. Juni 2022

Happy Birthday, Prunella Scales


Hier steht die englische Königin neben dem Direktor der königlichen Gemäldesammlung Sir Anthony Blunt. Sie diskutieren über die Echtheit eines Gemäldes. Blunt sagt gerade: Because something is not what it is said to be, Ma'am, does not mean it is a fake. It may just have been wrongly attributed. Sie wissen natürlich, dass das hier nicht die englische Königin ist, das ist die Schauspielerin Prunella Scales, die Queen Elizabeth in dem Theaterstück A Question of Attribution von Alan Bennett spielt. James Fox, den Sie schon in dem Post The Go-Between an der Seite von Dirk Bogarde sehen können, spielt den Kunsthistoriker Sir Anthony Blunt. Zu dem Theaterstück gab es hier schon vor Jahren den Post (Sir) Anthony Blunt, in dem man auch den wunderbaren Film A Question of Attribution anklicken konnte. Es geht in dem Film nicht nur um die Echtheit eines Tizian Gemäldes, es geht auch um Sir Anthony. Denn es ist langsam ans Licht gekommen, dass der Direktor der königlichen Gemäldesammlungen und des Courtauld Institutes in Wirklichkeit seit den dreißiger Jahren ein sowjetischer Spion ist. Der Verrat an England ist ein Theme, das bei Alan Bennett gut aufgeehoben ist, er behandelt es in An Englishman Abroad und anderen Theaterstücken.

Prunella Scales wird heute neunzig Jahre alt. Dazu möchte ich ganz herzlich gratulieren. Sie hat viele Rollen in ihrem Leben gespielt, aber ewig in Erinnerung bleibt sie als die englische Königin in A Question of Attribution und als Sybil Fawlty. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an die schreiend komische Sitcom Fawlty Towers erinnern. Da ist sie die Ehefrau von Basil Fawlty, den wir besser als John Cleese kennen: I feel very grateful for Sybil. 'Fawlty Towers' was very hard to make, but it was very stimulating. Es hat zwölf Folgen gegeben, sie sind zu Klassikern des englischen Humors geworden: It's strange how 'Fawlty' has become a perennial. I keep meeting new generations of schoolboys who know the lines better than I did when I said them. The program has sensational sales in video. I'm mercifully on a small percentage, hat sie einmal gesagt. Und sie hat auch gesagt, dass die Drehbücher von John Cleese schon Klassiker seien: I shouldn't be surprised if John Cleese's scripts don't become set texts for examinations-they're classics. And I can't tell you how service in English hotels has improved since 'Fawlty Towers.' Was den Service in englischen Hotels betrifft, so hat es einen Chaoten wie Basil Fawlty wirklich gegeben. Cleese war mit der Monty Python Truppe in seinem Hotel untergebracht. Er sei der unflätigste Mensch, der mir je über den Weg gelaufen ist, hat John Cleese gesagt. Und ihn in die Serie geschrieben.

Samstag, 18. Juni 2022

Jean-Louis Trintignant ✝


Auch Legenden sterben. Jetzt ist Jean-Louis Trintignant tot. Seine Ex-Frau Nadine sagte im Dezember: Il perd la vue, il ne peut plus marcher bien. Il ne va pas bien, non, il va mal. Dass er die Sehkraft verlor, war nichts Neues, er konnte schon seit zehn Jahren die Tageszeitung nicht mehr lesen. Bei den Dichterlesungen, bei denen er Jacques Prévert vortrug, brauchte er den Text nicht abzulesen, er kannte die Gedichte auswendig. Jean-Louis Tringtignant war von Anfang an in diesem Blog, man könnte SILVAE beinahe einen Jean-Louis Trintignant Blog nennen. Ich war gerade mal eine Woche im Netz, da schrieb ich Ma nuit chez Maud, und am Ende des Jahres 2010 gab es zu seinem achtzigsten Geburtstag den Post Jean-Louis Trintignant. Der neueste Post ist vom Januar dieses Jahres und heißt Verliebt in scharfe Kurven, und zu seinem Geburtstag im Dezember 2021 gab es hier den ganz, ganz langen Post Bon anniversaire, Jean-Louis. Ist ein paar tausend Mal angeklickt worden, könnte aber noch mehr Leser haben, weil er viel besser als der mickrige Wikipedia Artikel ist. Und zwischen Januar 2010 und Januar 2022 ist er immer wieder in diesem Blog erwähnt worden. Testen Sie einmal die Suchfunktion auf dieser Seite. In manchen der Posts kann man Filme anklicken, nicht jeden seiner Filme muss man sehen. Diesen hier zum Beispiel nicht. Den Film Le mouton enragé mag ich dagegen sehr. Wenn man in mehr als hundertfünfzig Filmen mitspielt, wird nicht jeder ein Meisterwerk sein. 

Er ist friedlich im Kreis seiner Familie eingeschlafen, hat seine dritte Ehefrau Marianne Hoepfner gesagt. Die Frau, die ihn die letzten zwanzig Jahre seines Lebens begleitete, kam nicht wie seine ersten Ehefrauen Stéphane Audran und Nadine Marquand aus dem Filmgeschäft, die war Rennfahrerin wie Trintignants Onkel Maurice gewesen. In einem Interview hat Trintignant, auf seine schwindende Gesundheit angesprochen, den schönen Satz gesagt: Nous n’étions pas censés vivre plus de 80 ans. Ce n’est pas si mal que ça. Je suis toujours heureux quand je suis seul. J’ai une vie intérieure.

Freitag, 17. Juni 2022

Eschi

Eschi hat zu, den Laden gibt es nicht mehr. Antiquariat steht da nicht mehr, da steht jetzt Laden zu vermieten! und eine Telephonnummer. Das ist das Ende des traditionsreichen Kieler Antiquariats Eschenburg, es ist sehr traurig. Begründet wurde das Antiquariat von Harald Eschenburg, dem Bruder des berühmten Staatsrechtlers Theodor Eschenburg. Seit seinem Tod wurde das Geschäft von seinem Sohn geführt, aber es hatte sich nicht viel geändert. Die Preise waren moderat wie eh und je, Bücher waren hier eigentlich unverschämt billig. Harald Michael Eschenburg, genannt Eschi, rauchte Gitanes. Sein Vater hatte Zigarren oder Zigarillo geraucht. Er hatte bei Ernst Rowohlt Verlagskaufmann gelernt und hat Falladas Bauern, Bonzen und Bomben lektoriert. Sein Kollege im Lektorat war zu dieser Zeit übrigens der Bremer Friedo Lampe, zu dessen Roman Septembergewitter Eschenburg 1938 im Bücherwurm eine Rezension schrieb. Im selben Jahr besprach er Gustav René Hockes Das geistige Paris, er schreibt viele Rezensionen in diesen Tagen.

Harald Eschenburg hatte gleich nach dem Krieg, in dem er als Marineoffizier (zuletzt auf dem Kreuzer Nürnberg) diente, in Kiel wieder mit dem Buchhandel angefangen. Am ersten Tag der Währungsreform hatte er zwölf Mark eingenommen, damit war sein Startkapital beinahe aufgebraucht. Aber dann brachten ihm die Leute Bücher und Bücher. Eschenburg hat die FDP in Schleswig-Holstein mitbegründet und war Redakteur der politischen Wochenzeitung Unser Standpunkt. Er war auch Mitbegründer des Landeskulturverbandes und Ratsherr im Kieler Rathaus. Irgendwann ist er vom normalen Buchhandel ins Antiquariat gewechselt. Er hatte 1958 den ersten Taschenbuchladen (Tabula) in Deutschland gegründet, zu dessen Eröffnung sogar Ernst Rowohlt gekommen war. Seine 1946 gegründete Firma hieß Bouquiniste Harald Eschenburg Buchhandel und Antiquariat. Auf diesem alten Photo der Andreas Gayk Straße 19-21 kann man seine Läden Tabula und Bouquiniste sehen.

Sein Laden wurde schnell zu einer Kultstätte. Aufstrebende Politiker, Verlagserben, Professoren und Studenten aller Fachrichtungen bevölkerten den Laden. Hier traf sich das intellektuelle Kiel, es waren Leser, die hier ein zweites Zuhause hatten, Bekannte, Freunde. Wer Bücher aus Statusgründen kaufte, der ging zum Antiquariat Schramm. Eschenburgs Kunden wurden von ihm gleichermaßen unfreundlich behandelt, sie schienen für ihn Störfaktor zu sein (von Eschenburg Junior wurde man dagegen richtig nett behandelt). Erst recht, als er im hohen Alter anfing, verbissen auf seiner Reiseschreibmaschine zu tippen. Irgendwie wollte er Fontane Konkurrenz machen, denn im Alter entstanden in rascher Folge die Bände einer Kieler Familientrilogie: Schlagseite: Roman aus der Weimarer RepublikWind von vorn: Roman einer Machtergreifung und Im Schlepp: Roman der Besatzungszeit.

Die Bände haben diese nautischen Titel, weil der Vater von Harald und Theodor Eschenburg Admiral gewesen war und die Erzählung auch zu großen Teilen eine autobiographische Geschichte einer großbürgerlichen Familie in einer Marinestadt ist. Seit den dreißiger Jahren hatte Eschenburg Tagebuch geführt, bei ihm stimmte jedes Detail. Und die Trilogie ist sicherlich auch, wie zwei andere Romane aus Schleswig Holstein (ich meine Die Buddenbrooks und Der Provinzlärm) ein Schlüsselroman. Obgleich der Autor das immer bestritten hat. Die handelnden Personen sind frei erfunden. Alles. Suchen nach einem Schlüssel bleibt müßig, steht im Roman. Aber dass der Professor Fuchslauf, der einen gefälschten Corot in dem Roman Schlagseite nicht erkennt, in Wirklichkeit der Professor Haseloff war, das hat man schon erkannt. Seinen ehemaligen Chef hat Eschenburg auch in die Romantrilogie hineingeschrieben, da heißt Ernst Rowohlt dann Wasserschout und Väterchen. Und natürlich wird erwähnt, dass er alle seine Autoren unter den Tisch trank. 

Das Lektorat der Fallada Manuskripte bei Rowohlt hatte Spuren bei Eschenburg hinterlassen: stilistisch gesehen, ist Falladas Werk 'Bauern, Bonzen und Bomben' mein Vorbild, besonders in 'Wind von vorn', hat er in einem Interview gesagt. Aber auch, dass Thomas Mann und Theodor Fontane seine Vorbilder gewesen seien.  Die kritische Rezeption der Bände war mehr als wohlwollend, Vergleiche mit Thomas Mann blieben nicht aus. Und er schrieb weiter. Mit Lübecker Marzipan kehrte er in seine und Thomas Manns Heimat Lübeck zurück, sein Großvater war Lübecker Bürgermeister gewesen. Welcher Buchhändler in einer Thalia Filiale schreibt schon mal so eben im Laden ein halbes Dutzend Bücher in einem Jahrzehnt? Ich nehme an, dass es auch das Ambiente dieses Ladens ist, das die Bücher mit hervorgebracht hat.

Der Autor blieb wie eh und je immer leicht mürrisch, obgleich ich zugeben muss, dass ich zeitlebens ein sehr gutes Verhältnis zu ihm hatte. Als er seinen Laden in der Andreas Gayk Straße aufgab, um in die Holtenauer zu ziehen, verkaufte er mir für hundert Mark eine Zeichnung, die ich seit Jahren bewundert hatte. Das Bild von Walther Kohlhase, der  Lehrer wie Otto Mueller, Carlo Mense und Oskar Schlemmer gehabt hatte, zeigte Sargträger mit Zylindern, die einen Sarg zu einer gläsernen Kutsche trugen auf der eine große Krone trohnte. Er durfte das Bild nicht zuhause aufhängen, er hatte es seiner Frau zur Hochzeit geschenkt, und die hatte gesagt: entweder bleibt das Bild im Haus oder ich. Eschi hatte das Bild nie gesehen, als ich es ihm zeigte (es hat bei mir einen Ehrenplatz) und ihm die Geschichte dazu erzählte, sagt er, dass sowas typisch für seinen Vater gewesen sei. 

Der hatte große Sorgen gehabt, dass aus seinem Sohn nichts würde, wie er mir einmal anvertraute, so privat konnte er doch wieder sein. Das war damals, als sein Sohn, der ein großer Tennisspieler war, herumlief wie Björn Borg. Eschi, Schüler der Gelehrtenschule wie sein Vater, gab sein Studium auf, so wie sein Vater einst das Germanistikstudium aufgegeben hatte, er wurde Buchhändler wie sein Vater. Der Björn Borg Look wich irgendwann Jacketts und Anzügen, er trug jetzt immer eine silberne IWC Taschenuhr. Aber er spielte immer noch in der TG Ravensberg Tennis, dort wahrscheinlich mit Björn Borg Stirnband. Sein Vater hatte sich mit siebzig von dem Beruf verabschiedet, er gab noch stilvoll einen Empfang im Föhrde Club, einem Klub ehemaiger Marineoffiziere. Jetzt führte Eschi den Laden, und der Senior schrieb und schrieb: Die polnische Prinzessin: Elisa Radziwill, die Jugendliebe Kaiser Wilhelms I und Prinz Heinrich von Preußen: Der Großadmiral im Schatten des Kaisers. Eigentlich hätte er den Kieler Kulturpreis verdient gehabt.

In seinen Roman Im Schlepp hat er einen kleinen Monolog eines Antiquars hineingeschrieben, aber hier redet wohl Eschenburg selbst, keine Romanfigur: Jeder Sammler hat etwas von einem Narren an sich. Büchersammler sind die liebenswertesten Narren: nach und nach ziehe ich sie an mich, wie das Licht die Motten. Spekulanten sind kaum darunter. Man sollte nicht alles am Geldwert messen. Ich versammle bei mir eine Art Club der Bibliophilen: Manche lernen sich bei mir kennen und laden sich später gegenseitig ein, um ihre Schätze vorzuzeigen. Es sind fast ausschließlich Männer. Solange sie ledig sind, scheuen sie keine Kosten. Ist erst die Frau im Haus, gehen Teppiche und Gardinen vor. Dann bleiben sie plötzlich fort, oder, das habe ich mehrfach erlebt, sie richten sich eine zweite Bibliothek im Amt, im Geschäft, im Lehrerzimmer ein. Heimlich. Das sind die wahren Helden ihrer Leidenschaft.

Das Schlimme bei den kleinen Antiquariaten wie Eschenburg ist natürlich, dass man beinahe immer mit einem Buch wieder herauskommt. Second-hand books are wild books, homeless books; they have come together in vast flocks of variegated feather, and have a charm which the domesticated volumes of the library lack, sagt Virginia Woolfe in Street Haunting. Man nimmt die homeless books mit, um ihnen ein neues Zuhause zu geben. Als Ludwig Tieck dreieinhalbtausend Bücher hatte, war er über diese Zahl so entsetzt, dass er alle seine Bücher verkaufte. Nach wenigen Jahren hatte er wieder dreitausend Bücher. Da hat er gemerkt, dass man sich gegen Bücher nicht wehren kann. Ich wäre glücklich, wenn ich nur dreieinhalbtausend hätte. Aber es sind, und daran sind diese verteufelten Antiquariate schuld, immer mehr geworden.

Wenn Sie den Namen Eschenburg in meinem Blog in die Suchfunktion eingeben, werden Sie ganz viele Posts als Ergebnis bekommen. Was daran liegt, dass ein großer Teil meiner Bibliothek aus diesem Antiquariat kommt. Es war für viele Kieler, die eine große Bibliothek geerbt hatten, die erste Adresse. Eschi hat mir mal die achtbändige Gesamtausgabe der Werke Stendhals (Propyläen 1922) zu einem Sonderpreis angeboten, aber die hatte mir sein Vater schon viele Jahre zuvor verkauft. Ich habe hier im Laden gefunden, was ich in anderen Antiquariaten nicht fand, meine Fontane Ausgabe (Aufbau Verlag) und meine Wilhelm Raabe Ausgabe standen mal in diesen Regalen. Und die Werke von Gerhard Neumann und Andrew Hudgins hätte ich wohl nirgendwo anders finden können.

Was mich beunruhigt, ist nicht die Zahl der Bücher in meinen Regalen. Man braucht keine Tapeten, und es ist auch besser als diese Bücher dummies, die bei Möbelhäusern als Buchvorgauklung im Regal stehen. Was mich beunruhigt ist, dass man in den Antiquariaten immer weniger junge Leute sah. Wo bleibt der Lesernachwuchs? Die Leser, die die wirkliche Welt über das Buch entdecken?

Eschi hat jetzt den Laden aufgeben müssen, den er seit den achtziger Jahren geführt hat. Eine schwere Erkrankung warf ihn aus der Bahn. Und die geschäftlichen Bedingungen, die Antiquariate heute haben, sind nicht die besten Auf jeden Fall für Antiquariate wie Eschenburg, die von Arno Schmidt bis Clive Cussler alles im Regal haben. Im Internet machen Monsterhändler wie Medimops (zu dem auch Momox gehört, lesen Sie hier mehr) alle Preise kaputt. Bücher kosten nichts mehr. Oder ganz viel. Die Fähigkeit, eine erstklassige Bildung zu bekommen, könnte ein elitäres, nur für 'Eingeweihte' zugängliches Privileg werden. Es wird zwei Parteien geben: Diejenigen, die komplexe Literatur lesen, und die 'clip-thinker', die nur Schilder lesen und Informationen aus dem Internet überfliegen können. Die Kluft dazwischen wird immer größer und größer. Das steht dem Roman Der Dorfgescheite von der Ukrainerin Marjana Gaponenko voran. War ein Geschenk von Friedhard, bibliophiler Büchersammler und natürlich Eschenburg Kunde.

Vor zehn Jahren hatte Eschi (sorry, es gibt kein besseres Photo von ihm im Netz) mich an einem schönen Sommerabend zum Abendessen eingeladen. Hans Fander (der hier im Netz eine Seite mit wunderbaren Geschichten hat) und der Literaturwissenschaftler Jörg W. Joost, den ich jede Woche bei Eschi traf, waren auch dabei. Aus der Ferne hörte man manchmal ein leises Plopp und ein lauteres Howzat, die spielten dahinten auf dem Sportplatz hinter den Bäumen tatsächlich Cricket. Waren aber alles Engländer und Inder, die aus Hamburg kamen, sagte Eschi. Ich weiß nicht, wie es kam, aber nach dem Essen wurde über Pariser Friedhöfe geredet. Herr Joost war ein großer Frankreichliebhaber, Hans Fander sowieso, der hatte einen französischen Pass, seit er als junger Mann in der Fremdenlegion gewesen war. War in Dien Bien Phu gewesen und hatte mit seinen Kameraden den Rückzug der Armee von Tschiang Kai Schek gedeckt. Irgendwann brachte Hans Fander den wunderbaren Satz heraus: In meinem Alter googelt man schon schon mal Friedhöfe. Joost war davon so begeistert, dass er sich den Satz sofort aufschrieb. Hans Fander, der sich schon einen Platz auf dem Père Lachaise gesichert hat, war damals glücklicherweise noch quicklebendig. Jörg Joost war leider wenige Monate nach dem schönen Sommerabend tot. In seiner Todesanzeige las ich das Gedicht Der Rauch von Bert Brecht:

Das kleine Haus unter Bäumen am See. 
Vom Dach steigt Rauch. 
Fehlte er 
Wie trostlos dann wären 
Haus, Bäume und See. 

Für jemanden, der ein Buch über Brecht geschrieben hatte, passte das sehr gut. Eine Geschichte hatte Jörg Joost an dem Abend nicht zum Besten gegeben: er war bei der Beerdigung von Hans Henny Jahnn dabei. Mein Freund Friedhard, der einmal einen Tag lang bei Jahnn zu Gast sein durfte, hatte mir mal erzählt, dass Joost zum engeren Kreis von Jahnn gehört habe. 

Ein Buch hat es im Antiquariat Eschenburg nie gegeben. Es heißt Renate im Bücherland: Kleiner Roman einer glücklichen Lehrzeit. 1957 bei Ziegler in Schwenningen erschienen, 130 Seiten, Leineneinband mit Goldprägedruck und Schutzumschlag. Mit Illustrationen von Professor Hugo Lange. Ich glaube, diesen ersten belletristischen Versuch Harald Eschenburgs besitzt außer mir niemand. Vielleicht sollte Eschi jetzt, wo er viel Zeit hat, anfangen zu schreiben. Einen Roman oder eine Geschichte des Antiquariats. Mit einer Liste der Kunden, von Feridun Zaimoglu bis Norbert Gansel. Friedrich Hübner nicht zu vergessen. Und Jay natürlich.

Dienstag, 14. Juni 2022

Van der Valk

Muste es wirklich sein? Brauchte man noch einen Kommissar Van der Valk? Barry Foster war ja schon schlimm. Ich weiß nicht, ob Bryan Marshall 1973 in Because of the Cats besser war, aber der Film bleibt in Erinnerung, weil da  Sylvia Kristel mitspielte, die ein Jahr später durch Emmanuelle berühmt wurde. Dass einmal Wolfgang Kieling (der Vater von Maja Maranows Kollegen Florian Martens in Ein starkes Team) in einem englischen Film den Kommissar Van der Valk gespielt hat, daran erinnert sich heute wohl niemand mehr. Seit zwei Jahren ist der Engländer Marc Warrren der neue Van der Valk, jetzt ist er auch bei uns im Fernsehen in Kommissar Van der Valk zu sehen. Der Independent hatte nur einen Verriss für die Serie übrig und titelte: ITV’s Amsterdam-set sleuth remake is woefully miscast.

Es ist eine dieser typischen europäischen Billigserien, die alle nach dem gleichen Muster gestrickt sind. Wie diese zehnteiligen Schwedenkrimis, die uns als Nordic Noir verkauft werden. Hat mit den hervorragenden Romanen des Engländers Nicolas Freeling, der lange Zeit in Holland lebte, wenig zu tun. Eigentlich gar nichts. Für Freeling war Georges Simenon ein großes Vorbild gewesen. Den Meister des psychologischen Kriminalromans wird wohl niemand mit dem kantigen blonden Marc Warren assoziieren. Ian Fleming hat in einem Augenblick der Selbsterkenntnis an Raymond Chandler geschrieben: Probably the fault about my books is that I don't take them seriously enough... you after all write 'novels of suspense' - if not sociological studies - whereas my books are straight pillow fantasies of the bang-bang, kiss-kiss variety. Freelings Romane sind soziologische Gesellschaftsstudien. Das, was uns heute unter dem Namen seines Helden Van der Valk verkauft wird, ist nur die billige bang-bang, kiss-kiss variety.

Ich hole mal etwas aus und beginne bei der Ehrenrettung für den echten Van der Valk mit Napoleon. 1804 hatte der den militärischen Rang eines Marschalls von Frankreich wieder eingeführt. Und gleich achtzehn Generäle zu Maréchaux d'Empire ernannt. Generäle, die nicht mehr im aktiven Dienst waren, wie zum Beispiel François-Christoph Kellerman, wurden Ehrenmarschall. Ich könnte jetzt natürlich über die napoleonischen Marschälle schreiben, das ahnen Sie schon. A.G. Macdonnell, der das schöne Buch Napoleon and his Marshals geschrieben hat, hat allerdings hier schon einen Post. Michel Ney hat auch schon einen Post, Soult auch. Napoleon kommt hier ständig vor. Doch als ich die Sache mit den achtzehn Marschällen las, war meine erste Assoziation: Nicolas Freeling.

Denn Soult, Kellermann und Ney kommen in einem Kriminalroman von Freeling vor, der The King of the Rainy Country heißt (ich habe hier eine Hörspielversion der BBC). Der Romanheld ist der holländische Polizist namens Van der Valk, der zum ersten Mal 1962 in dem Roman Love in Amsterdam auftrat und ein Jahr später in Because of the Cats die vollentwickelte Hauptfigur war. Dies war Freelings sechster Van der Valk Roman, er sicherte dem Autor den Edgar Award der Mystery Writers of America. Alle anderen Preise dieses Genres, wie den Golden Dagger der Crime Writers' Association und den Grand Prix de littérature policière hat er auch bekommen. Als The King of the Rainy Country erschien, gab es im Times Literary Supplement (das ja nicht unbedingt ein fanzine für Krimis ist) eine erstaunliche Rezension, aus der ich einmal den Hauptteil zitiere:

In about five years, with five books, Nicolas Freeling has taken the position of preferred English detective writer, at least among those with respect for the genre. Freeling's books are much more than simple thrillers. It would in fact be fair to say that from a melange of existing ingredients he has remade and extended the thriller. There is mystery, not only the mystery of who is doing what but more importantly, who is capable of doing it and why. Then his English is good, unusually good in today's light novel; notice his metaphors and similes, often arresting yet unforced. On place and the feeling of place he is usually excellent. His detective, Van der Valk, is at present head and shoulders above others - a sort of apotheosized Maigret. And finally he has the popular story-teller's gifts, the right pace and the constant satisfaction of controlled expectation. Excitement - this is the important novelty - is integral, not, as with Dorothy Sayers, a knob on the top. Mr Freeling is at the moment the educated man's Ian Fleming.

Nicolas Freeling hat mich durch die sechziger Jahre begleitet, sein Amsterdam war ein Amsterdam, das ich kannte. Ich fand es schade, dass er Van der Valk eines Tages mit dem Roman A Long Silence aufgab: Mit einem letzten bewussten Gedanken an diese Welt fiel ihm ein, daß Stendhal gesagt hatte, es sei keine Schande, auf der Straße zu sterben, wenn man es nicht absichtlich tat. Van der Valk begann, sein langes Schweigen zu studieren. Aber er kam nicht weit. Er war tot. Der Roman A Long Silence hat in der amerikanischen Ausgabe den Titel Auprès de ma blonde, ich weiß nicht weshalb. 

In der Sunday Times schrieb Freelings Kollege Edmund Crispin in einem Nachruf auf Van der Valk: he was the best of all police detectives, quirky yet sympathetic, a professional but still very much an individual: compared with him even Maigret seems scarcely better than two-dimensional. Freeling, der inzwischen in Frankreich lebte, war der Meinung, er sei zu weit von Amsterdam entfernt, um noch glaubwürdig über die Stadt schreiben zu können. Er hatte eine neue Detektivfigur, die Henri Castang hieß, aber für mich (wie für viele Leser) blieb Freeling eben dieser Piet Van der Valk. Viele Freeling Fans liefen zu Janwillem van de Wetering über, der just in dem Augenblick, als Freeling seinen Helden in A Long Silence beerdigte, zu schreiben begonnen hatte.

Es gab zahlreiche Verfilmungen, ich lasse jetzt mal die Serie mit Barry Foster aus, die beinahe zwanzig Jahre in England lief. Erstaunlicherweise brachte die ARD damals drei sehr gute Filme zustande. Die erste Verfilmung (alle zeigten Frank Finley als Van der Valk) war von Peter Zadek. Drehbuch Peter Zadek und Robert Muller. Das heißt, dass das Drehbuch von Robert Muller ist, der für Zadek immer die Arbeit machte, zu der Zadek keine Lust hatte. Er schrieb auch das Drehbuch von Ich bin ein Elefant, Madame. Pardon, das war natürlich Zadek. Muller musste sich dann dafür von Zadek in der Autobiographie beschimpfen lassen, aber wen hat Zadek in seiner Autobiographie nicht beschimpft? Muller arbeitete auch mit Zadek unter Hübner am Bremer Theater, dazu kam der 1938 emigrierte Schriftsteller extra aus London. Er schrieb Thomas Valentins Roman Die Unberatenen zu einem erfolgreichen Theaterstück um. Aus dem dann, noch einmal umgearbeitet, Zadeks Ich bin ein Elefant, Madame wurde. Mullers erfolgreichste Artbeit war übrigens das Drehbuch zu Die Gentlemen bitten zur Kasse.

Das Drehbuch zu Van der Valk und das Mädchen (nach dem Roman Gun Before Butter) war nicht der einzige Beitrag zu den Freeling Filmen der ARD. Muller schrieb auch das Drehbuch zu Wolfgang Petersens Van der Valk und die Reichen (und dem dritten Film Van der Valk und die Toten), einem Film, in dem Petersen zeigen konnte, dass er lange vor dem Boot und vor Hollywood sein Handwerk beherrschte. Ich habe den Film (der eine Verfilmung von The King of the Rainy Country ist) schon erwähnt, als ich leicht bösartig über Henning Mankell schrieb. Es war ein Glücksgriff des Fernsehens, dass man als Verkörperung des Piet Van der Valk einen englischen Vollblutschauspieler wie Frank Finlay gewinnen konnte. Die ARD wäre besser beraten gewesen, ihre alten drei Van der Valk Filme einmal neu herauszubringen, statt für viel Geld diese englische Serie zu kaufen.

Verfilmungen von Detektivromanen mit einem bekannten Helden leben von einem Schauspieler. Basil Rathbone als Sherlock Holmes war O. K., Jean Gabin als Maigret auch. Heinz Rühmann als Maigret, nein, das ging nun gar nicht. Van der Valk war kein armchair detective wie Sherlock Holmes, er war kein Snob wie Lord Peter Wimsey, er war kein exzentrischer Außenseiter. Irgendwie war er der letzte Vertreter der gebildeten Bourgeoisie im Detektivroman. Er konnte (wie John Buchans Richard Hannay) mit dem gesellschaftlichen Unten und Oben umgehen. Die Gattin des verschwundenen Millionärs, den Van der Valk in The King of the Rainy Country suchen sollte, könnte ihn eiskalt abwimmeln. Aber Van der Valk hat seinen eigenen Charme:

A woman in a silk housecoat was standing on the steps. Narrow vertical stripes, olive-green and silver-grey.
‘Sorry – I was staring admiring.’ She had his card in her hand which she gave back to him, with a careful slow look of appraisal.
‘That does not matter in the least. Perhaps we will go in here, shall we?’ She opened a door beyond the stairs and waited for him.
‘Please sit down, Mr Van der Valk, and be quite comfortable. You have plenty of time? Good. So have I. Would you like some port?’
‘Not just by myself.’
She gave him a slight smile. ‘Oh no. I like port.’ She did not ring, but went to do it herself.


Erinnert ein wenig an Colin Dexters Inspector Morse, der kann auch gut mit Frauen. Hier sehen wir ihn in Van der Valk und die Reichen mit Judy Winter, die ich mal auf einer Party kennengelernt habe. Das war dieselbe Party, auf der mir eine angeschickerte Preußenprinzessin ins Ohr flüsterte: Ihr könnt uns ja wiederhaben, ihr müsst es nur wollen. Aber ich schweife ab. Es ist natürlich dieses charmant freche Sorry – I was staring admiring, das die Situation entkrampft. Figure looked quite full; one couldn't tell in a housecoat. Manner polite, even warm. There was a foot in a leather slipper; a glimpse of neat instep and neat ankle. Lot of blood, lot of race, lot of breeding. Sat very upright – convent trained. Van der Valk ist mit seiner Arlette glücklich verheiratet, aber er kann es nicht lassen, Frauen zu beobachten. Überhaupt Menschen zu beobachten, er ist ein guter Beobachter (das teilt er mit Philip Marlowe), von der genauen Beobachtung des Alltags leben Freelings Romane. Das Treffen mit Anne-Marie Marschal wird zu einer Beziehung auf Leben und Tod werden.

Es war ein Merkmal des Detektivromans des Golden Age of the Detective Novel, dass er für ein gebildetes Publikum geschrieben war. Fans von Mickey Spillane werden die Romane von Michael Innes nicht verstehen. Für die Romane des Komponisten Edmund Crispin muss man als Leser ebenso viel Bildung mitbringen, wie für die Romane des Universitätsprofessors Michael Innes - für die Romane von Henning Mankell braucht man allerdings gar keine Bildung mitzubringen. Freelings Romane erschienen zuerst (wie die seiner Kollegen Michael Innes und Edmund Crispin) beim renommierten Verlag Victor Gollancz als Hardcover, danach als Paperbacks bei Penguin (in Deutschland zuerst in Richard K. Fleschs Rowohlt Reihe und danach bei Ullstein und Goldmann).

Und weil unser Autor seinen Helden mit ein wenig Bildung begabt (er lässt ihn auch ständig Anzüge und gute Schuhe tragen), färbt natürlich auch davon etwas auf den Leser ab. Wie zum Beispiel die Kenntnis der Marschälle Napoleons in The King of the Rainy CountryHe suddenly recalled, then, a most important thing. He had been shot. He was a soldier in Soult's army, that was it, and that tripehound Soult had left him here to die on the hillside. Er ist kein Soldat in Soults Armee (ich bilde den alten Kunsträuber mal eben hier ab - Sie könnten jetzt noch den netten Post Kunstraub lesen), er ist im Fieberwahn in einer Klinik in Biarritz. Schwer verletzt auf dem Hügel liegend phantasierte er von Robert Jordan mit seinem Maschinengewehr - unser Autor setzt voraus, das wir For Whom the Bell Tolls kennen.

Im Krankenhaus kommt Van der Valk langsam wieder zu sich: This was the end of the story that had started 'Once upon a time, in a rainy country, there was a king...' The end had not happened in a rainy country, but on a bone-dry Spanish hillside, three hundred metres from where Van der Valk had left a lot of blood, some splintered bone, a few fragments of gut, and a ten-seventy-five Mauser rifle bullet. No one had broken any laws. But a handsome, middle-aged millionaire had disappeared with a naked girl. And Van der Valk was given the job of finding out why. Er hat seine Retter mit Geschichten über den Marschall Soult traktiert. Und ständig Baudelaire zitiert. Das ist Ihnen doch nicht etwa entgangen, dass der Buchtitel The King of the Rainy Country ein Gedicht von Baudelaire zitiert? Je suis comme le roi d'un pays pluvieux, Riche, mais impuissant, jeune et pourtant très vieux, Qui, de ses précepteurs méprisant les courbettes, S'ennuie avec ses chiens comme avec d'autres bêtes... Wenn der deutsche Titel des Romans unsinnigerweise Bluthund ist, geht natürlich jede literarische Anspielung verloren.

Van der Valk wird die Schußverletzung überleben. Das Schöne an Van der Valk (und Freeling) ist, dass er nicht ohne Selbstironie ist. Wie zum Beispiel an einer Stelle wie dieser: And here I am, thought Van der Valk ruefully. I've made every mistake I could have; I haven't been professional; I'm not clever enough, being much too Dutch, to be an amateur, and now, as a fitting climax to so much inefficacity, I'm driving across the whole breadth of France in a hired Renault when, obviously, I should be burning up the highway in James Bond's Aston Martin. 

Es ist ein weiter Weg von solch literarischen Detektiven zu einer Figur wie Derrick. Der Schriftsteller, dem wir diese in Deutschland so beliebte Serie verdanken, ist bekanntlich ein willfähriger Gehilfe der Nazis gewesen. Wenn wir mal etwas bessere Fernsehkrimis wie Die Gentlemen bitten zur Kasse brauchen, dann lassen wir sie von einem nach England emigrierten Juden wie Robert Muller schreiben. Herbert Reinecker von der SS Propagandakompanie hat (wie sein Held Derrick, der von einem ehemaligen SS Mann gespielt wurde) einen Wikipedia Artikel, Robert Muller hat lange gebraucht, um einen zu bekommen. Dafür kennt die IMDb wenigstens seine Leistungen. Inzwischen ist es dem Deutschen Historischen Museum gelungen, Reineckers Tätigkeit als Drehbuchautor kritisch zu sehen. 

Ich weiß jetzt nicht, wie ich von Nicolas Freeling auf Reinecker und Derrick gekommen bin. Da wollte ich eigentlich nicht hin. Vielleicht sollte ich sagen, dass in der Zeit von Freelings großen Erfolgen auch eine durchaus beachtliche Produktion guter deutscher Krimis entstand. Die Kritik sprach damals schon von Der neue deutsche Kriminalroman. Ich habe das schon in einem Post gesagt, der Tatort heißt. Aber leider muss man auch anmerken, dass diese Autoren von Werremeier bis Bosetzky (der als -ky schrieb) heute schon beinahe vergessen sind. Ebenso wie Nicolas Freeling. Es scheint ein Gesetz der - wie man so schön sagt - Trivialliteratur zu sein, dass sich Qualität nicht durchsetzt. Zwei Jahre, bevor das TLS Nicolas Freeling als educated man's Ian Fleming würdigte, hatte Freeling dort Ian Fleming attackiert und seine Romane als a bit of elegant masturbation bezeichnet. Was einen erstaunlichen Leserbrief zeitigte:

Sir, - I think Mr Freeling (TLS, May 20) is unkind about Ian Fleming - and about many of his readers - because he has misunderstood the nature of the James Bond novels. A few years ago somebody (a don, I believe) described them very aptly as 'comic sex for the literate reader'. They are more than that, of course, for they embody caustic social satire, as well as being masterly examples of good straight writing that many other crime-writers could well use as a model. The publication of paperbacks and the transmogrification into popular films has introduced them to an unsophisticated and rather literal-minded public, some members of which do no doubt use these novels for 'bit of elegant masturbation', to use Mr Freeling's expression. But it is hardly fair to condemn Ian Fleming for this, for many respectable books, from the Bible onwards, have been misused in the same way.

Nicolas Freeling ist von den englischen quality papers seit Beginn seiner Karriere als Romanautor ernstgenommen worden, er wurde nicht mit dem Stempel Krimi-Autor versehen. Nur einmal gab es Kritik von Rayner Heppenstall, als der im TLS schrieb: Mr Freeling is a crime writer who often evinces signs of wishes to be thought more than that. Anders urteilte Gero von Wilpert in seinem Lexikon der WeltliteraturSeine Romane um den holländischen Detektiv Van der Valk werden dem Anspruch gerecht, es dürfe keinen Unterschied geben zwischen einem guten Roman und einem Kriminalroman. Der Guardian schrieb 2003 in seinem Nachruf auf Freeling: But the question remained as to whether he was really a crime writer or a straight novelist who chose to use crimes as a forcing house in which to examine questions of personality, propensity, even national characteristics, under abnormal conditions.

Es ist nicht nur ein weiter Weg von Van der Valk zu Derrick, es ist auch ein weiter Weg, bis die Kriminalliteratur nicht mehr so aussah wie auf diesem Cover hier. Sondern in den Leinenbänden des Gollancz Verlages mit dem quietschegelben Schutzumschlag präsentiert wurde. Doch die Distinktionen zwischen crime writer und straight novelist scheinen unaufhebbar zu sein. Raymond Chandler brachte es auf den Punkt, als er von To accept a mediocre form and make something like literature out of it is in itself rather an accomplishment redete.

Graham Greene hatte einen eleganten Weg gefunden, indem er Romane wie The Ministry of Fear als entertainment bezeichnete, gab aber diesen Begriff im Laufe seiner Schriftstellerkarriere langsam auf. Als die ersten Freeling Romane erschienen, schrieb der Dichter Cecil Day Lewis (der als Nicholas Blake Detektivromane schrieb) im Vorwort zu dem Nicholas Blake Omnibusbut detection writers do sometimes get impatient at composing what are, after all, no more than elaborate puzzles: we yearn to explore at greater depth the behaviour of people under abnormal stress. This is of course dangerous, in so far as it is an attempt to write a realistic novel of character, centred upon a crime: few of us are equipped to undertake this fairly sombre task. Vielleicht hätte Freeling Küchenchef bleiben sollen, als der er lange gearbeitet hat, mit seinen Büchern, die The Kitchen (1970), Cook Book (1972) und The Kitchen and the Cook (2002), hätten wir nicht diese Probleme der literarischen Einordnung. Freeling bringt viel Kulinarisches in seine Romane. Van der Valk freut sich in dem Roman Double-Barrel schon tagelang auf die Erbsensuppe, die seine Frau, die eine Meisterköchin ist, ihm zubereitet. Auch in den Romanen von Len Deighton findet wir viel Kulinarisches, seine Mutter war Köchin in einem Hotel, und er hat viel bei ihr gelernt. In gewisser Weise sind Freeling und Deighton die Vorläufer von dem, was heute Gourmetkrmini heißt.

Wir sind in der Frage der Bewertung des Kriminalromans nicht viel weiter gekommen, seit Joseph Wood Krutch (der ja mit Edgar Allan Poe: A Study in Genius 1926 eins der ersten ernstzunehmenden Bücher über Edgar Allan Poe schrieb) in seinem vielzitierten Artikel Only a Detective Story im Jahre 1944 sagte: Only a detective story' is now an apologetic and depreciatory phrase which has taken the place of that 'only a novel' which once moved Jane Austen to unaccustomed indignation. Professor Krutch hat eine Vielzahl von schönen Gründen für die Lektüre von Detektivromanen, von denen ich mal eben einige aufliste. Falls Sie nach Argumenten suchen, um ihre Lektüre von Krimis zu rechtfertigen:

But no one feels any compulsion to read a detective story. Few discuss what they have read with their neighbors. These books are read for pure pleasure, and there is certainly some significance in that fact ... Perhaps instead of saying that the detective story follows a formula we should say that it has FORM, and perhaps we should go on from that to wonder whether this very fact may not be one of the reasons for its popularity at a time when the novel, always rather loose, so frequently has no shape at all ... And while I am very far from suggesting that any of the detective stories that I have read are HAMLETs or EMMAs, I am suggesting that the fiction writer is in some ways better off and more successful when his public regards the reading of his works as a dubious self-indulgence than when the reading is regarded as a cultural duty.


Noch mehr von Nicolas Freeling und Van der Valck in den Posts: Peepshow, Frank Finlay, Erbsensuppe, Holland, Holländer, Mai-Unruhen